Der größte Polizeieinsatz in der Geschichte des Castor-Transports bekommt nun ein unglaubliches juristisches Nachspiel.

Bei den Castor-Protesten im Wendland (05-08.11) waren neben Bundespolizei, Landespolizei auch Einheiten der französischen CRS-Polizei (Compagnies Républicaines de Sécurité) (Foto) im Einsatz.

Und diese Polizeibeamten waren nicht nur als Beobachter unterwegs, sondern auch rechtswidrig im gewaltsamen Polizeieinsatz gegen Demonstranten tätig. In Frankreich ist diese Polizeieinheit für ihr teilweise brutales Vorgehen gegen Demonstranten und Medienvertreter bekannt und wird schon mal als CRS=SS beschimpft

Fotos von einem französischen CRS-Polizisten mit Teleskopschlagstock am vergangenen Wochenende im Wendland zusammen mit Bundespolizisten belegen, dass CRS-Polizei beim Einsatz im Wendland dabei war. Bei der Bundespolizei in Potsdam bestätigte man: Beamte der Compagnies Républicaines de Sécurité (CRS) waren als Beobachter vor Ort.

Das Bundesinnenministerium widerspricht dem in einer ersten Stellungnahme so: "Wir haben keine französischen Beamten angefordert, also waren in Deutschland auch keine französischen Polizisten im Einsatz".

Eine Bilderserie, die GNN-MVregio inzwischen vorliegt, zeigt einen anderen Sachverhalt und widerlegt beide Darstellungen. Dort ist eindeutig ein CRS-Polizist zu sehen, der nicht nur ca. 500 m vor dem Bahnübergang Grünhagen kurz vor Harlingen im Wendland Demonstranten beobachtet. Auf mehreren Bildern ist ein CRS Beamter zu sehen, der auf Demonstranten offenbar mit Gewalt einwirkt. Ein anderer Demonstrant berichtet gegenüber GNN-MVregio von einem weiteren CRS Gendarmen, der Deutsch mit französischem Akzent sprach. Auch dieser französische Beamte soll, entgegen seiner Beobachterrolle, mit den deutschen Polizeibeamten gegen Demonstranten vorgegangen sein.

Der Berliner Rechtsanwalt Christoph Müller (Foto), der einen CRS Beamten im vollen Einsatz gegen Demonstranten gesehen hat, stellte Strafanzeige bei der Bundespolizei wegen Amtsanmaßung. Gegenüber GNN-MVregio versichert er als Anwalt, dass dieser CRS Beamte da war und deutschen Bundespolizeibeamten beim Räumen der Bahngleise unterstützte.

Die französischen CRS-Polizisten sind auch leicht auszumachen. Man erkennt sie an den gelben Streifen auf ihren Helmen (Foto). Nach Sichtung von Videomaterial aus dem Bereich Grünhagen, sieht man im Polizeigetümmel immer wieder Helme mit gelben Streifen. Fotoserie hier klicken

Ein Informant von der Bundespolizei bestätigte gegenüber unserem Reporter. "Ja die französischen CRS-Beamten waren durch gelbe Streifen am Helm gekennzeichnet". Sie sollen mit einer Einheit der Bundespolizei aus dem grenznahenden deutsch-französischen Raum bei Kehl gekommen sein und sie waren in Einsätzen der Bundespolizei eingebunden.

Angesichts dieser Beweise sowie Fotos und Filmaufnahmen hat das Bundesinnenministerium sich nun genötigt gesehen eine neue Stellungnahme zu der Beteiligung von französischen CRS Einheiten abgegeben:

Der Castor-Transport von La Hague nach Gorleben ist polizeilich gesehen auch ein grenzüberschreitender Einsatz, der von Frankreich nach Deutschland verläuft. Aus diesem Grund ist eine Polizeikooperation zwischen Frankreich und Deutschland notwendig und auch seit Jahren üblich. Rechtliche Grundlage für die Zusammenarbeit ist der Vertrag von Prüm, der am 7. Mai 2005 geschlossen wurde. Ferner ist es nach § 64 Abs. 4 Bundespolizeigesetz möglich, ausländische Beamte für Inlandseinsätze auch im Vollzug einzusetzen. Auf dieser Grundlage stiegen etwa beim zurückliegenden Castor-Transport zum einen die deutschen Einsatzkräfte (Bundespolizei) auf den Castor-Zug vor dem Grenzübertritt zu, während die französischen Einsatzkräfte den Zug in Kehl (nach dem Grenzübertritt) verlassen haben. Weitere Einsatzkräfte der französischen Polizei hat es bei dem Einsatz auf deutschem Gebiet nicht gegeben. Zum anderen nahmen im Rahmen des Einsatzes der Bundesbereitschaftspolizei zwei französische Polizeibeamte als Beobachter teil. Auch diese Form der polizeilichen Zusammenarbeit ist langjährige Praxis. Einer der Beamten aus Frankreich war als Beobachter im Einsatzabschnitt "Transport" zugeteilt. Da ein Kontakt zu gewalttätigen Demonstranten bei solchen Einsätzen für alle Einsatzkräfte leider nicht ausgeschlossen werden kann, können auch französische Beamte bei diesen Einsätzen ihre Uniform und ihre Schutzausstattung tragen. In den Medien sind Fotos aufgetaucht, die einen Einsatz eines französischen Polizisten dokumentieren sollen. Nach bisherigen Erkenntnissen entstanden die in den Medien verbreitete Foto in folgender Situation: Bei der Durchführung einer Identitätsfeststellung infolge einer Straftat gegen den französischen Beamten durch einen Demonstranten gerieten Bundespolizisten in Bedrängnis. Der französische Polizist unterstützte daher seine Kollegen in einer Notsituation. Artikel 28 des Prümer Vertrages lässt Nothilfe durch ausländische Polizisten zu. Der Sachverhalt ist Gegenstand weiterer Ermittlungen. Der andere französische Polizeibeamte war im Bereich einer polizeilichen Leitstelle als Beobachter eingesetzt und hatte keine unmittelbare Berührung mit dem Einsatzgeschehen.

Eine Notsituation ist auf dem Fotomaterial nicht erkennbar. Vielmehr sieht man einen französischen CRS Beamten (Helm mit gelben Streifen) der aktiv und von sich aus auf Demonstranten losgeht. Das Ganze in voller Montur und Bewaffnung. Notwehr dürfte nicht vorgelegen haben. Wie auch. Von einem Demonstranten der friedlich auf dem Bahngleis liegt? Ein andere hat die Hände erhoben! (Foto) Unterdessen stehen Bundespolizisten tatenlos daneben.

Auf eine kleine Anfrage an die Bundesregierung Drucksache 17/2263 zu diesem Thema vom 22.06.2010 konnte man folgendes vernehmen.

Frage an die Bundesregierung: Auf welcher rechtlichen Grundlage sind gemeinsame Einsätze im In- und Ausland von Bundespolizeiangehörigen mit Angehörigen ausländischer Paramilitärs (Gendarmerie, Militärpolizei) angesichts des Trennungsgebotes von Polizei und Militär rechtlich zulässig?

 

Antwort der Bundesregierung: Eine generelle bundesgesetzliche Grundlage für einen gemeinsamen Einsatz in- und ausländischer Polizeikräfte im Inland besteht nicht. Ausländische Polizeikräfte können im Einzelfall aufgrund völkerrechtlicher Verträge oder Recht der EU tätig werden. In diesem Fall richten sich die Befugnisse nach dem jeweils gültigen Polizeirecht des Bundes oder - sofern auf dessen Anforderung - eines Landes.

 

Juristen sehen die Interpretation des BIM als eher fragwürdig an. Es gibt derzeit keine gesetzliche Grundlage, der einen Einsatz von CRS Beamten Rechtfertigt. Zur Erinnerung daran, dass in Deutschland das Grundgesetzt gilt, hier nochmal der Artikel 35 Grundgesetz der in Bezug auf ausländische Polizei oder Militär nichts offen lässt:

Art 35 (1) Alle Behörden des Bundes und der Länder leisten sich gegenseitig Rechts- und Amtshilfe. (2) Zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung kann ein Land in Fällen von besonderer Bedeutung Kräfte und Einrichtungen des Bundesgrenzschutzes zur Unterstützung seiner Polizei anfordern, wenn die Polizei ohne diese Unterstützung eine Aufgabe nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten erfüllen könnte. Zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder, Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen sowie des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte anfordern.

(3) Gefährdet die Naturkatastrophe oder der Unglücksfall das Gebiet mehr als eines Landes, so kann die Bundesregierung, soweit es zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, den Landesregierungen die Weisung erteilen, Polizeikräfte anderen Ländern zur Verfügung zu stellen, sowie Einheiten des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte zur Unterstützung der Polizeikräfte einsetzen. Maßnahmen der Bundesregierung nach Satz 1 sind jederzeit auf Verlangen des Bundesrates, im Übrigen unverzüglich nach Beseitigung der Gefahr aufzuheben.

Ausländische Polizisten haben in Deutschland keinerlei Eingriffsbefugnisse. Schreiten sie gleichwohl - und gar gewaltsam - hierzulande gegen Grundrechtsträger ein wie offenbar am vergangenen Wochenende zusammen mit Bundespolizisten, so ist dies als Amtsanmaßung und Verstoß gegen das Waffengesetz augenscheinlich rechtswidrig. Außerdem dürfen Bundespolizisten derlei nicht sehenden Auges zulassen, sondern müssen dies unterbinden."

Der grünen Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele fordert unverzüglich Aufklärung durch die Bundesregierung:

"Wie beurteilt die Bundesregierung die Anwesenheit ausländischer Polizisten und deren Einsatz gegen Demonstranten im Wendland bei den Protesten vom 6. bis 9.11. gegen den letzten Castor-Transport an der Seite von Bundes- und Länderpolizei (bitte vollständige Auflistung nach Polizisten-Zahlen, Herkunftsstaaten, deutscher Partner-Polizeien, Einsatzzeiten und-orten, Art sowie Umfang ihres Tätigwerdens, Anwendung unmittelbaren Zwangs) und ihre eigenen unvollständigen und falschen Informationen und Auskünfte dazu gegenüber dem Deutschen Bundestag, so z.B. in der Sitzung des Innenausschusses am 10. 11. 2010, und welche Konsequenzen zieht sie aus der gewaltsamen Anmaßung deutscher Hoheitsrechte für eine Anwesenheit und Beteiligung ausländischer Polizisten bei zukünftigen polizeilichen Großeinsätzen sowie dienstrechtlicher Art gegenüber den Verantwortlichen?"

Zum Rechtfertigungsversuch des Bundesinnenministeriums stellt Christian Ströbele fest:

  1. "Das Innenministerium verhält sich wie ein ertappter Sünder: nur das zugeben, was sich nicht länger leugnen lässt, so wie es gestern noch der BMI-Staatssekretär im Innenausschuss des Bundestages versuchte.
    Doch der Erklärungsversuch des BMI - zu nur einer einzigen von mehreren 'Ausrastern' ausländischer Polizisten - ist unhaltbar und bricht spätestens auf Klage Betroffener bzw. auf die eingereichten Strafanzeigen hin vor Gericht zusammen wie ein Kartenhaus. Stattdessen müssen die Bundes- und niedersächsische Landesregierung jetzt rückhaltlos den Einsatz ausländischer Polizei-Gewalttäter untersuchen und die vollständige Wahrheit unverzüglich gegenüber Parlamenten und Öffentlichkeit offenbaren."

  2. Zur Sache: Das BMI rechtfertigt den schlagkräftigen Einsatz eines französischen CRS-Gendarmisten gegen Castor-Protestierer mit " Bundespolizisten in Bedrängnis , ... Notsituation", wogegen dieser gemäß Art. 28 Prümer Vertrages habe Notwehr oder Nothilfe leisten dürfen.
    Doch vorgelagert hätten deutsche Stellen dann zuvor dem CRS-Gendarmisten gemäß Art. 24 Abs. 2 Prümer Vertrag überhaupt die Ausübung solch hoheitlicher Befugnisse (gemäß deutschem Verhältnismäßigkeitsprinzip!) grundsätzlich erlauben müssen. Dass dies zuvor geschah, behauptet nicht einmal das BMI selbst. Text des Prümer Vertrags
    Außerdem befanden sich die vielen deutschen Polizisten in jener Situation ersichtlich nicht in einer Notlage gegen wenige Protestierer, aus denen ausgerechnet 1 einzelner Franzose sie hätte mit seinem mitgeführten Teleskop-Totschläger retten müssen.

  3. In weiteren Situationen außer der vom BMI nun bewerteten maßten sich französische CRS-Gendarmisten letzten Sonntag im Wendland gewaltsam Hoheitsrechte an: u.a. bei dem vom Berliner Rechtsanwalt Müller strafangezeigten Übergriff.

Quellen: BPOL/BMI/GRÜNE/RA/ Korr GNN

Lesen Sie dazu:

a. Interner Bericht der Polizei zum Einsatz von französischer CRS-Polizei bei Castor Transport (13.11.2010)

http://www.mvregio.de/mvr/437924.html

http://www.abendblatt.de/region/norddeutschland/article1693510/Franzoesischer-Polizist-leistete-Nothilfe.html