Operation Russland
Rede des russischen Präsidenten Wladimir W. Putin auf der 43. Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik am 10.02.2007
Am 10. Februar 2007 hielt der russische Präsident Wladimir W. Putin auf der 43. Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik eine ungewöhnliche Rede. Er nannte Dinge in einer Weise beim Namen, wie das bei Konferenzen dieser Art eher unüblich ist. Dementsprechend waren zahlreiche Reaktionen aus Politik und Medien geprägt von Irritation bis Entrüstung. Der als US-Verteidigungsminister titulierte Robert Gates entgegenete dreist, die USA wollten keinen neuen kalten Krieg. Er vergaß zu erwähnen, daß es die USA und ihre Verbündeten sind, die diesen Krieg bereits führen. Rußland wird umgeben von Militärbasen und Raketenabwehrsystemen. Und mittels Organisationen wie OSZE und NGOs werden die ehemaligen Staaten der Sowjetunion von innen zersetzt - mit dem wesentlichen Ziel, sie der Nato zu übereignen. In Tschetschenien wird ein verdeckter Krieg um die reichen Resourcen des Landes, insbesondere das Öl, geführt - der Kaukasus war schon immer Objekt der Begierde ausländischer Mächte. 'Rußland im Zangengriff' ist der charakteristische Titel eins Buches von Peter Scholl-Latour. Wenn nun einer der Haupt-Betroffenen diesen Sachverhalt mit deutlichen Worten beschreibt, dann ist es verlogen, wenn diejenigen, die den Krieg gegen Rußland und die Länder in seiner Umgebung führen, so tun, als gäbe es diesen Krieg nicht.
Putin zu den militärischen Operationen des 'Westens'
Putin, gegen dessen Land sich der Kalte Krieg im Wesentlichen richtet, ist so 'unverschämt', zu behaupten, er habe das Recht zu fragen, gegen wen sich dieser Krieg richtet. Es ist noch relativ zurückhaltend, wenn er sagt: "Die Militarisierung des Weltraums kann, nach Auffassung Russlands, für die Weltgemeinschaft unvorhersehbare Folgen provozieren – nicht weniger als zu Beginn der Kernwaffenära. [...] Uns beunruhigen auch Pläne zum Aufbau von Elementen eines Raketenabwehrsystems in Europa. Wer braucht eine neue Runde eines in diesem Falle unausweichlichen Wettrüstens? [...] In Bulgarien und Rumänien entstehen so genannte leichte amerikanische Vorposten-Basen mit jeweils 5000 Mann. Das bedeutet, dass die NATO ihre Stoßkräfte immer dichter an unsere Staatsgrenzen heranbringt. [...] Nun haben wir das Recht zu fragen: Gegen wen richtet sich diese Erweiterung?"
Putin zur Rolle der OSZE
Was die Rolle der OSZE anbetrifft, sagt Putin: "Bei einem Auftritt auf der Sicherheitskonferenz darf man nicht mit Schweigen das Wirken der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa übergehen. Sie wurde bekanntermaßen gegründet, um alle – ich unterstreiche alle – Aspekte der Sicherheit zu überprüfen [...] Was sehen wir heute in der Praxis? Wir sehen, dass dieses Gleichgewicht klar gestört ist. Es wird versucht, die OSZE in ein vulgäres Instrument der Absicherung außenpolitischer Interessen der einen oder anderen Staatengruppe gegenüber anderen Staaten zu verwandeln." Er muß die Staaten nicht mit Namen nennen. Diejenigen, an die er sich wendet, sind diejenigen, die die OSZE als Instrument gegen die ehemaligen Staaten der Sowjetunion zum Einsatz bringen. Sie wissen, was sie tun, z.B. wenn sie in der Ukraine ihre Fäden spinnen, um sie dem Einlflußbereich Rußlands zu entziehen. Sie sagen es nur nicht.
Putin zur Rolle der NGOs
Und zur Rolle der vom 'Westen' finanzierten und gesteuerten Nicht-Regierungsorganisationen, der so genannten NGOs, ist Putin so 'unverschämt' zu behaupten, deren Wühlarbeit habe mit Demokratie nichts tun: "Was beunruhigt uns? Ich kann das sagen und denke, das ist für alle verständlich: Wenn diese nichtstaatlichen Organisationen im Grunde genommen von ausländischen Regierungen finanziert werden, so betrachten wir das als ein Instrument ausländischer Staaten bei der Realisierung einer Politik gegenüber unserem Land. [...] Ist das etwa eine normale Demokratie? Das ist eine latente, vor der Gesellschaft verborgene Finanzierung. Was ist daran demokratisch? Können Sie mir das sagen? Nein. Das können Sie nicht. Und das werden Sie niemals können. Weil das keine Demokratie ist, sondern eine Beeinflussung des einen Staates durch einen anderen. Wir sind aber daran interessiert, dass sich die zivile Gesellschaft innerhalb von Russland selbst entwickelt, dass sie die Behörden rügt und kritisiert und der Macht hilft, deren Fehler zu finden und die Politik im Interesse der Menschen zu korrigieren."
Putin zu Armut und Wohlstand
Putin wendet sich gegen Wohlstand, der nur Auserwählten zugute kommt. Und er wendet sich gegen Hilfsmaßnahmen, die als Bekämpfung von Armut ausgegeben werden, tatsächlich aber der Bereicherung von Unternehmen der so genannten Geber-Ländern dienen. Wörtlich sagt er: "Heute reden viele von dem Kampf gegen die Armut. Aber was passiert denn wirklich? Einerseits werden für die Hilfsprogramme zugunsten der ärmsten Länder Finanzmittel zur Verfügung gestellt, und nicht einmal geringe. Aber ganz ehrlich, auch das wissen viele, ist es so, dass sich Unternehmen der Geber-Länder dieses Geld 'aneignen'. [...] Nennen wir die Dinge doch beim Namen: Mit der einen Hand wird 'wohltätige Hilfe' geleistet, aber mit der anderen wird nicht nur die wirtschaftliche Rückständigkeit konserviert, sondern auch noch Profit gescheffelt." Der russische Präsident schließt seine Rede mit den Worten: "Natürlich möchten wir gerne mit verantwortungsvollen und ebenfalls selbstständigen Partnern zusammenarbeiten am Aufbau einer gerechten und demokratischen Welt, in der Sicherheit und Aufblühen nicht nur für Auserwählte, sondern für alle gewährleistet ist."
Putin zur Völkerrechtswidrigkeit der US-Politik
Und Putin ist so 'unverschämt' zu behaupten, die Politik bestimmter Staaten spiele sich außerhalb des gültigen Rechtssystems ab. Und dann besitzt er noch die besondere 'Unverschämtheit', dieses einem Staat vorzuwerfen, der es gewohnt ist, der Welt die Maßstäbe vorzugeben: den USA. Putin sagt: "Einseitige, oft nicht legitime Handlungen haben nicht ein einziges Problem gelöst. [...] Die Kriege [...] sind nicht weniger geworden. [...] es sterben nicht weniger Menschen bei diesen Konflikten als früher, sondern sogar mehr. Bedeutend mehr! Heute beobachten wir eine fast unbegrenzte, hypertrophierte Anwendung von Gewalt – militärischer Gewalt - in den internationalen Beziehungen, einer Gewalt, welche eine Sturmflut aufeinander folgender Konflikte in der Welt auslöst. [...] Wir sehen eine immer stärkere Nichtbeachtung grundlegender Prinzipien des Völkerrechts. Mehr noch – bestimmte Normen, ja eigentlich fast das gesamte Rechtssystem eines Staates, vor allem, natürlich, der Vereinigten Staaten, hat seine Grenzen in allen Sphären überschritten: sowohl in der Wirtschaft, der Politik, und im humanitären Bereich wird es anderen Staaten übergestülpt."
Kulturschock der Woche
Einer derjenigen, die sich berufen fühlen, ihr Mißfallen bezüglich Putins Sichtweise zum Ausdruck zu bringen, ist Tobias Kaufmann. Er schreibt am 17.2.2007 im 'Kultur'-Teil des 'Kölner Stadt-Anzeiger' in einem mit 'Kulturschock der Woche - Kalter Krieg, kalter Kaffee? - Tobias Kaufmann über Putins neue antiwestliche Töne' überschriebenen Artikel:
Kölner Stadt-Anzeiger, 17.2.2007, S.30 (Kulturteil) |
"Stell dir vor, es ist Kalter Krieg, und keiner hört hin. Ausgerechnet Wladimir Putin brandmarkt 'exzessive Gewaltanwendung' durch die USA, die Nato und die EU. Putin trägt weder einen Orden wider den tierischen Ernst noch den Friedenspreis des tschetschenischen Buchhandels. Er wütet in vollem Ernst getreu dem alten Motto: Kriegstreiber sind nur die anderen, wir selbst kämpfen für Frieden! Kalter Kaffee oder doch Kalter Krieg per Wiedervorlage? [...] Ein Detail aber ist neu: 68 Prozent der Deutschen geben Putin in einer Umfrage Recht. Dass Gazprom in die Altkanzler-Finanzierung eingestiegen ist, trägt also erste Früchte. Damit wäre auch beantwortet, was noch schockierender ist als alter Kalter Krieg: Ein neuer Kalter Krieg, bei dem die Mehrheit der Deutschen die Seite gewechselt hat."
Der Kulturschock der Woche - das ist dieser Artikel von Tobias Kaufamnn, Mitglied in Henryk M. Broders alles andere als seriös zu bezeichnendem Netzwerk 'Die Achse des Guten' und kürzlich von der 'Jüdischen Allgemeine' zum 'Kölner Stadt-Anzeiger' gewechselt. Keiner der Gedanken Putins wird seriös reflektiert. Es fragt sich, was den Autor des 'Kölner Stadt-Anzeiger' und viele andere stört, wenn andeutungsweise offengelegt wird, wie die geopolitische Strategie des 'Westens' gegenüber Rußland beschaffen ist. Was der russische Präsident Wladimir W. Putin tatsächlich an Wesentlichem zu sagen hatte, erfahren wir weder von Tobias Kaufmann, noch vom 'Kölner Stadt-Anzeiger' insgesamt und auch vom überwiegenden Teil der Medien nicht. Das soll uns offenbar vorenthalten bleiben.
Nachfolgend die komplette Rede (Quelle: russland.ru) sowie die anschließende Diskussion (Quelle: de.rian.ru) in deutscher Übersetzung (Weitere Übersetzungen der Rede bei de.rian.ru und in 'junge Welt')
Die Rede
Vielen Dank, verehrte Frau Kanzlerin, für die Einladung, an den Tisch der Konferenz, die Politiker, Militärs, Unternehmer und Experten aus mehr als 40 Ländern der Welt zusammengeführt hat.
Das Format der Konferenz gibt mir die Möglichkeit, der „übertriebenen Höflichkeit“ zu entgehen, mit geschliffenen, angenehmen, aber leeren diplomatischen Worthülsen sprechen zu müssen. Das Format der Konferenz erlaubt, das zu sagen, was ich wirklich über die Probleme der internationalen Sicherheit denke. Und wenn meine Überlegungen meinen Kollegen allzu polemisch oder ungenau erscheinen, ärgern Sie sich bitte nicht über mich – es ist doch nur eine Konferenz. Und ich hoffe, dass nicht schon nach zwei, drei Minuten meines Auftrittes Herr Teltschik das „Rotlicht“ aufleuchten lässt.
Also. Es ist bekannt, dass die Problematik der internationalen Sicherheit bedeutend breiter ist als die Fragen der militärpolitischen Stabilität. Dazu gehören die Beständigkeit der Weltwirtschaft, die Überwindung der Armut, die ökonomische Sicherheit und die Entwicklung des Dialogs zwischen den Zivilisationen.
Dieser allumfassende, unteilbare Charakter der Sicherheit drückt sich auch in seinem Grundprinzip aus: „Die Sicherheit des Einzelnen – das ist die Sicherheit aller“. Wie sagte doch Franklin Roosevelt schon in den ersten Tagen des II. Weltkrieges: „Wo auch immer der Frieden gebrochen wird, ist er gleichzeitig überall bedroht und in Gefahr.“
Diese Worte haben bis heute ihre Aktualität behalten. Davon zeugt übrigens auch das Thema unserer Konferenz, so wie es hier geschrieben steht: „Globale Krisen – globale Verantwortung“.
Vor gerade einmal zwei Jahrzehnten war die Welt ideologische und wirtschaftlich zerbrochen, aber ihre Sicherheit garantierten die gewaltigen strategischen Potenziale zweier Supermächte.
Der globale Gegensatz schob äußerst drängende ökonomische und soziale Fragen an den Rand der internationalen Beziehungen und Tagesordnungen. Und wie jeder Krieg hinterließ uns auch der „kalte Krieg“ – bildlich ausgedrückt – „Blindgänger“. Ich meine damit ideologische Stereotypen, doppelte Standards, irgendwelche Schablonen des Blockdenkens.
Die nach dem „Kalten Krieg“ vorgeschlagene monopolare Welt kam auch nicht zu Stande.
Die Menschheitsgeschichte kennt natürlich auch Perioden monopolaren Zustandes und des Strebens nach Weltherrschaft. Alles war schon mal da in der Geschichte der Menschheit. Aber was ist eigentlich eine monopolare Welt? Wie man diesen Terminus auch schmückt, am Ende bedeutet er praktisch nur eines: es gibt ein Zentrum der Macht, ein Zentrum der Stärke ein Entscheidungs-Zentrum.
Es ist die Welt eines einzigen Hausherren, eines Souveräns. Und das ist am Ende nicht nur tödlich für alle, die sich innerhalb dieses Systems befinden, sondern auch für den Souverän selbst, weil es ihn von innen zerstört.
Das hat natürlich nichts mit Demokratie gemein. Weil Demokratie bekanntermaßen die Herrschaft der Mehrheit bedeutet, unter Berücksichtigung der Interessen und Meinungen der Minderheit.
Nebenbei gesagt, lehrt man uns - Russland – ständig Demokratie. Nur die, die uns lehren, haben selbst, aus irgendeinem Grund, keine rechte Lust zu lernen.
Ich denke, dass für die heutige Welt das monopolare Modell nicht nur ungeeignet, sondern überhaupt unmöglich ist. Nur nicht, weil für eine Einzel-Führerschaft in der heutigen, gerade in der heutigen, Welt weder die militärpolitischen, noch die ökonomischen Ressourcen ausreichen. Aber was noch wichtiger ist – das Modell selbst erweist sich als nicht praktikabel, weil es selbst keine Basis hat und nicht die sittlich-moralische Basis der modernen Zivilisation sein kann.
Damit ist alles, was heute in der Welt geschieht - und wir fangen jetzt erst an, darüber zu diskutieren – eine Folge der Versuche, solch eine Konzeption der monopolaren Welt, in der Welt einzuführen.
Und mit welchem Ergebnis?
Einseitige, oft nicht legitime Handlungen haben nicht ein einziges Problem gelöst. Vielmehr waren sie Ausgangspunkt neuer menschlicher Tragödien und Spannungsherde. Urteilen Sie selbst: Die Kriege, die lokalen und regionalen Konflikte sind nicht weniger geworden. Herr Teltschik hat ganz leicht daran erinnert. Und es sterben nicht weniger Menschen bei diesen Konflikten als früher, sondern sogar mehr. Bedeutend mehr!
Heute beobachten wir eine fast unbegrenzte, hypertrophierte Anwendung von Gewalt – militärischer Gewalt - in den internationalen Beziehungen, einer Gewalt, welche eine Sturmflut aufeinander folgender Konflikte in der Welt auslöst. Im Ergebnis reichen dann nicht die Kräfte für eine komplexe Lösung wenigstens eines dieser Konflikte. Eine politische Lösung ist ebenfalls unmöglich.
Wir sehen eine immer stärkere Nichtbeachtung grundlegender Prinzipien des Völkerrechts. Mehr noch – bestimmte Normen, ja eigentlich fast das gesamte Rechtssystem eines Staates, vor allem, natürlich, der Vereinigten Staaten, hat seine Grenzen in allen Sphären überschritten: sowohl in der Wirtschaft, der Politik und im humanitären Bereich wird es anderen Staaten übergestülpt. Nun, wem gefällt das schon?
In den internationalen Angelegenheiten begegnet man immer öfter dem Bestreben, die eine oder andere Frage ausgehend von einer so genannten politischen Zielgerichtetheit auf der Grundlage der gegenwärtigen politischen Konjunktur zu lösen.
Das ist allerdings äußerst gefährlich. Es führt dazu, dass sich schon niemand mehr in Sicherheit fühlt. Ich will das unterstreichen – niemand fühlt sich mehr sicher! Weil sich niemand mehr hinter dem Völkerrecht wie hinter einer schützenden Wand verstecken kann. Eine solche Politik erweist sich als Katalysator für das Wettrüsten.
Die Dominanz des Faktors Gewalt löst in einer Reihe von Ländern den Drang nach dem Besitz von Massenvernichtungswaffen aus. Mehr noch – es erschienen ganz neue Bedrohungen, die zwar früher schon bekannt waren, aber heute globalen Charakter annehmen, wie der Terrorismus.
Ich bin überzeugt, dass wir heute an einem Grenzpunkt angelangt sind, an dem wir ernsthaft über die gesamte Architektur der globalen Sicherheit nachdenken sollten.
Man muss ablassen von der Suche nach einer ausgeklügelten Balance der Interessen aller international handelnden Subjekte. Umso mehr, als sich gerade jetzt die „internationale Landschaft“ so spürbar und so schnell ändert, und zwar auf Grund der wirtschaftlichen Entwicklung einer ganzen Reihe von Staaten und Regionen.
Die Frau Bundeskanzlerin hat schon darauf aufmerksam gemacht. So ist das summierte BIP Indiens und Chinas hinsichtlich der paritätischen Kaufkraft schon größer als das der USA. Das gleichermaßen berechnete BIP der BRIC-Staaten – Brasilien, Russland, Indien und China - übersteigt das BIP der EU. Nach Auffassung der Experten wird diese Entwicklung weiter anhalten.
Es besteht kein Zweifel, dass das wirtschaftliche Potenzial neuer Wachstumszentren auf der Welt unausweichlich auch in politischen Einfluss umschlägt und die Multipolarität stärkt.
In diesem Zusammenhang wächst auch ernsthaft die Rolle der mehrseitigen Diplomatie. Offenheit, Transparenz und Berechenbarkeit sind in der Politik ohne Alternative, aber die Anwendung von Gewalt sollte eine ebenso ausgeschlossen sein, wie die Anwendung der Todesstrafe in den Rechtssystemen einiger Staaten.
Wir beobachten aber heute, im Gegenteil, dass Länder, in denen die Anwendung der Todesstrafe sogar gegenüber Mördern und anderen gefährlichen Verbrechern verboten ist, ungeachtet dessen man militärischen Aktionen teilnehmen, die schwerlich als legitim zu bezeichnen sind. Doch bei diesen Konflikten sterben Menschen – Hunderte, Tausende friedlicher Menschen!
Gleichzeitig stellt sich die Frage: Sollen wir etwa untätig und willenlos auf die verschiedenen inneren Konflikte in einzelnen Ländern starren, auf das Treiben autoritärer Regimes, von Tyrannen, auf die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen? Genau hierin lag das Wesen der Frage, die der Bundeskanzlerin von unserem verehrten Kollegen Lieberman gestellt wurde. Das ist tatsächlich eine ernsthafte Frage! Können wir unbeteiligt zusehen, was passiert? Natürlich nicht.
Aber haben wir die Mittel, um diesen Bedrohungen zu widerstehen? Natürlich haben wir sie. Wir brauchen uns nur an die jüngste Geschichte zu erinnern. Haben wir nicht in unserem Land einen friedlichen Übergang zur Demokratie vollzogen? Es hat doch eine friedliche Transformation des sowjetischen Regimes stattgefunden. Und was für eines Regimes! Mit welcher Menge an Waffen, darunter Kernwaffen! Warum muss man jetzt, bei jedem beliebigen Vorkommnis, bombardieren und schießen. Es kann doch nicht sein, dass es uns bei einem Verzicht auf die Androhung gegenseitiger Vernichtung an politischer Kultur und Achtung vor den Werten der Demokratie und des Rechts fehlt.
Ich bin überzeugt, dass der einzige Mechanismus zur Entscheidung über die Anwendung von Gewalt als letzte Maßnahme nur die UN-Charta sein darf. In diesem Zusammenhang habe ich auch nicht verstanden, was kürzlich der Verteidigungsminister Italiens gesagt hat, oder er hat sich unklar ausgedrückt. Ich habe jedenfalls verstanden, dass die Anwendung von Gewalt nur dann als legitim gilt, wenn sie auf der Grundlage einer Entscheidung der NATO, der EU oder der UNO basiert. Wenn er das tatsächlich meint, dann haben wir verschiedene Standpunkte. Oder ich habe mich verhört. Legitim ist eine Anwendung von Gewalt nur dann zu nennen, wenn ihr ein UNO-Beschluss zu Grunde liegt. Und man darf die UNO nicht durch die NATO oder die EU ersetzen. Und wenn die UNO wirklich die Kräfte der internationalen Gemeinschaft vereint, die tatsächlich auf Ereignisse in einzelnen Staaten reagieren können, wenn wir uns von der Nichtbeachtung internationalen Rechts abkehren, dann kann sich die Situation ändern. Im anderen Fall gerät die Situation nur in eine Sackgasse und es häufen sich die schweren Fehler. Zugleich muss man erreichen, dass das Völkerrecht universalen Charakter erhält, sowohl im Verständnis, wie auch in der Anwendung der Normen.
Man darf nicht vergessen, dass demokratische Handlungen in der Politik unbedingt eine Diskussion und sorgfältige Ausarbeitung von Entscheidungen voraussetzt.
Sehr geehrte Damen und Herren!
Die potenzielle Gefahr einer Destabilisierung der internationalen Beziehungen ist auch mit einem Abrüstungs-Stau verbunden.
Russland tritt für die Wiederaufnahme des Dialogs zu dieser wichtigen Frage ein.
Es ist wichtig, die Beständigkeit der völkerrechtlichen Basis für die Abrüstung zu sichern, gleichzeitig auch die Fortführung des Prozesses der Reduzierung der Kernwaffen zu gewährleisten.
Wir haben mit den USA den Abbau unserer strategischen Kernwaffenpotenziale auf 1700 – 2200 Sprengköpfe bis Ende 2012 vereinbart. Russland beabsichtigt, die übernommenen Verpflichtungen streng einzuhalten. Wir hoffen, dass unsere Partner genauso transparent handeln und nicht für einen „schwarzen Tag“ ein paar Hundert Sprechköpfe zurücklegen. Und wenn uns heute der neue Verteidigungsminister der USA erklärt, dass die Vereinigten Staaten diese überzähligen Sprengköpfe nicht in Lagern, nicht unter dem Kopfkissen und auch nicht unter der Bettdecke verstecken, dann schlage ich vor, dass sich alle erheben und stehend applaudieren. Das wäre eine sehr wichtige Erklärung.
Russland hält sich weiterhin streng, wie auch bisher, an die Verträge über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen und die vielseitigen Kontrollregimes für Raketentechnologie. Die in diesen Dokumenten festgehaltenen Prinzipien tragen universellen Charakter.
In diesem Zusammenhang möchte ich daran erinnern, dass die UdSSR und die USA in den 80er Jahren einen Vertrag über die Liquidierung einer ganzen Klasse von Raketen geringer und mittlerer Reichweite unterzeichnet haben, aber einen universellen Charakter hat dieses Dokument nicht erhalten.
Heute haben schon eine Reihe Staaten solche Raketen: Die Koreanische Volksdemokratische Republik, die Republik Korea, Indien, Iran, Pakistan, Israel. Viele andere Staaten der Welt projektieren solche Systeme und planen, sie mit Waffen zu bestücken. Nur die USA und Russland haben sich verpflichtet, keine solchen Waffensysteme zu bauen.
Klar, dass wir unter solchen Bedingungen über die Gewährleistung unserer eigenen Sicherheit nachdenken müssen.
In Verbindung damit dürfen wir keine neuen destabilisierenden hochtechnologischen Waffenarten zulassen. Nicht zu reden von Maßnahmen zur Erschließung neuer Sphären der Konfrontation, vor allem im Kosmos. „Star Wars“ sind bekanntermaßen längst keine Utopie mehr, sondern Realität. Schon Mitte der 80er Jahre (des vergangenen Jahrhunderts) haben unsere amerikanischen Partner in der Praxis einen ihrer eigenen Satelliten gekapert.
Die Militarisierung des Weltraums kann, nach Auffassung Russlands, für die Weltgemeinschaft unvorhersehbare Folgen provozieren – nicht weniger als zu Beginn der Kernwaffenära. Wir haben nicht nur einmal Initiativen vorgelegt, die auf den Verzicht auf Waffen im Kosmos gerichtet waren.
Ich möchte Sie heute darüber informieren, dass wir einen Vertragsentwurf über die Vermeidung einer Stationierung von Waffen im Weltraum vorbereitet haben. In der nächsten Zeit wird er allen Partnern als offizieller Vorschlag zugeleitet werden. Lassen sie uns gemeinsam daran arbeiten.
Uns beunruhigen auch Pläne zum Aufbau von Elementen eines Raketenabwehrsystems in Europa. Wer braucht eine neue Runde eines in diesem Falle unausweichlichen Wettrüstens? Ich zweifele zutiefst daran, dass es die Europäer selbst sind.
Über Raketenwaffen, die, um tatsächlich Europa gefährden können, eine Reichweite von 5000 – 8000 Kilometern haben müssen, verfügt keines dieser so genannten „Problemländer“. Und in der absehbaren Zukunft werden sie auch keine haben, nicht einmal die Aussicht darauf. Selbst der hypothetische Start einer nordkoreanischen Rakete in Richtung des Territoriums der USA über Westeuropa hinweg, widerspricht allen Gesetzen der Ballistik. Wie man bei uns in Russland sagt, ist das so, „wie wenn man sich mit der linken Hand am rechten Ohr kratzt“.
Weil ich gerade hier in Deutschland bin, kann ich nicht umhin, an den kritischen Zustand des Vertrages über die konventionellen Streitkräfte in Europa zu erinnern.
Der adaptierte Vertrag über die konventionellen Streitkräfte in Europa wurde 1999 unterzeichnet. Er berücksichtigte die neue geopolitische Realität – die Liquidierung des Warschauer Paktes. Seither sind sieben Jahre vergangen, und nur vier Staaten haben dieses Dokument ratifiziert, darunter die Russische Föderation.
Die NATO-Länder haben offen erklärt, dass sie den Vertrag, einschließlich der Festlegungen über Begrenzungen bei der Stationierung einer bestimmten Stärke von Streitkräften an den Flanken, so lange nicht ratifizieren werden, bis Russland seine Basen in Moldawien und Georgien schließt. Aus Georgien ziehen unsere Truppen ab, sogar im Eiltempo. Diese Probleme haben wir mit unseren georgischen Kollegen geklärt, wie allen bekannt sein dürfte. In Moldawien verbleibt eine Gruppierung von anderthalb Tausend Wehrpflichtigen, die friedensfördernde Aufgaben erfüllen und Munitionslager bewachen, die noch aus Zeiten der UdSSR übrig geblieben sind. Wir sind ständig im Gespräch mit Herrn Solana über diese Probleme und er kennt unsere Position. Wir sind bereit, auch weiterhin in dieser Richtung zu arbeiten.
Aber was geschieht zur selben Zeit? In Bulgarien und Rumänien entstehen so genannte leichte amerikanische Vorposten-Basen mit jeweils 5000 Mann. Das bedeutet, dass die NATO ihre Stoßkräfte immer dichter an unsere Staatsgrenzen heranbringt, und wir, die wir uns streng an den Vertrag halten, in keiner Weise auf dieses Vorgehen reagieren.
Ich denke, es ist offensichtlich, dass der Prozess der NATO-Erweiterung keinerlei Bezug zur Modernisierung der Allianz selbst oder zur Gewährleistung der Sicherheit in Europa hat. Im Gegenteil, das ist ein provozierender Faktor, der das Niveau des gegenseitigen Vertrauens senkt. Nun haben wir das Recht zu fragen: Gegen wen richtet sich diese Erweiterung? Und was ist aus jenen Versicherungen geworden, die uns die westlichen Partner nach dem Zerfall des Warschauer Vertrages gegeben haben? Wo sind jetzt diese Erklärungen? An sie erinnert man sich nicht einmal mehr. Doch ich erlaube mir, vor diesem Auditorium daran zu erinnern, was gesagt wurde. Ich möchte ein Zitat von einem Auftritt des Generalsekretärs der NATO, Herrn Wörner, am 17. Mai 1990 in Brüssel bringen. Damals sagte er: „Schon der Fakt, dass wir bereit sind, die NATO-Streitkräfte nicht hinter den Grenzen der BRD zu stationieren, gibt der Sowjetunion feste Sicherheitsgarantien.“ Wo sind diese Garantien?
Die Steine und Betonblocks der Berliner Mauer sind schon längst zu Souvenirs geworden. Aber man darf nicht vergessen, dass ihr Fall auch möglich wurde dank der historischen Wahl, auch unseres Volkes, des Volkes Russlands, eine Wahl zugunsten der Demokratie und Freiheit, der Offenheit und echten Partnerschaft mit allen Mitgliedern der großen europäischen Familie.
Jetzt versucht man, uns schon wieder neue Teilungslinien und Mauern aufzudrängen – wenn auch virtuelle, trotzdem trennende, die unseren gesamten Kontinent teilen. Soll es nun etwa wieder viele Jahre und Jahrzehnte dauern und den Wechsel von einigen Politiker-Generationen, um diese neuen Mauern zu „demontieren“?
Sehr geehrte Damen und Herren!
Wir treten eindeutig für die Festigung des Regimes der Nichtweiterverbreitung ein. Die bestehende völkerrechtliche Basis erlaubt es, eine Technologie zur Herstellung von Kernbrennstoff für friedliche Zwecke auszuarbeiten. Und viele Länder wollen auf dieser Grundlage eigene Kernenergie erzeugen als Basis ihrer energetischen Unabhängigkeit. Aber wir verstehen auch, dass diese Technologien schnell für den Erhalt waffenfähigen Materials transformiert werden können.
Das ruft ernsthafte internationale Spannungen hervor. Das deutlichste Beispiel dafür ist die Situation um das iranische Atomprogramm. Wenn die internationale Gemeinschaft nicht eine kluge Entscheidung zur Lösung dieses Interessenkonflikts ausarbeitet, wird die Welt auch künftig von solchen destabilisierenden Krisen erschüttert werden, weil es mehr Schwellenländer gibt als den Iran, wie wir alle wissen. Wir werden immer wieder mit der Gefahr der Weiterverbreitung von Massenvernichtungsmitteln konfrontiert werden.
Im vergangenen Jahr hat Russland eine Initiative zur Schaffung multinationaler Zentren zur Urananreicherung vorgelegt. Wir sind dafür offen, solche Zentren nicht nur in Russland zu schaffen, sondern auch in anderen Ländern, wo eine legitime friedliche Kernenergiepolitik existiert. Staaten, welche die Erzeugung von Atomenergie entwickeln wollen, könnten garantiert Brennstoff über die unmittelbare Beteiligung an der Arbeit dieser Zentren erhalten, unter strenger Kontrolle der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEO).
Mit dem russischen Vorschlag im Einklang stehen auch die jüngsten Initiativen des USA-Präsidenten George W. Bush. Ich meine, dass Russland und die USA objektiv und in gleichem Maße an einer Verschärfung des Regimes der Nichtweiterverbreitung von Massenvernichtungsmitteln und den Mitteln ihrer Erlangung interessiert sind. Gerade unsere Länder, die mit ihrem Kernwaffen- und Raketenpotenzial an der Spitze stehen, sollten sich auch an die Spitze stellen bei der Ausarbeitung neuer, härterer Maßnahmen bei der Nichtweiterverbreitung. Russland ist dazu bereit. Wir führen Konsultationen mit unseren amerikanischen Freunden.
Insgesamt sollten wir über die Schaffung eines ganzen Systems politischer Hebel und ökonomischer Anreize reden, unter denen die Staaten interessiert sind, nicht eigene Möglichkeiten für Kernbrennstoff-Zyklen zu schaffen, und trotzdem die Gelegenheit hätten, die Kernenergie für die Stärkung ihres Energiepotenzials zu nutzen.
In diesem Zusammenhang verweile ich etwas länger bei der internationalen Zusammenarbeit im Energiebereich. Die Frau Bundeskanzlerin hat ebenfalls kurz zu diesem Thema gesprochen. Im Energiebereich orientiert sich Russland auf die Schaffung von für alle einheitlichen Marktprinzipien und transparenter Bedingungen. Es ist offensichtlich, dass der Preis für Energieträger sich dem Markt anpassen muss und nicht zum Spielball politischer Spekulationen, ökonomischen Drucks oder von Erpressung sein darf.
Wir sind offen für Zusammenarbeit. Ausländische Unternehmen beteiligen sich an unseren größten Projekten zur Energiegewinnung. Nach unterschiedlichen Einschätzungen entfallen bis zu 26 Prozent des in Russland geförderten Erdöls - merken Sie sich bitte diese Zahl! – auf ausländisches Kapital. Versuchen Sie bitte, mir ein Beispiel von einer ähnlich breiten Beteiligung russischer Unternehmen an Schlüsselbereichen der Wirtschaft westlicher Staaten zu nennen. Es gibt keine!
Ich erinnere auch an das Verhältnis von Investitionen, die nach Russland kommen, und jener, die aus Russland in andere Länder auf der Welt gehen. Dieses Verhältnis ist etwa 15:1. Hier haben Sie ein leuchtendes Beispiel für die Offenheit und Stabilität der russischen Wirtschaft.
Wirtschaftliche Sicherheit, das ist die Sphäre, in der sich alle an einheitliche Prinzipien halten müssen. Wir sind bereit, ehrlich zu konkurrieren.
Dafür hat die russische Wirtschaft immer mehr Möglichkeiten. Das schätzen auch die Analysten und unsere ausländischen Partner ebenso ein. So wurde erst kürzlich das Rating Russland in der OECD erhöht: aus der vierten Risikogruppe stieg unser Land in die dritte Gruppe auf. Ich möchte hier und heute in München die Gelegenheit nutzen, unseren deutschen Kollegen für die Zusammenarbeit bei der der genannten Entscheidung danken.
Weiter. Wie Sie wissen, ist der Prozess der Einbindung Russlands in die WTO in der Endphase. Ich stelle fest, dass wir im Laufe langer, schwieriger Verhandlungen nicht ein Wort über die Freiheit des Wortes, über Handelsfreiheit, Chancengleichheit gehört haben, sondern ausschließlich zu unserem, dem russischen Markt.
Noch zu einem anderen wichtigen Thema, das unmittelbar die globale Sicherheit beeinflusst. Heute reden viele von dem Kampf gegen die Armut. Aber was passiert denn wirklich? Einerseits werden für die Hilfsprogramme zugunsten der ärmsten Länder Finanzmittel zur Verfügung gestellt, und nicht einmal geringe. Aber ganz ehrlich, auch das wissen viele, ist es so, dass sich Unternehmen der Geber-Länder dieses Geld „aneignen“. Zur selben Zeit werden andererseits in den entwickelten Ländern die Subventionen in der Landwirtschaft aufrechterhalten, wodurch für andere der Zugang zur Hochtechnologie begrenzt wird.
Nennen wir die Dinge doch beim Namen: Mit der einen Hand wird „wohltätige Hilfe“ geleistet, aber mit der anderen wird nicht nur die wirtschaftliche Rückständigkeit konserviert, sondern auch noch Profit gescheffelt. Die entstehenden sozialen Spannungen in solchen depressiven Regionen führen unausweichlich zum Anwachsen des Radikalismus und Extremismus, nähren den Terrorismus und lokale Konflikte. Aber wenn das zudem noch, sagen wir, im Nahen Osten geschieht, unter den Bedingungen eines zugespitzten Verständnisses der äußeren Welt als einer ungerechten, dann entsteht das Risiko einer globalen Destabilisierung.
Es ist klar, dass die führenden Länder der Erde die Gefahr sehen müssen. Und dementsprechend ein demokratischeres, gerechteres System der wirtschaftlichen Beziehungen in der Welt schaffen müssen – ein System, dass allen die Chance und die Möglichkeit der Entwicklung geben muss.
Bei einem Auftritt auf der Sicherheitskonferenz darf man nicht mit Schweigen das Wirken der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa übergehen. Sie wurde bekanntermaßen gegründet, um alle – ich unterstreiche alle – Aspekte der Sicherheit zu überprüfen: den militärpolitischen, den ökonomischen, den humanitären – und dabei alle in ihrem Zusammenhang.
Was sehen wir heute in der Praxis? Wir sehen, dass dieses Gleichgewicht klar gestört ist. Es wird versucht, die OSZE in ein vulgäres Instrument der Absicherung außenpolitischer Interessen der einen oder anderen Staatengruppe gegenüber anderen Staaten zu verwandeln. Dieser Aufgabe wurde auch der bürokratische Apparat der OSZE untergeordnet, der überhaupt nicht mit den Teilnehmerländern verbunden ist. Dieser Aufgabe untergeordnet wurden auch die Prozeduren für die Annahme von Entscheidungen und die Ausnutzung so genannter „Nicht-Regierungs-Organisationen“. Ja, sie sind formal unabhängig, werden aber zielgerichtet finanziert, das heißt kontrolliert.
Entsprechend den allgemein gültigen Dokumenten, ist die OSZE aufgerufen, mit den Mitgliedsländern, auf deren Bitte hin, bei der Überwachung der Einhaltung internationaler Normen auf dem Gebiet der Menscherechte zusammenzuarbeiten. Das ist eine wichtige Aufgabe, die wir unterstützen. Aber das bedeutet keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten und erst recht nicht, diesen Staaten aufzudrängen, wie sie zu leben und sich zu entwickeln haben.
Es ist klar, dass eine solche Einmischung nicht dem Reifen von wirklich demokratischen Staaten dient. Im Gegenteil, es macht sie abhängig, und im Ergebnis dessen politisch und wirtschaftlich instabil.
Wir erwarten, dass die OSZE sich von ihren unmittelbaren Aufgaben leiten lässt und ihre Beziehungen mit den souveränen Staaten auf der Grundlage der Achtung, des Vertrauens und der Transparenz gestaltet.
Sehr geehrte Damen und Herren!
Zum Abschluss möchte ich Folgendes bemerken. Wir hören sehr oft, auch ich persönlich, von unseren Partnern, auch den europäischen, den Aufruf an Russland, eine noch aktivere Rolle in den Angelegenheiten der Welt zu spielen.
In diesem Zusammenhang gestatte ich mir eine kleine Anmerkung. Man muss uns kaum dazu ermuntern oder drängen. Russland ist ein Land mit einer mehr als tausendjährigen Geschichte und fast immer hatte es das Privileg, eine unabhängige Außenpolitik führen zu können.
Wir werden an dieser Tradition auch heute nichts ändern. Dabei sehen wir sehr genau, wie sich die Welt verändert hat, schätzen realistisch unsere eigenen Möglichkeiten und unser Potenzial ein. Und natürlich möchten wir gerne mit verantwortungsvollen und ebenfalls selbstständigen Partnern zusammenarbeiten am Aufbau einer gerechten und demokratischen Welt, in der Sicherheit und Aufblühen nicht nur für Auserwählte, sondern für alle gewährleistet ist.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Die Diskussion
HORST TELTSCHIK: Herzlichen Dank für ihre wichtige Ansprache. Es wurden neue Themen erwähnt, darunter auch die Frage der globalen Architektur, die in den vergangenen Jahren im Hintergrund stand; die Abrüstung und Rüstungskontrolle, die Beziehungen zwischen der NATO und Russland, die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Technologien.
Es gibt noch eine ganze Reihe von Fragen und der Herr Präsident ist bereit, darauf zu antworten.
FRAGE: Sehr geehrter Herr Präsident, danke für Ihren Auftritt. Wir im Deutschen Bundestag sind davon überzeugt, dass Russland als Partner für Europa von großer Bedeutung ist und dass Sie eine wichtige Rolle spielen. Das sagte auch die Bundeskanzlerin in ihrer Rede.
Mit Blick auf meine Erfahrungen möchte ich auf zwei Punkte ihrer Ansprache eingehen. Erstens ist das die Beurteilung der NATO und ihrer Erweiterung, die Sie als eine Bedrohung für Russland einstufen. Geben Sie zu, dass es sich bei der Erweiterung um eine Selbstbestimmung der demokratischen Staaten handelt, die selber diesen Weg eingeschlagen haben? Und dass die NATO keine Staaten aufnimmt, die nicht den Wunsch dazu haben? Können Sie eingestehen, dass die Erweiterung der NATO die Ostgrenzen sicherer macht? Warum haben Sie Angst vor Demokratie? Ich bin überzeugt: Nur demokratische Staaten können der NATO beitreten. Das stabilisiert ihre Nachbarn.
Zu der Frage, was in Ihrem Land geschieht. Anna Politkowskaja wurde ermordet. Man kann sagen, dass dies viele Journalisten angeht: Ängste, das Gesetz über Nichtregierungsorganisationen - das löst Besorgnis aus.
FRAGE: Ich verstehe sehr gut Ihre Bemerkung zur Nichtweiterverbreitung. Insbesondere am Ende des Kalten Krieges haben wir einen Rückgang der Stationierung von Atomwaffen beobachtet. Doch wir haben auch die Zunahme des Terrorismus beobachtet. Kernmaterialien müssen sicher vor Terroristen geschützt werden.
FRAGE: Eine Frage, die auch an die Bundeskanzlerin gestellt wurde. Was wird mit dem Kosovo und mit Serbien? Wie stehen Sie zu Martti Ahtisaari? Wie wird Russland auf die Lösung dieses Problems einwirken?
FRAGE: Können Sie die Erfahrungen kommentieren, die die russische Armee in Tschetschenien gemacht hat? Zu Ihrer Bemerkung zur Energiewirtschaft: Sie legten in Kürze dar, was die marktwirtschaftliche Rolle der Energie in der Politik angeht. Die Europäische Union ist an einem Partnerschaftsabkommen interessiert, in dem die Prinzipien der Politik festgehalten sind. Sind Sie bereit, die Sicherheit der Energielieferungen zu garantieren und dies in dem Abkommen festzuschreiben?
FRAGE: Herr Präsident, Sie haben aufrichtige Bemerkungen gemacht. Ich hoffe, Sie werden meine aufrichtige und direkte Frage verstehen. In den 1990er Jahren haben russische Experten den Iran bei der Entwicklung von Raketentechnologien tatkräftig unterstützt. Der Iran besitzt jetzt fortschrittliche Mittel- und Langstreckenraketen und kann damit Russland und einen Teil Europas angreifen. Sie arbeiten daran, diese Raketen mit nuklearen Sprengköpfen auszustatten. Ihr Land hat bei diesbezüglichen Verhandlungen mit dem Iran Anstrengungen unternommen und die Resolution des UN-Sicherheitsrats unterstützt, um diese Politik des Irans zu stoppen.
Meine Frage: Welche Schritte wird Russland - in der UNO oder anderswo - unternehmen, um diese sehr ernsthafte Entwicklung im Iran zu stoppen?
FRAGE: Ich bin überzeugt, dass die Historiker nicht eines Tages schreiben werden, dass während unserer Konferenz ein neuer Kalter Krieg erklärt wurde, obwohl sie das tun könnten. Sie haben gesagt, man soll sowohl den Iran unter Druck setzen als auch positive Impulse geben. Stimmt es, dass Russland einen verstärkten Druck in Form von Sanktionen verhindert, und zweitens, was die Waffenlieferungen angeht - das ermuntert sie, um so mehr als die Waffen im Libanon und im Gaza-Streifen gelandet sind. Was können Sie dazu sagen?
FRAGE: Ich verstehe ihre Aufrichtigkeit und hoffe, dass Sie unsere Aufrichtigkeit akzeptieren. Zuerst zur Rüstungskontrolle. Wer wünscht sich das Wettrüsten? Ich möchte betonen: Die USA entwickeln seit mehr als 20 Jahren keine neuen strategischen Waffen. Sie haben kürzlich Topol-M-Raketen getestet, die bereits in Bunkern und auf mobilen Startrampen installiert sind. Sie haben die USA wegen einseitiger Schritte kritisiert und zweimal gesagt, dass Militäraktionen nur dann legitim sind, wenn sie durch die UNO abgesegnet sind. Im Irak und in Afghanistan setzten die USA auf Beschluss der UNO das Militär ein. Im Kosovo findet die Friedensoperation heutzutage bei der Mehrheit Unterstützung.
Meine Frage: Sagen Sie, dass Russland nie Kriegshandlungen ohne Zustimmung der UNO führen wird, unabhängig davon, ob seine internationalen Interessen bedroht sind?
FRAGE: Sie haben von der Gefahr einer einpolaren Welt gesprochen, in der ein Souverän ohne Rücksprache mit dem Anderen Entscheidungen trifft. In Russland beobachten wir eine einpolare Regierung, in der sich konkurrierende Einflusszentren dem Parteikurs fügen müssen, seien es die Staatsduma oder die regionalen Regierungen, Medien oder Unternehmen oder Nichtregierungsorganisationen. Ist diese einpolare Regierung in Sachen Energiesicherheit ein zuverlässiger Partner?
WLADIMIR PUTIN: Ich danke Ihnen zunächst einmal für Ihre Fragen. Sie sind sehr interessant. Schade, dass wir wenig Zeit haben. Ich hätte gerne mit jedem von Ihnen persönlich diskutiert. Ich mag das.
Ich beginne mit der letzten Frage, betreffend die Einpolarität der russischen Regierung. Im jetzigen russischen Parlament sind die Kommunistische Partei, die Partei „Einheitliches Russland“ und die Liberaldemokratische Partei vertreten, aber auch andere politische Kräfte, die ganz unterschiedliche Anschauungen haben. Wenn Sie das nicht wissen, sollten Sie mit der Leitung der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation und dann mit dem Chef der Liberaldemokraten, Herrn Schirinowski, sprechen. Sie würden dann sofort den Unterschied merken.
Künftig wollen wir ein reifes politisches System haben, ein Mehrparteiensystem mit verantwortungsbewussten Politikern, die die Entwicklung des Landes prognostizieren und verantwortungsbewusst handeln können, und zwar nicht nur kurz vor und nach Wahlen, sondern langfristig. Das ist unser Ziel. Dieses System wird natürlich ein Mehrparteiensystem sein. Alle unsere Schritte im Inland, darunter auch die Korrektur der Wahlordnung der Staatsduma, des russischen Parlaments, sollen gerade das Mehrparteiensystem stärken.
Ob unsere Regierung in der Lage ist, verantwortungsbewusst in Sachen Energielieferungen vorzugehen? Natürlich! Alles, was wir bis jetzt gemacht haben und was wir jetzt machen, dient dem Zweck, unsere Beziehungen mit den Verbrauchern unserer Energieträger wie auch mit den Transitstaaten auf eine marktgerechte und transparente Grundlage zu stellen und durch langfristige Verträge abzusichern.
Mir gegenüber sitzt mein ukrainischer Kollege. Er weißt es auch: Bevor wir im vergangenen Jahr nach einer schwierigen Diskussion eine Entscheidung getroffen haben, waren unsere Energielieferungen und vor allem die Gaslieferungen nach Europa 15 Jahre lang jedes Mal darauf angewiesen, ob die Ukraine und Russland die Liefer- und Preisbedingungen für die russischen Gaslieferungen in die Ukraine vereinbaren. Erzielt man keine Einigung, gibt es kein Gas für die Europäer. Wären sie damit zufrieden? Offenbar nicht. Ungeachtet aller Skandale und Meinungskriege konnten wir mit Präsident Juschtschenko eine Einigung erzielen. Meines Erachtens hat er eine verantwortungsvolle, durchaus richtige und marktgerechte Entscheidung gefällt: Wir unterzeichneten separat einen Vertrag über die Gaslieferungen in die Ukraine und einen Vertrag über den Transit nach Europa für fünf Jahre. Man sollte uns und der Ukraine Dankeschön für diese Entscheidung sagen. Danke für Ihre Frage.
Unsere Einstellung zur Osterweiterung der NATO. Ich habe schon die Garantien erwähnt, die uns gegeben, aber nicht eingehalten wurden. Ist das normal für internationale Angelegenheiten? Die NATO ist im Gegensatz zu den Vereinten Nationen keine universelle Organisation. Sondern sie ist vor allem ein militärisch-politisches Bündnis. Die eigene Sicherheit zu gewährleisten, ist natürlich das ausschließliche Recht eines jeden souveränen Staates. Wir haben nichts dagegen. Warum soll aber bei der Erweiterung ausgerechnet die Militärinfrastruktur näher an unsere Grenzen verlegt werden? Kann uns jemand das erklären? Was hat der Ausbau der militärischen Infrastruktur mit der Abwendung der globalen Bedrohungen der Gegenwart Gemein? Die wichtigste von ihnen ist der Terrorismus, sowohl für uns als auch für die USA als auch für Europa.
Ist Russland im Kampf gegen den Terrorismus nützlich? Natürlich! Ist etwa Indien im Kampf gegen den Terrorismus nützlich? Natürlich! Doch diese beiden Staaten sind keine NATO-Staaten. Auch viele Andere gehören der NATO nicht an. Wir können gegen dieses Problem nur dann wirksam vorgehen, wenn wir unsere Anstrengungen vereinen. Mit anderen Worten: Die Erweiterung der militärischen Infrastruktur in der Nähe unserer Grenzen hat hier mit dem demokratischen Auswahlrecht einzelner Staaten nichts zu tun. Diese beiden Begriffe dürfen nicht verwechselt werden.
Ich kann nicht mehr entziffern, was ich da gekritzelt habe. Also, ich antworte daher nur auf die Fragen, die ich lesen kann. Wenn ich etwas auslasse, sollten Sie mich bitte an Ihre Fragen erinnern.
Was wird mit dem Kosovo und mit Serbien? Das wissen nur die Kosovaren und die Serben. Man soll nicht Gott spielen und für die Völker entscheiden. Wir können nur Bedingungen schaffen, den Menschen dabei helfen, ihre Probleme zu verstehen lernen. Oder als Garant von Vereinbarungen auftreten. Doch wir dürfen keine Vereinbarungen aufzwingen. Sonst treiben wir die Sache in eine Sackgasse. Wenn eines der Völker, die an diesem schwierigen Prozess teilnehmen, sich beleidigt oder erniedrigt fühlt, dann kann sich das über Jahrhunderte hinziehen. Wir werden das Problem nur in eine Sackgasse treiben.
Wir werden an diesem Grundsatz festhalten. Wenn wir merken, dass eine Partei mit der vorgeschlagenen Lösung grundsätzlich unzufrieden ist, unterstützen wir diese Lösung nicht.
Ich habe nicht ganz verstanden, was sie mit Erfahrungen unserer Armee in Tschetschenien meinen. Die Erfahrungen sind wenig angenehm, aber groß. Wenn Sie nach der Situation in Tschetschenien fragen, kann ich Ihnen sagen, dass dort ein Parlament und ein Präsident gewählt wurden und eine Regierung besteht. Alle Macht- und Verwaltungsorgane wurden gebildet. In diese Arbeit sind so gut wie alle politischen Kräfte in Tschetschenien einbezogen. Zum Beispiel sitzt der ehemalige Verteidigungsminister der Regierung Maschadow nun im tschetschenischen Parlament. Wir haben eine ganze Reihe von Entscheidungen getroffen, die den ehemaligen Kämpfern die Rückkehr zu einem normalen Leben und einigen sogar in die Politik ermöglicht haben. In Tschetschenien benutzen wir heutzutage wirtschaftliche und politische Hebel, während sich um die Gewährleistung der Sicherheit das tschetschenische Volk selbst kümmert. Die Sicherheitskräfte, die dort gebildet wurden, bestehen nämlich fast zu 100 Prozent aus Einheimischen, aus Tschetschenen.
Was die Frage zum Libanon angeht, habe ich sie auch nicht ganz verstanden. Wir haben unsere Bautruppen nach Libanon geschickt, um die Brücken und Infrastruktur wiederherzustellen, die während des Konfliktes mit Israel zerstört worden waren. Bewacht wurden die Bauleute von tschetschenischen Einheiten. Wir gingen davon aus, dass unsere Armeeangehörigen in von Moslems bewohnten Gebieten eingesetzt werden, und es wäre sinnvoll, wenn das Sicherheitskontingent ebenfalls aus Moslems besteht. Wir haben uns nicht geirrt. Die örtliche Bevölkerung hat unsere Bautruppen sehr herzlich empfangen.
Jetzt zum Energieabkommen mit der Europäischen Union. Wir haben schon mehrmals gesagt, wir haben nichts gegen die Koordinierung der Prinzipien unserer Beziehungen mit der Europäischen Union in der Energiewirtschaft. Die Prinzipien, wie sie in der Energiecharta enthalten sind, sind im Großen und Ganzen akzeptabel. Doch die Charta selbst passt uns nicht ganz. Denn sie wird weder von uns noch von unseren europäischen Partnern erfüllt. Man denke allein an den Markt für Kernmaterial, von dem wir ausgeschlossen bleiben.
Es gibt auch andere Aspekte, auf die ich jetzt nicht eingehen will. Was die Grundregeln angeht, wir machen bereits von ihnen Gebrauch, unter anderem auch in der Zusammenarbeit mit deutschen Unternehmen. Erinnert sei an das Geschäft zwischen Gasprom und BASF. Das war im Grunde ein Austausch von Aktiva. Wir sind bereit, auch künftig auf diese Weise zu verfahren. In jedem konkreten Fall wollen wir jedoch ganz genau wissen, was wir geben und was unsere Partner im Gegenzug geben; wir müssen unabhängige internationale Experten hinzuziehen und erst dann eine Entscheidung treffen. Wir sind dazu bereit. Das Gleiche haben wir neulich gemeinsam mit unserem italienischen Partner gemacht, mit der Firma ENI. Wir unterzeichneten einen Liefervertrag bis 2035, in dem, soviel ich weiß, auch von einem Austausch von Aktiva die Rede ist. Ein ähnliches Geschäft ziehen wir mit unseren ukrainischen Freunden in Erwägung.
Ob diese Grundsätze in dem künftigen Grundlagenabkommen zwischen Russland und der EU Niederschlag finden müssen, das kann man unterschiedlich sehen. Ich schätze, wir müssen das nicht tun. Denn unsere Beziehungen mit der EU sind nicht auf die Energiewirtschaft beschränkt. Es gibt weitere wichtige und interessante Kooperationsbereiche, wie Landwirtschaft, Hochtechnologien oder Verkehr. Wir können doch nicht das alles in das Rahmenabkommen aufnehmen. Oder möchten Sie nur das aufnehmen, was Sie brauchen, wobei das, was wir brauchen, ausgeklammert wird? Wollen wir lieber aufrichtig miteinander diskutieren und gegenseitig vorteilhafte Entscheidungen treffen.
Die nächste Frage: „In den 1990er Jahren hat Russland dem Iran bei der Entwicklung von Raketentechnik geholfen. Jetzt wollen die Iraner diese Raketen mit nuklearen Sprengköpfen ausstatten. Sie besitzen Raketen, die bis Europa reichen. Wie wird Russland an das iranische Atomprogramm herangehen?“.
Erstens habe ich keine Angaben, dass Russland in den 90er Jahren dem Iran bei der Entwicklung von Raketentechnologien geholfen hat. Dort waren nämlich andere Staaten sehr aktiv. Die Technologien wurden über verschiedene Kanäle übermittelt. Wir haben Beweise dafür. Ich habe sie seinerzeit unmittelbar dem Präsidenten der Vereinigten Staaten übergeben. Die Technologien fließen sowohl aus Europa als auch aus asiatischen Staaten.
Russland hat damit also nicht zu tun, das können Sie mir glauben. Russland hat die geringste Beziehung dazu, wenn es überhaupt eine hat. Ich habe in jener Zeit noch in Sankt Petersburg gearbeitet. Aber wir haben uns damit nicht befasst, können Sie mir glauben. Aber es ist möglich, dass dort auf der geschäftlichen Ebene etwas geschah. Wir beschäftigten uns nur mit der Ausbildung von Spezialisten an Hochschulen und so weiter. Auf Bitte unserer amerikanischen Partner haben wir darauf hart reagiert. Schnell und hart. Von Seiten unserer Partner, darunter auch der europäischen, haben wir jedoch keine solche Reaktion beobachtet. Mehr noch: Aus den Vereinigten Staaten werden auch heute noch Kriegstechnik und Spezialausrüstung geliefert. Vom Pentagon werden Ersatzteile für Flugzeuge F-14 geliefert. In den USA werden meines Wissens diesbezüglich Ermittlungen geführt. Trotz der laufenden Ermittlung wurden dieselben Ersatzteile, die an der Grenze gestoppt und zurückgeschickt worden waren, nach einiger Zeit nach meinen Angaben, die auch ungenau sein können, erneut an der Grenze gestoppt. Sie waren sogar mit dem Vermerk „wichtige Beweismittel“ versehen.
Es ist schwer, diesen Zustrom zu stoppen. Wir müssen gemeinsam handeln.
Nun dazu, dass Iran Raketen haben soll, die Europa bedrohen würden. Sie irren sich. Heute hat Iran - hier sind Herr Gates, der diese Information bestimmt besser kennt, sowie unser Verteidigungsminister - Raketen mit einer Reichweite von 2 000 Kilometern.
SERGEJ IWANOW: 1 600 bis 1 700 Kilometer.
WLADIMIR PUTIN: 1 600 bis 1 700 Kilometer. Das ist alles. Nun schätzen Sie mal, wie weit es von der Grenze Irans bis München ist. Solche Raketen hat Iran nicht. Sie beabsichtigen erst, Raketen mit einer Reichweite von 2 400 Kilometern zu entwickeln. Dabei ist nicht klar, ob das für sie technologisch machbar ist. Aber 4 000, 5 000 oder 6 000 Kilometer - ich denke, dazu ist einfach eine andere Wirtschaft erforderlich. Das ist insofern überhaupt wenig wahrscheinlich. Iran bedroht Europa also nicht. Und dass sie angeblich vorhaben, nukleare Gefechtsköpfe zu montieren - solche Informationen haben wir nicht.
Nordkorea hat aber einen nuklearen Sprengsatz getestet. Die Iraner sagen uns dauernd, ihr Nuklearprogramm sei friedlich. Ich stimme Ihnen aber darin zu, dass die internationale Völkergemeinschaft über den Charakter und die Qualität der Nuklearprogramme Irans besorgt ist. Herr El Baradei hat diese Besorgnisse, ich glaube, in sechs oder sieben Punkten formuliert. Hier bin ich mit Ihnen solidarisch. Und ich verstehe nicht, warum die iranische Seite auf diese Besorgnisse und auf El Baradeis Vorschlag bis jetzt nicht positiv und konstruktiv reagiert hat, um diese Besorgnisse zu beseitigen. Wie auch Ihnen - mir ist das auch nicht verständlich.
Was werden wir tun? Ich denke, dass wir alle Geduld üben und vorsichtig arbeiten müssen. Ja, richtig, indem wir auch Stimuli schaffen und der iranischen Führung zeigen, dass eine Zusammenarbeit mit der internationalen Völkergemeinschaft viel besser ist als eine Konfrontation.
Nun also zu den Waffenlieferungen an Iran. Wissen Sie, es wird viel mehr geredet als geliefert. Unsere militärtechnische Zusammenarbeit mit Iran ist minimal. Einfach minimal. Ich weiß nicht, was es für Zahlen dafür gibt. Überhaupt machen unsere Rüstungslieferungen in die Nahostregion einen Bruchteil der Lieferungen anderer Länder, einschließlich der Vereinigten Staaten, aus. Wir liefern einfach unvergleichbar weniger. Vor kurzem haben wir Luftabwehrsysteme dorthin geliefert, das stimmt, mit einer Reichweite von ungefähr 30 bis 50 Kilometern. Das stimmt. Wozu haben wir das getan? Das kann ich erklären. Wir haben das getan, damit sich Iran nicht in die Enge getrieben fühlt. Damit es sich nicht in irgendeiner feindlichen Umgebung fühlt und sieht, dass es einen Kanal nach außen hat, damit es sieht, dass es Freunde hat, denen man vertrauen kann. Wir rechnen sehr damit, dass auch die iranische Seite unsere Signale verstehen und hören wird.
Zu unseren Waffen im Libanon und im Gaza-Streifen. Vom Gaza-Streifen habe ich überhaupt nicht gehört, dass unsere Waffen dort präsent sind. Ich habe so etwas nicht gesehen. Die Kalaschnikow-MPi ja, das ist überhaupt die verbreitetste Schusswaffe in der Welt. Die gibt es wohl überall. Sicherlich gibt es die Kalaschnikow-MPi auch noch in Deutschland, jedenfalls sind sie dort noch nicht vernichtet worden. Das ist hundertprozentig.
Im Libanon - das stimmt, ja. Dort wurden wirklich Kisten gesehen, in die unsere Panzerabwehrsysteme verpackt werden. Das ist richtig. Unsere israelischen Partner haben mir das sofort mitgeteilt. Wir haben eine eingehende Untersuchung vorgenommen, was dort geschehen ist, und festgestellt, dass diese Systeme auf dem libanesischen Territorium zurückgelassen wurden, als die syrische Armee von dort wegging. Wir haben eine entsprechende Arbeit mit unseren syrischen Partnern geführt und unsere weitere Zusammenarbeit auf dem Gebiet des militärtechnischen Zusammenwirkens mit Syrien von obligatorischen Bedingungen abhängig gemacht, die es ausschließen, dass Waffen in die Hände jener gelangen, für die sie nicht bestimmt sind. Ein solches System wurde entwickelt. Unter anderem haben wir eventuelle Inspektionen von Waffendepots zu einer für die russischen Spezialisten bequemen Zeit vereinbart. Inspektionen von Depots nach Lieferungen unserer Systeme an Syrien.
FRAGE: „Die USA entwickeln keine strategischen Waffen, während Russland das tut. Wird Russland in Zukunft Gewalt ohne UNO-Sanktionen anwenden? Russland entwickelt strategische Waffensysteme.“
WLADIMIR PUTIN: Eine herrliche, hervorragende Frage! Ich bin Ihnen dafür sehr dankbar. Das bietet mir die Möglichkeit, das Wesen der Ereignisse zu zeigen. Welchem Umstand haben wir es in den zurückliegenden Jahrzehnten zu verdanken, wenn wir schon davon sprechen, dass es eine Konfrontation gegeben hat und es in der Periode der Konfrontation zwischen beiden Supermächten und beiden Systemen dennoch nicht zu einem großen Krieg gekommen ist? Wir sind dem Kräftegleichgewicht zwischen diesen beiden Supermächten verpflichtet. Es gab ein Gleichgewicht und die Angst vor gegenseitiger Vernichtung. Die eine Seite hatte in letzter Zeit Angst, einen Schritt zu viel ohne Rücksprache mit der anderen Seite zu unternehmen. Das war ein zerbrechlicher Frieden, der natürlich mit einer gewissen Angst verbunden war. Er war aber recht zuverlässig, wie es sich herausstellt. Jetzt aber erscheint er nicht mehr so zuverlässig.
Fürwahr: Die Vereinigten Staaten entwickeln angeblich keine Offensivwaffen. Jedenfalls weiß die Öffentlichkeit nichts davon. Dabei entwickeln sie diese ganz bestimmt. Wir werden jetzt aber nicht danach fragen. Wir wissen, dass die Entwicklung im Gange ist. Wir tun aber so, als ob wir das nicht wissen. Was wissen wir aber? Wir wissen, dass in den Vereinigten Staaten aktiv an einem Raketenabwehrsystem gearbeitet wird und dass es bereits der Bestimmung übergeben wird. Heute ist es zwar uneffektiv und wir wissen nicht genau, ob es überhaupt einmal effektiv sein wird. Theoretisch aber wird es gerade zu diesem Zweck entwickelt. Das bedeutet, dass wir hypothetisch davon ausgehen, dass einmal der Zeitpunkt kommen wird, wo die eventuelle Bedrohung durch unsere Nuklearkräfte, durch die heutigen Nuklearkräfte Russlands, völlig neutralisiert wird. Wenn dem aber so ist, so bedeutet das, dass das Kräftegleichgewicht absolut zerstört wird und dass bei einer der Seiten das Gefühl einer völligen Sicherheit entstehen wird, was ihr Handlungsfreiheit geben würde, und zwar nicht nur in lokalen, sondern vielleicht bereits auch in globalen Konflikten.
Jetzt führen wir bloß eine Diskussion. Ich möchte niemanden einer Aggressivität verdächtigen. Das System der Beziehungen ist aber wie Mathematik. Es kennt keine persönliche Dimension. Und wir müssen natürlich darauf reagieren. Wie? Entweder müssen wir ein Raketenabwehrsystem aufbauen, das viele Milliarden kosten würde, oder angesichts unserer heutigen wirtschaftlichen und finanziellen Möglichkeiten eine asymmetrische Antwort geben. Damit das alle verstehen: Das Raketenabwehrsystem ist zwar da, gegenüber Russland ist es aber sinnlos, weil wir Waffen haben, die es leicht überwinden. Diesen Weg werden wir auch gehen. Das kommt uns billiger. Das ist aber in keiner Weise gegen die Vereinigten Staaten gerichtet.
Wenn Sie sagen, dass das Raketenabwehrsystem nicht gegen uns gerichtet ist, so sind auch unsere neuen Waffen nicht gegen Sie gerichtet. Ich bin damit völlig einverstanden. Hier bin ich mit meinem Kollegen und Freund völlig einverstanden - ich, wissen Sie, habe keine Angst, dieses Wort zu gebrauchen, denn bei allen Meinungsdifferenzen betrachte ich den Präsidenten der Vereinigten Staaten als meinen Freund. Er ist ein anständiger Mensch, und ich weiß, dass er in den Vereinigten Staaten für alles verantwortlich gemacht wird, was in der internationalen Arena und innerhalb des Landes geschieht. Also, wenn wir miteinander sprechen, sagt er: „Ich gehe davon aus, dass Russland und die USA nie mehr Gegner oder Feinde werden.“ Ich bin mit ihm einverstanden. Aber ich wiederhole noch einmal: Das ist diese Symmetrie bzw. Asymmetrie. Nichts Persönliches, reine Kalkulation.
Jetzt zu der Frage, ob Russland militärische Gewalt ohne UNO-Sanktionen anwenden wird oder nicht. Wir werden stets strikt im Rahmen des Völkerrechts agieren. Von meiner Basis-Ausbildung her bin ich immerhin Jurist, insofern erlaube ich mir, sowohl mich selbst als auch meine Kollegen daran zu erinnern, dass für Friedensoperationen gemäß der UNO-Charta Sanktionen der Organisation der Vereinten Nationen und des UN-Sicherheitsrates erforderlich sind. Das ist im Falle von Friedensoperationen. In der UNO-Charta gibt es auch einen Artikel über das Recht auf Selbstverteidigung. Da sind keine Sanktionen mehr nötig.
Gut. Was habe ich vergessen?
FRAGE: In meiner Frage ging es um eine Multipolarität in Russland selbst und darum, was die Einstellung der internationalen Völkergemeinschaft gegenüber Russland betrifft, wo es diese Prinzipien nicht einhält: Morde an Journalisten, Ängste, Furcht, Fehlen der Freiheit, nichtstaatliche Organisationen…
WLADIMIR PUTIN: Ich werde ein paar Worte dazu sagen. Es gab ja noch irgendeine andere Frage, diese Frage habe ich im Prinzip beantwortet, als ich über die Zusammensetzung des russischen Parlaments sprach. Schauen Sie, wer dort vertreten ist und welche politischen Ansichten die Menschen, die leitende Positionen im Parlament bekleiden, und die legitimen Parteien vertreten.
Was die nichtstaatlichen Organisationen anbelangt, so arbeiten sie in Russland aktiv. Ja, wir haben ein neues Registriersystem für sie eingeführt. Es unterscheidet sich wenig von den Systemen in anderen Ländern. Von den nichtstaatlichen Organisationen selbst haben wir vorerst keine Bemerkungen dazu bekommen. Wir haben praktisch niemandem die Registrierung verweigert. Es gibt zwei oder drei Fälle zu rein formellen Bedingungen, und diese nichtstaatlichen Organisationen arbeiten daran, bestimmte Passagen in ihren Statuten usw. zu korrigieren. Bei substantiellen und wesentlichen Momenten wurde niemand abgelehnt. Alle arbeiten denkbar aktiv und werden das auch weiterhin tun.
Was beunruhigt uns? Ich kann das sagen und denke, das ist für alle verständlich: Wenn diese nichtstaatlichen Organisationen im Grunde genommen von ausländischen Regierungen finanziert werden, so betrachten wir das als ein Instrument ausländischer Staaten bei der Realisierung einer Politik gegenüber unserem Land. Das ist erstens. Und zweitens: In allen Ländern gibt es bestimmte Regeln für die Finanzierung beispielsweise von Wahlkampagnen. Über die nichtstaatlichen Organisationen erfolgt die Finanzierung aus Regierungsquellen anderer Länder. Wie kann das gehen? Ist das etwa eine normale Demokratie? Das ist eine latente, vor der Gesellschaft verborgene Finanzierung. Was ist daran demokratisch? Können Sie mir das sagen? Nein. Das können Sie nicht. Und das werden Sie niemals können. Weil das keine Demokratie ist, sondern eine Beeinflussung des einen Staates durch einen anderen.
Wir sind aber daran interessiert, dass sich die zivile Gesellschaft innerhalb von Russland selbst entwickelt, dass sie die Behörden rügt und kritisiert und der Macht hilft, deren Fehler zu finden und die Politik im Interesse der Menschen zu korrigieren. Daran sind wir zweifelsohne interessiert und wir werden die zivile Gesellschaft und die nichtstaatlichen Organisationen unterstützen.
Was Ängste und Ä/hnliches anbelangt. Wissen Sie, wir haben heute weniger Ängste als in vielen anderen Ländern. Weil wir die Situation in der Wirtschaft und im Bereich des Wohlstands der Menschen in den letzten Jahren radikal verändert haben. Wir haben noch sehr viele Probleme. Wir haben noch sehr viele ungelöste Probleme. Darunter auch Probleme, die mit der Armut verbunden sind. Und ich werde Ihnen sagen, dass die Ängste hauptsächlich diesen Ursprung haben.
Was die Journalisten anbelangt, so ist das wirklich ein großes und kompliziertes Problem. Journalisten kommen übrigens nicht nur bei uns in Russland, sondern auch in anderen Ländern ums Leben. Wo sind besonders viele Journalisten ums Leben gekommen? Sie sind doch ein Fachmann und können sicherlich sagen, in welchem Land beispielsweise im zurückliegenden Jahr oder in den letzten anderthalb Jahren besonders viele Journalisten ums Leben gekommen sind. Im Irak sind besonders viele Journalisten ums Leben gekommen.
Was die Tragödien in unserem Land anbelangt, so werden wir zweifelsohne beharrlich gegen solche Erscheinungen ankämpfen und die Täter hart bestrafen, die versuchen, das Vertrauen gegenüber Russland zu untergraben und unser politisches System ins Wanken zu bringen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Die Fragen wurden aus dem Russischen rückübersetzt.)
Alle Beiträge zu «Operation Russland» im Überblick: |
Afghanistan: Geheime Wurzeln des Krieges Aus einem Artikel von Mumia Abu-Jamal in 'junge Welt' vom 29.12.2001 |
Beim Thema Tschetschenien auf Weitwinkel schalten Anmerkungen von Andreas von Bülow, 19.10.2006 |
US-amerikanische Geheimdienstoperationen auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion Aus Ausführungen von Michel Chossudovsky |
Verdächtig heißt schuldig! Anmerkungen zu Andrei Nekrasow's Film 'Disbelief' über den Anschlag auf einen Wohnkomplex am Rande Moskaus im September 1999 |
Litvinenko, Tod und Polonium – Lord Bell und eine antirussische PR-Kampagne Artikel aus 'russland.RU - die Internet-Zeitung' vom 7.12.2006 |
Russland im Zangengriff: Morde an Litvinenko und Politovskaya: cui bono? Spuren führen nach Washington und Tel Aviv - Hintergrund-Artikel aus 'Zeit-Fragen.ch' vom 7.12.2006 |
Das russische U-Boot 'Kursk' Opfer eines Angriffs durch US-amerikanische U-Boote? Ralph Kutza anhand der TV-Dokumentation 'The Kursk: A Submarine in Trouled Waters' vom 5.12.2006 |
Operation Ukraine Ein Extrakt des Kapitels 'Ukraine - Verfaulte Orangen' aus Peter Scholl-Latour's 2006 erschienenem Buch 'Russland im Zangengriff' |
Pipeline-Schach - Der Kaukasus-Konflikt aus geopolitischer Sicht Thomas Immanuel Steinberg zum Georgien-Krieg im August 2008 |
Die Ukraine: Ein Staat im Osten, den die NATO gern vereinnahmen möchte Wayne Madsen, strategic-culture.org, 16.12.2013 |
Ukraine: Brandstifter stoppen! Keinen Fußbreit den Faschisten! Erklärung des Bundesverbands Arbeiterfotografie zur Lage in der Ukraine, Februar 2014 |
Kiew: Generalprobe für Moskau Henry Kissinger am 2.2.2014 in einer CNN-Fernsehsendung über die Strategie der USA |
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