Konsequenzen aus dem Handy-Gate: Die Empörung der Bundeskanzlerin ist einerseits ernst zu nehmen, andererseits spricht aus ihr eine gewisse Naivität. Nun muss gehandelt werden.

Von Karsten D. Voigt (SPD), langjähriger Koordinator der deutsch-amerikanischen Beziehungen.

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Den Amerikanern sind nach Nine Eleven zwei Dinge passiert: Sie haben einerseits in einer hemmungslosen Art und Weise das Thema Sicherheit und Überwachung so stark in den Vordergrund gestellt, dass die Freiheitsrechte nach innen und die Grenzen, die im Verhalten gegenüber befreundeten Ländern respektiert werden müssen, überschritten worden sind, und andererseits sind die technischen Möglichkeiten so gewachsen im Laufe der Jahre, dass dies einen Umfang angenommen hat, der also eigentlich grenzenlos ist und wo die Kontrolle eigentlich um so dringender erforderlich wäre.

Wir haben auch in der Vergangenheit erlebt, dass Nachrichtendienste, übrigens auch in Deutschland, die Grenze überschritten haben, die für sie gesetzlich gezogen waren. Zum Beispiel hat die SPD 1969, als sie an die Regierung kam, festgestellt, dass sie vom BND zum Teil überwacht worden war. Als ich Frankfurter Bundestagsabgeordneter war, habe ich immer vorausgesetzt, dass es in Frankfurt amerikanische Überwachungseinrichtungen gibt. Es gab auch solche Hinweise während der Zeit des Kalten Krieges.
Die Bundeskanzlerin scheint jetzt wirklich empört zu sein. Ich nehme das ernst und ich respektiere das. Aber mich überrascht etwas, dass sie darüber so überrascht ist. Denn nachdem bekannt war in den Wochen zuvor, wie weit die Amerikaner abgehört haben, dann zu vermuten, dass sie davon freigestellt ist und dass sie nicht abgehört wird, also das spricht für eine gewisse Naivität. Ich zumindest weiß von Gerhard Schröder, mit dem ich ja noch engen Kontakt hatte, dass er diese Naivität nicht besaß. Er vermutete, dass nicht nur Russen und Chinesen, sondern möglicherweise auch die Amerikaner deutsche Regierungsstellen und damit auch deutsche Politiker abhören.

Es geht jetzt darum, diese Grenzen, die ja übrigens nicht nur von den Amerikanern verletzt werden gegenüber Verbündeten, sondern offensichtlich auch von den Briten, dass diese Grenzen im Verhalten geändert werden und dass man restriktiver ist. Aber dass die Amerikaner so restriktiv sein werden, wie wir es sind gegenüber Verbündeten, da wage ich, auch für die Zukunft Zweifel anzumelden.
Deshalb muss man jetzt die Schutzmaßnahmen verstärken, und zwar nicht nur im Regierungsviertel, sondern auch in der deutschen Wirtschaft. Ich würde mich jedenfalls auf Zusagen auch vonseiten der Amerikaner letzten Endes nicht verlassen, selbst wenn es ein No-Spy-Abkommen geben sollte.


Karsten Voigt (*1941) war für die SPD von 1976 bis 1998 Bundestagsabgeordneter, lange Zeit als Außenpolitischer Sprecher der Fraktion. Der parlamentarischen Versammlung der NATO gehörte er von 1977 bis 1978 an und war von 1994 bis 1996 deren Präsident. Von 1999 bis 2010 war er Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanischen Beziehungen. – Der obige Text beruht auf einem Interview mit dem Deutschlandradio.

Jürgen Elsässer, Jahrgang 1957, arbeitete seit Mitte der neunziger Jahre vorwiegend für linke Medien wie Junge Welt, Konkret, Freitag, Neues Deutschland. Nachdem dort das Meinungsklima immer restriktiver wurde, ging er unabhängige Wege. Heute ist er Chefredakteur von COMPACT-Magazin. Alle Onlineartikel des Autors