Les Suisses allemands sont peu instruits au sujet des Romands, et les Romands ... ne connaissent encore moins les Allemands.
Abraham Ruchat: Les délices de la Suisse, préface (ca. 1770 - 1780 anzusetzen)
Das Faktum ist bekannt: Neben dem bevölkerungsarmen, italienisch sprechenden Kanton Tessin hat die Deutschschweiz im Westen eine bedeutende französischsprachige Minderheit. Die Westschweiz heißt deshalb auf Französisch auch die Romandie. Die Sprachgrenze zwischen Deutsch und Französisch ist nicht immer deutlich. Der junge Kanton Jura, der sich von Bern abgetrennt hat, ist französisch. Aber der Südjura mit Moûtier (Münster) und Tramelan (Tramlingen) spricht ebenfalls französisch, wollte aber beim Kanton Bern verbleiben.
Zweisprachig sind vor allem die Kantone Freiburg und Wallis. Es gibt auch zwei gemischtsprachige Städte: Biel im Kanton Bern und die Kantonshauptstadt Freiburg. Dort bildet die Sprachgrenze zwischen Welsch und Deutsch im Norden ein Stück weit der Fluß Saane, französisch Sarine genannt. Weil die Saane im Unterlauf ab Bulle (Boll) im Greyerzerland in einem Canyon, also einem Felsgraben verläuft, spricht man scherzhaft vom Röstigraben.
Der "Röstigraben" meint also die Grenze welche die Deutschschweizer mit ihrer Leibspeise, der Rösti, von den Romands trennt, die traditionell eher auf Fondue und Raclette stehen.
Das Verhältnis zwischen Deutsch und Welsch in der Schweiz war nicht immer ungetrübt. Besonders während des Ersten Weltkrieges provozierte die deutschsprachige Elite mit General Wille die Romands mit ihrer offen reichsdeutsch freundlichen Haltung.
Aber sonst haben die sprachlichen Minderheiten in der Schweiz wenig Grund zu Beschwerden: Das Welschschweizer und Tessiner Fernsehen bekommen weit höhere finanzielle Beiträge als ihnen gemäß ihrem Bevölkerungsanteil zustehen würde. - Und politisch sind die Welschen in der Bundesverwaltung ebenfalls gut vertreten.
Aber Spannungen gibt es eben doch. Hier wirkt das Ressentiment, das Minderheiten allgemein entwickeln und auch in der Romandie unterschwellig vorhanden ist.
Doch wie ist es überhaupt dazu gekommen? War die Eidgenossenschaft schon in ihren Anfängen zweisprachig? Oder ist dies Ergebnis einer späteren Entwicklung?
Die Romanisierung der Westschweiz
Die Schlußfolgerung sei hier vorweggenommen:
Die alte Eidgenossenschaft nördlich der Alpen, aber einschließlich des Wallis, war ursprünglich deutsch, also einsprachig. Die Romanisierung der Welschschweiz, des Juras und des Wallis ist Ergebnis einer historischen Entwicklung.
Die Geschichts- und Chronologiekritik wird vorweggenommen: Die Anfänge der Eidgenossenschaft sind in einem Zeitraum vor ungefähr 300 Jahren zu suchen. - Der Schwurbund umfaßte schon in den Anfängen das ganze Mittelland zwischen Genfersee und Bodensee. Teile des Juras und der Alpen mögen ebenfalls schon dazugehört haben.
Die alte Eidgenossenschaft, welche 1798 von den Franzosen erobert und zerstört worden war, ist nicht über Jahrhunderte und autonom entstanden. Fremde Mächte, vor allem Frankreich, haben die komplizierte Ordnung gestaltet, mit vollberechtigten Orten, Untertanengebieten und zugewandten Orten.
Die Anfänge der helvetischen Eidgenossenschaft sind im Schweizer Mittelland, zwischen Genfersee und Bodensee zu suchen. Vor allem die heutige Westschweiz mit der "Römerstadt" Aventicum scheinen die ursprünglichen Kraftzentren gewesen zu sein.
Der ursprüngliche Hauptort der frühen Eidgenossenschaft war aber zweifellos die Gegend von Bern - die Gegend um Bremgarten, die Engehalbinsel und die Aareschlaufe von Bern.
Im späten "Römerreich" verschob sich das Kraftzentrum von Gallien nach Germanien. Dieses war der früheste Feind der alten Eidgenossen. Ein gewaltiges "spätrömisches" Befestigungssystem gegen Nordosten, gegen den Rhein hin, legt Zeugnis ab von der Gefahr, die von ennet dem Fluß ausging. Ob es zum Krieg kam, ist nicht sicher. Kämpfe aber hat es sicher gegeben. Der "Schwabenkrieg", mit der Jahrzahl "1499" versehen, ist ein chronikalischer Reflex dieser realen Auseinandersetzung.
Die junge Eidgenossenschaft behauptete sich also gegen das Heilige Römische Reich deutscher Nation. Dabei fiel die politische Gemeinschaft jedoch quasi vom Regen in die Traufe. Sie brauchte einen mächtigen Partner, um weiter existieren zu können. Als eine solche Macht erwies sich der große Nachbar im Westen: Gallien, später Frankreich.
Die Eidgenossenschaft nahm den Schirm aus dem Westen offenbar gerne an. Der Schutz aber hatte bald auch Folgen für den Schwurbund. Das Römische Reich war nur noch eine Chimäre. Die Nationalstaaten bestimmten die europäische Politik. Eine neue "mittelalterliche" oder "neuzeitliche Kultur entstand. Das Christentum wurde allgemein anerkannte Religion. Das geistliche Oberhaupt der Christen hatte sicher nicht zufällig seinen Sitz in Avignon, also in Gallien.
Doch die eine Religion mit einem Papst wurde bald angefeindet und zerfiel in einzelne Glaubensbekenntnisse. Was in den Geschichtsbüchern unter dem Titel "Reformation" läuft, war in Wirklichkeit eine Glaubensspaltung. Katholiken und Protestanten trennten die europäische Einheit. Die Juden und die Mohammedaner formierten sich ebenfalls als eigene dogmatisch abgegrenzte Bekenntnisse. Die Glaubensspaltung ließ die Schriftlichkeit entstehen. Im Laufe von wenigen Jahren, innerhalb einer Generation entstand - etwa im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts - eine große historische, literarische und religiöse Überlieferung.
Es macht den Anschein, daß die junge Eidgenossenschaft mehrheitlich den Protestantismus annahm. Damit aber war ein Konflikt mit Frankreich vorgegeben. Letztere Macht verstand sich als Anwalt des Papst und der katholischen Religion.
Also unterstützte Frankreich nach Kräften die katholischen Gemeinden und Orte in der helvetischen Schwurgenossenschaft. Die große Macht im Westen setzte durch, daß darob auch die Landkarte der alten Schweiz verändert wurde: Die katholischen Gebiete wurden auf Druck der gallischen Schutzmacht zu unabhängigen Orten erhoben.
Erst jetzt also wurde die politische Landschaft der Schweiz geprägt, wie man sie vor 1798 kennt.
Vor der Glaubensspaltung und vor der französischen Intervention gab es in der Eidgenossenschaft vier Gaue:
- der Waldgau, die alte Waadt, mit der Aare als östliche Grenze
- der Aargau mit der Reuss als östliche Grenze
- der Zürichgau mit dem Zürcher Oberland als östliche Grenze
- der Thurgau oder Bodengau mit dem Rhein und dem Bodensee als natürliche Grenze gegen Norden und Osten.
Die katholische Schutzmacht Frankreich setzte folgende einschneidende Veränderungen im Gefüge der bisherigen Eidgenossenschaft durch:
- Freiburg und Solothurn, aber auch die Länder und Städte rund um den Vierwaldstätter See, Luzern und Zug, dann Uri, Schwyz und Unterwalden, wurden aus den bisherigen Gauen herausgelöst und zu vollberechtigten Orten erklärt.
- Besonders der Waldgau mit seinem Hauptort Bern - der Nachbar Frankreichs - sollte zusätzlich geschwächt werden. Also bekam der Kanton Freiburg mehrere gemeine Herrschaften zugesprochen, die es mit Bern teilen konnte: Grandson, Orbe, Echallens, aber auch Murten und Schwarzenburg.
- Zusätzlich wurden die Grenzen zwischen dem bernischen Waadtland und Freiburg bewußt kompliziert gezogen, mit Enklaven und schmalen Gebietszipfeln.
- Ähnlich wurden die Grenzen des neuen Kantons Solothurn mit Bern und dem Fürstbistum Basel kompliziert gezogen, ebenfalls mit Enklaven und unübersichtlichen Gebietszipfeln (Bucheggberg!).
Die neuen Orte und die komplizierten Grenzziehungen sollten vorab die wichtigsten Städte, vorab Bern und Zürich schwächen.
Frankreich wurde zur politischen Schutzmacht der alten Eidgenossenschaft. Diese war jetzt einer Pax Gallica unterworfen.
Die Dominanz der Macht im Westen hatte auch andere Folgen.
Die französische Sprache drang von Westen immer weiter nach Osten in das Gebiet der alten Eidgenossenschaft vor. Innerhalb von wenigen Jahren oder einer Generation eroberte sich das welche Idiom das ganze Waadtland, große Teile des Kantons Freiburg und das ganze untere und mittlere Rhonetal. Auch im Jura drang das Französische vor.
Frankreich setzte auch durch, daß eine erfundene Gründungsgeschichte eingeführt wurde: Die Waldstätte, nicht mehr die Städte und Gebiete des Mittellandes, wurden nun als Ursprungsgebiete der alten Eidgenossenschaft erklärt. Die Geschichte wurde auf den Kopf gestellt: die volkreichen und wirtschaftlich starken Regionen des Mittellandes hätten bei den kleinen Orten rund um den Vierwaldstätter See um Aufnahme in den Schwyzer Bund ersucht!
Die offenbar demütigende französische Intervention zur Umgestaltung der alten Eidgenossenschaft wurde von der offiziellen Geschichtsschreibung vollständig ignoriert. Es gibt keine Dokumente, welche diese tiefgreifenden Eingriffe in das politische Gebilde der alten Schweiz erklären.
Um diese historische Tatsache zu belegen, sind wir deshalb auf Indizien angewiesen:
- Die komplizierten Grenzziehungen im Westen, vorab zwischen Bern und Freiburg und Bern und Solothurn, dazu die Gemeinen Herrschaften, können nicht als historische Bedingtheiten erklärt werden. Sie sind Elemente einer ausgeklügelten Absicht.
- Der Stand Freiburg versuchte (um die Mitte des 18. Jhs.?) Maßnahmen gegen die Romanisierung: Man sollte auf dem Markt Deutsch sprechen. Und viele Patrizier-Geschlechter wurden angewiesen, ihre französischen Namen in deutsche umzuwandeln (Du Pasquier = Von der Weid, Gendre = Techtermann, usw.). - Genützt hat es kaum etwas.
- Viele Waadtländer tragen noch heute deutsche, besonders bernische Familiennamen: Stucki, Siegenthaler, Schafroth, Moser, usw.
- Fast alle größeren Orte im Waadtland, in Welschfreiburg und im Unterwallis haben auch deutsche Ortsnamen-Pendants: Yverdon = Ifferten, Avenches = Wiflisburg, Romont = Remund, Nyon = Neuss, Lucens = Lobsigen, Martigny = Martinach, usw.)
- Die Alemannen sind in der Waadt präsent mit dem Ortsnamen Alleman = Alemannen (Allmendingen). Der Ort liegt am Alemannen-See = lac (A)Léman.
- Das Waadt hat keine eigene Geschichte hervorgebracht. Die wenigen Chronisten schrieben in Abhängigkeit von Bern (J.B. Plantin, A. Ruchat, F. Bonnivard).
- Die Waadt sagte sich 1798 von Bern los. Das wäre kaum passiert, wenn das Land wie in früheren Zeiten deutsch gewesen wäre.
- Doch noch Historikern des 19. Jahrhunderts scheint etwas aufgefallen zu sein. So schrieb der Freiburger Historiker Alexandre Daguet (1816 - 1894) in den 1850er Jahren: Freiburg war in der Mitte des 18. Jahrhunderts ein französisches Militärlager. - Schade, daß jener Geschichtsschreiber seinen genialen Gedanken nicht ausgearbeitet hat!