In vier amerikanischen Grossstädten wird seit Sommer 2008 wissenschaftlich erforscht, ob Schülerinnen und Schüler dank monetären Anreizen in nationalen Vergleichstests besser abschneiden. Überraschendes Zwischenergebnis: Erfolg zeitigen insbesondere Anreizprogramme, die nicht auf Schulnoten basieren.

«Billiger als Schulreformen»

«Belohnungen für Studenten, die auf bestimmte Bedingungen der Wissensproduktion gerichtet sind, erbringen im Vergleich mit allgemeinen Schulreformen der letzten Jahrzehnte ähnliche Leistungsverbesserungen bei geringeren Kosten.»

Zitat aus dem Bericht «Financial Incentives and Student Achievement, Roland G. Fryer, Jr., Harvard University, EdLabs, and NBER»

Der US-Wirtschaftswissenschafter Roland Fryer Jr. hat eine Obsession: Er will herausfinden, wie sich Angehörige von Bevölkerungsminderheiten zu besseren Schulleistungen anspornen lassen. Bei Fryer, der an der Harvard University forscht, handelt es sich nicht um einen verschrobenen Denker im akademischen Elfenbeinturm. Der Afroamerikaner will Resultate sehen.

Deshalb führt er seit Sommer 2008 in 261 Schulen der Grossstädte New York, Dallas, Chicago und Washington ein wissenschaftliches Experiment durch, das die Auswirkungen von monetären Anreizen erforscht. Fast 40 000 Schüler nehmen daran teil, wie Fryer in einem jüngst publizierten Zwischenbericht festhält, und bisher wurden über 6 Millionen Dollar ausbezahlt. Im Zentrum des Interesses steht das Experiment in der amerikanischen Hauptstadt. Das öffentliche Schulwesen von Washington gilt im Rest des Landes als resistent gegenüber jeglichen Reformbemühungen. In nationalen Vergleichstests schneiden die Schülerinnen und Schüler aus der Kapitale regelmässig schlecht ab. Gemäss den standardisierten Vergleichstests der National Association of Education Progress (NAEP) wiesen nur gerade 7,6 Prozent aller Schüler keine Leseschwäche auf. Begründen lässt sich diese augenfällige Diskrepanz zum Rest des Landes nicht mit Finanzproblemen – die Ausgaben pro Schüler liegen in Washington über dem nationalen Durchschnitt. Vielmehr stammen über 90 Prozent der Kinder in den öffentlichen Schulen aus afroamerikanischen oder hispanischen Familien, und sie leben häufig unter dem Existenzminimum. Die «public schools» gleichen deshalb einem Auffangbecken; und die Lehrkräfte sind angesichts sozialer Probleme und hoher Kriminalitätsrate überfordert.

Punkte und Dollars

Rund drei Dutzend Washingtoner Schulhäuser wählten Fryer und sein Team im Schuljahr 2008/2009 aus – die eine Hälfte war dabei das Labor, während die andere die Kontrollgruppe bildete. Die Spielregeln für das Experiment, an dem 500 Kinder teilnehmen, sind einfach: Ziel ist es, möglichst viele Punkte zu sammeln. Diese werden für gutes Benehmen und pünktliches Erscheinen, das Erledigen von Hausaufgaben oder Projektarbeiten sowie für das Tragen einer ordentlichen Schuluniform vergeben. Pro Punkt werden zwei Dollar ausbezahlt, entweder mittels eines Schecks oder einer Einzahlung auf ein Bankkonto. Maximal kann ein Schüler, eine Schülerin pro Schultag fünf Punkte sammeln. Die Bilanz von Fryer nach einem Schuljahr: Durchschnittlich seien pro Schüler 532.85 Dollar ausbezahlt worden. Der Top-Verdiener strich gar 1322 Dollar ein. Allein: Veränderte sich dadurch auch das Lernverhalten der 11- bis 14-Jährigen zum Besseren? Fryer drückt sich in seinem Zwischenbericht vor einer klaren Antwort. Er deutet an, dass die monetären Anreize kein «Allheilmittel » für problemgeplagte Schulbezirke seien. So reduzierte sich die Quote der leseschwachen Kinder nur geringfügig. Andererseits könne auch keine Rede davon sein, dass die Kinder nach der Einführung der monetären Anreize ihr Interesse am Lernen verloren hätten, weil sie sich aufs Geldverdienen konzentrierten. So seien gerade Knaben stärker im Unterricht präsent gewesen, hält Fryer fest. Deutliche Worte fand Michelle Rhee, die als Chancellor (Kanzlerin) die Verantwortung für das Washingtoner Schulsystem trägt. Sie wies auf «schockierende » Verbesserungen bei hispanischen Schülerinnen und Schülern hin. Lehrkräfte sind skeptischer. «Was geschieht, wenn das Geld ausgeht?», fragt die Lehrerin Elizabeth Davis.

kein wesentlicher Lernfortschritt

In Washington sahen Fryer und sein Team bewusst davon ab, Kinder für gute Schulnoten zu entschädigen. In Chicago hingegen wurde die Probe aufs Exempel gemacht: Schüler erhielten für jede Note A (entspricht der Schweizer Note 6) 50 Dollar, für jedes B 35 Dollar und für jedes C 20 Dollar. Überraschendes Fazit: Zwar wurden in Chicago im Durchschnitt fast 700 Dollar pro Schuljahr ausbezahlt, wie Fryer sagt, aber in Vergleichstests schnitten die Kinder nicht wesentlich besser ab. «Anreizprogramme, die sich stärker auf den Alltag fokussieren, scheinen effizienter zu sein als solche, die Ergebnisse belohnen », hält er deshalb fest.

 

Der Autor

Renzo Ruf ist Korrespondent der «Aargauer Zeitung» und ihrer Partnerblätter in Washington und zuständig für die politische und wirtschaftliche Berichterstattung aus den USA. Zudem schreibt der freie Journalist für Publikationen wie die «Basler Zeitung», «Die Zeit» oder die «Schweizer Bank».


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