An der Uni-Nacht können Besucher während der Frauenstadtrundgänge ihre Heimat neu erfahren. Die Vergangenheit bietet einiges an sündigen Geschichten und überraschenden Details.


«Weder streitsüchtig noch geschwätzig»: Wibrandis Rosenblatt. Bild: Archiv BaZ

Noch keinen Monat alt ist das Jahr 1538, da kocht die junge Baslerin Bärbel Tölin bereits vor Wut: Auf einer Hochzeit im Haus des Papiermachers Peter Welsch hat sie mit einem Mann geschlafen. Jakob Lapp hat sie in der Küche umgarnt, sie umworben – und schliesslich ins Bett gekriegt. Sie habe allerdings nur unter dem Vorbehalt zugestimmt, dass es «auf die Ehre» sei, würde sie später standhaft erklären.

Nach Auffassung von Jakob Lapp endete die Ehre mit dem Liebesakt: Am nächsten Morgen war er auf und davon. Acht Tage später klagte Bärbel ihn vor dem Basler Ehegericht an. Bevor die Reformation in Basel Einzug hielt, war es geduldet, dass Paare bereits vor der Ehe miteinander schliefen. Sex als Akt der Verlobung. Eine Hochzeit folgte, wenn die beiden Familien sich das leisten konnten. Uneheliche Kinder waren ungern gesehen, aber akzeptiert.

Dem dritten Stand war meist nichts anderes möglich. Jakob Lapp allerdings stritt jedes Versprechen vehement ab. Weil weder eine Einigung erzielt noch Bärbel zum Aufgeben bewegt werden konnte, nahm Jakob kurzerhand Reissaus. Er wurde allerdings erwischt. Bei einem zweiten Prozess wurde die Ehe für gültig erklärt: Bärbel und Jakob waren Frau und Mann. Ob sie glücklich bis an ihr Ende zusammenlebten, bleibt dahingestellt.

Ein Spaziergang in die Geschichte

Diese wahre Geschichte erzählt Nadja Müller. Sie ist eine der Basler Stadtrundgangs-Frauen und führt zusammen mit ihren Kolleginnen auf den Spuren verschiedener Basler Frauen durch die Stadt. Während der Uni-Nacht ist das Angebot gratis. Die Frauenstadtrundgänge sind Teil der grossen Nacht der Wissenschaft, die am 18. September Basel beleben wird. Dabei lüftet die Rundgangs-Führerin dann noch das eine sittenlose oder das andere brisante Geheimnis mehr. Wer wissen will, wo man im 19. Jahrhundert die verbotenen Prostituierten fand oder warum Spinnstuben etwas Verruchtes anhaftete, halte sich das genannte Datum frei.

Bärbel Tölin hatte übrigens Glück – ihre Ehre blieb intakt. Hundert Jahre später dagegen galt Sex vor der Ehe als schweres Delikt. Hatte Bärbel als Frau 1538 gute Chancen, zu ihrem Recht zu kommen, sah das nun anders aus: Das reformierte Basel suchte die Verantwortung für sexuelles Verhalten bei der Frau. Sie war die lüsterne Verführerin, die den Mann mit ihren Reizen malträtierte, bis er nicht mehr anders konnte, als sie sich zu nehmen. Selbstverständlich wurden dafür nur die Frauen bestraft. Sie mussten je nach Milde des Richters eine Geldbusse bezahlen, eine Haftstrafe absitzen oder wurden aus der Stadt verbannt. Der Verlust ihrer Ehre und der Ausschluss aus der Gesellschaft waren ihnen gewiss. Machte sich eine Frau des mehrmaligen Ehebruchs schuldig, drohte ihr gar der Tod durch das Schwert. Vollstreckt wurde ein solches Urteil vor dem St.-Alban-Tor oder bei dem heutigen Zolli-Parkplatz auf dem Birsig. Nur politische Verbrecher wurden vor dem Rathaus gerichtet.

Andere Verbrecherinnen wie mutmassliche Hexen und Kindsmörderinnen wurden im Rhein ertränkt. Tod durch Wasser, lautete das Urteil dann. Vollstreckt wurde es am Käppelijoch, während Schaulustige sich links und rechts der Brücke am Ufer drängten, um zu sehen, wie die Verurteilte im Rhein versank. Kein Wunder, versuchte so manches Dienstmädchen, von seinem Herrn mit mehr als nur dem Säubern der Betten betraut, eine ungewollte Schwangerschaft zu beenden, ehe sie entweder entdeckt oder das Kind geboren wurde – und sie es würde töten müssen, um den Gesellschaftsnormen gerecht zu werden. Kundige Frauen boten Schwangeren in Not ihre Dienste an: Sie verabreichten ihnen Kräuter oder kratzten den Fötus aus dem Mutterleib. Oft starb dabei nicht nur das Ungeborene.

Die Traumfrau der Reformation

Viel Empathie hatte man für die per se sündigen Frauen in Basel damals nicht. Dass gerade in dieser Zeit eine junge Frau zum respektierten Männertraum wurde, ist darum umso bemerkenswerter.

Schmale Lippen, das Haar unter einem sauberen Tuch verborgen und einen Charakter so biegsam wie Gras im Wind – eine Schönheit war Wibrandis Rosenblatt nicht, eine extravagante Persönlichkeit noch viel weniger. Das tat ihrem Status als Traumfrau der Reformatoren aber ganz und gar keinen Abbruch. Deren drei ehelichte sie im Laufe ihres Lebens: Johannes Oekolampad, Wolfgang Capito und Martin Bucer. Ihr dritter Ehemann, Capito, schrieb an einen Freund: «Meine Frau ist, was ich mir immer wünschte. Sie ist weder streitsüchtig noch geschwätzig und treibt sich nicht herum, sondern kümmert sich um den Haushalt.» Andere Zeiten, andere Geschmäcker.

Ganz und gar nicht unscheinbar war dagegen ein anderer Traumtyp, dem die Herzen der Basler – von den Taglöhnern bis zum Daig – zuflogen: Giuseppe Balsamo, besser bekannt unter seinem Pseudonym Alessandro Graf von Cagliostro, seines Zeichens Hochstapler und Scharlatan, geboren in den Armenvierteln Palermos, angesehener Gast im Hause Sarasin.

Scharlatan und Sarasin-Freund

Die Tür des Weissen Hauses am Rheinsprung stand Cagliostro immer offen. Welche Freundschaft verband die Sarasins mit dem europaweit ebenso verehrten wie verpönten Okkultisten, der sein Geld mit Liebestränken, Jugendelixieren und Schönheitsmixturen verdiente – wenn er nicht gerade einen einflussreichen Zeitgenossen übers Ohr haute?

Nein, Jakob Sarasin war an keiner alchemistischen Verjüngungskur interessiert. Vielmehr suchte er Heilung für seine Frau Gertrud, die an einer scheinbar unheilbaren Nervenkrankheit litt. Cagliostro, der später im Gefängnis verstarb, rettete sie, indem er ihr tief in die Augen sah – so weit die Legende. Jakob Sarasin dankte ihm mit einer Freundschaft, die auch dann noch anhielt, als Cagliostro bereits als Betrüger verrufen war.

Cagliostro hatte es vom Niemand zu jemandem gebracht – mit Lug und Trug, das aber aus eigener Kraft. Er liebte den Luxus und die Frauen und erschlich sich mit viel Charme und Schlauheit oftmals beides. Nicht nur Jakob Sarasin, auch Katharina die Grosse liess sich von Cagliostro umgarnen, der unter stets wechselndem Namen mit seiner schönen und skrupellosen Gattin Lorenza Feliciani von Königreich zu Königreich tingelte. Frauen träumten von dem charmanten Italiener, der behauptete, unheilbare Krankheiten – wie jene der Gertrud Sarasin – kurieren zu können, Männer bewunderten die scheinbare Freiheit des Lebemannes.

Leichte Mädchen, heisse Nächte

Nicht alle Männer machten sich die Mühe, die Frauen erst zu umgarnen. Ein leichtes Mädchen für die Nacht war dann genau das Richtige. In den wohlhabenden Schichten der Basler Gesellschaft kannte man ihre Adressen gut: Die Kupplerinnen – Zuhälterinnen in einer Zeit, als Prostitution in Basel verboten war. Erst ein Brief, später ein Telegramm aus dem reichen Haus, und die Damen schickten eines ihrer schönsten Mädchen auf den Marktplatz. Dort flanierte die Prostituierte dann unauffällig auf und ab, bis eine Kutsche vorbeifuhr, die Tür aufgleiten und das Mädchen hineinschlüpfen liess. Manche Herren liessen sich die Frauen ins Bett bringen, andere wickelten das Geschäft gleich in der Kutsche ab, die holpernd durch die Tore und aus der Stadt rollte, um etwas abseits stehen zu bleiben.

Die meisten Prostituierten waren keine Baslerinnen. Sie kamen in der Hoffnung auf Arbeit vom Land in die Stadt, wie Susanna R. aus Gelterkinden. 1857 gelangte sie nach Basel. Eingelassen hatten sie die Wächter – gegen ein kurzes Schäferstündchen auf der Bank vor dem Clarator.

Wenn sie nicht an den Marktplatz bestellt wurden, schlenderten die Basler Dirnen durch die Stadttore. Davor warteten schon die Herren. Auch die Pfalz war beliebt im Milieu: Hinter den Erkern und im Kreuzgang konnte man sich wunderbar zu zweit verstecken.

Dabei gaben die Mädchen stets acht, nicht erwischt zu werden, denn «Weibspersonen, welche gewerbsmässig Unzucht treiben», wurden bis zu drei Tage inhaftiert oder über die Kantonsgrenze gebracht. Das hielt das Polizei­strafgesetz von 1872 fest.

Umgarnt und verlobt

Langfristigeres Werben um eine Dame fand dagegen oft in der Augustinergasse statt: Hier, in den Häusern der Wächter, waren Spinnstuben eingerichtet worden. Ganz nah des heutigen Naturhistorischen Museums trafen sich die jungfräulichen Mädchen der Stadt in ihrer Freizeit zum Spinnen. Kichernd erzählten sie sich den neusten Klatsch aus der Stadt, während sie sich einen Batzen dazuverdienten. Abends wurden die jungen Männer eingelassen. Das Kichern wurde noch lauter, während Mann und Frau neckend und plänkelnd zu ergründen suchten, mit wem sie ihre Zukunft teilen wollten. War die Beziehung bereits etwas fortgeschritten, erwies manches Mädchen ihrem Auserwählten die Ehre, ihr den Spinnstaub von der Schürze zu streichen – von oben bis unten.

Mehr zu den Frauenstadtrundgängen ist auf ihrer Website zu finden. Mehr zur grossen Nacht der Universität Basel finden Sie hier.