Da sieh mal einer an: Zum Schutz des nun beginnenden G7-Gipfels im bayerischen Elmau werden seit vergangener Woche an einigen Stellen die deutschen Außengrenzen wieder kontrolliert. Zum Beispiel in Sachsen, an den Übergängen zu unseren Nachbarn Polen sowie Tschechien. Und was passiert? Bereits von Beginn der Kontrollen an gingen der Polizei praktisch rund um die Uhr Kriminelle ins Netz.
Über 150 Straftaten wurden in weniger als einer Woche aufgedeckt, Drogenschmuggel, Waffendelikte, Autodiebstähle. Außerdem verhinderten die Beamten illegale Einreisen und Schleusungen. Na bitte, wer sagt’s denn? So etwas nennt man „Kollateralnutzen“. Einzig Terroristen und extremistische Chaoten, die des Krawalls wegen aus dem Ausland einreisen wollten, wurden – zumindest in Sachsen – bisher nicht aufgegriffen. Sie dürften eher die Beamten an den Übergängen aus Richtung Dänemark, Frankreich oder Österreich beschäftigen.
Kontrolliert wird, weil Deutschland es darf
Sollten Grenzkontrollen tatsächlich kein Mehr an Sicherheit bedeuten, warum hat man sie ausgerechnet jetzt zum Schutz einer äußerst sensiblen Veranstaltung mit hohem Gefährdungspotential eingeführt? Oder anders gefragt: Wenn sich also mittels Grenzkontrollen Straftaten verhindern lassen, welche Folgen hat dann der Verzicht auf solche Maßnahmen? Frage Nummer eins läßt sich ganz kurz beantworten: Kontrolliert wird wieder, weil Deutschland es darf. Das Schengen-Abkommen erlaubt dies den Unterzeichnerstaaten bei einer konkreten Gefährdung ihrer inneren Sicherheit.
Sie liegt zweifelsohne vor, wenn sich die Staats- und Regierungschefs der führenden Industrienationen treffen – und gewaltbereite Gruppen aus dem In- und Ausland Proteste angekündigt haben. Die Bilder der Straßenschlachten in Genua sind noch in böser Erinnerung, vergleichbares zu verhindern, hat höchste Priorität. Anscheinend sind die Verantwortlichen in den Sicherheitsbehörden überzeugt, dies könne mittels Grenzkontrollen erreicht werden; andernfalls wäre die Idee wohl kaum umgesetzt worden. In der Tat leuchtet es ein, die Störenfriede schon möglichst früh zu stellen, anstatt erst unmittelbar vor dem Tagungsort.
Wirklichkeit des Schengen-Märchens sah anders aus
Für die Antwort auf Frage Nummer zwei müssen wir weiter ausholen: Es war einmal … Es war einmal ein Bundesinnenminister namens Wolfgang Schäuble (CDU), der im Jahr 2007, als die Schlagbäume zu Polen und Tschechien fielen, den Menschen in Sachsen versprach: „Es wird mehr Freiheit geben und nicht weniger Sicherheit. Deshalb können wir uns auf die Schengen-Erweiterung und ein weiter zusammenwachsendes Europa freuen.“ Die Vorteile des freien Reisens in Europa würden für die Bürger bei weitem die Nachteile überwiegen, meinte der Politiker beruhigend.
Und wie das so ist mit Aussagen, die mit „Es war einmal“ beginnen: sie gehören in die Kategorie Märchen. Mit der Wirklichkeit jedenfalls haben sie nichts zu tun. Die sah für die betroffenen Bewohner der Grenzregion ganz anders aus. Landauf, landab verschwanden dort in großem Stil Autos, Baumaschinen, Traktoren, die Kriminalitätsbelastung lag dort bald um rund 20 Prozent höher als im Landesdurchschnitt.
Was spricht gegen das Prinzip des Grenzpostens?
Ein Staat, der seine Grenzen kontrolliert, schottet sich nicht automatisch ab. Er tut nur das Normalste, was ein Staat tun kann: Er reguliert, wer hineindarf und wer nicht. Nicht alle können willkommen sein, vor allem Kriminelle nicht. Solange sich ein Schlagbaum für jeden, der das Land rechtmäßig betreten (oder verlassen) will, öffnet, ist die Reisefreiheit gewährleistet. Ob die vernunftbegabten und wahlberechtigten Bürger in diesem unserem Land wohl Verständnis dafür aufbringen würden, bei Bedarf ihren Ausweis in Görlitz, Freilassing, Sasbach oder Flensburg vorzeigen zu müssen? Wenn sie im Gegenzug ihr Eigenheim (oder selbst die Gartenlaube) nicht zur Festung ausbauen müßten …?
Natürlich ist es eine Binsenweisheit, daß Kriminelle sich nicht an nationale Zuständigkeiten halten, natürlich ist es sinnvoll, daß die Staaten der EU, zumal die unmittelbaren Nachbarn, grenzüberschreitend zusammenarbeiten. Selbstverständlich trifft es zu, daß sich eine Grenze nicht hundertprozentig überwachen läßt. Doch wenn sogar bei zeitlich begrenzten, stichprobenartigen Kontrollen eine stattliche Zahl von Straftaten entdeckt beziehungsweise verhindert werden kann – was spricht dann gegen das Prinzip des Grenzpostens?
Verträge müssen mit der Lebenswirklichkeit übereinstimmen
Noch immer ist der Übergang ein Nadelöhr, das erst einmal passiert (oder mit höherem Aufwand umgangen) werden muß. Und jede – auch nur theoretische – Kontrollmöglichkeit an eben jenem Nadelöhr erhöht für den, der Unrechtes im Schilde führt, das Risiko, entdeckt zu werden. Sollte nicht, was zum Schutz von Obama, Cameron, Hollande e tutti quanti aus guten Gründen recht ist, für den von Otto Normalmichel billig sein?
Drogenkuriere, Diebesbanden oder die wachsenden Massen an Armutsmigranten sind eine alltägliche Herausforderung für die Sicherheit unseres Landes, die getrost Ausnahmen laut Schengen-Abkommen rechtfertigen würde. Gewiß könnte auf europäischer Ebene eine Mehrheit unter den Mitgliedsstaaten dafür organisiert werden, ähnlich wie 2012, als man sich schon einmal beim Thema Grenzschutz gegen „zuviel Brüssel“ durchgesetzt hatte.
Kontrollen an den Binnengrenzen sind kein Allheilmittel. Doch es ist höchst fahrlässig, sich dieses Schutzes zu begeben, solange die Außengrenzen der Europäischen Union beziehungsweise des Schengen-Raums nicht effektiv gesichert werden oder solange – im Widerspruch zum Dublin-II-Abkommen – Staaten wie Griechenland oder Italien die Wirtschaftsflüchtlinge ohne Kontrollen an unsere Landmarken weiterziehen lassen. Wenn Verträge mit der Lebenswirklichkeit kollidieren, müssen sie verändert, notfalls gekündigt werden. Gefragt sind keine Märchenonkel mehr, gefragt sind politische Realisten, die jetzt Konsequenzen ziehen. Grenzschutz ist ein Bürgerrecht.
JF 24/15