Marc Andreessen, Netscape und der Boom
Marc Andreessen bei der
Konferenz Tech Crunch 40, 2007
Für programmierende Studenten wurde es zunehmend zu einer interessanten Herausforderung, Browser fürs Web zu schreiben. Besonders hervor tat sich dabei ein junger Mann namens Marc Andreessen. Er entwickelte einen Web-Browser für grafische Benutzeroberflächen namens Mosaic. Tim Berners-Lee, der Marc Andreessen auch selber kennenlernte, beschreibt ihn als jemanden, der nicht mehr wie alle Browser-Entwickler vor ihm eine Software fürs Web entwickeln wollte, sondern als jemanden, der mit dem Anspruch auftrat, das Web überhaupt erst verfügbar zu machen - eben mit seinem Browser.
Andreessen und seine angeheuerten Mit-Programmierer hatten mit den philosophischen Ideen von Berners-Lee nicht sehr viel am Hut. Sie dachten von Beginn an in kommerziellen Kategorien. Bei der Entwicklung des Mosaic-Browsers erfanden die Programmierer nach ihrem Belieben neue Features, die sie in den Web-Browser implementierten, ohne dass diese Features standardisiert waren. Aber auch wenn Berners-Lee durch die Zeilen seines Buches deutlich durchscheinen lässt, wie wenig er von Andreessen hielt - durch den Mosaic-Browser kam die Lawine Web erst richtig ins Rollen. Das Mosaic-Projekt war dem ehrgeizigen Marc Andreessen jedoch alsbald zu klein geworden. Er wollte mehr, er wollte einen Browser, der die Welt erobert. Andreessen stieg schließlich aus dem Mosaic-Projekt aus und wurde Mitbegründer einer neuen Firma für Web-Software: Netscape. Wer heute den "guten" Netscape-Browser gegen den "bösen" Microsoft-Browser verteidigt, weiß also meistens gar nicht, dass Netscape in den Anfangszeiten genauso unverblümte Markteroberungs- und Monopolgelüste hatte wie Microsoft.
Das Konzept von Netscape ging zunächst auch voll auf. Eine völlig neue Zunft entstand: die Web-Designer. Träumend saßen sie in den Jahren 1995 und 1996 vor ihren ersten Web-Seiten, die dank Netscape bunte Hintergrund- und Schriftfarben, Hintergrundtapeten, Tabellenlayouts, mehrgeteilte Bildschirmfenster (Frames) und Multimedia-Plugins enthalten konnten. Zigtausende von Privatanwendern begannen, eigene Homepages zu erstellen (woran die damals erschienenen Versionen von SELFHTML möglicherweise nicht ganz unschuldig sind). Nach und nach drängten alle Firmen, Organisationen, Regierungen und Behörden mit eigenen Angeboten ins Web - weltweit. Die Wachstumsraten glichen einer Explosion. Es war aber auch die Stunde jener Marketing-Strategen, die am liebsten aus der ganzen Welt eine Plakatwand machen würden. Mit Feuereifer und Finanzen stürzten sie sich auf das neue, aufstrebende Medium, ohne den geringsten Schimmer einer Ahnung von dessen wahrem Wesen zu haben. Kein Wunder, dass viele Versuche, die Sahnetorte Web aufzurollen, kläglich scheiterten und schließlich wieder für Katerstimmung am Werbemarkt und an der Börse sorgten.
In den Jahren 1995 und 1996 erreichte der Netscape-Browser unter den Web-Benutzern zeitweise einen Marktanteil von 90%. Der Microsoft-Konzern schlief zunächst noch den Schlaf der Seligen und fraß sich an den Umsatzzahlen seiner Betriebssysteme MS DOS und MS Windows und der Textverarbeitung MS Word satt. Mitte der 90er Jahre, als der Online-Boom allmählich breitere Schichten der Bevölkerung der westlichen Länder erreichte, setzte man bei Microsoft zunächst auf einen eigenen, proprietären Online-Dienst namens MSN. Vom Internet und dem Web behauptete Bill Gates, das sei nichts für Microsoft. Als man jedoch sah, wie Netscape binnen weniger Monate die EDV-Landschaft veränderte, wie die Firma Netscape an der Börse einen bis dahin noch nie dagewesenen Traumstart hinlegte und die Implementierungen des Netscape-Browsers sich vermehrten wie ein Computer-Virus, da begann man plötzlich hastig zu reagieren. Mit einem gewaltigen Aufwand an Manpower wurde Versäumtes aufgeholt. Innerhalb von etwas mehr als einem Jahr erschienen die ersten vier Versionen des Internet Explorers, wobei Microsoft im Frühjahr 1997 mit der 4er-Version ein ähnlicher technologischer Durchbruch gelang wie Netscape mit den 1995 erschienenen Versionen 1.1 und 2.0 seines Browsers. Microsoft war alles andere als zimperlich, was den Kampf gegen Netscape betraf. So erklärte man den eigenen Browser einfach als Teil des Betriebssystems MS Windows und sorgte über diesen vorhandenen Vertriebskanal für die gewaltige Verbreitung des Internet Explorers. Nun ist dagegen eigentlich nichts einzuwenden, denn schließlich gehört Internet-Client-Software seit jeher zum Umfang von Betriebssystemen, gerade auch in der Unix-Welt. Die Absichten von Microsoft waren jedoch nur allzuleicht durchschaubar und sorgten in der Internet-Gemeinde für eine Welle des Hasses gegen den Konzern aus Redmond.