Tim Berners-Lee und die Anfänge
Tim Berners-Lee, 2014
Der gebürtige Brite Tim Berners-Lee, in den 80er und bis in die 90er Jahren Informatiker am Genfer Forschungszentrum fuer Teilchenphysik CERN, beschreibt in seinem Buch "Weaving the Web", wie er dort am CERN in den 80er Jahren ein selbstgeschriebenes Programm als Produktivitäts-Tool nutzte. Das Programm, von Berners-Lee in Pascal geschrieben, lief auf einem Computersystem mit dem Betriebssystem "Norsk Data SYNTRAN III". Die 8-Zoll-Diskette, auf der die Sourcen gespeichert waren, ging irgendwann verloren.
Mit heutiger Software hatte das Tool sicher nicht viel zu tun. Grafische Oberflächen gab es nicht, kommandozeilenorientierte Systeme dominierten, und grüne Schrift auf schwarzem Grund beherrschte die Bildschirme. Auf einem solchen System also hatte Tim Berners-Lee sein Pascal-Programm zum Laufen gebracht. Er nannte das Programm Enquire, was auf Deutsch so viel bedeutet wie "sich erkundigen".
"Enquire" war ein Hypertext-Programm. Man konnte Textdateien editieren, die - vermutlich durch irgendwelche Steuerzeichenfolgen markiert - in "nodes" (Knoten) unterteilt waren. Ein Knoten konnte alles sein, was so an Daten anfiel - Adressen, Gesprächsnotizen, spontante Ideen, Erlebnisse, Arbeitsergebnisse. Zu jedem Knoten gab es eine zugehörige Liste mit Links zu anderen Knoten. Man konnte auf jegliche Art von Querbeziehung linken, die man kannte oder fand. Links auf Ziele innerhalb einer Datei wurden vom Enquire-Programm automatisch bidirektional dargestellt - das heißt, auch wenn der Link nur von A nach B gesetzt war, fand man bei B in der Liste den Rückverweis auf A.
Ende 1988 entschloss sich Berners-Lee, aus der Weiterentwicklung von "Enquire" ein Computer-übergreifendes System zu entwickeln. Für CERN sollte er zu diesem Zweck einen entsprechenden Projektvorschlag einreichen und darin sein Vorhaben detailliert beschreiben. Das war die Zeit, als Berners-Lee mit verschiedenen Fachleuten Kontakt aufnahm, um technische Wege der Realisierung seiner Ideen zu finden. Ben Segal, ein Kollege von Berners-Lee, der sich mit den Grundlagen des Internet auskannte, überzeugte den Hypertext-Entwickler von den einzigartigen Möglichkeiten des Netzes der Netze. 1989 reichte er seinen Vorschlag bei CERN ein. Es vergingen jedoch viele Monate, und Berners-Lee erhielt keine Reaktion auf den Vorschlag. Robert Cailliau, ein alter Bekannter, ließ sich von den Ideen des Briten begeistern und setzte sich fortan für die Forcierung des Projekts am CERN ein. In dieser Zeit - es war das Jahr 1990 - erhielt das Projekt auch seinen endgültigen Namen: World Wide Web. Im Herbst des Jahres 1990 schrieb Berners-Lee eigenhändig die ersten Versionen der drei Säulen seines Konzepts:
-
die Spezifikation für die Kommunikation zwischen Web-Clients und Web-Servern - das so genannte HTTP-Protokoll (HTTP = Hypertext Transfer Protocol)
-
die Spezifikation für die Adressierung beliebiger Dateien und Datenquellen im Web und im übrigen Internet - das Schema der sogenannten URIs (URI = Universal Resource Identifier, universeller Quellenbezeichner).
-
die Spezifikation einer Auszeichnungssprache für Web-Dokumente, der Berners-Lee den Namen HTML gab (HTML = Hypertext Markup Language, Hypertext Auszeichnungssprache).
Berners-Lee schrieb auch die erste Web-Server-Software. Der Rechner, auf dem diese Software installiert wurde, war unter dem Namen info.cern.ch erreichbar. Dort stellte Berners-Lee an Weihnachten 1990 die ersten, in HTML geschriebenen Web-Seiten der Welt zur Verfügung. Seine Ideen wichen dabei ursprünglich durchaus von dem ab, was schließlich aus dem Web wurde. So setzte sich Berners-Lee immer dafür ein, Web-Seiten online editierbar zu machen, sodass Web-Seiten-Besucher Texte fortschreiben konnten, sofern der Anbieter entsprechende öffentliche Schreibrechte für die Dateien vergab. Doch die Web-Browser, die sich schließlich durchsetzten, waren reine Lese-Software.
Das Web entwickelte sich zunächst nicht unbedingt von allein. Berners-Lee und seine Projektmitstreiter waren unermüdlich bei der Arbeit, das Web bekannt zu machen und zu etablieren. Auf einer internationalen Hypertext-Konferenz im Jahre 1991 stellten sie das Projekt vor. Kontakte zu Programmierern für verschiedene Systeme entstanden, und nur so entstanden die ersten Web-Browser. Denn erst die Verfügbarkeit solcher Browser ermöglichte es anderen Menschen mit Internet-Zugang, Web-Seiten aufzurufen. Nicola Pellow, eine junge Mitarbeiterin und Mathematikerin am CERN, schrieb den ersten einigermaßen benutzbaren textmodus-orientierten Browser. 1992 entstanden auch die ersten Browser für grafische Benutzeroberflächen, mit den Namen Erwise und Viola. Gleichzeitig stieg die Zahl von Web-Servern, über die Web-Seiten angeboten wurden. Zunächst waren es vor allem wissenschaftliche Institutionen.