Über die Naivität eines Jungrevisionisten

oder: recht haben und Recht bekommen sind zwei paar Schuhe

Eine flüchtige Bekanntschaft

Im Februar 1991 fand in Bad Kissingen ein Seminar einer sudetendeutschen Jugendorganisation statt, zu der ich eine Einladung erhalten hatte, obwohl ich kein Mitglied war. Ich nahm an dieser Veranstaltung teil und lernte dort gegen Ende des Seminars einen etwa gleich alten Teilnehmer kennen. Dieser schlug mir nach Abschluß des Seminars vor, vor der Abreise noch kurz bei dem in Bad Kissingen wohnhaften Alt-Reichswehr-Generalmajor a.D. Otto Ernst Remer vorbeizuschauen.

Ich wurde darüber aufgeklärt, daß Remer jene Person sei, die den Putsch vom 20. Juli 1944 niedergeschlagen hatte, und daß Remer bis heute seinen damaligen Ansichten treu geblieben sei. Es handele sich bei dem anvisierten Besuch quasi um eine Art Museumsbesuch bei einem lebenden politischen Fossil. Dadurch neugierig gemacht, stimmte ich zu und ging mit.

Die Wohnstube des Ehepaars Remer wirkt auf einen Jüngling aus bürgerlichem Haus, der den Antifaschismus mit der Muttermilch aufgenommen hatte und erst spät entwöhnt worden war, schaurig: Hitlerbüste, Ehrenabzeichen der Reichswehr und allerlei "Flügelliteratur" ließen mir ein paar Gruselschauer über den Rücken laufen. Nach einer Führung durch die Wohnung durch Frau Remer bekamen wir schließlich noch einen Videofilm gezeigt, der den 20. Juli 1944 aus der Sicht Remers zeigt. Dermaßen "aufgeklärt" begaben wir uns etwa nach einer Stunde auf den Heimweg.452

Zeugenfreiheit

Als ich im Sommer 1991 vom Verteidiger Otto Ernst Remers gebeten wurde, für ein Strafverfahren gegen seinen Mandanten ein Gutachten über die "Gaskammern" von Auschwitz zu erstellen, war mir also durchaus klar, für welchen Mandanten ich aktiv werden würde. Mir war die Gefahr bewußt, daß die politischen Meinungen und Aktivitäten Remers auf "seinen" Gutachter abfärben könnten, wenn dieser zu einem politisch unkorrekten Ergebnis kommt. Warum ich dennoch aktiv wurde, läßt sich wie folgt begründen:

In einem Rechtsstaat darf ein Zeuge, also auch ein sachverständiger Zeuge, niemals strafrechtlich für das belangt werden, was er nach bestem Wissen und Gewissen vor Gericht äußert bzw. was er zum Zwecke der Vorlage vor Gericht an Schriftsätzen erstellt.

Auch zivilrechtlich kann man einen Gutachter nur dann belangen, wenn man ihm nachweisen kann, daß er bei der Erstellung seines Gutachtens grob fahrlässig die Regeln und Gesetzmäßigkeiten seines Faches verletzt hat und wenn aufgrund dieses Mangels irgend jemandem ein Schaden an Leib und/ oder Seele entstanden ist.

Wenn also der Gutachter in akribischer Kleinarbeit alle ihm erreichbar erscheinenden Quellen auswertet und nach bestem Wissen und Gewissen sachgerecht interpretiert, so wäre selbst für den Fall, daß das Ergebnis des Gutachtens irrtümlicherweise falsch wäre, dem Gutachter keine grobe Fahrlässigkeit zuzuschreiben.

Daraus resultiert, daß er sich auch gegen gesellschaftliche Benachteiligungen, die sich aus der Erstellung eines evtl. politisch unkorrekten Gutachtens ergeben könnten, zivilrechtlich wehren kann, denn einem – hier sachverständigen – Zeugen darf eben auch gesellschaftlich kein Nachteil daraus entstehen, daß er nach bestem Wissen und Gewissen sein Gutachten erstellte.

Insofern sah ich den Stürmen, die auf mich zuzukommen drohten, gelassen entgegen, dachte ich doch, daß am längeren Hebel sitzt, wer das Recht auf seiner Seite hat…

Darf man Gutachten publizieren?

Von Anfang an war geplant, daß das aus dem Auftrag von Remers Anwalt entstehende Gutachten irgendwann publiziert werden sollte. Gerichtliche Sachverständigengutachten zu publizieren ist zwar nicht unbedingt üblich, aber bei Themen von gesellschaftlichem Interesse geschieht dies durchaus öfter. So wurden z.B. in einigen Verfahren gegen angebliche NS-Verbrecher zeitgeschichtliche Gutachten eingezogen, die dann später einem breiten Publikum aus volkspädagogischen Gründen nähergebracht werden sollten. Der Frankfurter Auschwitz-Prozeß ist hierfür ein Paradebeispiel. Die während dessen erstellten Gutachten von Wissenschaftlern des Instituts für Zeitgeschichte wurden später in einem Sammelband veröffentlicht.453

Mein Gutachten wurde bereits im Frühjahr 1992 für eine Veröffentlichung vorbereitet. Hierzu wurde die ursprünglich Gerichtsfassung durch umfangreiche inhaltliche Ergänzungen und ein besseres Layout erweitert. Im Sommer 1992 zeigten sowohl das Verlagshaus Ullstein-Langen Müller als auch von Hase & Köhler reges Interesse an dem Projekt. Während Dr. Fleißner wegen der Brisanz des Themas trotz prinzipieller Zustimmung recht rasch kalte Füße bekam, legte mir der Verlag von Hase & Köhler umgehend einen unterschriftsreifen Vertrag vor. Der hatte allerdings den Haken, daß er keine Klausel enthielt, die bestimmte, bis zu welchem Zeitpunkt das Buch erschienen sein mußte. Auf diese Weise hätte man mich also vertraglich binden und so die Veröffentlichung auf den Sankt Nimmerleinstag verschieben können. Auf mein Drängen hin, dies zu ändern, verlor der Verlag sein Interesse.

Warten auf den Doktorhut

Die Tatsache, daß das Gutachten aus Angst der Verleger vor gesellschaftlichen und strafrechtlichen Repressionen nicht in einem großen bürgerlichen Verlag zu publizieren war, war ein Hinweis darauf, daß das Thema selbst dann zu heiß war, wenn es in trockener wissenschaftlicher Weise dargebracht wird. Auf Anraten verschiedener Personen entschloß ich mich daher, die Veröffentlichung des Gutachtens in einem politisch rechts angesiedelten Verlag bis nach Erhalt meines Doktorhutes aufzuschieben, um diesen nicht zu gefährden.

In der europäischen rechten Szene stellte sich im Laufe des Jahres 1992 allerdings eine immer größer werdende Ungeduld ein, erwartete man doch durch mein Gutachten offensichtlich einen entscheidenden Beitrag zum Durchbruch des historischen Revisionismus.

Verschiedentlich fingen einzelne Personen bereits an, die in Zukunft durchzuführende Publikation ganz konkret vorzubereiten. Ich habe diesem Treiben damals mit gemischten Gefühlen zugesehen, mußte ich doch immer wieder darauf hinweisen, daß bis zum rechtmäßigen Erhalt meines Doktortitels noch viele Monate ins Land ziehen könnten.

Tatsächlich rechnete ich Anfang 1992 damit, daß ich im Herbst 1992 im Besitz des heißersehnten Titels sein könnte. Aufgrund von Arbeitsüberlastungen seitens meines Doktorvaters Prof. von Schnering verschob sich dieser Termin aber immer wieder um einige Monate. So wartete ich allein fünf Monate, bis Prof. von Schnering im Februar 1993 endlich anfing, das Manuskript meiner Doktorarbeit korrekturzulesen.

Diverse Verbreitungsaktivitäten

Mit dem deutsch-kanadischen Revisionisten und Hitler-Verehrer Ernst Zündel bin ich in dieser Zeit in Konflikt geraten, da er im Sommer 1992 Kopien der veralteten Gerichtsfassung des Gutachtens vom Februar 1992 ohne mein Wissen verteilte. Im November 1992 ging er sogar soweit, diese veraltete Fassung ohne mein Wissen ins Englische zu übersetzten und die Frage nach einem Ersatz für seine Übersetzungskosten in Höhe von $10 000 anzureißen.

Wesentlich angenehmer verhielt sich ein Rechtsanwalt in Österreich. Er frug mich im Februar 1993 immerhin vorher, ob er von meinem Gutachten etwa 100 Exemplare zur diskreten Verteilung in der High Society Österreichs haben könne. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich alle Exemplare des Gutachtens fotokopiert und per Hand mit Farbfotos versehen, was ein ungeheurer Arbeitsaufwand war. Ich erklärte daher dem Anwalt, daß es mir jetzt, da sich mein Doktorvater nun endlich meiner Arbeit angenommen hätte, nicht möglich sei, 100 Exemplare meines Gutachtens anzufertigen und ihm zukommen zu lassen. Ich willigte aber ein, daß er von dem ihm bereits vorliegenden Exemplar Kopien anfertigen und diese verteilen könne, vorausgesetzt, diese Verteilung geschehe genauso diskret, wie sie bisher durch mich selbst in etwa 50 Fällen erfolgt sei: ohne kommentierende Begleitschreiben und ohne begleitende öffentliche Propaganda.

Soweit mir bekannt ist, hat dieser Österreicher seine 100 Exemplare tatsächlich im Februar oder März 1993 hergestellt und verteilt. Von seiner diskreten Aktion drang bis zum heutigen Tage, da diese Zeilen veröffentlicht werden, keine Nachricht an die Öffentlichkeit.

Remers Nase im Wind

Das Schicksal wollte es, daß jener österreichische Anwalt auch Kontakt zu Otto Ernst Remer hatte. Letzterer muß Wind von des Österreichers Aktivitäten bekommen und sich gedacht haben: Was der kann, das kann ich schon lange. Ich wurde dann kurz darauf tatsächlich von Dritten über Remers Vorhaben vage informiert – und zwar, wie ich heute weiß, ohne daß Remer selbst davon erfuhr. Da Otto Ernst Remer nach den mir damals gegebenen Informationen die Aktion in Österreich exakt zu kopieren gedachte, sah ich keinen Anlaß, dieser Entwicklung größere Aufmerksamkeit zu widmen. Ich ging naiverweise davon aus, daß Remer sich an die gleichen Regeln halten würde, wie sie vom oben genannten Österreicher eingehalten wurden: Versendung des unveränderten Gutachtens, keine Begleitschreiben mit inhaltlichen Aussagen, keine öffentliche Propaganda. Aber diese meine Annahme war offenbar, wie sich zeigen sollte, keine Selbstverständlichkeit.

Die Werbetrommel

Im März 1993 kündigte Remer mit einem reißerischen Ankündigungsschreiben an, in einem Akt der Notwehr jenes Entlastungsbeweismittel publizieren und verbreiten zu wollen, dessen Vorlage vor Gericht ihm mit der allseits bekannten Offenkundigkeitsformel verwehrt worden war.454 Damit hatte O.E. Remer bereits die erste unabdingbare Regel zum Schutze meiner Doktorarbeit gebrochen, nämlich keine begleitende öffentliche Propaganda zu machen. Davon ausgehend, daß dieses Schreiben nur in Remers Unterstützerkreis kursierte, machte ich mir keine großen Sorgen. Als ich Ende März allerdings vom Westdeutschen Rundfunk aus Köln einen Anruf mit dem Hinweis erhielt, bei der Universität Köln seien ebenfalls derartige Werbeblätter aufgetaucht, änderte sich die Lage. Kurz darauf war auch schon das Management des Instituts Fresenius, das meine Mauerproben aus Auschwitz analysiert hatte, am Telefon und erkundigte sich bei mir, was denn der Inhalt des Gutachtens sei. Es wurde angedeutet, daß man erwäge, gemeinsam mit mir rechtliche Schritte gegen Remer einzuleiten. Eine Stunde danach drohte mir der Anwalt des Instituts Fresenius aber bereits selbst mit rechtlichen Schritten. Offensichtlich hatte Remer schon im Vorfeld erfolgreich den Elefanten im Porzellanladen gespielt.

Die Zwickmühle

Meine Situation stellte sich prekär dar: Ich hatte im Auftrage der Verteidigung eines Mandanten ein Gutachten zu dessen Verteidigung erstellt. Das Ergebnis des Gutachtens war potentiell geeignet, diesen Mandanten bezüglich der angeblichen Strafbarkeit einiger seiner Tatsachenbehauptungen zumindest partiell zu entlasten. Dieses Gutachten gedachte ich zudem in einige Monaten nach Abschluß meiner Doktorarbeit selbst zu publizieren. Nun ging also jener Mandant selbst dazu über, das Gutachten zu einem für mich ungünstig frühen Zeitpunkt und – was das eigentlich Schlimme war – mit ungesundem Pressewirbel zu verbreiten. Sollte ich nun gegen ihn, dem ich eigentlich mit meiner Arbeit juristisch helfen wollte, selbst juristisch vorgehen? Sollte ich juristisch gegen etwas vorgehen, was ich wenige Monate später – wenn auch mit weniger oder doch anderem Wirbel – selbst zu tun gedachte?455

Das Additiv

Nicht genug mit Remers rühriger Werbetrommelei mußte ich allerdings im April 1993, als O.E. Remer seine Drucke zu verteilen begann, feststellen, daß er mein Gutachten mit einem einseitigen Vorwort und einem Nachtrag in Form eines fünfseitigen Prozeßberichtes seines Strafverfahrens versehen hatte.456 Dabei interessierte mich damals überhaupt nicht, ob der Inhalt der Kommentare strafrechtlich relevant war oder nicht – ich überflog das Vorwort nur flüchtig und nahm von dem Prozeßbericht keinerlei Notiz. Für meine Verärgerung war schon ausreichend, daß Remer mein Gutachten überhaupt unautorisiert textlich, also inhaltlich erweitert hatte. Egal, was auch immer in den Kommentaren stand: Es war von mir nicht abgesegnet und allein deshalb Grund zur Verstimmung. Ich ging aber selbstverständlich davon aus, daß ich nicht für etwas zur Verantwortung gezogen werden konnte, von dessen Entstehung ich keine Kenntnisse hatte, geschweige denn, daß ich mein Einverständnis dazu geben hätte oder gar daran beteiligt gewesen wäre. Warum sich also Sorgen darüber machen, ob der Inhalt von Remers Kommentaren strafbar ist? So geschah es, daß ich Remers Kommentare, für die ich dann später bestraft wurde, erst während meines deswegen eingeleiteten Strafprozesses Ende 1994, also 1¾ Jahre nach deren Publikation, zum ersten Mal überhaupt durchlas.

Die heiße Kartoffel

Im Frühjahr 1993 jedenfalls machte ich mir nur um meine Doktorarbeit Sorgen, und dies auch nur wegen einer Passage in Remers Kommentaren, die mir mein Doktorvater unmittelbar nach Erhalt des Druckwerks unter die Nase hielt. In dem erwähnten Bericht über Remers Strafverfahren wird meine Person im Zusammenhang mit dem Max-Planck-Institut genannt, was zur Folge hatte, daß Medien, Wissenschaft, Justiz und Politik beim Max-Planck-Institut Sturm liefen und meinen Kopf forderten. Auf Druck des Instituts konsultierte ich dann auch einen Fachmann für Urheberrecht. Der machte mir aber klar, daß "seriöse" Anwälte derartig heiße politische Kartoffeln aus Überzeugung und um des eigenen Rufes Willen nicht übernehmen. Außerdem sei ohnehin zweifelhaft, ob ich gegen Remer überhaupt eine Handhabe hätte, da das Urheberrecht des Gutachtens wahrscheinlich auf ihn übergegangen sei, da er es ja wohl nach meinen eigenen Angaben bestellt und bezahlt habe.457

Die zentrale Frage nach dem Urheberrecht des Gutachtens ist im übrigen bis heute ungeklärt. Das Ehepaar Remer stellt sich bis heute auf den Standpunkt, es habe das Urheberrecht zum Gutachten durch die Bezahlung erworben, so daß es damit machen könne, was es wolle. Zwar wurde im Herbst 1991 ein vertragliches Schreiben aufgesetzt, aber leider ist mir meine Kopie in Folge der vielen Hausdurchsuchungen und Umzüge abhanden gekommen, und auch das Ehepaar Remer kann das Schreiben nach seiner Flucht nach Spanien nicht mehr finden, so daß der genaue Inhalt dieses Dokuments nicht mehr nachvollzogen werden kann. Ich erinnere mich nur, daß mir der Ersatz von Kosten versprochen wurde, die mir im Zusammenhang mit der Erstellung des Gutachtens entstünden, und daß darin eine Publikation des Gutachtens nach dessen Fertigstellung vorgesehen war, ohne dafür aber einen Zeitraum einzugrenzen. Urheberrechtliche Fragen wurden darin nicht behandelt.

Übrigens hat das Ehepaar Remer stillschweigend akzeptiert, daß ich seit Juni 1993 ohne Rücksichtnahme auf sie eigenmächtig darüber bestimme, wo, wann und auf welche Weise mein Gutachten in den verschiedenen Sprachen erscheint (deutsch, englisch, französisch, niederländisch).

Zigtausend DM für die Katz

Dermaßen im Regen stehend habe ich dann ab Mitte April direkt versucht, Herrn Remer zum Einlenken zu bewegen. Anfang Mai gelang es mir schließlich, O.E. Remer angesichts der gegen mich anrollenden Repressalien dazu zu bewegen, seine Verteilungsaktion abzubrechen. Paradoxerweise hatte er bis dahin z.B. im Bundestag nur Abgeordneten der Grünen, der PDS und der SPD mit seinem Gutachten beliefert. Die einzigen Parteien, in denen vielleicht mit viel Glück der eine oder andere Abgeordnete ansprechbar gewesen wäre, CDU/CSU und FDP, waren von Remer noch kaum beliefert worden. Durch mein Einschreiten sind sie bis heute im wesentlichen "unwissend" geblieben.

Jenseits aller strafrechtlichen Fragen von Remers kommentierenden Ausführungen möchte ich hier einige inhaltliche Anmerkungen zu Remers Ausführungen anbringen. Zunächst einmal sind diese Kommentare in einem Sprachstil abgefaßt, die jedem gutbürgerlichen Antifaschisten – und das dürften 95% der Bevölkerung sein – das Blut in der Adern erstarren läßt. Es war also damit zu rechnen, daß diese Fassung meines Gutachtens bei der Mehrzahl aller Adressaten ungelesen in den Papierkorb wandern würde.

Nicht genug damit, hat O.E. Remer aber auch inhaltlich dafür gesorgt, daß annähernd alle seine Adressaten diese Fassung sogleich dem Feuer übergeben müssen, wenn sie einen Funken Stolz besitzen. In seinem auf der vorderen Umschlagsinnenseite abgedruckten Vorwort greift er nämlich unsere führenden Politiker, Medienleute und Juristen massiv mit den Worten an, diese Lügner gehörten aus ihren Pfründenburgen verjagt.

Gleichzeitig jedoch hat Remer diese Fassung des Gutachtens gerade an jene führenden Politiker, Medienleute und Juristen versandt und wohl ernsthaft geglaubt, er könne damit irgend etwas in seinem Sinne bewirken. Es ist nur zu selbstverständlich, daß die Versendung eines Schriftstückes, in dem die Adressaten beleidigt und bedroht werden, seinen Zweck verfehlen muß. Remers Notwehraktion hat ihn sicherlich viele zigtausend DM gekostet – alles für die Katz.

Arglos in die Fänge der Justiz

Nachdem ich Remers Aktion unterbunden hatte, nahmen die juristischen Dinge ihren Lauf. Ich ging weiterhin davon aus, daß man mich nicht für etwas belangen könne, was ich nicht getan hatte. Aber die Staatsanwaltschaft mußte ermitteln, da die meisten derjenigen, denen Remer ein Gutachten zugesandt hatte, gegen ihn und gegen mich Strafanzeige erstattet hatten: Die Gesellschaft Deutscher Chemiker, viele Staats- und Oberstaatsanwaltschaften, Richter und Präsidenten an Landes- und Oberlandesgerichten, linke Parteifraktionen aus verschiedenen Parlamenten, Professoren verschiedenster Fachrichtungen von Universitäten aus dem ganzen Bundesgebiet usw. usf., gekrönt von ständigen Anfragen aus Tel Aviv, die bis heute nicht nachlassen. Bei solch erlauchten Anzeigeerstattern braucht man eigentlich keine Prozeß mehr zu führen, man kann auch gleich klein beigeben. Aber ich dachte, daß nicht wahr sein könne, was in einem Rechtsstaat nicht wahr sein darf, und beschloß, mich bis zum Letzten zu verteidigen.

Seltsamerweise wurde die Staatsanwaltschaft nur gegen mich rege tätig. Man ermittelte zwar auch gegenüber Remer, doch sah man sich nicht veranlaßt, bei ihm Hausdurchsuchungen durchzuführen. Man beschränkte sich bei ihm darauf, die Akten von links nach rechts zu schieben. Mich hingegen suchte man in den darauffolgenden Jahren dreimal heim und nahm mit, was nicht niet- und nagelfest war. Offenbar erschien der deutschen Justiz Remer nicht mehr als gefährliche Person. Das Problem Remer würde sich, so wahrscheinlich ihre Hoffnung, biologisch lösen. Mir jedoch meinte man nachhelfen zu müssen.

Das Ende der Illusionen

Der sich von Ende 1994 bis Mitte 1995 hinziehende Prozeß zerstörte in mir alle Reste bis dahin noch gehegter Illusionen über unseren Rechtsstaat. Ich habe dies in einem Beitrag im Buch Kardinalfragen zur Zeitgeschichte (»Webfehler im Rechtsstaat«)458 eingehend geschildert. Die Generalbundesanwaltschaft stellte am 19.1.1996 fest, daß ich nicht etwa für mein Gutachten, sondern für nichts anderes als für die Kommentare Remers 14 Monate hinter Gitter zu gehen habe. Der Bundesgerichtshof schloß sich dieser Forderung mit Beschluß vom 7.3.1996 an (Az.: 1 StR 18/96). Zu diesen Kommentaren Remers stellte das Landgericht Stuttgart in seinem Urteil fest (Az. 17 KLs 83/94, S. 115):

»Obwohl in Vor- und Nachwort den Juden nicht ausdrücklich angelastet wird, sie hätten die Darstellungen über den Holocaust insbesondere um ihres politischen und materiellen Vorteiles willen erfunden, hatte die Remer- Fassung des “Gutachtens” zur Überzeugung der Kammer den Zweck, dies zu suggerieren und damit feindselige Emotionen gegen die Juden zu schüren. Dies folgt schon daraus, daß der Leser, die Richtigkeit der Behauptungen des “Gutachtens” vorausgesetzt, unter anderem auf Grund der tendenziösen Ausführungen und der Diktion zu dem Schluß kommen mußte und sollte, daß die überlebenden Juden als die wichtigsten Zeugen des Geschehens, die Hinterbliebenen als die unmittelbar Betroffenen und die jüdischen Forscher die Berichte über den Holocaust bewußt wahrheitswidrig gefälscht haben müssen.«456
Remers Ausführungen sind also sogar nach Aussage des Gericht für sich genommen gar nicht strafbar, wohl aber könnten sie im Zusammenhang mit meinem Gutachten den geneigten Leser durch das "Lesen zwischen den Zeilen" mit anschließendem selbständigen Denktätigkeit angeblich zu feindlicher Stimmung gegen Juden verleiten, und das ist ja wirklich moralisch nicht vertretbar, denn es dürfte jedem einleuchten, daß man gefälligst ein Freund "der Juden" zu sein hat.

Somit wurde ich nicht nur für eine Tat bestraft, die ich nicht begangen hatte, sondern für eine, die niemand begangen hatte. Die Tat wurde vom Gericht vielmehr frei erfunden – man las es zwischen die Zeilen hinein!

Wenn Remer sich wenigstens seiner Kommentare enthalten hätte und ich für mein Gutachten und nicht für seine Kommentare verurteilt worden wäre, so hätte es wenigstens einen Sinn gehabt.