Wenn Ende Oktober in Deutschland die ersten Spritzen gegen die Schweinegrippe gesetzt werden, hat eine Gruppe Vorrang: das Personal in Kliniken, Arztpraxen und Pflegeheimen. Allerdings scheuen selbst Ärzte davor zurück, sich gegen das H1N1-Virus impfen zu lassen. Die Risiken könnten zu hoch sein.
Mit schlechtem Beispiel voran:
Impfmüdigkeit im Gesundheitsdienst ist ein
international verbreitetes Phänomen.
Ärzte, Schwestern und Pflegepersonal sind besonderen Gefahren der Ansteckung mit dem H1N1-Virus ausgesetzt und zählen zu den so genannten Risikogruppen. Impfbefürworter raten dem Personal dringend, sich immunisieren zu lassen. Doch mit der Impfbereitschaft ist es im Gesundheitsdienst nicht weit her.
„Unser Personal ist in Sachen Schweinegrippen-Impfung sehr skeptisch. Alle warten erst einmal ab“, sagt Hans Georg Nehen. Der Direktor des Essener Geriatrie-Zentrums Haus Berge zeigt Verständnis für diese Zurückhaltung. Zwar seien Impfungen im Gesundheitsdienst sinnvoll, betont der Professor. Doch der Chef von rund 75 Pflegekräften gesteht jedem Kollegen zu, die bestehenden Risiken der Impfung selbst abzuwägen.
Zur verbreiteten Skepsis trägt laut Nehen auch bei, dass das H1N1-Virus hierzulande längst nicht so virulent auftritt wie zunächst befürchtet: „Viele Mitarbeiter denken, die Schweinegrippe verläuft bei uns deutlich harmloser als in anderen Regionen der Welt.“ Diese Ansicht stützt der jüngste Wochenbericht des Robert-Koch-Instituts: Danach wurden bis zum 8. Oktober rund 21.600 Fälle von Schweinegrippe an die Gesundheitsämter gemeldet - bei zwei bestätigten Todesfällen.
Erschwert werde die Überzeugungsarbeit auch dadurch, dass erst ein Impfstoff in Deutschland zugelassen sei. Über dessen Zusammensetzung und Nebenwirkungen „weiß man noch nicht viel“, so der Direktor. Auch Fachverbände und Heimträger seien nach seinem Eindruck „etwas hilflos“.
Schon 2001 galt der Schutz des medizinischen Personals gegen schwere Infektionskrankheiten wie Diphtherie, Masern oder Hepatitis als mangelhaft. Von damals für eine Studie befragten 50 examinierten Pflegekräften war nur ein Viertel ausreichend gegen Diphtherie und Hepatitis A immunisiert. Weniger als die Hälfte wies Vollschutz gegen Polio auf. „Die Annahme, dass Angehörige der Gesundheitsfachberufe ein weiterentwickeltes Bewusstsein für ihre Gesundheit hätten, hat sich nicht bestätigt“, urteilten damals die Autoren.
Eine im Juni in Dresden vorgestellte Studie belegt, dass noch immer deutliche Lücken in der Immunisierung bei Medizinern, ihrem akademischen Nachwuchs und bei Auszubildenden in der Krankenpflege bestehen.
Befragt wurden 1.900 Personen aus Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Ergebnis: „Viele Beschäftigte ignorieren die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission und weisen keinen vollständigen Impfstatus vor“, sagt Antje Bergmann, Leiterin des Lehrbereiches Allgemeinmedizin am Dresdner Universitätsklinikum. Im Vergleich schnitten die Pflegeschüler am schlechtesten ab und kamen beim Vollschutz nur auf Werte von 74 Prozent (Tetanus), 51 Prozent (Diphtherie) und 48 Prozent (Polio).
Bergmann spricht von „erschreckenden Ergebnissen“. Ihrer Ansicht nach würden die notwendigen Auffrischungsimpfungen meist zu lange aufgeschoben oder einfach schlicht vergessen. An Problembewusstsein fehle es indes nicht: 88 Prozent der Befragten hätten Impfungen „als superwichtig“ bezeichnet.
Die Ärztin kritisierte den aktuellen „Hype“ rund um die Schweinegrippe. Vor lauter Aufregung über das H1N1-Virus falle in der öffentlichen Diskussion „hinten runter, dass es auch wichtig ist, gegen Tetanus, Masern oder Diphtherie zu impfen“.
Die Impfmüdigkeit des Klinikpersonals ist kein deutsches Phänomen. Das zeigen auch die kürzlich von der Zeitschrift „Nursing Times“ in Großbritannien publizierten Ergebnisse einer Umfrage, über die das „Deutsche Ärzteblatt“ berichtete. Nur 30 Prozent der britischen Krankenschwestern bekundeten ihre Impfbereitschaft.
Frappierende Ergebnisse liegen auch aus dem dichtbesiedelten Hongkong vor, wo 8.500 Ärzte und Schwestern befragt wurden. Auch nachdem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Anfang 2009 wegen der Schweinegrippe die zweithöchste Pandemie-Warnstufe ausgerufen hatte, gab es keine hohe Impfbereitschaft in Kliniken und Arztpraxen. Lediglich 47,9 Prozent waren bereit, sich impfen zu lassen.
Die WHO fordert, die Impfraten bei den Risikogruppen, zu denen auch chronisch Kranke und Schwangere gehören, bis zum nächsten Jahr von derzeit 60 auf 75 Prozent zu erhöhen. Deutschland werde dieses Ziel mit Sicherheit nicht erreichen, sagte Klaus Wahle, Mitglied der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut, Ende September bei einem Fachkongress in Erfurt. Grund dafür ist auch die schlechte Impfrate beim medizinischen Personal. Sie liegt bei nur 18 Prozent.
Unterdessen hat eine umfassende Untersuchung in den USA ergeben, dass der größte Teil der US-Patienten, die wegen Schweinegrippe in Kliniken behandelt worden sind, auch andere gesundheitliche Probleme hatte.
Die US-Seuchenkontrollbehörde CDC wertete insgesamt 1400 Fälle an Schweinegrippe erkrankter Erwachsener und 500 Fälle betroffener Kinder in Kliniken aus. In der Gruppe der Erwachsenen litten demnach 26 Prozent an Asthma, 10 Prozent an Diabetes, 8 Prozent an anderen Lungenkrankheiten, 7,7 Prozent hatten Immunprobleme und 6 Prozent waren schwanger. Die meisten Kinder hatten ebenfalls andere Gesundheitsprobleme wie etwa Sichelzellenanämie.
Demnach litten aber immerhin noch 45 Prozent der von der Grippe Betroffenen nicht an anderen Erkrankungen wie etwa Asthma, die sie anfälliger für die Schweinegrippe machen könnten. Unklar ist nach Angaben von CDC-Direktorin Anne Schuchat jedoch, wie viele Patienten aus der letzteren Gruppe stark übergewichtig waren: Das sei in den Statistiken nicht als „andere Gesundheitsprobleme“ berücksichtigt.
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