2005: Die Heuchelei verbleibt
Der erste Monat des neuen Jahres geht so langsam zu Ende, doch noch immer sitzt vielen von uns die schreckliche Flutwellenkatastrophe wie ein Fantom im Nacken. Die Aufräumarbeiten gehen weiter, noch viele unbekannte Leichen müssen identifiziert werden. Hunderte ausländische Familien suchen weiterhin nach ihren vermissten Angehörigen. Während von vielerlei Seite die Hilfsbereitschaft und der uneigennützige Einsatz der Thais im allgemeinen gelobt wurde, so wurde dennoch auch Kritik laut, dass angeblich einige Einheimische, vor allem Lokalpolitiker, das Desaster schamlos für ihre eigenen Interessen ausgenutzt haben. Da wurde hochmütig mit den Opfern für Pressefotos posiert, deren einziger Zweck es war, die eigene Popularität für die bevorstehenden Nationalwahlen aufzupolstern. Da wurden Decken und Nahrungsmittel, die eigentlich von Hilfsorganisationen zur Verfügung gestellt wurden, mit gütigem Lächeln und in eigenem Namen an Bedürftige verteilt. Nur von wenigen Grosskopferten hat man erfahren, dass sie selbst gespendet hätten. Stattdessen, so scheint es, griffen wieder einmal Normalbürger selbstlos in die oft ziemlich leeren Taschen und haben damit nicht unerhebliche Gelder aufgebracht. Auch aus dem Ausland gingen zahlreiche private Spenden bei thailändischen Hilfsorganisationen ein. Nicht einmal vom Premierminister - geschweige denn seinem Gärtner, Hausmädchen oder Chauffeur – erfuhren wir, dass ein paar Baht aus dem grössten Privatvermögen des Landes geopfert worden wären. Gemessen an dem übermenschlichen Ego des CEO kann man sich fast nicht vorstellen, dass er eine solche Nachricht der Presse vorenthalten hätte. Oder habe ich beim Zeitunglesen möglicherweise etwas verpasst? Selbst aus den Reihen der unmittelbar betroffenen Thais wurde gemosert wenn es um die Methoden der Regierung bei der “Hilfestellung” ging. Thailändische Opfer würden wie Menschen zweiter Klasse behandelt und ausländischen Verletzten wäre rundum Bervorzugung zuteil geworden. Die Regierung setze Gelder in erster Linie für zweitrangige Prioritäten ein anstatt zuerst einmal die wichtigsten Notwendigkeiten abzudecken. Zum Beispiel hätte die Regierung offensichtlich damit begonnen mehrere feste Behausungsprojekte im Süden in Angriff zu nehmen. Thailändische Opfer klagten: “Wir brauchen keine festen Häuser, die in sechs Monaten fertiggestellt werden. Wir brauchen JETZT temporäre Unterkünfte.” Fischer verurteilten: “Wir brauchen keine neuen Häuser, die drei oder vier Kilometer vom Strand hochgezogen werden. Wir brauchen neue Boote und Häuser am Strand.” Währenddessen verkündete der Premier in nahezu unbeschreiblicher, nationalistischer Arroganz, dass Grossthailand keinerlei finanzielle Hilfe von anderen Regierungen akzeptieren werde, denn dadurch würde man seine Stellung als unabhängiger Staat kompromitieren. Es scheint sich jedoch nicht lediglich um die Verweigerung von Geldmitteln zu handeln. Ein jugoslawischer Bekannter, Besitzer eines Transportunternehmens im Ländli, wollte der Regierung seine Flotte von Tiefkühllastern KOSTENLOS zur Verfügung stellen, um die noch vielen unidentifizierten Leichen zu lagern. Die von ihm kontaktierten Behörden lehnten dankend ab. “Na klar,” meinte mein Bekannter, “da ist finanziell nichts für die herausgesprungen und darum wies man mir sang- und klanglos die Tür.”
Ach, unser werter Führer hat es aber halt auch nicht leicht, sein Regime kritisch denkenden Menschen schmackhaft zu machen. In den letzten Wochen wurde er von mehreren akademischen Vereinigungen wiederholt mit dem berüchtigten, ehemaligen Diktator der Philippinen, Ferdinand Marcos, verglichen. Ein Seminar verging sich selbst soweit, Herrn Thaksin mit dem Attribut “schlimmer als Marcos” zu krönen. Es ist verständlich, dass der CEO die Einladung zur Diskussion an eben jenem Seminar, dankend ablehnte. Er wusste wohl, was auf ihn zukam. Als selbsternannter Führer ist man keinem Rechenschaft schuldig.
Zu allseitiger Erheiterung ist auch des Führers treuherzige Gatting, Khunying Pojaman, kürzlich in die Schlagzeilen gekommen. Hatte die Gute doch ihre Handtasche im exklusiven Emporium-Department Store verlegt. Ergo wurde sofort die gesamte Mannschaft der Thonglor-Polizeistation auf den Fall angesetzt. Als Premiersgattin hat man nämlich die nicht abzusprechende Autorität, auf Abruf eine ganze Polizeistation zur unmittelbaren Verfügung zu haben. Das Kaufhaus wurde durchforstet, Zeugen wurden verhört. Die Handtasche blieb unauffindbar. Wir wollen einmal guten Willens annehmen, dass sie mehrere Millionen Baht enthielt, die Khunying Pojaman zweifelsohne an die Tsunamiopfer spenden wollte.
Unterdessen beutelte es den missverstandenen Gatten ein weiteres Mal. Herr Thaksin besuchte Chiang Rai und nahm dort gemäss Presseberichten an einer Wahlkundgebung für einen der dortigen Kandidaten der Partei der Thai-liebenden-Thais teil. Dabei soll der Führer lauthals die anwesenden Massen zur Unterstützung desselben aufgefordert haben. Das Problem? Nun, die Kundgebung ging einher mit einer Parade und einem Jahrmarkt zur Unterhaltung der Wählerschaft. Gemäss Statuten der Wahlkommission ist das nach der Registrierung der Kandidaten für die Nationalwahlen, die Anfang Januar stattfand, unter Androhung der Roten Karte striktens verboten. Im Oktober letzten Jahres wurde die Kandidatin für den Posten des Bangkoker Gouverneurs, Leena Jangjanja, wegen des gleichen Vergehens disqualifiziert und darf sich fünf Jahre lang nicht mehr politisch betätigen. Man darf nun gespannt sein, wie die Wahlkommission im Falle Thaksin urteilen wird. Aber eigentlich wissen wir ja schon das Ergebnis: Alle Tiere sind gleich, aber einige Tiere sind gleicher als die anderen.
Vor einigen Wochen wurde der Premierminister mit dem schockierdenen Ergebnis einer Studie unter Thailands Schulkindern konfrontiert. Darin hiess es, dass der duchschnittliche Intelligenzquotient (IQ) einheimischer Pennäler nur um die 89 Punkte liege. Das beunruhigte Herrn Thaksin so sehr, dass er kurzehand verkündete, diesen IQ “innerhalb der nächsten vier Jahre um 25 Prozent” anzuheben. Bis zum Jahr 2008 werden demnach die Thais intelligenter als die Deutschen (Durchschnitt 104 Punkte) oder die Amerikaner (94 Punkte) sein. Ganz im Einklang mit diesem grossartigen Vorhaben liess der Fernsehsender Channel 3 verlautbaren, dass er ab Januar “rund um die Uhr” senden würde. Die bislang sendefreie Periode von 3 Uhr bis 7 Uhr morgens werde mit Sendungen belegt, die speziell für ein Publikum “von Erwachsenen und Kindern” konzipiert seien. Analysieren Sie diese Strategie bitte etwas genauer, geneigter Leser. Seit dem ersten Januar können sich thailändische Schüler in den frühen Morgenstunden an erstklassigen Programmen wie japanischen Zeichentrickfilmen und anderem Hickhack ergötzen bevor sie sich um 7 Uhr auf den Weg zur Bildungsstätte machen, was ihnen in ihrem geschärften und keinesfall übermüdeten Zustand durchaus bei der Entwicklung ihres IQ behilflich sein mag. Wir wollen es auch noch aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Um ein Uhr müssen alle Unterhaltunsbetriebe, z.B. Diskos, dichtmachen. Hernach kann man als anständiger Schüler getrost nach Hause wandeln, denn dort darf man sich noch einige Zeichentrickfilme “reinziehen”, bevor es Zeit wird, sich den gehassten, da so ausserordentlich stressigen Studien zu unterziehen. Na, wenigstens braucht man sich nicht davor zu fürchten, dass man sich harschen Computerlehrgängen unterziehen muss. Wenn man einem kürzlichen Pressebericht Glauben schenkt, ist nämlich die Hälfte der in den Schulen durch die grosszügige Hilfe der Regierung installierten Computer entweder unbrauchbar oder kann von den Lehrern nicht bedient werden. Eine Umfrage unter 5'000 Rektoren, Lehrern, Schülern und Eltern durch die Chulalongkorn-Universität befand, dass 20 Prozent der Computer entweder defekt wären oder Programme benutzten, die seit Noahs Zeiten nicht mehr verwendet werden. Die anderen 50 Prozent können nicht eingesetzt werden, weil die Lehrer nicht wissen, wie man sie bedient. “Die Lehrer können rudimentäre Aktionen ausführen. Zum Beispiel wissen sie, wie man einen Computer ein- oder ausschaltet, doch damit hat sich ihr Computerwissen erschöpft,” hiess es in dem Bericht. Ein- und ausschalten? Aber bitteschön! Das kann doch jeder Fünfjährige! Man drückt einfach auf den Knopf! Ich darf jedoch entlastend erwähnen, dass der weise Premierminister diese ach so versierten Lehrer angewiesen hat, eine Politik des “gegenseitigen Lernens” aufzugreifen. Das heisst im Klartext, dass Thailands Pädagogen künftig angehalten sind, nicht mehr lediglich aus den Schulbüchern zu pauken und sich dabei jegliche unangemessene Unterbrechung durch Fragen oder Hinterfragungen von Schülern zu verbitten. Stattdessen sollen die Lehrer sich den Anmassungen der Pennäler öffnen und sich – Schockschwerenot! – kreativen Fragen der Herde gar stellen. Eine blatane Untergrabung der absoluten Autorität des Lehrers, wenn Sie mich fragen, geneigter Leser, obschon ein Schritt in die korrekte Richtung. Bleibt nur zu hoffen, dass die Schüler das Konzept ebenfalls aufgreifen, denn bislang wurden sie für die unverschämte Unterbrechung des “Unterrichts” generell durch Ohrfeigen oder gar Prügel bestraft, was dem durchschnittlichen IQ möglicherweise entgegenwirkte.
Es wundert daher nicht, dass sich viele Schüler trotz der so überaus wirksamen akademischen Ausbildung – zumindest bis dato – gewisse finanzielle Erwerbsfelder auserküren, in denen es weniger auf Grips als auf “sabai, sabai” ankommt. Dazu zählen solch hochangesehene Berufe wie Go-Go-Tänzerin, Hostess oder Pornodarstellerin. All jene anspruchsvollen Berufszweige glänzen mitunter mit höheren durchschnittlichen Einkommen als, zum Beispiel, Bankangestellter oder Buchhalter. Nicht alle Eltern, die todkranke Wasserbüffel zu versorgen haben, sind mit der Berufswahl ihrer Sprösslinge einverstanden. Gemäss Zeitungsbericht hat die Polizei vor kurzem Verhaftungsbefehle für die Produzenten eines Sexfilms herausgegeben, nachdem die besorgte Mutter der sechzehnjährigen Hauptdarstellerin eine entsprechende Anzeige zu Protokoll brachte. Der Kommandeur des Central Investigation Bureau (vergleichbar dem “FBI”), Generalmajor Winai Thongsong, teilte der Presse mit, das Mädchen sei ursprünglich von den Tunichtguten angeheuert worden, um für einen Badeanzugkalender zu posieren. Stattdessen wurde ihr aber angeboten, für 5'000 Baht in einem Pornofilm zu agieren. Worauf das Girl AUS EIGENEMN WILLEN entschied, dass sie ein Talent für die Schauspielerei besass und ergo… hmm … agierte. Hoch bestürzt war die Mutter, als sie eine von anonymer Seite an ihrem Marktstand hinterlassene CD vorfand, auf deren Umschlag ihre Tochter splitterfasernackt und “in kompromittierenden Posen” abgebildet war. Ach ja, wenn man sie eben nur nicht dazu erzogen hätte, dass sie dazu verpflichtet ist, in allen “Lebenslagen”, den Eltern Respekt und finanzielle “Rückvergütung” zu zollen. Man kann nur hoffen, dass die respektive CD international vertrieben wird und damit das “Ansehen der Thai-Frauen in der Welt” weiterhin fruchtvoll fördert. Neben all jenen schönen und anerkennenswerten Aspekten Thailands bleibt wohl die allgemeine Heuchlerei einer der niederträchtigsten des Landes.