Jahresrückblick 2004
2004 ist abgehakt
Zwölf Monate voll mit politischen Rangeleien, Kriegen, Armut und Elend, doch auch vielen Lichtblicken, neuen Hoffnungen und der einen oder anderen vergnüglichen Episode, wovon Thailand in vielerlei Hinsicht seinen eigenen Anteil erhalten oder gar beigesteuert hat, sind zu Ende. Vor allem unter der weisen Regie unseres gefeierten Führers Thaksin Shinawatra, der das Land am liebsten in seinen persönlichen Bauchladen ummodeln würde, sind wir der Verwirklichung eines beinahe utopischen Staates ein gutes Stück nähergerückt. Um dem geneigten Leser das Jahr 2004 noch einmal ins Gedächtnis zurückzurufen, bringe ich eine verkürzte Zusammenfassung ausgewählter Ereignisse. Ich bitte um Nachsicht, dass aus Gründen des Platzmangels nicht alle Aspekte noch einmal beleuchtet werden können.
Januar
An der Bangkoker Front proklamierte Gouverneur Samak Sundaravej seinen genialen Plan, illegale Elefanten aus der Innenstadt zu entfernen, indem man sie kurzerhand durch die Polizei erschiessen lässt. Aus bis heute obskuren Gründen wurde die Absicht verworfen. Die im Vorjahr ins Leben gerufene “Social Order Campaign” zur Einnordung der verdorbenen einheimischen Jugend fand ihre Fortsetzung mit der Bekanntmachung, dass die bisherige Polizeistunde möglicherweise auf 22 Uhr vorverlegt werden würde. Das Parlament einigte sich gottlob jedoch auf die gnädige Geste, nur eine Stunde vom Nachtbummel zu streichen. Endlich gab die Regierung zu, dass man bereits seit November 2003 vom Ausbruch der Vogelgrippenseuche im Vaterländchen wusste, könne aber nicht erklären wer so lange mit der Wahrheit hinter dem Berg hielt. Unser Premierminister erzürnte sich so sehr über die allgemein in der Presse verbreitete Kritik betreffend Misshandhabung der Epidemie, dass er sich in wahrhaftiger Erwachsenenmanier dazu entschloss, bis auf weiteres nicht mehr zu Journalisten zu sprechen.
Februar
Während unser geliebter Führer rund um die Uhr für die Verbesserung unseres Daseins malochte, sammelten sich die Mächte des Dunkeln in der Form von marodierenden Jugendbanden aus verschiedenen Bangkoker Berufsschulen, die sich regelrechte Strassenschlachten lieferten. Einnordung der verdorbenenen Jugend? Pustekuchen. Antwort des Führers? Lasst die bösen Buben in Militärlagern im Süden umerziehen. Ein Geistesblitz, der Mussolini zur Ehre gereicht hätte, kam vom Polizeipräsidium: Der Einsatz einer schwarzbehemdeten Polizeieinheit, die nächtens stille Nachbarschaften und verwaiste Fussgängerbrücken patrouilliert, um Bangkoks Einwohner vor Banditen zu schützen. Der Nachtlebenkolumnist Bernard Trink wurde von der “Bangkok Post” nach mehr als 25 Jahren entlassen, da seine literarischen Ergüsse nicht mehr in eine “familienfreundliche Zeitung” passten. Der Premier schmollte noch immer mit den Medien.
März
Der Führer modelte sein Kabinett zum achten Male innerhalb von drei Jahren um, sprach aber immer noch nicht zur Presse, ausser wenn er das für unumgänglich erachtete. Sein Durchhaltevermögen war bemerkenswert. Senatorin Rabiatrat Pongpanich begab sich auf einen Kreuzzug, die aus Statusgründen unter Politikern und anderen Grosskopferten grassierende Vielweiberei anzuprangern. Ach, wie lachten da die betroffenen Herren. Wetten auf Fussballspiele wurde als illegal erklärt, ausser: siehe April.
April
Der Führer setzte sich in den Kopf, dass er unbedingt den Liverpooler Fussballklub besitzen wollte, weil dies das Ansehen Thailands in der Welt dramatisch anhebe. Zur Finanzierung liess er eine öffentliche Lotterie einrichten, denn seine eigene Kohle gedachte er nicht dafür aufzuwenden. Ausserdem schmollte er weiterhin mit der Presse. Allerdings liess er es sich nicht nehmen, zusammen mit seiner jüngsten Tochter für Fotos zu posieren. Jene hatte nämlich eine Ferienarbeit bei McDonalds angetreten, um der verdorbenen Jugend zu demonstrieren, dass man neben Saufen, Raufen und Drogenkonsum das Leben auch sinnvoller gestalten kann. Tennisstar Paradorn Srichaphan wurde währenddessen vom Militärdienst befreit. Söhnchen Duangchalerm Yubamrung und seine loyalen Waffenbrüder wurden von allen Mordanschuldigungen an einem Polizisten freigesprochen und durften sich wieder in die brave Thaigesellschaft integrieren. Der Schweizer Thomas Äschbacher überfiel einen Minimarkt mit einer Wasserpistole und bewies damit, dass er nicht als Qualitätstourist eingestuft werden konnte. Die Regierung verkündete der allgegenwärtigen Korruption den Krieg und ein Endsieg wurde vom Führer bis Oktober verlangt.
Mai
Der CEO sprach endlich wieder mit der Presse, fand jedoch nur Kritik für sie, weil man in den Zeitungen die kontroverse Aufnahme seiner Tochter in die Chulalongkorn-Universität zerriss. Töchterchen schnitt in einem Prüfungsfach nicht besonders hervorragend ab, weswegen sich das Rektorat entschloss, dieses Fach schlichtum unberücksichtigt zu lassen. Die Entscheidung wurde später rückgängig gemacht und Töchterchen musste ein anderes, weniger anspruchsvolles Studium wählen. Der Traum des thailändischen Volkes, den Liverpool FC zu erwerben ging in die Hosen, was den Führer zu einer neuerlichen Schmollperiode veranlasste. Die Kandidaten zur bevorstehenden Bangkoker Gouverneurswahl gaben ihre Wahlversprechen bekannt und lügten, dass sich die Balken bogen. Polizeifeldwebel Adul verbarrikadierte sich illegal bewaffnet in Chiang Mai in einer Hütte und hielt für geschlagene zwei Stunden einer Belagerung und einem einhergehenden Orangenbombardement stand, bis er schlussendlich von seiner Grossmutter an den Ohren herausgezogen und den Behörden übergeben wurde.
Juni
Die im Januar “besiegte” Vogelgrippe brach erneut aus und wiederum hüllte sich die grossthailändische Regierung für fast zwei Wochen in Schweigen. Zu wichtig waren Hühnerfleischexporte in alle Welt. Weniger wichtig war es, Mustersöhnchen Duangchalerm Yubamrung’s Mordanklage in zweiter Instanz zu verfolgen, denn die Staatsanwaltschaft befand, dass es (nicht mehr) genügend Beweise gab. Der Führer richtete einen Briefkasten vor seiner Residenz ein, in den Thailands freie Staatsbürger Beschwerdebriefe einwerfen durften. Es wurde nicht bekannt, ob auch nur einer einzigen Beschwerde nachgegangen wurde, denn der CEO sprach ja nicht mit der Presse.
Juli
Im Zuge des Wahlkampfes zum Bangkoker Gourverneur beteuerte Chalerm Yubamrung, Väterchen des Mustersöhnchens, auf seinen Postern wie gross seine Erfahrung ist. Er verschwieg, worin diese Erfahrung lag. Massagehauskönig Chuwit Kamolvisit liess uns wissen, wie vehement er gegen jegliche Form von Korruption vorgehen würde und dass er das ehemalige Bierbarareal an der Sukhumvit Soi 10, dessen nächtlichen Abriss er angeblich im Januar befahl, für die Einrichtung eines öffentlichen Stadtparks spenden wolle. Der Gouverneurskandidat der Demokraten, Apirak Kosayodhin, sagte nicht viel, was seine Gewinnchancen ungeheuer in die Höhe schraubte.
August
Das Buch “Thaksin: Das Geschäft mit der Politik in Thailand” machte uns mit weniger bekannten Facetten des Führers vertraut. Zum Beispiel, dass er beileibe nicht aus jenen unterprivilegierten, ärmlichen Verhältnissen stammt wie er uns immer weismachen wollte. Oder dass die meisten seiner früheren Geschäftsunternehmungen in die Hosen gingen und dass die Gründung seines Telekommunikationsimperiums nur von Erfolg gekrönt war, weil er zur richtigen Zeit die richtigen Leute kannte. Die internationale AIDS-Konferenz wurde von leichtbekleideten Demonstrationen nicht-so-ehrenhafter Thai-Frauen belagert, bis die Regierung den Ringelpiez beendete. Währenddessen durften sich die zur “Bangkok Fashion Extravaganza” angetretenen Fotomodelle völlig legal in aufreizender Unbekleidung exponieren. Der Führer machte keinen Mucks gegenüber der Presse, was wir ihm nicht verübelten.
September
Grossthailand feierte Triumphe während der Olympischen Spiele und heimste etliche Medaillen ein. Der Sportminister nahm diese den jeweiligen Gewinnern auch sogleich aus der Hand, denn schliesslich waren das Triumphe des gesamten thailändischen Volkes und nicht einzelner Individuuen. Zum Trost wurden die Gewinner aber im Triumphzug durch Bangkok geführt und erhielten Geld- und Sachgeschenke in Millionenhöhe. Der ehemalige Spekulant Ekkayuth Anchanbutr kehrte aus den USA zurück und klagte gewisse Politiker der Aktienspekulation zum Zwecke der Finazierung der nächsten Nationalwahlen an. Der Führer sprach endlich einmal wieder und dementierte die Anschuldigen gegen sein Kabinett heftigst. Ekkayuth drohte, schlagkräftige Beweise zu erbringen. Seitdem hat man nichts mehr von ihm gehört.
Oktober
Apirak Kosayodhin gewann die Bangkoker Gouverneurswahlen. Der Stichtag für den Sieg über die Korruption kam und ging wie wir es alle erwarteten, denn die Korruption galoppierte wie eh und je. Die Tochter einer Hi-So-Lady baute einen Autounfall und erhielt von der verantwortungsbewussten Mutter sechsmonatiges Fahrverbot. Um Töchterlein zu trösten wurde am nächsten Tag ein Zwei-Millionen-Klunker in einem exklusiven Juweliergeschäft erstanden. Die “Social Order Campaign” zum Schutze der verdorbenen Jugend zog weiterhin nicht. Ergo wurden strikte Verkaufszeiten für Alkohol in sämtlichen Mini- und Supermärkten eingeführt. Im Zuge der Volksaufklärung für die im Februar 2005 anstehenden Nationalwahlen veranstaltete die Regierungspartei eine Messe in Bangkok, zu der freie Thais aus nah und fern umsonst und angeblich auf Steuerzahlerkosten angekarrt wurden. Thai Rak Thai streitete diese Anschuldigungen ab und der Führer schmollte.
November
Über 80 Demonstranten kamen in Südthailand ums Leben nachdem sie gefesselt in mehreren Schichten übereinander auf Armeelastwagen verladen wurden. Der Füher entschuldigte sich bei den Angehörigen, setzte eine unabhängige Untersuchungskommission ein und sprach zur Presse: “Bauscht dieses Vorkommnis nicht unnötig auf.” Er verbat sich ausserdem, dass die Teilnehmer der in Laos stattfindenden ASEAN-Konferenz den Vorfall zur Sprache bringen, ansonsten würde er sang- und klanglos abreisen. Kein anwesender Staatschef wagte es, den Führer herauszufordern. Die Partei der Thai-liebenden-Thais petitionierte die Wahlkommission, die Nationalwahlen um 30 Tage vorzuverlegen, denn das wäre günstiger für … wen? Die Kommission lehnte unverständlicherweise ab.
Dezember
Eine Studie befand, dass der durchschnittliche Intellienzquotient von Schulkindern bei 89 Punkten liegt. Der Führer gab bekannt, diesen IQ innerhalb von vier Jahren um 25 Prozent auf 111 Punkte anzuheben. Dies würde thailändische Schulkinder zu wahren Intelligenzbestien machen, denn der gegenwärtige durchschnittliche IQ in Deutschland beträgt nur läppische 102 Punkte. In den USA sind es gar nur 98 Punkte. Unterdessen wies das Erziehungsministerium alle Schulen an, weitere Massnahmen zu ergreifen, die den Patriotismus und Nationalismus der Pennäler zusätzlich stärken. Bisher standen Schulkinder nur jeden Morgen Spalier und sangen lauthals die Nationalhymne während die Flagge gehisst wurde. Das war natürlich bei weitem nicht genug für die Entwicklung eines gesunden Patriotismus. Das Jahresende kam mit einer schockierenden Naturkatastrophe. Fast eine Viertelmillion Menschen starben in Süd- und Südostasien als Küstengebiete von verheerenden Tsunamiwellen, ausgelöst durch ein Erdbeben, heimgesucht wurden. In Thailand waren besonders die Provinzen Phang Nga, Krabi und Phuket betroffen und über 4'500 Menschen, fast die Hälfte davon europäische Urlauber, fanden den Tod.