Es hat sich ausgetrinkt!
Nein, der Titel ist kein abschreckendes Beispiel für grauenhafte Grammatik, sondern bezieht sich auf eine Email, die kürzlich unter Thailands Journalisten ihre Kreise machte. Darin wurde behauptet, dass Bernard Trink, seit fast 40 Jahren eine lokale Institution durch seine „Night Owl“-Nachtlebenkolumnen in der Bangkok Post, nun letztendlich doch den sprichwörtlichen Stiefel in den Hintern erhalten hätte. Das Redaktionsgremium befand, die literarischen Ansichten und Einsichten des Amerikaners würden nicht mehr in eine „Familienzeitung“ passen. Nun sind wir Journalisten ja nicht unbedingt Angehörige des Klubs der Leichtgläubigen und von vielerlei Agenturen klingelte es bei der Bangkok Post an. Leider war man dort nicht bereit, die Nachricht der Kettenemail zu bestätigen, ein gutes Indiz, dass Trinks Entlassung wohl der Wahrheit entspricht. Sogar dem Bürochef der Deutschen Presseagentur (dpa), die im Gebäude der Bangkok Post residiert, gelang es nicht, irgendeinen der leitenden Redakteure der Zeitung zum Reden zu bringen. „Ich habe nicht einmal Bernard Trink selbst an die Leitung bekommen,“ sagte John Hail und führte weiter fort, er könne sich gut vorstellen, dass man „die Redakteure und Trink zu Stillschweigen verpflichtet“ hätte. Offensichtlich ist es der Bangkok Post mit ihrer Entscheidung nicht wohl, denn Trink hat zu viele Fans. Zum Jahresende soll nun eine Ära zu stillschweigendem Ende kommen.
Die besagte Email enthielt gar eine Kopie von Trinks Abschiedsmitteilung, die aber, so hiess es, von der Zeitung verworfen wurde. Man wollte wahrscheinlich dem Ausbruch von Massenunruhen vorbeugen. Hier die deutsche Übersetzung:
»Ich habe meine Weihnachtssocke (eine angelsächsische Tradition; eine rote Socke wird am Kamin aufgehängt, damit sie der Weihnachtsmann mit Gaben füllt) das ganze Jahr über hängen, denn ich arbeite sowohl an Feiertagen als auch am Heiligen Abend. Auf diese Weise vergesse ich es nicht, sie aufzuhängen. Leider kam es als unwillkommene Überraschung, als ich in ihr einen Blauen Brief vorfand, in dem mir meine Kündigung zum 31. Dezember mitgeteilt wurde. Eine Entscheidung der Redaktion, hiess es.
Als Grund für die Kündigung wurde die kontroverse Natur meiner Kolumne genannt. Die Bangkok Post wäre eine Zeitung für die Familie und progressiv. Ein allwöchentlicher Artikel über die Umtriebe lokaler Prostituierter, speziell wenn als Raubtiere und nicht als Opfer bezeichnet, wäre nicht im Sinne der Zeitung.
Meine Ansicht, dass HIV nicht heterosexuell übertragen wird, dass eine AIDS-Pandemie nicht existiert und dass jegliche AIDS-Droge mit dem Wirkstoff AZT zum sicheren Tod führt, ist gegen die unbeugsame Weisheit der Weltgesundheitsorganisation. Bars, in denen Prostitution betrieben wird, verdienen es nicht in dieser hochwohlgeborenen Zeitung erwähnt zu werden.
Meine Kinofilmkritiken kommen ebenfalls zu einem Ende. Man bedeutete mir, es gäbe bessere Kritiker, die mehr Filme als ich selbst gesehen hätten, und die qualifizierter wären, dem Leser zu suggerieren, welchen Film er sich anschauen solle und welchen nicht.
Meine Buchkritiken werden vorerst fortgesetzt, wer weiss für wie lange. Die Bezahlung dafür macht mir nicht einmal meine Miete, doch es ist eine respektable Tätigkeit und immer noch besser als auf der Strasse zu betteln. Es bleibt zu sehen, ob ich dieses bescheidene Einkommen auf irgendwelche Art aufbessern kann.
Kann die Redaktion davon überzeugt werden, ihre Entscheidung rückgängig zu machen? Wenn Emails von Lesern, die meine Kolumne weiterhin lesen wollen diejenigen Emails von Lesern, die mich in den Ruhestand gehen sehen wollen, übersteigt, dann sehe ich eine Chance. Eine andere Möglichkeit sehe ich nicht. In der Zwischenzeit lasse ich meine Weihnachtssocke hängen. Vielleicht füllt sie St. Nikolaus ja doch mit einer angenehmen Überraschung.«
Trinks Kolumnen waren immer kontrovers. Mit seinen Mitteilungen über anstehende Parties in diversen Go-Go-Bars informierte er die Phalanx der Nachtlebenenthusiasten. Mit seinen Warnungen, sich nicht in Barmädchen zu verlieben, rüttelte er die Liebeskasper wach. Mit seiner Ansicht, dass der HIV-Virus nicht der Auslöser von AIDS ist, machte er sich Feinde. Mit seinen amüsanten Anekdoten aus den Zeiten eines lange vergangenen Bangkok sprach er die Nostalgiker und Langzeitresidenten an.
Wenn ihm der Stoff ausging, brachte er schon auch einmal einen lächerlichen Haushaltstip, wie zum Beispiel: „Wussten Sie, dass ein Dutzend Eier im Villa- Supermarkt (Sukhumvit Soi 33) zwei Baht günstiger sind als in Patpongs Foodland? Ein Besuch bei Villa sollte anstehen!“ Dass das Taxi von Patpong zur Sukhumvit Soi 33 etwa 60 Baht kostet, verschwieg er wohlweislich.
Zuweilen erteilte er schulmeisterliche Aufklärung: »Gemäss Lexikon ist Ephebiphobie die Angst vor Jugendlichen.« Wer hätte es gewusst?
Doch Trink wurde gelesen. Von wohlwollenden Fans, die Hintergrundinformationen über Bangkoks Rotlichtszene erhalten wollten. Von Feinden, die neues Material für Hasstiraden brauchten. Freitag war Trink-Tag. Das wird nun bald vorüber sein. Man kann dem über 70-jährigen, der bereits vor mehr als zehn Jahren in den Ruhestand trat und seitdem bei der Bangkok Post mit Minimalgehalt von ca. 20.000 Baht malochte, nur wünschen, dass er über die Runden kommen wird.
Dieser Wunsch muss trotz der Tatsache, dass er nicht unbedingt der liebenswerteste Zeitgenosse war, ausgesprochen werden. So mancher Nachtschichtjournalist in der Bangkok Post regte sich auf, wenn Trink sich an seinen Computer setzte, seinen Hosengürtel löste und seinen Reissverschluss öffnete, bevor er sich mit praktisch entblösster Unterwäsche ans Werk machte. „Ich fühle mich einfach freier so,“ erklärte er diese Marotte.
Er gewährte besuchenden Journalisten aus dem Ausland Interviews über Bangkoks Nachtleben, bezeichnte sie aber durchwegs als Ignoranten, die ihm, dem alten Kenner und Insider, niemals das Wasser reichen könnten. Überheblichkeit par excellence, die aber den Charakter seiner Kolumne mit bestimmte.
Traf man ihn auf der Strasse und grüsste ihn, so musste man froh sein, wenn er den Gruss überhaupt erwiderte. Ein Unikum von Mensch.
Vielleicht liegt es daran, dass sich Bernard Trinks Popularität ausserhalb seines Leserkreises niemals wirklich durchsetzte. Wer ihn oder seine Kolumne nicht direkt kannte, war seines fast ikonösen Status’ nicht bewusst.
Nicht anders ist es zu erklären, weshalb ich mir dereinst den Zorn einer leitenden Redakteurin der österreichischen Kronen-Zeitung zuzog. Als die Dame mir ihre Visitenkarte überreichte, brach ich in schallendes Gelächter aus. Ihr Name war Barbara Bernardette Trink. Völlig entgeistert warf die Redakteurin mir einen eiskalten Blick zu und wechselte den ganzen Abend über kein Wort mehr mit mir. Ich war in das sprichwörtliche Fettnäpfchen getreten.
Dennoch war Trink der Messias der Eingeweihten. In seinen Kolumnen kreierte er gar neues Vokabular, das mittlerweile aus dem Sprachgebrauch von Thailands Rotlichtmilieu nicht mehr wegzudenken ist.
Wer hätte nicht schon eimal von dem Kürzel »TIT« gehört. Es steht für „This Is Thailand“ und unterstreicht schlichtweg die oftmals bizarren Marotten und Verhaltensweisen unserer Gastgeber.
Ein weiteres geflügeltes Wort wurde »Nuff said« (Naff säd), gebraucht von Trink im Sinne von: »Mehr Erklärung ist überflüssig wie Vaters Kropf.« Der Ausdruck fand zum Beispiel Gebrauch in Rekommendationen wie: »Kommenden Samstag veranstaltet die Bottoms Up Bar in Nana Plaza ihren alljährlichen Go-Go-Tanzwettbewerb. Neben ansehnlichen Maiden hält das Etablissement auch ein freies Buffet bereit. Nuff said.«
Jede von Trinks Kolumnen endete in in dem legendären Satz: »But I don’t give a hoot.« Frei übersetzt bedeutete das in etwa: »Aber das entringt mir keinerlei Eulenschrei.« Konfus? Keineswegs, denn immerhin lautete der Titel seiner Kolumne »Night Owl«, die »Nachteule«.
Erhalten bleibt uns Bernard Trink in der Form einer Biografie unter dem selbigen Titel, »But I Don’t Give A Hoot«, geschrieben von der verstorbenen Autorin Jennifer Bliss und vertrieben durch die Bangkok Post. Man sollte sich das Buch allein aus Solidarität für Trink nicht zulegen, doch auf der anderen Seite erleuchtet es das Leben und Wirken des Meisters in solch lebendiger Weise, dass es in beinahe jeden Bücherschrank gehört. Zumindest unter den Jüngern der Rotlichtszene.
Falls der geneigte Leser der Meinung ist, dass das Unikum Trink auch zukünftigen Nachtschwärmern erhalten bleiben sollte, so mag er eine Email an den Chefredakteur der Bangkok Post senden. Die Adresse ist Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!. Nuff said.
Wem das zuviel ist, der möge in Erwägung ziehen, sich in Patpongs Foodland mit einer Sechserpackung der Toilettenpapiermarke »Sit & Smile« (Sitze und Lächle) einzudecken. Jene ist, gemäss Trink, dort nämlich drei Baht billiger als im Villa-Markt.