Von Martina Munz, Kantonsrätin - Im Klettgau soll möglicherweise ein Atommüll-Lager gebaut werden. Das Bundesamt für Energie (BfE) lädt zu einer Informationsveranstaltung. Die Veranstaltung ist mittelmässig besucht, zu Protesten kommt es nicht. Auf was lassen wir uns da ein? Wo bleibt unsere Wut?

Die Oberflächenanlage ist ein Hochsicherheitstrakt von der Dimension grösser als sieben Fussballfelder mit fünfstöckigen Gebäuden. Kilometerlange Tunnels werden ausgebrochen und ein unterirdisches Kavernensystem erstellt. Jahrelang wird Aushub weggekarrt. Der Klettgau verwandelt sich für viele Jahrzehnte in eine gigantische Grossbaustelle analog zur Gotthardbaustelle. Lüftungsschächte und vertikale Zugangsschächte in der Grösse einer Hektare werden in den Lauferberg geschnitten. Statt einer intakten Naturlandschaft wird der Klettgau über Jahre noch seine Narben pflegen müssen und werden ihm Grossindustrieanlagen ihren Stempel aufdrücken. In der Folge erwarten uns gefährliche Atomtransporte. Die jetzt für den Bau des Galgenbucktunnels erkennbare Grossbaustelle samt dem erwarteten Mehrverkehr werden uns später im Vergleich dazu nur als niedlicher kleiner Landschaftskratzer in Erinnerung gerufen.

Schaffhausen und der Klettgau haben in den letzten Jahren grosse Anstrengungen unternommen, um eine positive Entwicklung einzuleiten. Viel Geld wurde in die Wirtschaftsförderung und in das Wohnortmarketing gesteckt. Das Kleine Paradies und das Blauburgunderland werden intensiv beworben und es zeigen sich erste Früchte. Der Kanton investiert in die Zukunft unserer Region, eine S-Bahn soll den Klettgau nachhaltig erschliessen. Und jetzt das! Grossbaustelle statt Wohnidylle, Atommüll statt Blauburgunder, Katastrophentourismus statt Weinerlebnis! Eine Region mit Ideen und Utopien wird auf den Atommüll reduziert. Wir alle, die an einer nachhaltigen Entwicklung des Kantons arbeiten, sich für unsere Region einsetzen und unseren Kanton vorwärtsbringen wollen, wir alle sind vor den Kopf gestossen.

Herr Aebersold vom BfE versuchte an der Informationsveranstaltung vom letzten Mittwoch zu beschwichtigen. Es würden 150 Arbeitsplätze entstehen, ein Atommüll-Lager könne also durchaus auch als positive Entwicklungsperspektive angesehen werden. Habe ich mich verhört? Warum muss das BfE Entschädigungszahlungen anbieten für eine positive Entwicklung? Was für Arbeitsplätze sollen geschaffen werden und wer arbeitet letztlich über Jahre im Untertagbau? Ist das tatsächlich eine Entwicklung, die wir für unsere Region anstreben? Wir müssen uns nebst all den Atommüll-Geschichten auch mal bewusst werden, welche Nebenwirkungen damit verbunden sind.

In der Studie, die der Kanton 2010 in Auftrag gegeben hatte, ist zu lesen: Die positiven Effekte eines Tiefenlagers für radioaktive Abfälle sind befristeter Natur. Sie vermögen die entgangenen Zuwächse der Bevölkerung und Arbeitsplätze bei weitem nicht zu kompensieren. Bezogen auf die Steuererträge der juristischen und natürlichen Personen entgehen dem Kanton 3% bis 7% des Steuerertrages. Zusätzlich entgeht dem Kanton ein Arbeitsplatzwachstum von 1‘000 bis 2‘000 Vollzeitäquivalente.

Zurück zur Informationsveranstaltung. Die Zuhörerschaft fühlt sich machtlos. Fachleute präsentieren schöne Folien und gescheite Studien. Was können wir dagegen machen, irgendwer muss ja diesen Dreck wohl nehmen? Viele Sicherheitsfragen sind nicht geklärt und solange die Fachwelt keine übereinstimmenden Antworten darauf weiss, solange dürfen wir uns in unserem dicht besiedelten Gebiet nicht dieser Ungewissheit aussetzen. Nicht bei uns, nicht im Weinland und an keinem anderen Ort in der Schweiz! Es ist Zeit, die Strategie der Tiefenlager zu überdenken mit all ihren Unsicherheiten. Atommüll muss vierzig Jahre lang abkühlen bis man ihn einlagern kann. Wäre es nicht viel sinnvoller, die technischen Entwicklungen der kommenden Jahrzehnte für eine schrittweise, angepasste Entsorgung zu nutzen? Unsere Atomanlagen seien sicher, wird behauptet, gegen Bombenangriffe, Flugzeugabstürze, Überschwemmungen und Erdbeben. Warum also den Atommüll im Boden versenken, statt in den heutigen Atomanlagen sicher und kontrolliert zwischenzulagern? Der meiste Müll entsteht ohnehin beim Rückbau der AKW.

Die Chance für eine neue Strategie entsteht nur, wenn wir unsere Wut zeigen und uns für unsere Region einsetzen.

17.2.2012 Martina Munz, Kantonsrätin

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