Gastkommentar von Hansrudolf Schmid, HSZ Group

Laut ist der Gefechtslärm im Vorfeld der Abstimmung über die Volksinitiative «gegen die Abzockerei». Das Thema reizt in ausserordentlichem Masse, obwohl die Unterschiede zwischen Initiative und indirektem Gegenvorschlag relativ gering sind. Über das Grundärgernis herrscht allseitig Einigkeit: die Selbstbedienungsmentalität auf Führungsebene in Unternehmen mit schwachem Aktionariat. Gestritten wird um scheinbare Detailfragen, manche eher technischer Natur. Die Befürworter der Initiative wollen die Aktionäre über die Gesamtvergütung der Unternehmensführung entscheiden lassen. Die Gegner halten eine Konsultativabstimmung für ausreichend. Beidseitig deckt man sich mit dem Bürokratievorwurf ein. Auch betreffend Umsetzung wird geschossen. Jede Seite behauptet, ihre Vorlage greife schneller. Oberflächlich betrachtet ist nicht klar, was die Gemüter wirklich erhitzt. Neid und Volkszorn werden genannt. Diese Erklärung greift zu kurz und verrät zudem eine gefährliche Geringschätzung gegenüber dem Volk. Wichtigeres ist da verborgen. Es lohnt sich hinzuschauen.

Ausgehöhlte Marktwirtschaft

Die Weltfinanzkrise ist auch eine Führungskrise, insbesondere eine Führungskrise der USA. Der Fall der Berliner Mauer 1989 symbolisiert den Aufstieg der USA zur unangefochtenen Führungsmacht der Welt. Selbstbewusst wurde die freie Marktwirtschaft zelebriert, in der Folge auf die Spitze getrieben und letztlich ausgehöhlt. Wall Street hat diese Entwicklung ermöglicht, beschleunigt und ungleich stärker von ihr profitiert als andere Wirtschaftszweige. Ihre Errungenschaften strahlten aus, schafften Begehrlichkeiten rund um die Welt. Man ahmte nach und adaptierte, was jenseits des Atlantiks so gut lief. Auch Veranstaltungen wie das Davoser World Economic Forum (WEF) sorgten für internationale Verbreitung und wenig reflektierte Akzeptanz neuer Gepflogenheiten. Zum Leidwesen fast aller haben die USA gemessen an ihren eigenen Zielen Schiffbruch erlitten. Die Finanzindustrie mutierte vom Schmiermittel der Realwirtschaft zu deren Klumpfuss. Sie hat sich so weit aufgeblasen, dass sie aufgrund ihrer Grösse sowohl Regierung, Zentralbank, Wissenschaft und Lehre und auch die Medien in Geiselhaft halten kann. Die «Savings and Loan»-Krise der achtziger Jahre endete für Hunderte von Akteuren im Gefängnis. Das ungleich grössere Debakel von 2008 blieb ohne namhafte Konsequenzen für die Verantwortlichen. Im Gegenteil, sie haben ihre Positionen teilweise ausgebaut. Auch Präsident Obama kuscht vor dem Geldkartell. Amerika ist von seinem Weg abgekommen. Seit ein paar Jahren tendieren Einkommens- und Vermögensverteilung in die falsche Richtung. Der Zugang junger Menschen zu guter Ausbildung hat wieder mehr als auch schon mit der Situierung der eigenen Eltern zu tun. Das Fed macht mit. Seine Geldschöpfung kehrt kurzfristig viel Unrat unter den Teppich, wird aber längerfristig die Mittelklasse weiter schwächen. Eines moralischen Kompasses beraubt, verwildert vieles auch anderswo. Manager hier nehmen, solange es noch hat. Und in anderen, weniger entwickelten Weltgegenden grassiert offene Korruption. Wenn noch vor zwanzig Jahren vom Mister 5 Prozent die Rede war, dann scheint der Tarif in vielen Schwellenländern inzwischen eher 20 oder 30 Prozent zu sein.

Der Niedergang der USA war und ist nicht prognostizierbar, doch waren die Risiken der Masslosigkeit und geldgestützten Einflussnahme seit langem leicht zu erkennen. Dessen ungeachtet betreibt unsere Wirtschaftselite noch immer unreflektierten Gesinnungsimport. Mit lapidarem Verweis auf einen fiktiven Markt hat sich Herr Vasella Hunderte von Millionen zugeschanzt. «Zu marktüblichen Bedingungen» werde er auch in Zukunft als Ehrenpräsident von Novartis versorgt. Angemessenheit wird nicht einmal behauptet. Auch das WEF und die dort versammelte Weltelite haben über all die Jahre wenig Weitsicht bewiesen. Geballte Intelligenz und Erfahrung sollten mehr hergeben. Es drängt sich der Verdacht auf, dass diese Kreise sich selber im Wege stehen. Vorausschauendes Denken stellen sie ein, wo die eigenen persönlichen Interessen tangiert werden. Fortschrittlich erscheinen ist attraktiv, jedoch nur in engen Grenzen. Klaus Schwab beherrscht diese Kunst in Vollendung. Allzu klarsichtige Beurteilung des Status quo goutiert seine Klientel nicht. Eigen- und Artenschutz machen taub und blind. Verteidigung der eigenen Pfründe geht erkenntnisgemässem Handeln vor. Die Bonuselite ist nicht mehr Teil der Lösung, sondern das Problem.

Weltweites Signal

Dies ist der Nerv, welcher Herr Minder mit seiner Initiative getroffen hat. Das Schweizervolk will freie Marktwirtschaft. Es will sie nicht denen überlassen, welche sie selbstherrlich zerstören. Entlarvend ist die Reaktion der Bonuselite. Sie denkt sich nichts, weder bei der Finanzierung des Abstimmungskampfes über die Economiesuisse noch beim Netzwerkpflegen in Davos. Bezahlt werden ihre Privatvergnügen eh von anderen. Unter anderem wegen der Höhe ihrer Bezüge ist ihr Leistungsausweis ungenügend. Ihr Blick ist enger, als er sein sollte im Lichte der Herausforderungen, die auf uns zukommen. Ein Appell an die Moral der Akteure reicht nicht, die im Gegenvorschlag vorgesehene Konsultativabstimmung auch nicht – allein die Initiative bringt es auf den Punkt: Es muss an den Eigentümern sein, den Lohn ihrer Chefangestellten zu bestimmen.

Ein Ja zur Initiative ist ein basisdemokratisches Signal. Es postuliert das Ende der inneren Zersetzung der freien Marktwirtschaft. Ins Abseits manövriert sich die Schweiz damit nicht. Im Gegenteil, das Signal wird weltweit ausstrahlen, mit Sicherheit stärker als das selbstbezogene eitle Geplauder, welches uns das WEF einmal mehr beschert hat.

Hansrudolf Schmid ist Vorstandsmitglied des Abstimmungskomitees superbonus2013.ch und Gründer der HSZ Group, einer auf China spezialisierten Investmentgesellschaft. Er lebt in Hongkong.


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