Eine Wirtschaft zum Nutzen aller?

Der Genfer Bio-Winzer Willy Cretegny hat die Auswirkun­gen der Globalisierung hautnah erfahren und eine Initiative lanciert, die die Schweizer Wirtschaft vor Lohn-, Preis- und Umweltdumping schützen will.  (Bild: zvg)

Der Genfer Bio-Winzer Willy Cretegny hat die Aus-
wirkun­gen der Globalisierung hautnah erfahren und
eine Initiative lanciert, die die Schweizer Wirtschaft
vor Lohn-, Preis- und Umweltdumping schützen will.
(Bild: zvg)

Die Wirtschaft soll allen nützen, nicht nur den Multis. Dieser an sich naheliegende Grundsatz braucht eine Verfassungsänderung. Ein paar Winzer aus dem Kanton Genf haben es gewagt und eine Initiative lanciert.   

Seit der Gründung der WTO am 1. Januar 1995 erobern sich globalisierte Unternehmen immer mehr Wirtschaftszweige. Die Grossen werden grösser, die Kleinen verschwinden und die Armen werden ärmer – wir kennen es zur Genüge. Aber muss das so sein?

Nein, findet ein ein kleiner Kreis von direkt-demokratisch gesinnten Menschen um den Genfer Bio-Winzer Willy Cretegny. Sie ergriffen 2009 das Referendum gegen das so genannte Cassis-de-Dijon-Prinzip, nach dem ein in der EU zugelassenes Produkt auch in der Schweiz ohne Einschränkung verkauft werden darf. Nach dem knappen Scheitern des Referendums beschloss die Gruppe, ihr Unbehagen gegenüber der grenzenlos globalisierten Wirtschaft grundsätzlicher anzugehen.

Bund und Kantone forcieren seit Anfang der 90er Jahre den Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit: Dabei unterlassen sie es wohl mit Absicht, den Begriff der Wirtschaftsfreiheit genauer zu definieren. Diese Freiheit meint vor allem das Recht, irgendwo unter irgendwelchen Bedingungen hergestellte Produkte überall verkaufen zu können, nicht aber das Recht, die eigenen, höheren Sozial- und Umweltstandards der Produktion gegen solche Konkurrenz zu schützen.

Die globale Wirtschaft zerstört die lokale

Seit 1995 hatte der Bundesrat der WTO in Musterschülerart angeboten, die Einfuhrzölle und Mengenbeschränkungen z.B. bei Weinen und Käse zu ändern und schrittweise zu liberalisieren. Bis in die 80er Jahre funktionierte der Weinbau ausgezeichnet. Die Weinbauern konnten ihren Wein zu Preisen verkaufen, welche die Existenz sicherten und Investitionen ermöglichten. Nicht nur die Qualität, auch die Nachhaltigkeit entwickelte sich rasch: Zur integrierten Produktion mit begrenztem Einsatz von Pestiziden kamen bald auch die ersten Bio-Weinbaugebiete. Neue Sorten wurden angepflanzt und viel in die sorgfältige Kelterung investiert.

Mit den WTO-Liberalisierungen wurden die Weinbauern einem ständig steigenden Preiswettbewerb ausgesetzt und gleichzeitig über entsprechende Produktionsvorschriften gezwungen, die Umwelt zu schützen. Die Kombination aus Billigimporten und hohen ökologischen Auflagen wirkte zerstörerisch, eine anderen Wirtschaftsbereichen ebenfalls bekannte Problematik.

Um diesen selbstzerstörerischen Prozess aufzuhalten bedarf es einer Änderung des Artikels 94 der Bundesverfassung «Bund und Kantone halten sich an den Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit». Es geht den Genfer Winzern nicht um die eigene Zunft, auch nicht nur um Landwirtschaft. Sie vertieften sich in die politischen Grundsatzfragen und schlagen nun mit der Neufassung von Artikel 94 einen wirtschaftspolitischen Umschwung vor: «Bund und Kantone setzen sich ein für eine Wirtschaftsordnung, die Rücksicht nimmt auf die Umwelt und auf die lokalen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen.»

Damit stehen sich zwei konträre Wirtschaftssysteme gegenüber: Eine Wirtschaft zum Nutzen aller oder eine für den Profit von wenigen. Philipp Roch, ehemaliger Direktor des Bundesamtes für Umwelt, Wald und Landschaft, bringt dies in der lesenswerten Begleitbroschüre zur Initiative auf den Punkt: «Eine offene Welt, in der die Menschen ihr Wissen, ihre Kultur und ihre Erzeugnisse austauschen können, bietet die Möglichkeit der Entfaltung und der gegenseitigen Bereicherung. Ein ungezügelter Freihandel hingegen, der eine einheitliche Weltgesellschaft heranzüchtet, deren Menschen Wirtschaftskrieg führen, um mit aller Macht ein Wachstum zu erzielen, das den Planeten zerstört, hat kein Interesse daran, zerstört die Zivilisation und verdammt die Menschheit zum Niedergang.»

Wir haben das Recht, aber wir müssen es nutzen

Täglich stehen wir vor den Auswirkungen einer Politik, die weltweit im Dienste des Geldes steht: Die Globalisierung zerstört die lokale Wirtschaft und löst soziale Netze auf. Wir kennen die Folgen: Verlagerung der Produktion ins Ausland, De-Industrialisierung, Arbeitslosigkeit und Lohndumping, Verlust von Souveränität. Dafür haben wir die Konsumfreiheit zwischen einer Tomate, die von Arbeitssklaven gezüchtet wird und solchen, die unseren sozialen und ökologischen Richtlinien entspricht.

Das Initiativkomitee hat Mut: Die Bürger der Schweiz haben demokratische Rechte. Sie können sich direkt in die Politik, auch die Wirtschaftspolitik, einschalten und sogar ein grosses Thema wie die Globalisierung zur Abstimmung bringen. Die Bürgerinnen und Bürger anderer Länder müssen dagegen auf die Strasse gehen.

Der schweizerische Entwurf könnte durchaus auch ein Modell für andere Länder sein, z.B. in  Afrika, wo subventionierte Poulets aus der EU zu Billigstpreisen importiert werden müssen, so dass die heimische Produktion zu Grunde geht. Bei uns vernachlässigen wir die einheimische Produktion, zerstören wertvolle Arbeitsplätze, weil weit entfernt billiger produziert wird. Dafür ersticken wir im Verkehr und verlieren die regional-lokalen Beziehungsnetze.

Wir mögen noch einige Zeit den Kopf in den Sand stecken, in der lähmenden Meinung, dass ein Einzelner nichts ausrichten kann. Aber als Bürger können wir die Weichen unserer Volkswirtschaft stellen, im Sinne von Fairness, Ausgewogenheit und Nachhaltigkeit. Natürlich fallen damit Privilegien. Aber zu Gunsten einer Allgemeinheit, an der jeder teilhat, die alle einschliesst.

Roland Güttinger, pens. Primar- und Sonderklassenlehrer und Schulleiter aus Dussnang, engagiert in der Friedensarbeit, z.B. gegen DU-Munition (depleted uranium). Kontakt: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Weitere Informationen über die Volksinitiative (Abgabe der beglaubigten Unterschriften in Bern am 1. Mai 2013) und den Unterschriftenbogen finden Sie unter:

www.wirtschaft-zum-nutzen-aller.ch

www.economie-utile-a-tous.ch

Download Unterschriftenbogen (pdf) hier

Kontakt Romandie: Willy Cretegny, La Vrille, Case postale 171, 
1242 Satigny

Kontakt Deutschschweiz: Claudia Meier, Krugelhof, 6208 Oberkirch, Tel. 041 921 96 50, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Zur Unterstützung der Initiative hat sich ein deutschschweizer Komitee gebildet:

Reinhard Koradi, Präsident der «Vereinigung selbstbewusste freie Schweiz»: Sprecher

Irene Herzog-Feusi, Präsidentin Bürgerforum, Freienbach SZ

Claudia Meier, Bäuerin & Kindergärtnerin, 6208 Oberkirch

Christoph Pfluger, Verleger Zeitpunkt, Solothurn SO

Ivo Muri, Unternehmer, Zeitforscher, Sursee LU

Jean-Paul Vuilleumier, Berufsschullehrer, Guntershausen TG

Ueli Meister, Primarlehrer, Menziken AG

Thomas Brändle, Schriftsteller, Unterägeri LU

Joseph Zisyadis, Theologe, alt Nationalrat, Lausanne VD

Willy Cretegny, Mitglied Initiativkomitee, Satigny, GE

 

Am 7. und 14. Februar finden in Winterthur und Pfäffikon/SZ zwei Informationsveranstaltungen zur Initiative statt. Weitere Infos.