Die Türen haben sich geschlossen, das Westfields-Marriott-Hotel ist von einem Sperrbereich umgeben und rundum abgeriegelt. Derweil nimmt das Bilderberger-Treffen in den Räumlichkeiten der US-Herberge bei Washington seinen Verlauf. Mit von der Partie auch der österreichische Kanzler Werner Faymann. Es ist nicht seine erste Teilnahme an der geheimen Tagung, doch dieses Mal zeigen sich die österreichischen Medien am Reisegrund ihres Kanzlers besonders interessiert.
Am Donnerstag, 31. Mai 2012, stieg Werner Faymann in die Maschine nach Washington. Kein Allerwelts-Termin, den er dort wahrnimmt. Die Österreicher registrieren derzeit genauer als zuvor, wo ihr Kanzler nun zu Gast ist. Österreichische Medien berichten in auffallendem Umfang über dessen Teilnahme am Treffen der Bilderberg-Gruppe, die seit dem Jahr 2002 nunmehr zum dritten Male Chantilly bei Washington als Konferenzort auserkoren hat.
Fast scheint im Blätterwald so etwas wie »Verschwörungsstimmung« ausgebrochen zu sein – denn wer berichtet denn sonst schon über die dubiosen Bilderberger? Und, ganz ernsthaft: Was hätten wir überhaupt zu jenen jährlichen Konferenzen erfahren können, wären nicht alternative Medien beharrlich auf den Spuren der Machtelite geblieben! Nur durch diesen permanenten Druck dringt das Thema langsam auch ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit. Wer bisher glaubte, jene mysteriösen Versammlungen seien ins Reich der Fiktion zu verweisen, wird eines Besseren belehrt. Doch der Nachholbedarf ist weiterhin groß. Denn auch jetzt hängt keines der einschlägigen »Qualitätsmedien« die Bilderberg-Konferenzen wirklich an die große Glocke. Immerhin aber muss nun selbst der Mainstream bedingt auf Bilderberg eingehen, wenn auch häufig mit dem altbekannten, pseudoamüsierten Unterton diverse »Verschwörungstheorien« betreffend – doch das gehört einfach zum festgefügten Schema. Man muss eben die Distanz wahren und sich vor allem weiterhin klar dem Mainstream verpflichtet zeigen.
Bild: Hannah Skelton / TheIntelHub
Stellv. Chinesische Aussenministerin Fu Ying -
Bild: Hannah Skelton / TheIntelHub
Nun berichten ORF, Der Standard (!), Die Presse, oe24 oder das Wirtschaftsblatt sowie zahlreiche andere Organe über Faymanns ganz besonderen Ausflug nach Washington. Der Pressesprecher des Kanzlers betonte allerdings, Faymann nehme nicht als Regierungs- oder Parteichef an Bilderberg teil, sondern »als Privatperson«. Was soll das bedeuten? Will sich der österreichische Kanzler davon distanzieren, ein »echter« Bilderberger zu sein? Die gesamte Konferenz wird als private Zusammenkunft charakterisiert, als ein zwangloser Austausch. Einen anderen Status nimmt auch Faymann nicht ein. In der stets fast gleichlautenden, sehr oberflächlichen offiziellen Presseerklärung zu den Bilderberg-Tagungen heißt es nicht umsonst, die private Atmosphäre dort habe keinen anderen Zweck, als den Teilnehmern zu erlauben, ihre Ansichten offen und frei zu äußern. Die anwesende Presse ist strikt eingeschworen, von ihr ist nichts zu befürchten.
Was aber ist privater als privat? Faymann befindet sich völlig regulär auf der endgültigen Teilnehmerliste, wie sie jetzt von Bilderberg herausgegeben wurde. Hier wird er genau wie alle anderen »privaten« Teilnehmer aufgeführt.
In einem Schreiben an die Präsidentin des Nationalrats erklärte Faymann bereits am 17. Juli 2009 anlässlich seiner damaligen Bilderberg-Teilnahme und einer diesbezüglichen parlamentarischen Anfrage: »Ich weise darauf hin, dass ich an diesem Treffen nicht [in] meiner Funktion als Bundeskanzler der Republik Österreich teilgenommen habe, weshalb die in der gegenständlichen Anfrage gestellten Fragen auch nicht Gegenstand der Vollziehung des Bundeskanzleramtes bilden.« Auf den inoffiziellen Charakter des Treffens kann sich allerdings jeder Teilnehmer berufen – was auch ein gutes Gewissen hinsichtlich der Kosten suggeriert. So stellte Faymann im gleichen Schreiben fest: »Meine Reisekosten wurden nicht aus dem Budget des Bundeskanzleramts getragen.« Bemerkenswert auch die Antwort zu den abschließenden Fragen, ob der Kanzler etwas von Verhaftungen von Journalisten sowie Beschlagnahmungen von Filmen gewusst habe und wie er zu solchen Aktionen stehe. Faymann führte damals aus: »Ich habe weder von Verhaftungen von Journalisten noch von Beschlagnahmungen von Filmen gewusst. Ohne in der Lage zu sein, zu einem Sachverhalt Stellung zu nehmen, den ich im Detail nicht kenne, möchte ich doch mit Deutlichkeit festhalten, dass ich in jedem Zusammenhang dafür eintrete, das Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung zu wahren und zu respektieren und dass ich es auch für eine staatliche Verpflichtung halte, alle Vorkehrungen zu treffen, die die Ausübung dieses Rechts und insbesondere die Berichterstattung der Medien sicherstellen und gewährleisten.« Ob Bilderberg die richtige Adresse hierfür ist? Zur Frage, wie Faymann zu den Bilderberg-Treffen stehe, verwies er auf seine allgemeinen Eingangsbemerkungen zur gegenständlichen Anfragebeantwortung. Diese wenigen Sätze entsprechen den Floskeln der üblichen offiziellen Pressemeldungen zu Bilderberg. So erklärte der österreichische Kanzler: »Diese – privat organisierten – Zusammenkünfte dienen dem Meinungsaustausch über aktuelle politische und wirtschaftliche Fragestellungen, die auch für die Zukunft Österreichs von Bedeutung sind.« Kaum erschöpfender fiel auch die Reaktion auf Anfragen zur Teilnahme 2011 aus.
Was Faymann eigentlich bei Bilderberg »verloren hat«, will nun für 2012 die FPÖ wissen und hierzu erneut eine parlamentarische Anfrage einbringen. FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky äußerte die Vermutung, der österreichische Kanzler sei zur »Befehlsausgabe der internationalen Finanzszene« geladen worden, so berichtete am Donnerstag Die Presse.
Faymann trifft auf einige wenige Landsleute im Westfields Marriott, das nunmehr für die kommenden Tage zum Sperrgebiet für die Öffentlichkeit erklärt wurde. Während seine Vorgänger Franz Vranitzky und Alfred Gusenbauer bei früheren Treffen anwesend waren, so wie auch der einstige österreichische Außenminister Peter Jankowitsch und der ehemalige Finanzminister Hannes Androsch, gesellen sich jetzt zur aktuellen Konferenz die bereits mehrfach geladenen Gäste Oscar Bronner (Der Standard) und Rudolf Scholten (Österreichische Kontrollbank). Ein weiterer österreichischer Teilnehmer ist Willibald Cernko (UniCredit Bank Austria).
Aus Deutschland sind diesmal mit von der Partie: Josef Ackermann (Deutsche Bank), Thomas Enders (Airbus), Wolfgang Ischinger (Allianz), Roland Koch (Bilfinger Berger), Peter Löscher (Siemens), Matthias Naß (ZEIT), Wolfgang Reitzle (Linde) und nicht zuletzt Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen).
Insgesamt nehmen am aktuellen Bilderbergertreffen etwa 145 Persönlichkeiten teil. »Urgestein« David Rockefeller ist diesmal nicht gelistet.