Sessionsbericht von SP Nationalrätin Martina Munz

Das Thema „Lobbyismus“ hallte zu Beginn der Session lange nach im Bundeshaus. Geschickt lenkte das Markwalder-Skandälchen vom tatsächlichen Problem ab. Nämlich, dass einige unter uns Rätinnen und Räte als Lobbyist in wenigen Verwaltungsratssitzungen weit mehr verdienen als mit dem Nationalratsmandat. Die vielen Krankenkassen als Beispiel generieren auf dieser Etage gut bezahlte Jobs. Auch die Pharmalobby kennt lukrative Pöstchen für bürgerliche ParlamentarierInnen. Und das Ergebnis? Die Gesundheitsreform dreht sich im Kreis; die Spitalfinanzierung sorgt für reichlich Geldfluss der Kantone an die Privatspitäler; das Kartellgesetz wurde trotz Gejammer über die Hochpreisinsel Schweiz gebodigt; das Gesetz zur Beschlagnahmung von Potentatengeldern wurde zahnlos. Die Liste ist lang. Wer wem den Zugang zur Wandelhalle ermöglicht ist bekannt. Welche Interessen diese Badge-InhaberInnen vertreten hingegen nicht immer, erst recht wenn professionelle Lobby-Firmen dahinter stecken. Meine zwei Badges dienen keiner finanzkräftigen Klientel, sondern Personen mit gesellschaftlichen Anliegen: Der Präsidentin der Kleinbauernvereinigung und einem Vertreter der Flüchtlingshilfe.

Eigeninteresse der Ärzteschaft vor PatientInnen-Wohl

Die Vorlage über das elektronische Patientendossier stand kurz vor dem Abschluss. Ein einziger Streitpunkt erhitzte die Gemüter. Die Spitäler sollten das e-Dossier innerhalb von drei Jahren einführen. In 10 Jahren sollte es Standard in allen Arztpraxen sein – eine lange Übergangszeit. Die Ärzteschaft sah das nicht so, sie drohte mit dem Referendum. Der Nationalrat wollte die Vorlage retten und verzichtete auf Zeitvorgaben zur Einführung des e-Dossiers für ambulante Einrichtungen bzw. Arztpraxen. Das Risiko für ein Nein zum wichtigen e-Dossier im Rahmen einer Volksabstimmung, und als Folge davon ein Wildwuchs von nicht kompatiblen Patientendossiers mit Nachteilen für die Betroffenen, war zu gross. Die Ärzteschaft hat mächtig Muskeln gezeigt. Der Nationalrat setzte sich dieses Mal klar für das Wohl der Patientinnen und Patienten ein. Nicht so die Ärzteschaft. Bleibt zu hoffen, dass mit der Einführung der e-Dossiers in den Spitälern die Standards bald auch in den Arztpraxen übernommen werden.

Drohnen, getestet im Gaza-Krieg

Trotz Sparprogrammen wird im VBS weiter aufgerüstet. Auf der Einkaufsliste stehen sechs Drohnen für 250 Millionen Franken. Ein Hightech-Luxus, kaum geeignet für unseren kleinen Luftraum. Unverdaulich für mich ist die Zusammenarbeit mit der israelischen Rüstungsforma Elbit. Die Drohne trägt seit dem letzten Gazakrieg das blutige Label „An lebenden Menschen getestet“. Unsere kritische Haltung gegenüber dieser unsinnigen Anschaffung wurde von rechts mit einem Orangen-Vergleich – „Dann dürfen Sie auch keine Jaffa-Orangen mehr essen“ – unglaublich verharmlost. Uns Gegnern wurde sogar eine israelfeindliche Haltung mit „Man kauft nicht beim Juden“ vorgeworfen. Die politische Tragweite dieser Geschäfte wird definitiv verkannt. Die Besatzung der palästinensischen Gebiete ist völkerrechtswidrig. Israel gehört zu den Ländern im Kriegszustand, die für den Export von Rüstungsgütern gesperrt sind. Erschreckend ist, dass solche Rüstungsgeschäfte trotz Sparvorlagen des Bundes problemlos Mehrheiten finden.

Schacherseppeli macht linke Politik

Ein gutes Netzwerk aufbauen heisst auch über Parteigrenzen hinweg lockere Kontakte zu knüpfen. Eine solche Gelegenheit bietet das parlamentarische Singgrüppli – ein witziggemütlicher Anlass. Kürzlich griffen da ein hartgesottener SVPler sowie linke Pianisten als begabte Improvisionisten abwechslungsweise in die Klaviertasten. PolitikerInnen aller Couleur stimmten gleichzeitig laut und klangvoll ein zum Gesang. Fast wie in der Politik, nur viel schöner! Mit voller Kehle sangen alle die dritte Strophe des „Schacherseppeli“- „Sisch mängä hüt ä richä Maa, doch äbe, wies cha gha, er stirbt und moiss sis liebe Gäld da andrä Liitä la“ - bei der sich die linken Stimmen plötzlich in Gelächter verwandelten. Verdutzt sahen uns die anderen an. Sie hatten nicht bemerkt, wie ihnen der Schacher Seppeli die ehrlichste Abstimmungsparole zur Erbschaftssteuer in den Mund gelegt hatte!

Kuscheljustiz für Potentaten

Gestützt auf Notrecht hat die Schweiz innerhalb von 15 Jahren 1,8 Milliarden Franken Potentatengelder beschlagnahmt, um sie gelegentlich den ausgebeuteten Völkern zurückzugeben. Erstmals vom philippinischen Diktator Marcos, später aus Ländern wie Kongo-Kinshasa, Haiti, Ägypten, Tunesien, Côte d‘Ivoire, Libyen oder Ukraine. Die Schweiz handelte mustergültig. Nichts lag näher, als die Praxis des Notrechts in ordentliches Recht zu überführen. Stattdessen hat das Parlament das entsprechende Gesetz mit der Einführung einer kurzen Verjährungsfrist zur Lachnummer für korrupte Staatsoberhäupter degradiert, denn die Verfahren bei schweren Verbrechen von Diktatoren dauern meist sehr lange. Die SVP, sonst lautstark gegen Kuscheljustiz und für die Unverjährbarkeit gewisser Straftaten, will jetzt sogar Massenmörder schonen und sie laufen lassen. Auch die FDP spielte eine traurige Rolle. Mit Potentaten lässt sich anscheinend eine goldene Nasen verdienen. Offenbar sitzen auch Lobbyisten im Nationalratssaal, die gutes Geld mit korrupten Machthabern verdienen. Ihr Anwaltsverband hat jedenfalls erfolgreich lobbyiert.

Die kleine Maus Frederick als Kulturbotschafter

Bundesrat Alain Berset ist ein genialer Wurf gelungen. Erstmals ist ein in sich stimmiges Werk zur Kulturpolitik entstanden. Trotz grosser Skepsis hatten auch bürgerliche Hardcore-Sparpolitiker keine Chance, diese kohärente Kulturbotschaft zu knacken. Fröhliches Gelächter, als der SP Kommissionspräsident einem Sparapostel das Bilderbuch Frederick schenkte. Die kleine Maus Frederick sammelt nämlich statt Vorräte lieber Worte und Fabeln. Diese füllen im Winter nicht die Bäuche, dafür aber die Herzen. Die Schaffhauser Ständeräte mochten nicht in dieses harmonische Bild passen. Hannes Germann stellte einen einschneidenden Sparantrag. Thomas Minder doppelte nach, man müsse endlich den Fuss vom Kulturförderpedal nehmen. Ob ihnen die Bedeutung der Kultur für Schaffhausen wohl entgangen ist? Dann müsste ihnen wenigstens das Schild “Kulturstadt Schaffhausen“ am Strassenrand der J15 aufgefallen sein. Schaffhausen mit seiner farbigen Kulturszene ist ein guter Nährboden für kulturelles Schaffen. Aber aufgepasst: die Hallen für Neue Kunst sind nicht mehr, das Kulturerbe in Form der Archäologie liegt auf dem Opferstock. Anderes könnte folgen. Wer den Wert der Kultur zerstört, vernichtet auch die Identität des Landes. Beweis dafür ist die Zerstörung von Kulturstätten im Nahen Osten.

Unheilige Allianz versenkt Armeereform

Die Weiterentwicklung der Armee ist ein Reformprojekt, das in die richtige Richtung geht: die Armee wird kleiner, flexibler und kann besser auf sicherheitspolitische Herausforderungen reagieren. Die SVP hatte in der Debatte vergeblich einen Armeebestand von 140‘000 Mann verlangt und die SP von 80‘000. Ein weiterer Streitpunkt waren die Finanzen. Die SP trat für einen Zahlungsrahmen von maximal 4,4 Milliarden Franken ein und scheiterte auch damit. Dass die Linke unter diesen Voraussetzungen die Armeereform ablehnen wird, war voraussehbar. Die SVP wollte gar noch ein finanzpolitisches Novum durchsetzen: Das jährliche Militärbudget sollte per Gesetz bei „mindestens fünf Milliarden Franken“ zementiert werden. Nachdem diese Forderung Schiffbruch erlitt, schickte die SVP ihren Bundesrat samt der Armeereform in die Wüste, zum grossen Erstaunen von links bis weit in die Mitte. Der Tumult im Ratssaal war entsprechend gross. Schützenhilfe kommt manchmal aus einer unerwarteten Ecke!

Wahlherbst 2015: Jede Stimme zählt!

Der letzte Abend der Session lieferte einmal mehr den Beweis: Jede Stimme zählt! Der Nationalrat hat nur mit Stichentscheid des SP-Nationalratspräsidenten Stéphane Rossini Eintreten zum Gegenvorschlag zur Initiative “Grüne Wirtschaft” beschlossen. Ziel dieser Initiative ist es, den Ressourcen- und Energieverbrauch zu senken. Für uns ist entscheidend, dass wir bei den kommenden Parlamentswahlen im Herbst 2015 alle Sitze verteidigen und neue dazu gewinnen können, damit auch das neue Parlament die Energiewende unterstützen und ihr zum Durchbruch verhelfen kann.

Hallau, 21. Juni 2015, Martina Munz, Nationalrätin / www.martinamunz.ch