Sessionsbericht von Nationalrätin Martina Munz
Es ist mein neunter Sessionsbericht. Ich würde mich sehr freuen, im Dezember auch mit Nummer 10 aus Bern berichten zu können. Dazu ist es nötig, dass bis zum 18. Oktober alle, die meine politische Arbeit zu schätzen wissen, tatsächlich auch wählen. Jede Stimme zählt! Durch die Listenverbindung der Bürgerlichen ist mein Sitz leider äussert gefährdet. Ich werde im Nationalrat weiterhin engagiert für eine offene, ökologische und soziale Schweiz einstehen und auch uns Frauen in Bern gut vertreten. Eure Stimme macht es erst möglich. Herzlichen Dank für die bisherige, grossartige Unterstützung!
Asylpolitik: fair, schnell, menschlich
Die erste Sessionswoche wurde durch die Asyldebatte geprägt. Im Zuge der schrecklichen Meldungen über erstickte Flüchtlinge und der herzzerreissenden Bilder in den Medien mässigten auch die Hardliner ihre Wortwahl, aber keineswegs die Absichten. Erstmals stand eine Asylgesetzrevision zur Diskussion, die keine Verschärfungen forderte. Vielmehr ging es um Beschleunigung der Verfahren und mehr Fairness dank unentgeltlichem Rechtsbeistand. Simonetta Sommaruga hat damit das Asylchaos ihres Vorgängers Blocher aufgeräumt. In der 10-stündigen Asyldebatte stand die SVP völlig isoliert da. Zu guter Letzt verlangte diese Partei auch noch die Streichung der Nothilfe für abgewiesene Asylbewerber. Sommaruga konterte kurz und bündig: „Das ist verfassungswidrig. In unserem Land lässt man niemanden verdursten und verhungern.“ Dann folgte gar noch ein SVP-Antrag auf ein Asylmoratorium. Nicht auszudenken was für ein Chaos daraus entstanden wäre. „Brand“-Stifter wurde zu einem äusserst bezeichnenden Begriff für SVP-Sprecher Brand. Unsere Bundesrätin liess sich nicht von ihrer klaren Linie abbringen: „Wer sich so verhält, verletzt die Würde von uns allen.“
Stahlhelmfraktion bekämpft Zivis an Schulen
Erste Erfahrungen mit Zivis an Schulen waren durchwegs positiv. Auch der Schaffhauser Erziehungsdirektor Amsler sprach sich im Vorfeld für den Zivildienst an Schulen aus. Im Parlament stemmten sich erstaunlich viele Bürgerliche dagegen. Sie erklärten ihre Opposition damit, dass Lehrpersonen ihre Verantwortung nicht abschieben sollten und zusätzliche Personen im Schulzimmer nur zu mehr Chaos führten. Im gleichen Atemzug lobten sie aber das Projekt „SeniorInnen im Schulzimmer“, als Segen für die Schule. Wo liegt der Unterschied? Der wahre Grund ist ihre Angst, der Zivildienst werde zu attraktiv und dies obwohl er anderthalb Mal so lange dauert wie der Militärdienst. Der Rat sprach sich dann knapp für den Einsatz von Zivildienstleistenden an den Schulen aus. Als Nebeneffekt wäre wünschenswert, dass wieder mehr junge Männer den Lehrerberuf ergreifen würden. Auch bei den Gesundheitsberufen gibt es wieder mehr Pfleger, weil die jungen Männer via Zivildienst vermehrt mit den Gesundheitsberufen in Kontakt kommen.
Witwen als „elektorales Risiko“
Economiesuisse hatte zu einer Podiumsdiskussion betreffend die Altersreform eingeladen. ParlamentarierInnen und Verbandsoberhäupter waren unter sich. Die illustre Runde von vier Männern auf dem Podium machte mich stutzig, ob das Alter wohl männlich sei. Ständerätin Christine Egerszegi wurde am Referententisch platziert, durfte aber erstaunlicherweise nicht am Podium teilnehmen, obschon gerade sie den Kompromiss bei der Altersreform geprägt hatte. „Witwen sind heilige Kühe“, schnödete Ständerat Gutzwiller in einem Ton, der kaum für die Ohren seiner WählerInnen bestimmt war und weiter: „die Abschaffung der Witwenrenten ist ein elektorales Risiko!“ Man lasse sich diesen Ausdruck mal ganz langsam auf der Zunge zergehen. Wie ticken solche Politiker? Christine Egerszegi habe ich etwas später darauf angesprochen. Ihre Antwort: „Wir Frauen haben noch einen weiten Weg zu gehen!“. Ob bei Frauenthemen oder Energiefragen, Economiesuisse lässt keine Gelegenheit aus, ihre rückständige Politik zu zementieren.
„Heute findet eine Revolution statt“
Mit diesen Worten eröffnete unsere Fraktionssprecherin ihr Votum zur Abschaffung des Bankgeheimnisses beziehungsweise zum automatischen Informationsaustausch (AIA). Die wohl wichtigste Finanzmarkt-Reform der letzten Jahre bedeutet das Ende des Versteckspiels für Steuerhinterzieher. Vor allem auf Druck der internationalen Banken- und Finanzwelt ist jetzt endlich fertig mit dieser Geheimnistuerei. Der „Bund“ titelte: „Der Nationalrat öffnet den Sarg“. Die SP hat bereits vor langen 31 Jahren einen sauberen Finanzplatz gefordert. Vor wenigen Jahren noch hat sich der Bundesrat regelrecht an das Bankgeheimnis geklammert, zuletzt dann nur noch die SVP. Freysinger verteidigte das Bankgeheimnis mit der Behauptung, es sei im Zweiten Weltkrieg zum Schutz der jüdischen Bankkonten vor dem Nationalsozialismus installiert worden. Was für eine unglaubliche Geschichtsverdrehung nach dem Gusto SVP! Bis auf diese Partei waren sich alle einig, dass die Ablehnung des AIA der Schweiz und ihrer Wirtschaft extrem schaden würde.
Sauberer Finanz- und Handelsplatz: es bleibt noch viel zu tun
Auch Staaten ohne den AIA sollten in der Schweiz keine unversteuerten Gelder parkieren dürfen. Denn die Finanzabflüsse aus den Entwicklungsländern werden aktuell auf jährlich 991 Milliarden Dollar geschätzt, der achtfache Betrag der weltweiten Entwicklungsgelder. Die Revision des Geldwäschereigesetzes hätte das mindestens teilweise verhindern können. Doch es wurde kurzerhand versenkt. Manchmal sind die vielen Sonntagsreden im Parlament schwer zu ertragen! In der Asyldebatte wurde „Hilfe vor Ort“ gefordert. Gleichzeitig wird den Völkern in ihren Herkunftsländern das Geld entzogen, mit unserer Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Wir schützen auch Potentatengelder und lockern das Waffenexportgesetz. Faire Löhne, Umwelt- und Sozialstandards werden beim Handel nicht durchgesetzt. „Die Flüchtlinge reisen ihren Rohstoffen hinterher“. Pointierter kann man die Flüchtlingsdebatte kaum kommentieren. Denn ohne faire Arbeits- und Lebensbedingungen werden die Flüchtlingsströme nicht abreissen. Unser Wohlstand hat eben seinen Preis. Passend dazu sagt die JUSO mit der „Spekulationsstopp-Initiative“, dass Nahrungsmittel auf den Tisch gehörten und nicht an die Börse. Natürlich wurde auch diese Initiative im Nationalrat bekämpft und abgelehnt.
Heiliger Sankt Florian, verschon mein Haus …
Am letzten Tag der Session wurde über die Standesinitiative des Kantons Schaffhausen zum Vetorecht abgestimmt. Kein Atommüll-Lager soll ohne Einverständnis des Standortkantons gebaut werden dürfen. Das erhöht die Sicherheit eines möglichen Lagers. Denn nur wer überzeugt ist, dass keine Gefahr droht, stimmt einem Atommüll-Lager zu. In Nidwalden wurde das Volk drei Mal zum möglichen Standort Wellenberg befragt, drei Mal sagte es nein. Das Atommüll-Lager müsste 100‘000 Jahre sicher sein und wäre heute bereits im Bau. Vier Jahre nach der Abstimmung wurde der Wellenberg als Standort gestrichen. Er sei zu unsicher. Im Nationalrat haben wir vor einem Jahr die Forderung des Kantons Nidwalden für ein Vetorecht noch angenommen, die gleiche Forderung des Kantons Schaffhausen jetzt aber verloren. Warum? Der Wellenberg war vor einem Jahr noch im Rennen für ein Atommüll-Lager, heute nicht mehr. Die von den Berglern geforderte Solidarität war bereits verschwunden. So wird es auch bei einer gesamtschweizerischen Abstimmung zu einem Atommüll-Lager sein. Heiliger Sankt Florian … zünd lieber andere an!
Harmonische Klänge unter der Bundeshauskuppel
Am letzten Tag der Session wurden 25 Ratsmitglieder verabschiedet. Für viele war es ein wehmütiger Tag. Das Abschiednehmen von der politischen Karriere und vom Rampenlicht fiel nicht allen einfach. Einige der Bisherigen schaffen allenfalls die Wiederwahl nicht mehr. Für sie wäre es unfreiwillig der letzte Tag im Parlament gewesen. Kaum war die letzte Würdigung gesprochen, der letzte Applaus verhallt, als hinter mir wunderschöne Stimmen ertönten: „S‘isch mir alles ei Ding“ – und von gegenüber im Saal – „ob i lach oder sing“. Von allen Eingängen erklangen Stimmen und erfüllten den Nationalratssaal mit Liedern in allen vier Landessprachen. Die gefühlsvolle Stimmung, vereint mit diesen Klängen, ging unter die Haut. Ein würdiger Abschluss vom Politleben für alle, die über Jahre unsere nationale Politik geprägt haben.
Martina Munz, Hallau 26. September 2015