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Der Freitags-Kommentar vom 21. Oktober 2016,
von Ulrich Schlüer, Verlagsleiter «Schweizerzeit»

 

General Didier Burkhalter


Symbolbild von JenaFoto24.de / pixelio.de

Der eifrigste Ausverkäufer schweizerischer Eigenständigkeit im Bundesrat heisst Didier Burkhalter. Neuerdings entfaltet er Anstrengungen, die Schweizer Armee, also den bewaffneten Arm der seit Jahrhunderten erfolgreichen Schweizer Neutralitätspolitik der EU zu unterstellen.

Der Vertrag von Lissabon ist in der EU seit 2007 in Kraft. Er wurde damals geschaffen als Ersatz für die angestrebte, in einigen Ländern in Volksabstimmungen allerdings gescheiterte formelle EU-Verfassung.

Gasp: Gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik

Der Vertrag von Lissabon enthält wichtige, sehr weitgehende Grundsätze zur aussen- und sicherheitspolitischen Zusammenarbeit der EU-Staaten. Das EU-Projekt Gasp – Gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik – beruht auf diesen Lissaboner Grundsätzen.

Die darin vorgesehene sicherheitspolitische Zusammenarbeit sieht unter anderem eine uneingeschränkte militärische Beistandsverpflichtung für alle EU-Mitgliedländer vor. Diese geht weiter als die bereits innerhalb der Nato vereinbarte Beistandspflicht. Während die Nato den letzten Entscheid zur Teilnahme eines Nato-Staats an militärischen Operationen den national zuständigen Entscheidungsgremien – also den Landesregierungen und -parlamenten – vorbehält, auferlegt der Lissabon-Vertrag den EU-Mitgliedern eine unbedingte, also für alle obligatorische Beistandsverpflichtung: Wenn Brüssel Beistandspflicht verfügt, haben alle EU-Mitgliedstaaten zu folgen, in den Krieg zu ziehen – ungeachtet ihrer nationalen Interessen.

Überschuldung verzögert Umsetzung

Zwar harren viele Gasp-Grundsätze noch ihrer Umsetzung. Aus den gähnend leeren Staatskassen fast aller EU-Länder lassen sich militärische Höhenflüge nicht umgehend in die Wirklichkeit umsetzen. Aber die 2007 zu Lissabon beschlossenen Vorhaben sind verbindlich. Ihre Umsetzung ist – wenn auch schleppend – im Gang.

Je tiefer sich die EU in innere Streitigkeiten verstrickt als Folge der ungelösten Überschuldungskrise, der ungelösten Eurokrise, der ungelösten Bankenkrise, der schweren Gegensätze zur Masseneinwanderung, desto offensichtlicher wachsen zu Brüssel Gelüste, eine aktive Rolle auf der Weltbühne anzustreben.

Aussenpolitischer Aktivismus um dem Zerfall zu entgehen?

Der Glaube, mittels ehrgeiziger weltpolitischer Engagements Zerfallserscheinungen im Innern in den Hintergrund abdrängen zu können, ist nichts Neues in der Weltgeschichte. Den Völkern hat solcher Ehrgeiz allerdings meistens Blut, Elend, Zerstörung und Verarmung beschert, nur ganz selten positivere Folgen.

Dennoch gebärt dieser Glaube, wonach aussenpolitischer Aktivismus inneren Zerfall verhindern könne, immer von neuem wieder Metastasen. Jean-Claude Juncker – heute Kapitän auf dem verlotterten, vom Absaufen bedrohten EU-Schiff – hat entsprechenden weltpolitischen Ehrgeiz längst formuliert: Die EU bedürfe einer Europäischen Armee – zunächst als Ergänzung, im Endeffekt aber als Ersatz der nationalen Armeen der EU-Mitglieder: Junckers Begründung? Auch die liegt seit einigen Jahren vor:

«Eine solche Armee würde uns helfen, eine gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik zu gestalten und gemeinsam die Verantwortung Europas in der Welt wahrzunehmen». (vgl. Basler Zeitung, 18. Oktober 2016).

Machtpolitisch untermauerter Ehrgeiz soll also den EU-Exponenten Platz auf der Weltbühne und damit einen Weg aus der tödlichen EU-Krise bahnen.

Didier Burkhalter scheint fasziniert

Worte Junckers, die zu Bern zumindest den Vorsteher des Aussendepartements, Didier Burkhalter, zu elektrisieren scheinen. Burkhalter war es allerdings schon seinerzeit als Parlamentarier ein Herzensanliegen, die Schweizer Armee nicht länger als rein defensives, allein die Unversehrtheit des eigenen Landes schützendes Sicherheitsinstrument zu erhalten.

Die Neutralitätspolitik, die jeden nach aussenpolitischen Lorbeeren dürstenden Politiker zum Stillesitzen verpflichtet, befriedigte Burkhalters Ansprüche nie. Denn auch er strebt nach Weltgeltung. Daraus resultiert seine Bereitschaft, die Schweizer Armee den Gelüsten Junckers nach einer Europa-Armee dienstbar zu machen.

2017, liess Burkhalter kürzlich verlauten, werde er im Namen des Bundesrats entsprechende Verhandlungen mit Brüssel aufnehmen.

Harte Konkurrenz

Allerdings dürfte Burkhalter – offensichtlich von einem Generals-Kommando unter Junckers Polit-Regiment träumend – mit seinem Traum auf harte Konkurrenz stossen. Als eifrigste Verfechterin der Zusammenfügung der Streitkräfte der EU-Mitglieder zu einer mächtigen EU-Armee gebärdet sich seit einiger Zeit nämlich die ebenfalls mit allen Mitteln um eine Rolle auf der grossen Weltbühne kämpfende deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Sie hat kürzlich ein Weissbuch für ihre Bundeswehr veröffentlichen lassen, dessen Sprache bemerkenswert ungeschminkt ist. Friedenspolitik wird dort insbesondere als Interventionspolitik definiert, herbeigeführt durch eine starke EU-Armee unter deutscher Führung (!).

Zwar liess diese unverblümt daherkommende Wortwahl nicht wenige Verantwortungsträger in andern EU-Ländern, die sich geschichtlicher Erfahrung offenbar noch nicht völlig entfremdet haben, einigermassen erzittern.

Burkhalters Wortkünstler

Für die Schweiz interessant ist indessen, dass Didier Burkhalter seine weltpolitischen Höhenflüge mit nahezu gleichen Formulierungen präsentiert wie Frau von der Leyen. Nur kann sich Burkhalter dabei auf die in seinem Departement reichlich vorhandenen Wortkünstler stützen – auf jene Manipulatoren mit Wörtern, welche die vom Bundesrat mittels Rahmenvertrag angestrebte faktische Unterwerfung der Schweiz unter den EU-Apparat längst in unverbindliche und wohlklingende Begriffe zu kleiden verstehen.

Es sind diese Wortkünstler, welche die vom Bundesrat angestrebte «institutionelle Anbindung» der Schweiz an die EU unter dem harmlos-positiv tönenden Begriff angeblicher «Erneuerung des bilateralen Wegs» zu tarnen versuchen. Ebenso sind es Burkhalters Wortkünstler, die im Bundesrat die Überzeugung zu verankern verstanden, die im Rahmenvertrag vorgesehene automatische, von der Schweiz nicht mehr beeinflussbare Übernahme von EU-Gesetzen und EU-Beschlüssen könne dem Volk als «dynamische Anwendung von Gemeinschaftsrecht» verkauft werden. Und es sind wiederum die gleichen Wortkünstler, welche Bundesbern veranlassen, das per Rahmenvertrag der EU einzuräumende Sanktionsrecht (also ein einseitiges Recht auf Bestrafung der Schweiz) hinter dem harmlos klingenden Begriff «Ausgleichsmassnahmen» zu verstecken.

Friedenspolitik

Diese Wortkünstler kleiden – Vorbilder dazu gibt es in der Weltgeschichte genug – dem aggressiven Friedenswillen von der Leyens, die den Frieden dort als gesichert sieht, wo sie oder ihresgleichen das alleinige Sagen haben, in rein defensiv anmutende, Burkhalter-genehme, für säuselndes Vortragen geeignete Formulierungen selbstlosen Einsatzes.

Kapitän Juncker und Feldherrin von der Leyen verfolgen das Berner Geschehen bislang mit Wohlgefallen. Klar ist beiden: Gelänge es, die Schweizer Armee den geplanten, in Entstehung begriffenen EU-Streitkräften zu unterstellen, wäre die Schweiz ihres Fundaments zur Ausgestaltung eigenständiger Politik weitgehend beraubt. Den Starken zu Brüssel gelänge es – so lautet das EU-Kalkül – danach um so leichter, ihre Absichten mit Schweizer Fussvolk im Schlepptau durchzusetzen.

Von der Leyen würde Burkhalter zweifellos in der von diesem so lange erträumten Generalsrolle belassen, in ihm aber höchstens noch ein Generälchen sehen. Dessen der EU blindlings zugeführte Armee wäre für sie aber willkommenes Kanonenfutter, mit dem es ihr um so rascher gelingen würde, ihre so heiss begehrte Rolle auf der Weltbühne gestützt auf EU-Bajonette zu erkämpfen.


Schweizerzeit