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Der Freitags-Kommentar vom 14. Oktober 2016,
von Von Anian Liebrand, Redaktion «Schweizerzeit»

 

Freihandelsabkommen oder Kolonialvertrag?


Symbolbild von Gabi Schoenemann
(pixelio.de)

Seit drei Jahren verhandeln EU-Funktionäre im Verborgenen über sog. transatlantische Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada. Einmal abgeschlossen, haben die Verträge auch unmittelbare Konsequenzen für die Schweiz. Was Öffnungs-Turbos als wohltuende Liberalisierung verkaufen, hat fatale rechtliche Folgen. Wie sind die Abkommen TTIP und CETA aus bürgerlicher Sicht zu beurteilen?

Laut EU-Kommission sei eines der Hauptziele der «Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft» (TTIP) zwischen der Europäischen Union und den USA, praktisch sämtliche Zölle abzuschaffen. Es gelte, Handelshemmnisse abzubauen, um die Wirtschaft in Zeiten stagnierenden Wachstums anzukurbeln. So entstände ein gigantischer Freihandelsraum, auf den dereinst fast die Hälfte der globalen Wertschöpfung entfallen könnte. Seit einigen Jahren verhandelt die EU auch mit Kanada über ein «umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen» (CETA), das ebenfalls Handels- und Zollerleichterungen beinhalten soll und als Testfall für das US-amerikanisch-europäische TTIP gilt.

Intransparenz

Anfang Oktober 2016 bestritten Unterhändler der EU und der USA in New York die 15. TTIP-Verhandlungsrunde. Was genau verhandelt wurde, bleibt der Öffentlichkeit verborgen – dank publik gewordener Geheimdokumente sind ihr zu TTIP lediglich einige Eckpfeiler bekannt. Und diese Stossrichtung gefällt vielen Menschen in der EU gar nicht. In ganz Europa gehen seit Monaten Hunderttausende auf die Strasse. Nebst der fehlenden Transparenz fürchten die TTIP-Gegner einen totalen Souveränitätsverlust unter dem Diktat von Grosskonzernen – zulasten der kleineren und mittleren Unternehmen und der Konsumenten.

Bei den TTIP-Verhandlungen sind rund 600 externe Berater zugelassen, bei denen es sich hauptsächlich um Lobbyisten von Grossfirmen handelt. Wie veröffentlichte Geheimdokumente beweisen, besteht die berechtigte Befürchtung, dass sich die EU vollständig den Verbraucherschutzrichtlinien der USA zu unterwerfen habe. Das heisst konkret: Gentechnisch veränderte Lebensmittel dürfen ohne Kennzeichnung verkauft werden; Unter Zusatz von Wachstumshormonen versehenes Fleisch, das heute in der EU verboten ist, wird erlaubt; Das umstrittene Fracking wird erlaubt; Die Richtlinien beim Gewässerschutz werden herabgesenkt – es droht gar die Privatisierung der Trinkwasserversorgung.

Drohende Rechtsstreitigkeiten

Bei TTIP geht es nur vordergründig um den Abbau von Zöllen, die schon heute gering sind (einschneidender für die Wirtschaft sind viele andere EU-Regulierungen…). Bei den Abkommen geht es vielmehr um die Unterwerfung unter fremdes US-Recht und die Beseitigung nationalstaatlicher Unterschiede. Mit den vorgesehenen Klagerechten für Konzerne sind absurde Rechtsstreitigkeiten vorprogrammiert. Konkret wird entscheidend sein, wie die Schiedsgerichte zusammengestellt werden – was nur schon vor dem Hintergrund, dass die USA bereits klar gemacht haben, per se keine «fremden Richter» zu akzeptieren, sehr spannend werden dürfte. Es droht die einseitige Rechtsübernahme zulasten der EU.

Ein Beispiel, was da auf Europa zukommen könnte, liefern die USA und Kanada, die mit dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA) bereits ein vergleichbares Abkommen abgeschlossen haben. In den USA klagte eine US-amerikanische Firma gegen Kanada, da die kanadische Provinz Québec ein befristetes Verbot von Fracking beschlossen hatte. Die US-Firma beantragte zuhanden des von beiden Staaten legitimierten Schiedsgerichts, das kanadische Fracking-Moratorium sei gesetzlich wieder aufzuheben. Mehr noch: Der kanadische Staat hätte ihr eine Entschädigung von 250 Millionen US-Dollar für die Gewinne auszuzahlen, welche die Firma ohne das Moratorium hätte erzielen können. Das Verfahren ist noch hängig.

Unterwerfung

TTIP oder CETA werden in Form von völkerrechtlichen Verträgen zwischen der Europäischen Union und den USA resp. Kanada geplant. Ratifiziert ein EU-Staat das Abkommen, stehen TTIP und CETA über bisherigen nationalen Gesetzen. Der Bürger hat gar nichts zu sagen, da Volksabstimmungen in den meisten EU-Staaten ausgeschlossen sind. Entgegen der Behauptung, den freien Handel zu begünstigen, bewirken TTIP und CETA eigentlich dessen Gegenteil: Sie schaffen eine protektionistische Handelsunion zwischen der USA, Kanada und der EU, während aufstrebende Märkte wie die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) aussen vor gelassen werden.

Unglaubwürdige EU

Die Beteuerungen der EU-Spitze, mit TTIP und CETA die Wirtschaftsfreiheit zu stärken, sind in verschiedener Hinsicht unglaubwürdig. Schliesslich sind es die EU-Funktionäre zu Brüssel, die mit ihrer regulierungswütigen Zentralisierungspolitik die europäische Wirtschaft einengen und den Wohlstand gefährden. Beispiele gibt es zuhauf: Das Währungsexperiment Euro und die «Griechenland-Rettung», die Milliarden von Volksvermögen vernichtete; Das Verbot konventioneller Glühbirnen; Planwirtschaftliche «Subventionitis»; Hochsteuerdiktate für Unternehmen. Diese EU-Regulierungspolitik wirkt sich schon heute direkt auf die Schweiz aus. Untersuchungen an der Universität Bern aus dem Jahr 2011 sind zum Schluss gekommen, dass jede zweite Gesetzesvorlage in irgendeiner Form EU-Recht adaptiert.

Inwiefern ist die Schweiz betroffen?

Was haben TTIP und CETA mit der Schweiz zu tun? So viel wie bis jetzt bekannt ist, plant die EU, die Abkommen auch auf die Schweiz auszudehnen. Wie sich unser Land dazu stellt, wird in den nächsten Jahren zweifellos zu heftigen Diskussionen führen. Die Fronten scheinen sich dabei teilweise schon abzuzeichnen. Dieselben Kreise, welche uns jede Übernahme von EU-Recht als alternativlos verkaufen, werden an vorderster Front für TTIP und CETA weibeln. Derweil hat sich bereits ein Aktionsbündnis gegen TTIP gebildet, welches sich überwiegend aus linken Gruppierungen zusammensetzt, die aus konsumenten- und umweltpolitischer Optik argumentieren. Dies entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Wäre die Schweiz – entsprechend der Agenda der Sozialisten und der Grünen – heute Mitglied der EU, hätten wir zu TTIP rein gar nichts zu melden.

Aus bürgerlicher Sicht wären jegliche Abkommen, welche den freien Handel begünstigen, grundsätzlich begrüssenswert. Bei TTIP und CETA geht es aber um weit mehr – es geht um die staatsstreichähnliche Aushebelung der nationalen Souveränität und der Selbstbestimmung von freien Völkern, die in ihrem angestammten Staatsgebiet in möglichst vielen Bereichen des Zusammenlebens ihre eigenen Spielregeln aufstellen. Skepsis ist vor allem auch dann angebracht, wenn wirtschaftliche Freiheit durch dicke, von Lobbyisten und Staatsangestellten ausgefeilschte Regelwerke verordnet werden sollen. Die beste Wirtschaftsförderung im marktwirtschaftlichen Sinne ist bekanntlich keine Wirtschaftsförderung.

TTIP und CETA erinnern – was die Intransparenz und die Rechtsfolgen betrifft – vielmehr an den geplanten Rahmenvertrag über ein institutionelles Abkommen zwischen der Schweiz und der EU als an wirtschaftsfreundliche Abkommen. Bürgerlich gesinnte Schweizer dürfen, ja müssen, sie guten Gewissens ablehnen.


Schweizerzeit