Um 20.30 Uhr Ortszeit am 27. Januar 2011 wurde landesweit der Zugang zum Internet blockiert. Die Mobilfunknetze stellten ihre Funktion um 10.00 Uhr morgens am 28. Januar (Freitag) ein. Die einzigen verbleibenden Kommunikationsmittel waren und sind Festnetz Telefonlinien und Satellitentelefone.
Nach dem Freitagsgebet versammelten sich einige Hundert Menschen im Kern von Kairo zu einer friedlichen Demonstration und skandierten: "Das Volk will den Systemwechsel" Es waren vornehmlich junge Leute, Familien mit Kindern. Aus den Reihen der in massiver Stärke aufgebotenen Bereitschaftspolizei wurden Tränengasgranaten in die Menge gefeuert. Es war auf keinen Fall eine religiös motivierte Kundgebung. Erst nachdem man auf die Menschen feuerte, wurden "Allahu akbar" Rufe laut.
Dann kamen weitere Menschen zu Tausenden und versuchten über die drei Hauptbrücken (Qasr El Nil, 6th October, 26th July) zum zentralen Tahrirplatz zu gelangen. Die Menge wurde mit Wasserwerfern, teilweise Feuerwehrwagen, Hundertschaften der Polizei unter Stockhieben und in einem Hagel von Tränengasgranaten zurückgetrieben und drängte doch immer wieder vor, bis die Polizei überrannt wurde.
Das Außenministerium wurde gestürmt und als die dortigen Spezialeinheiten begannen mit scharfer Munition zu feuern, flogen Molotow Cocktails. Das Hauptquartier der Regierungspartei (NPD) wurde gestürmt, geplündert und brannte während der Nacht völlig aus. Grosse Besorgnis bestand, dass das Feuer auf das direkt angrenzende Nationalmuseum übergreifen könnte, weil die Feuerwehr nicht mehr durch die Menschenmassen hindurch gelangte. Vermutlich hatte man auch das Wasser im Kampf gegen die Demonstranten verbraucht.
Zum Schutz gegen Plünderung bildete sich eine Menschenkette rund um das Museum, dennoch gelang es Plünderern über das Dach einzudringen. Sie beschädigten zwei Mumien und diverse Exponate ud Vitrinen, bevor sie von der Touristenpoizei gestellt werden konnten.
Lediglich während der Gebetszeiten ebten die Auseinandersetzungen etwas ab. Da wo die Polizei dies nicht respektierte, griffen Christen ein und schützten ihre im Freien betenden moslemischen Mitbürger.
Heftige Auseinandersetzungen wurden inzwischen aus Suez und Alexandria gemeldet. Besonders hart wurde in Suez gekämpft, wo es am 25.1.2011 drei Todesopfer gegeben hatte. Nachdem die Polizei mit einem Feuerwehrfahrzeug in die Menge fuhr und 5 Menschen tötete, geriet die Lage ausser Kontrolle. Polizeifahrzeuge wurden umgeworfen und Polizeireviere in Brand gesetzt. In Kürzester Zeit hatte die Polizei in Suez die Kontrolle verloren. 6 Mitglieder der Regierungspartei kamen nach berichten ums Leben. Geschäfte eines regierungsnahen Unternehmers wurden angegriffen und dessen Familie flüchtete in Polizeistationen.
Präsident Mubarak verhängte zunächst für Kairo, Suez und Alexandria und dann landesweit eine Ausgangssperre (18.00 - 7.00 Uhr) und rief die Armee zu Hilfe. Die Ausgangssperre wurde von niemandem beachtet.
In Kairo war um 20.00 Uhr die Polizei kaum noch sichtbar. Dann kam das Militär. Die Panzer wurden von der Menge begeistert begrüsst, da man sich von der Armee Schutz gegen die verhasste Polizei erhofft. Die Soldaten winkten den Menschen zu und begannen mit der Sicherung der staatlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten. Schliesslich umstellten sie die brennende Parteizentrale und das Nationalmuseum.
Schliesslich trat um Mitternacht Präsident Mubarak vor die Kamera, mit einer allem Anschein nach aufgezeichneten Rede.
Er versicherte, die Nöte des Volkes (Armut, Arbeitslosigkeit) sehr wohl zu verstehen. Es sei womöglich ein Fehler gewesen, sich hier auf die Privatwirtschaft zu verlassen. Er sei stets für Freiheit und Demokratie eingetreten und die Möglichkeit der Proteste beweise dies. Allerdings warnte er davor - und appellierte besonders an die Jugend - dass die Lösung der Probleme Ägyptens nicht mit Gewalt sondern nur im Dialog zu finden sei.
Da die Regierung unfähig gewesen sei, die Probleme zu lösen habe er sie aufgelöst und werde am Samstag, 29.1.2011 eine neue Regierung ernennen, mit präzisen Vorgaben, wie Arbeitslosigkeit und Armut zu bekämpfen seien. Die Rede wurde mit Unmut aufgenommen. Die ganze Nacht bis in den Morgen waren Schüsse zu hören. Ein Geschäftsgebäude und ein Restaurant am Nil brannten aus. Arkadia Mall und zwei Carrefour Märkte wurden geplündert. In der Gameat Al Dowal Al Arabia Strasse, wo Zehntausende durchmarschiert waren, gingen einige Scheiben zu Bruch, zwar nahm das Leben am nächsten Morgen schon wieder fast seinen gewohnten Gang, aber die Polizei war verschwunden. Ab 10 Uhr war der Mobilfunkverkehr wieder funktionsfähig.
Kommentatoren im Sender Al Jazeera warfen dem Präsidenten Realitätsferne vor. Er habe den Kontakt zum Volk verloren. Die Ablösung des Kabinetts, bei dem es sich um Ja-Sager handele (Hintergrund: Lt. Verfassung liegt die Entscheidungsbefugnis und Macht in den Händen des Präsidenten, der alle Regierungsentscheidungen kontrolliert und steuert), sei bei weitem nicht genug. Es gehe um Würde. "Wenn die Eltern alles verkauft hätten um dem Sohn einen Universitätsabschluss zu ermöglichen und dieser dann keine Arbeit fände, so sei das nicht mehr erträglich."
Der Ton der amerikanischen Regierung hatte sich im Laufe des Tages verschärft. Aus dem Weissen Haus und dem Kongress verlautete, man werde Finanzhilfen von 1,5 Mrd. US-$ "überdenken", wenn Mubarak nicht ernsthaft zeige, zu Reformen bereit zu sein.
Das Regime wurde vom Ausmass der Proteste ganz offensichtlich überrumpelt. Armeechef Verteidigungsminister Feldmarschall Mohamed Hussein Tantawi brach seinen Besuch in den USA ab und eilte zurück nach Kairo.
In Abwesenheit der Polizei begannen in den Nächten des 29./30.1. in einzelnen Stadtteilen Kairos aber auch aus Alexandria und anderen Städten Plünderungen von Geschäften, darunter auch Grossmärkte der Metro Gruppe und es wurden auch Angriffe auf Wohnhäuser und Compounds gemeldet (in Kairo vor allem aus den Vororten Ma'aadi, Heliopolis und 6th October City). Es bildeten sich Nachbarschutz-brigaden, die die Viertel abriegelten und Fussgänger und Autos kontrollierten. Dabei kursierte das Gerücht, die Regierung habe bewusst Gefängnisse geöffnet um Unruhe und Panik zu streuen. Bei von den Bürgerwehren gefassten Räubern fand man aber Ausweise des Innenministeriums und der Regierungspartei, so dass weitgehend vermutet wird, dass es sich bei den meisten Plünderungen um gezielte Panikmache des Regimes handelt.
Präsident Mubarak ernannte den bisherigen Geheimdienstchef Omar Suleiman zum Vize-Präsident (dieses Amt wurde zum ersten Mal in der 30jährigen Amtszeit Mubarak's besetzt) und den bisherigen Luftfahrtminister Ahmed Shafiq zum Premierminister. Dies und auch die "Anweisung" Reformen gegen Arbeitslosigkeit in die Wege zu leiten und Korruption unnachsichtig zu verfolgen, beruhigte die Demonstranten nicht und die Proteste weiteten sich aus. Die Luftwaffe lies schliesslich Hubschrauber und Kampfjets über dem Tahrirplatz kreisen, was frenetische Wut auslöste, aber nicht die wohl erwartete Angst. Schliesslich kam das Gerücht auf, Mubarak habe die Armee angewiesen mit scharfer Munition in die Menge zu feuern.
Daraufhin wandelte sich die anti-Regime Demonstration endgültig in eine anti-Mubarak Demonstration. Nun forderte man seinen sofortigen Rücktritt und auch seine gerichtliche Verfolgung.
Militärchef Tantawi lies verlauten, die Armee werde nicht gegen die Demonstranten vorgehen und zum ersten Mal blieben rund 1000 Demonstranten über Nacht am Tahrir Platz. Am Abend des 30.1. widersetzte sich Mohamed El Baradei seinem Hausarrest und kam zum Tahrir. Er wandte sich an die Menge in einer wenig mitreissenden, aber dennoch sehr bestimmten Rede. Er forderte den Rücktritt des Präsidenten und bezeichnet den Befreiungsprozess, der durch die Proteste in Gang gesetzt wurde, als unumkehrbar.
Die Opposition lehnt Gespräche mit Mubarak und dem von ihm eingesetzten Kabinett ab.
Die Polizei wurde ab dem 31.1. wieder in den Einsatz beordert (mit Ausnahme des Tahrir Platzes, wohl um die Menge nicht zu provozieren, denn die Polzei gilt als Instrument der willkürlichen Verhaftung, der Folter und des Mordens). Die Wirtschaft des Landes erstarrt mehr und mehr. In den Häfen werden nur noch wenige Schiffe abgefertigt. Lediglich der Betrieb des Suez-Kanal läuft unbehindert. Kritisch ist die Versorgung mit Ersatzteilen für Kraftwerke und Krankenhäuser. Grössere Ausfälle dort können nicht mehr behoben werden. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln ist beeinträchtigt.
Am 1. Februar gab es am Tahrir Platz eine beeindruckend friedliche Kundgebung, an der mehr als 1 Millionen Menschen teilnahmen. Es war die grösste Demonstration in der Geschichte Ägyptens und sie richtete sich auf den Rücktritt des Präsidenten. Parallel dazu liefen weitere Kundgebungen in allen grossen Städten. Die amerikanische Regierung entsandte einen Sonderbeauftragten und drängte den Präsidenten zu unverzüglichen Reformen.
Um 22.15 Uhr wandte sich Präsdident Mubarak per Fernsehen an das Volk. Er verurteilte die Demonstrationen und bezeichnete sie als vom Ausland initiiert. Er werde bei den kommenden Präsidentschaftswahlen (September) nicht mehr kandidieren und die ihm verbleibenden Monate im Amt für Reformen und Änderungen der Verfassung nutzen. Er habe sein Leben im Dienst am Vaterland verbraucht und werde auch auf ägyptischem Boden sterben. Diese Rede wurde von den Demonstranten mit grossem Unmut aufgenommen. Die Menge skandierte: "Geh weg, wir wollen Dich nicht mehr!"
Diese emotional gehaltene Rede berührte aber auch die Herzen der gemässigten Bürger und so wurden am 2. Februar von der Regierungspartei pro-Mubarak Kundgebungen organisiert und Berichten zu Folge mit Schlägertrupps durchsetzt. Diese Demonstrationszüge kollidierten überall im Land mit den Regimegegnern, was zu heftigen Strassenschlachten und chaotischen Situationen führt. Jetzt werden auch Geschäfte in grossem Stil geplündert. Die Armee ist bislang noch nicht eingeschritten.
Mit einer weiteren Eskalation besonders am Freitag wird gerechnet.
Dr. Rainer Herret
-Chief Executive Officer-
German-Arab Chamber of Industry and Commerce
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