Afghanistan-Dokumente im Netz

Geheimakten könnten zur Gefahr für Obama werden

Soldaten in Afghanistan (Foto: REUTERS)

Das Weiße Haus hat empört auf die Veröffentlichung von 75.000 Geheimakten zum Afghanistan-Krieg auf der Internetplattform WikiLeaks reagiert. Die Dokumente könnten auch für Präsident Obama zum Risiko werden: So war bislang nicht bekannt, wie massiv die Taliban von Pakistan unterstützt werden.

Von Ralph Sina, WDR-Hörfunkkorrespondent Washington

An der Echtheit der Dokumente gibt es keine Zweifel. Auch wenn Amerikas große Nachrichtensender von CBS bis CNN vorsichtshalber betonen, von unabhängiger Seite gebe es noch keine Bestätigung, dass die 75.000 von der Internetplattform WikiLeaks veröffentlichten Afghanistan-Dokumente tatsächlich aus der Datenbank des US-Militärs stammen. Die Echtheit vorausgesetzt, sei dies der bisher größte Verrat an Militärgeheimnissen in Amerikas Kriegsgeschichte, so der Kommentar von CNN. Vergleichbar allenfalls mit der Veröffentlichung der geheimer Pentagon-Papiere während des Vietnam-Krieges.

Weißes Haus reagiert empört

Indirekt haben das Weiße Haus und Obamas Sicherheitsberater James Jones die Echtheit der Afghanistan-Dokumente bereits bestätigt. Mit außergewöhnlich scharfen Worten kritisiert das Weiße Haus ausführlich die Veröffentlichung der von US-Soldaten verfassten Afghanistan-Protokolle auf WikiLeaks und stellt die Authentizität der veröffentlichten Dokumente mit keinem Wort in Frage. Über die Veröffentlichung der klassifizierten und damit geheimen Papiere über die Anstrengungen des US-Militärs in Afghanistan sei die US-Regierung zuvor nicht von WikiLeaks, sondern von verschiedenen internationalen Medien aufmerksam gemacht worden, so empört sich Jones. Die detaillierte Internet-Veröffentlichung durch WikiLeaks über Details der Afghanistan-Kriegsführung gefährde das Leben von Amerikanern und ihren Verbündeten sowie die nationale Sicherheit, sagte der Sicherheitsberater, der zu den einflussreichsten Männern im Weißen Haus gehört.

Auch die Bundeswehr zeigt sich mittlerweile irritiert über die Veröffentlichungen und besorgt um die daraus möglicherweise resultierenden Gefährdungen für deutsche Soldaten in der Provinz Kundus.

 

WikiLeaks-Gründer verteidigt sich

"Wir gefährden durch unsere Veröffentlichungen niemanden", kontert WikiLeaks-Gründer Julian Assange im US-Fernsehen. Denn man habe alle Informationen getilgt, die dafür sorgen könnten, dass irgendjemand physisch zu Schaden komme. Die US-Militärdokumente über die bisher verschwiegene hochmoderne Waffenausrüstung der Taliban, über die erschreckende Schwäche der afghanischen Armee und über die enormen Gefahren für die Nato-Verbündeten wie zum Beispiel die Bundeswehr in der Kundus-Region habe man vor allem aus einem Grund veröffentlicht, so Assange: "Damit die Leute verstehen, was wirklich in Afghanistan vor sich geht."

Infobox: WikiLeaks - Die Aufklärer aus dem Internet:

"WikiLeaks", die Kombination aus "Wiki", dem hawaiianischem Wort für "schnell" und "Leaks", dem englischen Wort für "Lecks", ist eine Internetplattform auf der jeder anonym Dokumente veröffentlichen kann. Das Prinzip ist vergleichbar mit dem der freien Enzyklopädie "Wikipedia". Allerdings möchte "WikiLeaks" vorwiegend Dokumente, die als geheim gelten, an die Öffentlichkeit bringen und damit möglichst schnell "informelle Lecks" für die Leser schließen.

"WikiLeaks" gibt es seit 2006. Gegründet wurde das Portal nach eigenen Angaben von "chinesischen Dissidenten, Journalisten und Mathematikern sowie Technikern von Startup-Unternehmen aus den USA, Taiwan, Europa, Australien und Südafrika." Seit der Gründung wurden mehr als 1,2 Millionen geheime Dokumente auf die Seiten gestellt.

Taliban verfügen sogar über hitzeempfindliche Raketen

US-Soldaten in Afghanistan (Foto: picture alliance / dpa)
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Ein Abzug der US-Armee aus Afghanistan ist
nicht absehbar.
Zwar versuchen einige US-Medien zur Zeit, die Bedeutung der Dokumente mit dem Hinweis zu relativieren, es handle sich nicht um hochgeheime Informationen, sondern um Berichte einfacher US-Soldaten. Doch gerade das macht die WikiLeaks-Veröffentlichung besonders authentisch und gefährlich für Obama. Denn der US-Öffentlichkeit war bisher nicht bekannt, dass die Taliban dank intensiver Unterstützung durch den pakistanischen Geheimdienst sogar über hitzeempfindliche Raketen verfügen, um US-Hubschrauber abzuschießen, dass die afghanische Armee in einer absolut desaströsen Verfassung ist und entgegen US-offizieller Behauptung in absehbarer Zeit überhaupt nicht fähig, gegen die Taliban zu kämpfen. Und dass Kriegsfürsten potenzielle Selbstmordattentäter mit tausenden von Dollar ködern, um Anschläge zum Beispiel auf Einheiten der Bundeswehr in der Region Kundus zu exekutieren.


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