Die Mossad-Mär

Geschichte. Am 22. Mai 1960 wurde der Kriegsverbrecher und Nazi Adolf Eichmann in Israel gefangengenommen. Seine Verhaftung hatte wohl weniger mit seiner Nazivergangenheit zu tun als mit seinem Wissen über eine Atomconnection zwischen BRD, Israel und Argentinien

Von Gaby Weber

So steht es in den Geschichtsbüchern: Der Mossad hat in einer heldenhaften Aktion Adolf Eichmann wegen seiner Verbrechen am jüdischen Volk aus Buenos Aires entführt. Ein Satz, fünf Lügen. Erstens war es nicht der Mossad, der im Mai 1960 in Argentinien am Werk war, sondern ein kleiner Geheimdienst Israels, der dort Atomtechnologie »beschaffte«. Zweitens war es keine heldenhafte, vielmehr eine dilettantische Aktion. Drittens war der Grund für Eichmanns Abtransport nicht seine Beteiligung am Holocaust, sondern weil er zuviel redete. Viertens wurde er nicht entführt und fünftens nicht aus Buenos Aires.

Natürlich kann man sich auf den Standpunkt stellen: Auf welchem Weg Eichmann nach Israel gelangte, sei unwichtig; selbst wenn die Version des Mossad nicht stimme, entscheidend sei, daß er vor einem Gericht gelandet war. Das war sicher wichtig, wenngleich ein internationales Tribunal, wie es seinerzeit die Prozeßbeobachterin in Jerusalem, Hannah Arendt, gefordert hatte, für mehr Transparenz gesorgt hätte. Doch ist nicht die historische Wahrheit ein Ganzes? Wenn ja, dann ist die Frage berechtigt, wie die Fabeln des Geheimdienstes in die Geschichtsbücher gelangen konnten.

Fest steht, daß am 23. Mai 1960 Israels Premierminister David Ben Gurion bekanntgab, Eichmann sei am Vortag in Israel verhaftet worden. Tage später schickte er seinem argentinischen Amtskollegen Arturo Frondizi eine diplomatische Note, in der er sich für das Auftreten von »Freiwilligen« auf argentinischem Territorium entschuldigte. Von »Entführung« war nicht die Rede. Davon sprachen nur die Journalisten. Doch einmal auf Papier gebracht, plapperten es am Ende alle nach.

Zweifel an der Mossad-Version

Mit den Jahren gefiel auch dem Mossad diese Darstellung. Damals hatte sich die Welt noch nicht an die Verletzung internationalen Rechts durch israelische Sicherheitskräfte gewöhnt. Auch nach dem Anschlag auf die Olympiamannschaft 1972 entschied der Mossad, die Mitglieder des Kommandos »Schwarzer September« weltweit zu jagen, Landesgrenzen spielten keine Rolle.

1975 erzählte Mossad-Chef Isser Harel, der »Kleine«, in seinem Buch »Das Haus in der Garibaldi-Straße« von der Jagd auf Eichmann. Der Mossad habe ihn am Abend des 11. Mai 1960 in einen Wagen gezerrt, tagelang in einer konspirativen Wohnung in Buenos Aires festgehalten und am 20. Mai in die Maschine der El-Al am internationalen Flughafen im 35 Kilometer weiter westlich gelegenen Ezeiza gesetzt. Dieser Flieger hatte eine israelische Regierungsdelegation eingeflogen und stand nun für den Rückflug bereit. Mit einer Zwischenlandung in Dakar sei das Flugzeug am 22. Mai 1960 um 7.35 Uhr mit Eichmann an Bord in Israel gelandet.

Es folgten zwei Bücher von anderen Mossad-Agenten, das letzte von Zvi Aharoni zusammen mit dem langjährigen BND-Spitzel Wilhelm Dietl. Alle diese Machwerke basieren auf dem, was der Geheimdienst gedruckt sehen wollte.

Offensichtlich prüfte diese Version bisher niemand. Alle »übersahen«, daß die Version gar nicht der Wahrheit entsprechen konnte. Die El-Al-Maschine, eine Bristol Britannia, besitzt nämlich nicht die Reichweite, um die Strecke Buenos Aires-Dakar ohne Zwischenlandung zu bewältigen. Sie mußte, wie auf dem Hinflug, in Brasilien auftanken. An diesem physikalischen Gesetz führt kein Weg vorbei.

Von der dem Mossad nachgesagten Effizienz ist bei seiner Unternehmung in Argentinien wenig zu spüren. Nicht nur die vorangegangene Observation Eichmanns war dilettantisch. Die Agenten warfen einen Blick auf dessen ärmliche Bleibe und entschieden, daß ein so hoher Nazi so nicht hausen könne. Nicht der Mossad entdeckte den Kriegsverbrecher, sondern der alte, erblindete Antifaschist Lothar Hermann, der den Frankfurter Generalstaatsanwalt Fritz Bauer informierte, der massiven Druck auf die Regierung in Tel Aviv ausüben mußte, um diese in Bewegung zu setzen.

Vermutlich wußten alle Geheimdienste, inklusive Mossad, was die Nazis in Südamerika trieben. 1954 teilte der Nazijäger Simon Wiesenthal dem Präsidenten des jüdischen Weltkongresses mit, daß Eichmann auf einer Baustelle von AEG und Siemens in der Nähe von Buenos Aires gesichtet worden war (eine Kopie dieser Mitteilung liegt im US-Bundesarchiv). Wiesenthal wollte die CIA zum Handeln bewegen, doch die US-Regierung entschied: not our business – nicht unsere Aufgabe. Man brauchte ja die »alten Kameraden« im Kalten Krieg; der BND wurde von ihnen bevölkert. Damals verjährte Mord nach 20 Jahren, von »Genozid« und »Verbrechen gegen die Menschheit« war noch nicht die Rede. Die Nazis planten, ein paar Jahre in der Pampa zu verbringen und spätestens 1965 auf ihre Posten in Bonn zurückzukehren. Sie fühlten sich wie eine Regierung im Wartestand, und weil die weitere Zukunft der beiden deutschen Staaten für Adenauer ungeklärt war, wollte dieser es sich mit ihnen auch nicht verderben.

Lakam wird aktiv

Am 11. Mai kam Eichmann von seiner Arbeitsstelle bei Mercedes-Benz, als ihn vor seiner Haustür israelische Agenten unter dem Kommando von Rafi Eitan, einem engen Vertrauten des damaligen Vizeverteidigungsministers Schimon Peres, erwarteten. Der Mai ist in Südamerika tiefster Winter, was die Agenten nicht gewußt hatten. Sie waren in Sommerkleidung angereist. Keiner von ihnen sprach spanisch. Wegen Eitans Schwerhörigkeit wäre die Operation fast mißlungen, doch Eichmann landete in einer geräumigen Chrysler-Limousine, die ein ehemaliger Kämpfer des jüdischen Bataillons der britischen Armee und ebenfalls Vertrauter von Peres als »gestohlen« gemeldet hatte.

Eitan gehörte nicht zum Mossad, sondern leitete den Geheimdienst Lakam, 1957 unter dem Dach des Verteidigungsministeriums zur Beschaffung von Technologie für das Atomprogramm gegründet. In den 80er Jahren wurde Lakam auf Verlangen der USA aufgelöst, nachdem Eitans V-Mann bei der US-Navy, Jonathan Pollard, aufgeflogen war. Wo, wie lange und von wem Eichmann gefangengehalten wurde, ist bis heute nicht bekannt. Das Kommando soll vom polizeilichen Geheimdienst observiert worden sein, aber diese Protokolle fehlen im argentinischen Bundesarchiv.

Es wäre geschickt gewesen, den Zeitpunkt der Ergreifung so zu legen, daß Eichmann mit der El-Al außer Landes gebracht werden konnte, noch bevor seine Entführung aufgefallen war. So hätte man Polizeikontrollen und Repressalien gegen die jüdische Bevölkerung vor Ort vermieden. Damals lebten Tausende Nazis, die im Nachkriegsdeutschland wegen ihrer Kriegsverbrechen Strafverfolgung fürchteten, in der argentinischen Hauptstadt. Es war damit zu rechnen, daß sie es nicht einfach hinnehmen würden, daß diejenigen, die sie noch wenige Jahre zuvor ihrer Vernichtung zugeführt hatten, einen der Ihren kidnappten. Aber der Schutz der jüdischen Gemeinde besaß wohl keine Priorität.

Man hätte die Geisel auch mit demselben Kleinflugzeug – das am Morgen des 11. Mai, mit mehreren Agenten an Bord aus Montevideo kommend, auf einem lokalen Flughafen in Buenos Aires gelandet war –, nach Uruguay ausfliegen können. So hätte man sich einem Zugriff der deutschlandfreundlichen, argentinischen Sicherheitskräfte entzogen. Der Pilot der Maschine bestreitet, daß dies geschehen sei. Der Flieger, eine Apache-Piper, gehörte dem Schwiegervater des texanischen Ölmanagers William Negley, der Anfang der 40er Jahre für Standard Oil in Venezuela saß. Der Ölmulti wollte den Nachschub für die Wehrmacht an der Ostfront sicherstellen und schickte seine Leute in neutrale ölproduzierende Länder – nach Argentinien einen gewissen William Mosetti. Der Sproß einer Patrizierfamilie aus Triest war Offizier im Abessinien-Feldzug auf der Seite Mussolinis gewesen, dann in Alexandria für General Motors tätig. Dessen Chef, John D. Rockefeller jr., schickte ihn 1940 in das erdölproduzierende Argentinien, das enge Beziehungen zu den Achsenmächten unterhielt. Doch die Alliierten kontrollierten die Seewege und ließen Öltanker an Deutschland, Italien und Japan nicht mehr passieren. 1943 fuhr Mosetti in die USA und landete beim Geheimdienst der US-Army. Nach Kriegsende war er in Stuttgart bei der US-Militärregierung tätig. Dort entstand sein Kontakt zu Daimler-Benz.

Der Autobauer nahm ihn Ende der 50er Jahre unter Vertrag, nachdem seine argentinische Niederlassung wegen Nazigeldwäsche beschlagnahmt worden war. Es dauerte über drei Jahre, bis Mercedes-Benz Argentina legalisiert wurde. Mosetti wurde Generaldirektor und damit Chef von Ricardo Klement alias Adolf Eichmann. Als der am Morgen des 12. Mai nicht an seinem Arbeitsplatz in der Lastwagenfabrik erschien, meldete ihn Mosetti bei der Sozialversicherung ab, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch niemand wußte, daß Kollege Eichmann nicht an seinen Arbeitsplatz in der Elektrik zurückkehren würde.

Liaison zwischen Mossad und BND

Wie bei jeder Entführung vermißte die Ehefrau Vera ihren nicht nach Hause gekommenen Mann. Sie alarmierte am nächsten Morgen die Söhne, die unter ihrem richtigen Namen in Buenos Aires lebten. Wie Sohn Klaus später aussagen wird, suchte er zunächst mit 200 Kollegen aus der Mercedes-Fabrik auf ihren Motorrädern die Umgebung ab. Man habe, sagte er, die Sprengung der israelischen Botschaft diskutiert. Ob es zu antisemitischen Ausschreitung nach dem Vorbild der Reichskristallnacht kam, geht aus der zeitgenössischen Presse und den Berichten des polizeilichen Geheimdienstes nicht hervor. Es finden sich in den Polizeiakten aber mehrere Protokolle über Bombenanschläge in Cafés und gegen einen Polizeifunktionär – allerdings erst nach der Bekanntgabe der Verhaftung Eichmanns in Israel durch Ben Gurion.

Klaus Eichmann, stramm nach nationalsozialistischen Grundsätzen erzogen, bat die Armeeführung um Hilfe, unter deren Schutz die Nazis in Argentinien standen. Was die unternahm, ist nicht bekannt, in den argentinischen Archiven fehlt jeglicher Hinweis darauf. Es ist aber unschwer zu erraten, daß die Generäle empört über die Präsenz ausländischer Sicherheitskräfte auf ihrem Territorium waren.

Viele Jahre später wird Jorge Antonio, rechte Hand von General Juan Domingo Perón und Gründer von Mercedes-Benz Argentina, mir und dem argentinischen Fernsehen gegenüber erklären, daß es die eigenen Streitkräfte waren, die Eichmann in einem argentinischen Flugzeug in das Land abgeschoben hatten, aus dem er 1950 gekommen war: nach Brasilien. Genaugenommen nach Natal, im äußersten Nordosten des Amazonasstaates. Die brasilianischen Behörden wollten den Ausländer mit falschen Papieren nicht ins Land lassen und setzten ihn ins nächste Flugzeug, das bereit war, ihn aufzunehmen. Und das nächste Flugzeug war »zufällig« die El-Al-Maschine bei der Zwischenlandung auf ihrem Rückweg nach Israel. Die Gefangenenübergabe wurde mir von brasilianischen Behörden bestätigt. So landete der Kriegsverbrecher wenig heldenhaft wieder bei den Agenten, die ihm zehn Tage zuvor an seiner Haustür aufgelauert hatten.

Was sich in den zehn Tagen, zwischen dem 11. und dem 21. Mai, hinter den Kulissen abgespielt hat, darüber werden hoffentlich die Akten des BND Auskunft geben, auf deren Herausgabe ich erfolgreich vor dem Bundesverwaltungsgericht geklagt habe (siehe jW-Interview vom 7.5.2010). Zum Thema »Eichmann in Argentinien« will Pullach 3500 Blatt besitzen. Das Material sei streng geheim und stamme vor allem von einem Geheimdienst aus dem Nahen Osten – sprich vom Mossad.

Allein aus dieser Tatsache ergibt sich zwingend, daß die Geschichte anders war, als sie die Abteilung »Desinformation« des Mossad darstellt. Die wahre Geschichte hat der Bundesnachrichtendienst (BND) gerne mit anderen Diensten geteilt, nicht nur mit dem Mossad. Der CIA hatte er bereits im März 1958 Eichmanns genauen Aufenthaltsort und Decknamen mitgeteilt, wie aus einem jüngst freigegebenen Dokument der CIA hervorgeht. Warum der BND den Aufenthaltsort des flüchtigen Kriegsverbrechers nicht der Staatsanwaltschaft in Frankfurt/Main, die Haftbefehl gegen Eichmann erlassen hatte, mitgeteilt und damit den Nazi vor Strafverfolgung geschützt hatte, geht aus den bisher vorliegenden Unterlagen nicht hervor.

Auch wenn heute vieles noch ungeklärt ist – es stellen sich mehrere Fragen: Welchem Umstand ist es zu verdanken, daß bereits 1960 das Verhältnis zwischen Mossad und BND innig war? So innig, daß das Bundeskanzleramt diese Liaison bis heute am liebsten komplett zum Staatsgeheimnis erklären würde. Der BND war gerade erst aus der »Organisation Gehlen« hervorgegangen, benannt nach dem Nazigeneral Reinhard Gehlen. Seine Truppe bestand fast ausschließlich aus »bewährten« Kameraden der Abwehr und der SS. Wieso arbeiteten die Sicherheitskräfte des jungen Staates Israel eng mit dieser braunen Truppe zusammen?

Besonders merkwürdig ist aber auch, daß die argentinischen Generäle den flüchtigen Nazi den Israelis de facto auslieferten. Bis heute sind in der Armee starke antisemitische Tendenzen vorhanden, vor 50 Jahren aber noch offener Rassismus. Warum schützten sie, im Gegensatz zu anderen Nazis, Eichmann nicht? Hing das mit der geheimen Zusammenarbeit auf nuklearem Gebiet zusammen, von der Eichmann wußte? Er hatte Kontakte nach Bariloche, einer Stadt am Fuß der Anden. Dort hatten die deutschen Atomforscher aus Hitlers Atomprojekt das Forschungszentrum für die Nationale Atomkommission Argentiniens aufgebaut. War Eichmann eine Gefahr, weil er mit dem niederländischen SS-Mann Willem Sassen ein Buch über die »Endlösung« schreiben und dabei auch über seine langjährige Kooperation mit den zionistischen Organisationen berichten wollte? Oder stritt man sich in der Naziszene um die Aufteilung des während des Dritten Reichs geraubten Vermögens? Nach Informationen von Simon Wiesenthal hatte Eichmann in Europa verstecktes Beutegut, darunter Gold und Wertgegenstände aus dem Bestand der Judenvermögensabgabe, gesichert und damit die Fluchtbewegungen der Nazis über die »Rattenlinie« finanziert.

Die Atomconnection

In Argentinien weilten also deutsche Atomwissenschaftler, die schon an Hitlers Atomprojekt mitarbeiteten. Von denen wollte Schimon Peres Know-how. Zunächst hatte er versucht, die Franzosen zur Entwicklung der israelischen Atombombe zu bewegen. Sie bauten in der Negev-Wüste das Kernkraftwerk Dimona, das über einen nicht zugänglichen unterirdischen Bereich verfügt. Doch Frankreichs Staatschef Charles de Gaulle gab dem Druck aus Washington nach und ließ die Israelis mit ihren atomaren Wünschen alleine. Ende der 50er Jahre wandte sich Peres an die argentinische Atomkommission, damals unter militärischer Leitung, sowie an Adenauer und seinen ersten Atomminister (danach Verteidigungsminister) Franz Josef Strauß. Man verfolgte die gleichen Interessen. Die in Argentinien forschenden deutschen Nuklearwissenschaftler halfen Peres, und Adenauer spendete dem Chaim-Weizman-Institut im Jahr 1960 drei Millionen D-Mark für die nukleare Kooperation. Erst fünf Jahre später sollten Tel Aviv und Bonn diplomatische Beziehungen aufnehmen.

Wahrscheinlich war nicht nur Eichmanns Wissen über das brisante Dreiecksgeschäft und die Lieferung von Natururan und Schwerem Wasser ausschlaggebend dafür, daß man ihn aus dem Verkehr gezogen hat. Tatsache ist, daß die Nazi szene in Argentinien keineswegs traurig war, als Eichmann in die Hände der Israelis geriet. So etwa Wilfred von Oven, einst Adjutant von Jo seph Goebbels, dann Korrespondent des Spiegels in Südamerika. Von Oven zeigte immer gerne den von Rudolf Augstein persönlich unterzeichneten Presseausweis. Er leitete am Rio de la Plata in den 50er Jahren mehrere Nazipostillen, und bei YouTube sind heute noch einige seiner Widerlichkeiten über Juden anzusehen. Befragt, wie er und seine Kumpane auf die sogenannte Eichmann-Entführung reagiert hatten, antwortet er mir: »Wir waren alles andere als traurig. Eichmann hat ja die Juden nicht ins Konzentrationslager, sondern aus dem KZ herausgebracht.«

Das stimmt zumindest für die Zeit bis Kriegsausbruch. Wie aus den Unterlagen des Auswärtigen Amtes und des Bundesarchivs in Berlin und Koblenz hervorgeht, koordinierte Eichmann zunächst die jüdische Emigration nach Palästina. Mitte 1933 hatten zionistische Organisationen den Haavara-Vertrag mit der Regierung Adolf Hitlers abgeschlossen, über den jüdisches Kapital aus Deutschland nach Palästina transferiert werden sollte. Während Antifaschisten wegen der sofort einsetzenden Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung zu einem weltweite Boykottbewegung deutscher Produkte aufriefen, sprachen sich die Vertreter des Zionismus auf jüdischen Kongressen gegen diesen Boykott aus und vertrieben Waren »made in Germany« im Nahen Osten. Eichmann reiste für den Sicherheitsdienst (SD) nach Kairo und Palästina, um diese Kontakte zu intensivieren. Als Leiter der »Zentralstelle für jüdische Auswanderung« im besetzten Wien und dann in Berlin ging er mit Terror gegen die jüdischen Bewohner vor, von »freiwilliger« Auswanderung war ab diesem Zeitpunkt nicht mehr die Rede. Der Naziterror ließ die Auswandererzahlen emporschnellen. Letzteres war auch im Interesse der Zionisten. Erst mit Kriegsausbruch 1939 kam die Migration nach Palästina zum Erliegen. Im Januar 1942 führte Eichmann das Protokoll der Wannsee-Konferenz, auf der die systematische Vernichtung der europäischen Juden beschlossen und dann von ihm organisiert wurde.

Was Eichmann nach 1945 verbrochen hat – darüber erhoffe ich mir Aufschlußreiches aus den Akten des BND. Warum haben sich deutsche Historiker um dieses Material nicht früher bemüht?

Gaby Weber ist Auslandskorrespondentin in Buenos Aires. Sie hat über ihre Eichmann-Recherche das Buch »Chatting with Sokrates. Dialog um Öl, Atom und Eichmann. Ein Theaterstück«, Berlin 2008 veröffentlichte. Siehe auch www.gabyweber.com


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