Milch und Honig

Die tapferste Frau Thailands während der letzten beiden Wochen war zweifellos Pattara Waramit. Die Dame ist ein Parlamentsmitglied der Partei des hochverehrten Führers und kommt aus der Provinz Buriram. Nach der Zensurdebatte gegen den Minister für Transport, Verkehr und Kommunikation, Suriya Jungrungreuangrit, masste sie sich an, sich der Stimme zu enthalten. Sie beteuerte, sie wäre nicht vollkommen und uneingeschränkt davon überzeugt, es wäre beim Einkauf der CTX-Scanners für den neuen Flughafen nicht etwas in Richtung Korruption gelaufen. Es heisst, dass sich angeblich einige “Grosskopferte” an dem obskuren Geschäft gründlich gesund gestossen haben. Das konnte Frau Pattara einfach nicht akzeptieren und entschloss sich daher, sich der Stimme zu enthalten, obschon bereits vor der Abstimmung alle Parteiangeorndeten unmissverständlich praktisch befohlen wurde, sie müssten “parteitreu” wählen und dem armen, gebeutelten Herr Suriya ihr Vertrauen ausspreche. Und dann das! Man stelle sich vor! Ein Parteimitglied der alle-Thais-Liebenden und sie führt sich derart auf? Unglaublich! Frau Pattara gestand freilich, dass es ihr Gewissen war, das sie zu diesem Schritt bewog. Schliesslich vertrat sie die Bürger ihres Distriktes in Buriram. So etwas darf man als hörige Parteigenossin einfach nicht von sich geben, geschweige denn anklingen lassen! Ihr Gewissen! Das fanden die affiliierten Parteigenossen auch schlecht, denn wer macht es schon ins Parlament um nur die Interessen der Bürger zu vertreten? Dieses Konzept alleine würde Thailands Politik über den Haufen werfen. Wo kämen wir auch hin? Dementsprechend war auch der Richterspruch in den Reihen der Thai-liebenden Partei. Frau Pattara wurde als vaterlandslose Gesellin niedergemacht, was sie derart mitnahm, dass sie in Verzeiflungstränen ausbrach. Herr Suriya ist ja nicht nur Transportminister sondern hat auch den Erhalt der Partei durch uneigennützige Spenden von Millionen von Baht gesichert. Ausserdem ist er der Generalsekretär der Partei. Bitte schliessen Sie nun Ihre Augen, geneigter Leser. Stellen Sie sich vor, dass man einen Parteigeneralsekretär, der ach so viel Gutes getan hat, der Korruption bezichtigt. Stellen Sie sich vor, dass die vermaledeite Opposition, die ja eigentlich gar nichts mehr zu sagen hat, diesen Herrn an den Kadi liefern möchte. Und dann stellen Sie sich vor, dass ein Element aus der unerschütterlichen Phalanx der Thai-liebenden sich dazu erdreistet, zuzugeben, dass der Herr vielleicht doch nicht so rein wie Persil ist. Ein eklatanter Missbrauch der Macht die Frau Pattara in den Schoss gelegt wurde! Letztendlich wurde sie ja von ihren Wählern dazu erdacht, die Partei zu unterstützen und nicht, wie oftmals so fälschlich angenommen, die Wähler selbst.

Nachdem Frau Pattara als unpatriotisch entlarvt war und man sogar in Betracht zog, sie aus der oh so vaterländischen Partei auszuschliessen, wurde Herrn Suriya die Absolution von allen etwaigen Übeltaten erteilt. Das hatte unser geliebter Führer Thaksin Shinawatra übrigens in höchster Weisheit schon sowieso vorausgesehen. Bereits vor der Einrichtung eines von der Thai-liebenden Partei eingesetzten Untersuchungsausschusses hatte er verlauten lassen, dass alle Korruptionverdachte auszuschliessen wären. Herr Suriya wäre über jeden Zweifel erhaben. Schliesslich fährt er einen Merzedes.

Es trifft uns natürlich wie ein Pfeil, dass eine landesweite Umfrage ergeben hat, dass eine Mehrzahl der vaterlandslosen Bürger dieses Landes Herrn Suriya nicht genauso positiv zur Seite stehen wie der Führer das tut. Fast 60 Prozent der Befragten sagten, sie glaubten der Scanner-Deal wäre ein Fall für das Verfassungsgericht und Herr Suriya sollte sang- und klanglos aus der Partei entlassen werden. Über solch hirnrissige - da grundauf unberechtige - Meinungen kann der Führer natürlich nur herzlich lachen. Wer sind denn diese Leute? Die sollen gefälligst für 30 Baht ins Krankenhaus gehen und ansonsten die Schnauze halten. Dafür haben sie uns schliessslich gewählt.

Seltsamerweise eröffnete die unabhängige National Counter Corruption (Nationale Antikorruptionskommission) nur eine Woche nach dem Freispruch von Herrn Suriya, es gäbe klare Hinweise, dass der Ankauf der CTX-Scanners von korrupten Mottenlöchern nur so strotze. Das muss dem Führer aufstossen. Vielleicht sollte er in Erwägung ziehen, diese vaterlandslose Kommission in ihrer Gänze aufzulösen. In der Zwischenzeit möchte die Kommission den Fall unverschämterweise dennoch an das Verfassungsgericht weiterreichen, das, wie wir alle wissen, absolut unparteiisch ist.

Der Führer hat ja auch ganz andere Probleme am Hut, als sich damit zu beschäftigen, wie viele “Grosskopferte” sich mit über einer Milliarde Baht an dem Scanner-Deal stillschweigend bereichert haben. Thailand ist letztendlich immer noch das “Land der Freien”, auch wenn diese Bemerkung einem armen, ausgebeuteten Reisfarmer im Isan nicht unbedingt einleuchten mag. Nein, das grosse Problem ist wirklich der stetig anwachsende Preis für Erdöl und seine Derivate (Benzin, Heizöl, Kerosin).

Um diese Kosten zu verringern, hat der Führer alle patriotischen Thais angewiesen, jeden Abend um 20.30 Uhr eine einzige Glühbirne auszuschalten. Man fragt sich rechtens wie viele Glühbirnen in den 20-Zimmer-Villas des Führers und von Herrn Suriya ausgehen. Vielleicht auch nur im Zimmer der Maid. Die ist zwar Thai, aber seien wir ehrlich: Was hat die überhaupt zu sagen?

Ausserdem hat man in Regierungskreisen darüber gesprochen, ob man wohl allen Fernsehstationen zukünftig ab Mitternacht das Senden verbietet. Jetzt schliessen Sie bitte nochmals die überanstrengten Augen, geneigter Leser. Stellen Sie sich vor, dass Sie um 1 Uhr morgens aus allen Bars herausgeschmissen werden, denn Thailand möchte ja wenigstens die Jugend beschützen, einschliesslich der 15-jährigen Kellnerin. Nun wandeln Sie im Geiste nach Hause. Auf dem Weg nehmen Sie noch einige Flaschen Bier aus dem nächsten 7-11-Laden mit. Zuhause angekommen, ohne dass Ihnen ein vorbeirasender Jugendlicher die geschätzte Goldkette vom Hals gerissen hätte, lassen Sie sich vor dem Fernsehapparat nieder. Leider gibt es kein Programm mehr. Alle Kanäle sind tot. Was macht man als niederträchtiger Ausländer? Man legt sich eine DVD ein und beginnt mit dem ersten Bier. Möge Gott sich ihrer annehmen wenn Sie in einem Hotel als Tourist wohnen sollten. Die haben nämlich sogar in der Fünf-Sterne-Kategorie üblicherweise keinen DVD-Spieler. Vielleicht becircen Sie dann stattdessen Ihre Freundin aus der Bar. Der ist das sowieso lieber. Je früher Sie zum Schluss kommen desto früher kann sie wieder abhauen. Es hat also alles seine guten Seiten. Je nachdem auf welcher Position man steht.

Mittlerweile darf man auch auf einen Preis von 50 Baht pro Liter Benzin hoffen. Das vergällt selbstverständlich den durchschnittlichen Fahrer. Wer sich das Benzin nicht mehr leisten kann nimmt Bangkoks Skytrain oder die U-Bahn. Oder ein Taxi. Endlich kommt man pünktlich zum Ziel und braucht sich nicht einmal einen Parkplatz zu suchen. Wenn Sie mich fragen, geneigter Leser, ist das die optimale Lösung. Bangkoks permanente Verkehrsstaus können nur auf diese Weise abnehmen.

Schliessen Sie jetzt bitte noch einmal die Augen. Stellen Sie sich vor, dass Bangkoks Strassen von nur wenigen Vehikeln bevölkert sind. Ein Traum oder Wirklichkeit? Ab und zu ein Lastwagen. Die Taxis sind immer noch vorhanden. Hier und da ein BMW oder Merzedes, von dem Sie mit Sicherheit annehmen dürfen, dass sich darin ein “Grosskopferter” fortbewegt. Denen machen höhere Benzinpreise nämlich genausowenig aus wie eine überhöhte Strom- oder Telefonrechnung. Immerhin sind wir ja im “Land der Freien”. Und solange der verehrte Minister Suriya auf solch ein Recht pochen darf, sind wir alle, Thai und “Farang”, im Einklang.

Anmerkung: Dieser Artikel ist nur für innerparteilichen Gebrauch bestimmt. Jeder Missbrauch, der dem gemeinen Volk die Augen öffnet, ist mit strengster Bestrafung, gegebenenfalls Parteiausschluss und Deportation nach Nord-Korea zu ahnden.

Es ist nicht auszuschliessen, dass meine Worte gehöriges Grollen im Lager der sogenannten “Advokaten der Toleranz” auslösen. Sie dürfen die Augen jetzt übrigens wieder aufmachen, geneigter Leser. Nur wer jene störrisch zugekniffen behält, kann meinen Ausführungen nämlich nicht folgen.

Selbstverständlich ändert auch der Umstand, dass man vier Stunden im lokalen Krankenhaus zu warten hat bevor einer der wenigen vorhandenen Ärzte sich dazu erniedrigt, das gebrochene Bein zu versorgen, an meiner uneinsichtigen Auffassung wenig. Lobeshymnen an den grossartigen Führer, der uns aus der Bredouille geholfen hat, sind fehl am Platz. Selbst viele vaterlandslose Ärzte, vormals in öffentlichen Hospitälern malochent, scheinen meiner Meinung. Die desertierten mittlerweile überwiegend zu privaten Krankenhäusern. Man muss sich seinen BMW ja irgendwie finanzieren.

Aber letztendlich ist das alles vernünftig. Immerhin hat Thailand ja nun auch ein Freihandelsabkommen mit Australien. Wir erwarten mit Spannung, dass wir australische Weine für 400 Baht kaufen dürfen. Die Australier, auf der anderen Seite, werden ebenso frohlocken. Die dürfen sich an frisch eingeflogenem Som Tam ergötzen, und ohne die erdrückenden Importsteuern. Da hat doch wirklich jede Seite ihren Vorteil. Besonders der allgegenwärtige Führer, der nun über seine Firma AIS endlich auch Kommunikationsservice in Australien anbieten darf. Zu Thai-Preisen, versteht sich. Ach, Gott sei Lob und Dank, dass einige Schafe eben halt doch gleicher sind als andere. Milch und Honig vertragen sich immer. Für einige, zumindest.