Im Land der Depressiven
Unter der wiedergekehrten – und anscheinend alljährlich schlimmer werdenden – Dürre scheinen nicht nur die Reservoire und Flüsse auszutrocknen, sondern auch die Gehirne so mancher Thais. Zumindest verzeichnen gemäss Zeitungsberichten die psychiatrischen Krankenhäuser besonders im Norden und Nordosten zur Zeit regen Zulauf. Der stellvertretende Direktor des Ratchanakharin-Hospitals in Nakhorn Ratchasima (Korat) liess beispielsweise verlauten, dass sein Institut gegenwärtig bis zu 500 Patienten pro Tag betreut. “Seit Januar diesen Jahres haben wir (in unserem Hospital alleine) 37.673 Leute wegen ernsthaften Anspannungserscheinungen behandelt,” zitierte die Bangkok Post Herrn Norachart Ratanachata. Als Grund für den Patientenansturm nannte er Stress bei den Hilfesuchenden hervorgebracht durch Ängste wegen verdorrender Felder und damit einhergehenden Einkommensverlusten. Aber hoppla! Wenn man nur nicht wüsste, dass Thailands Wasserknappheit zu einem grossen Prozentsatz eigentlich genau von jenen Individuen mitverursacht wird, die sich nunmehr wegen Stress psychiatrischer Behandlung unterziehen müssen. Drei Reisernten im Jahr verschlingen bei einer ständig anwachsenden Bevölkerung nun einmal Unmengen an Wasser. Währenddessen wird fleissig weiter abgeholzt um noch mehr Felder und Obstgärten anzulegen, wobei natürlich vollkommen ausser Acht gelassen wird, dass dadurch die ökologisch notwendigen Wasserrückhaltsgebiete vollends zerstört werden. Dezimierte Wälder lassen auch Regenperioden immer spärlicher und unregelmässiger ausfallen. Hinzu kommt noch der persönliche Wasserverbrauch pro Kopf im Lande der Freien, der zu den höchsten der Welt gehört. Geschätzte 280 Liter Trinkwasser vergeudet der durchschnittliche Thai jeden geschlagenen Tag. Und Songkran, das Wasserfest, während dem sich trotz Dürre und Zukunftsängsten hunderttausende im ganzen Land in nassen Schlachten engagieren, steht vor der Tür. Na ja, wegen dem ganzen Trockenzeitstress soll man sich ja nicht auch noch den allerletzten “sanuk” (Spass) vergällen lassen. Auf die paar Millionen Liter, die sinnlos im Erdreich versickern, kommt es nicht mehr an.
Dabei darf man nun auch nicht übersehen, dass die Thais sowieso nicht unbedingt zu den mental gesündesten Völkern auf Mutter Erde zählen. Psychiatrische und psychologische Probleme durchsetzen die Bevölkerung Dürre hin oder her. Das bestätigte kürzlich sogar der stellvertretende Generaldirektor der Abteilung für geistige Gesundheit am Gesundheitsministerium, Dr. Apichai Mongkol. Nach seiner Einschätzung leiden ungefähr 600.000 Thais (also ca. 1 Prozent der Bevölkerung!) an manischer Depression, einem durch extreme Stimmungsschwankungen charakterisierten Zustand. Dr. Apichai machte diesen Zustand für die ansteigende Selbstmordrate hauptverantwortlich. Statistiken bewiesen, dass sich in Thailand alle 90 Minuten jemand das Leben nehmen würde. Leider verschwieg der gute Doktor welche Umstände manische Depression im allgemeinen auslösen. Ich habe mich einmal aus dem Internet schlau gemacht. Ich fand heraus, dass ein haupsächlicher Grund für die Manifestierung von manischer Depression ist, dass der Betroffene sich nicht oder nur ungenügend mit seinen alltäglichen Problemen auseinandersetzt. Auf gut deutsch: Man frisst ständig alles in sich hinein und versucht Probleme, die sich natürlich anstauen, zu unterdrücken durch eine wie auch immer geartete Vermeidung einer Auseinandersetzung mit denselben. Wie beim sprichwörtlichen Dampfkessel wird allerdings in zeitlichen Abständen der Druck übergross. Das Resultat ist der urplötzliche, buchstäblich von einer Sekunde zur anderen stattfindende, radikale Stimmungsumschwung. Entweder fühlt sich der Patient dann zu Tode betrübt und mit Selbstverachtung geschlagen oder seine Depressionen entladen sich explosiv mit einer Aggressionsreaktion gegenüber anderen. Und noch einmal Hoppla! Dem aufgeweckten Leser ist hier doch sicherlich gerade ein Licht aufgegangen, oder? Ist Ihre thailändische Freundin schon einmal ohne ersichtlichen Grund oder einem Ihrer Meinung nach trivialen Anlass an die Decke gegangen, hat gar nach dem Messer gegriffen und sie bedroht? Hat sie die Wohnungseinrichtung nach Ihnen geworfen während sie Sie mit Schimpfwörtern überschauerte? Als wohl erzogenes Mitglied der hiesigen Gesellschaft, in der eine offene Problembearbeitung unschicklich, ja gar verpönt ist, hat sie mit ihren Gefühlen, Wünschen und Erwartungen monatelang brav hinter dem Berg gehalten. Anfragen ging sie generell aus dem Weg. Probleme, die sie insgeheim mit Ihnen hatte, wurden niemals zur Sprache gebracht.
Diese Reaktionen finden sich nicht nur bei den hauseigenen Freundinnen. Jeder, der lange genug im Lande lebt, hat zumindest ein Mal mitbekommen, wie blitzartig und – selbst ohne ersichtlichen Alkoholeinfluss – unglaublich brutal sich aufgestaute Depressionen und Frust oftmals entladen. Da brauchen sie einen Jüngling an der Ecke nur eine Sekunde zu lange anschauen und sofort ist bei ihm der Ofen aus. Er trommelt seine Kumpane zusammen und haut Ihnen die Hucke voll. Oder die Kellnerin in der Bar, in der Sie sich über eine inkorrekte Rechnung beschwert hatten, zieht Ihnen eine Bierflasche über den Kopf. Selbstredend, dass sich die Thais bei solchen Aktionen keineswegs gegenseitig ausklammern. Blutige Fotos in einschlägigen Schundmagazinen sprechen Bände. Ob jedem dieser Vorfälle manische Depression zugrunde liegt, darf zwar mit Vorsicht genossen werden. Dennoch sehe ich gewisse Tendenzen. Vielleicht sollten Sie für Ihre Holde nach deren nächstem Gefühlsausbruch doch besser einen Termin beim lokalen Onkel Sigmund vereinbaren. Der verschreibt der aus heiterem Himmel zur Furie gewordenen Schönen dann wahrscheinlich das eine oder andere Mittelchen zur Ruhigstellung und Unterdrückung der inneren emotionalen Selbstzerfleischung.
Es ist sowieso erstaunlich, wie viele Thais regelmässig Medikamente wie Diazepam, Xanax, Lorazepam oder Valium einnehmen, entweder selbstverschrieben oder durch ärztliches Rezept verschafft. Dies keineswegs um am Abend in süssem Schlummer zu versinken sondern um das zerrüttete Gemüt zu beruhigen. Ein englischer Bekannter meiner Wenigkeit berichtete, dass von den zehn thailändischen Angestellten in seinem Büro die Hälfte diese Arzneihämmer wie Bonbons einwarfen, darunter sowohl Girls in ihren zwanzigern als auch junge Spunde. Man hat es halt aber auch nicht leicht im Land der Freien. Entweder wird man von selbstverschuldeten Dürren quasi in den Wahnsinn getrieben oder darf sich angestaute Probleme per Verbot durch die Gesellschaft nicht von der Seele reden, geschweige denn nach Lösungen suchen.
Speziell Herren haben oftmals freilich ein ganz anderes Dilemma zu bewältigen. Sie müssen ihre Nebenfrauen vor dem Drachen zuhause geheim halten, was mitunter zu Stress und Depressionen führt. Na, an die ganzen Arzneien kommt man ja noch relativ einfach, aber mit den Hilfsmitteln zur Beglückung der Mätressen wird es wohl bald schwieriger, wenn man einem kürzlichen Zeitungsbericht Glauben schenkt. Die FDA (Food and Drug Administration) hat die Kleinmarktkette 7-Eleven angewiesen, bislang angebotene “Artikel zur Erhöhung sexuellen Genusses aufgrund ihrer sozialen Verantwortung” mit sofortiger Wirkung aus dem in jeder Filiale ausliegenden Heimbestellkatalog zu entfernen. Unter jenen anrüchigen Produkten befanden sich angeblich gewisse “Spielsachen” aus Latex als auch Tinkturen zur Steigerung und Aufrechterhaltung sexueller Erregtheit. Die letzteren, oft basierend auf antiken chinesischen und thailändischen Naturrezepten, waren von der FDA nicht zugelassen, da deren Wirkung nicht einwandfrei bewiesen werden konnte. Die ersteren, nun, da fragt man sich wirklich, was der Beweggrund für das Verbot gewesen sein könnte. Kann es sein, dass einige Herren bei der FDA einen sexuellen Knacks haben? Der könnte sicherlich durch einen Psychiater behoben werden, wenn man es nur wollte.
Wir wissen jedoch, dass man im Land der Freien Sexualität als etws Unartiges und Schmutziges betrachtet, auch wenn sich die Bevölkerung Jahr um Jahr wie die Hasen vermehrt, da Eltern ihre mitunter zigköpfige Kinderschar unter keinen Umständen aufklären. An öffentlichen Schulen wurde in dieser Hinsicht bisher auch nichts unternommen. Also experimentiert die neugierige Jugend eben von frühestem Schulalter miteinander. Dies, so sagen quertreiberische Psychologen, kann allerdings zu einem geistigen Knacks führen. Vor kurzem wurde dennoch vom Erziehungsministerium ein reichlich wirr verfasstes Aufklärungsbuch vorgestellt, mit dem die armen, da sowieso schon derart ausgestressten, Lehrer zukünftig den wissbegierigen Schülern das A und O des Verhältnisses zwischen Bienchen und Blümchen näherbringen sollen. Die Lehrer, nicht die Eltern, denn die sind wegen der Dürre und der Vielweiberei eh schon dem Wahnsinn nahe!
Währenddessen treibt es die verdorbene Jugend unverdrossen weiter, denn offensichtlich ist man dort weniger verklemmt als unter den sogenannten Erwachsenen. Freizügige Kleidung zählt zum Ausdruck dieser genossenen Freiheit. Was unserem kaum 40-jährigen Bangkoker Gouverneur neulich ein Dorn im psychologisch verhärmten Auge war. Er mokierte sich, dass jugendliche Tänzerinnen während einer an einer Schule durchgeführten Show allesamt in Sphagettiträgerkleidchen paradierten, was Herr Apirak selbstredend als “provokativ und unschicklich” befand. Er befahl dem städtischen Amt für Erziehung unverzüglich Massnahmen einzuleiten, die weitere derartige Darbietungen eindämmen. “Wir müssen sicherstellen, dass von Schülern organisierte Aufführungen schicklich bleiben…. Ich denke, traditionelle Kostüme wären in solchen Shows angebracht,” verlautbarte er. Gemäss Zeitungsbericht hatten “einige Tänzerinnen bereits die Pubertät erreicht und ihre Tanzbewegungen erbrachten Lacher aus dem Publikum”. Obschon ich mir nicht ganz sicher bin, wie dieser Kommentar aufzufassen ist, stelle ich mir jetzt einmal vor, dass es unter den anwesenden Gästen doch einige Schelme gab. Ganz im Gegensatz zu Herrn Apirak, der laut Bericht die Aufführung mit verkniffenem Gesicht über sich ergehen liess. Man darf nur hoffen, dass solche Unerhörtheiten unseren braven Gouverneur nicht zum Diazepam-Abhängigen werden lassen.
Zum Abschluss noch ein – zugegebenermassen etwas getürktes und mit fantasievoller Sprechblase versehenes - Foto unseres geliebten Führers. Der Gute hatte es in letzter Zeit nicht einfach und das Bild spricht Bände. Da Sie, geneigter Leser, nun beinahe ein Experte für die unter Thailands Bevölkerung grassierenden psychiatrischen Probleme sind, überlasse ich es Ihnen, ob Sie Herrn Thaksin anhand des Fotos eher die ersten Symptome manischer Depression oder schlichtweg Langeweile wegen des unqualifizierten Gefasels der ohnehin machtlosen Opposition bescheinigen wollen.