Anatomie einer Weltkrise, die gerade erst begonnen hat

So lauter der Titel der Zeitschrift „Der Spiegel“ vom 17.11.08. Auf 23 Seiten wird über dieses Thema berichtet.

Der Spiegel 47/2008
So entstand das Spiegel-Titelblatt (mit dem durch eine Kugel am Hirn getroffenen GEORGE WASHINGTON abgebildet):
GEORGE WASHINGTON who led the Continental Army to victory over the Kingdom of Great Britain in the American Revolutionary War or how GREAT BRITAIN IS KILLING "symbolically" GEORGE WASHINGTON who led the Continental Army to victory over the Kingdom of Great Britain in the American Revolutionary War (1775–1783).

Acht SPIEGEL-Redakteure und -Mitarbeiter haben in den vergangenen Wochen recherchiert, wie es zur größten Finanzkrise seit 1929 kommen konnte, einer Krise, die 23 Billionen Dollar Wertverlust an den Börsen der Welt brachte, die bislang 21 Banken allein in den USA in den Ruin trieb.

Seit Wochen versuchen die Regierungen der größten Wirtschaftsnationen, die Finanzmärkte und die Krise in den Griff zu bekommen, so auch am Wochenende in Washington. Den Weg in die Katastrophe zeichnet nun der SPIEGEL in seiner Titelgeschichte nach. In ihr wird deutlich, wie einfallsreiche, skrupellose Finanzjongleure jahrelang mit Milliarden zockten und die Risiken rund um den Globus versteckten.

Vor allem aber zeigen die Recherchen, dass in den Finanzmärkten Gefahren für die Weltwirtschaft lauern, die viel größeren Schaden anrichten können als die Immobilienkrise, die für die aktuellen Probleme verantwortlich ist. Eine 57-Billionen-Dollar-Blase, entstanden vor allem durch spekulative Kredit-versicherungen, droht, zu platzen und die Weltrezession dramatisch zu verschärfen.

SPIEGEL-Reporter Ullrich Fichtner besuchte in Zürich eine Messe der internationalen Großbanken, sprach mit Bankern aus mehreren Ländern und gewann den Eindruck: Die Banker, die die Welt an den Rand des Ruins getrieben haben, sind nun damit beschäftigt, wie sie zu Krisengewinnlern werden können. Fichtner ließ sich von einem Risikomanager der Credit Suisse in einem dreistündigen Hintergrundgespräch erklären, warum die Krise noch lange nicht vorbei ist und das Schlimmste noch bevorstehen könnte.

In Basel besuchte Fichtner die Bank für internationalen Zahlungsausgleich, wo ihm Spezialisten die Zusammenhänge der Weltkrise darlegten. Mit vielen Finanzexperten diskutierte er die komplizierten innovativen "Finanzprodukte", die geholfen hatten, die Kreditblase aufzupumpen. Fichtner sammelte die Recherchen und Texte der Kollegen ein und verschraubte sie zu einem Wirtschaftskrimi, zur Chronik eines Kapital-Verbrechens.

"Die Lage ist schlimmer, als die Leute glauben"

Dass der US-Immobilienmarkt überhitzt war, hatte sich bereits im vergangenen Jahr abgezeichnet. Welche Gefahr darin lag, erfuhr Wirtschaftsredakteur Beat Balzli im Juli vergangenen Jahres, als im Berliner SPIEGEL-Büro Jamie Dimon, der Chef von JP Morgan Chase, zu Gast war. Auf die Frage, ob sich aus der Krise am US-Immobilienmarkt eine Rezession entwickeln könnte, antwortete Dimon unter anderem: "Die Lage ist schlimmer, als die Leute glauben."

Der Bericht im Spiegel schliesst mit diesen Sätzen:

Das aber heisst: Die unregulierten globalen Geldströme und die durch die Kreditspirale des vergangenen Jahrzehnts betriebene Geldvermehrung haben einen finanzmarktgetriebenen, nicht mehr auf Gütern und Waren und Handel gegründeten Kapitalismus etabliert, der ständig neue spekulative Blasen, erzeugen muss. Der Finanzmarkt ist der eigentliche Markt geworden, die klassische Wirtschaft ist es nicht mehr: Der Wert der Finanzanlagen übersteigt den Wert aller weltweit verkauften Waren und Dienstleistungen inzwischen um das Dreifache. Und dieser Überfluss an Kapital ist immer wieder die Quelle neuer Booms und Blasen, sie heissen New Economy, Subprimes oder „Emergings Markets“. Die nächste Blase, darauf wetten die Banker auf der Zürcher Messe schon jetzt, wird auf den Rohstoffmärkten erwartet.

Was können Staaten tun? Weltregierungen? Wenn die Blasen platzen, dann versucht die staatliche Notenbankpolitik das Abrutschen der Realwirtschaft in die Rezession stets durch Verbilligung von Krediten aufzuhalten, so war es 2001, so ist es in den USA auch heute: Der Leitzins ist auf ein Prozent gesenkt worden, wie es Mitte 2003 schon einmal der Fall war. Und wie so oft in einer Krise wehren sich Notenbanken und Regierungen mit immer neuer Geldzufuhr, immer neuen Staatsgarantien, immer neuen Milliarden, mit Billionen gegen das Platzen der finanziellen Superblase. Als wäre es eine letzte grosse Wette auf den Erhalt und gegen den Untergang der bestehenden Weltordnung.