Die Völker des östlichen Asien
Überall gelten die Deutschen als das reiselustigste Volk unserer Welt. Deshalb ist es auch kein Wunder, daß ein deutscher Forscher bereits in den 1860er Jahren in den Ländern Südostasiens unterwegs war und darüber der Nachwelt sechs voluminöse Bücher hinterlassen hatte. Nur: diese Bücher wurden bisher nie ins Englische und Französische übersetzt, geschweige denn, daß sie in den wichtigen internationalen Forschungsarbeiten entsprechend Beachtung und Anerkennung gefunden hätten. Dieser erheblichen Vernachlässigung entgegenwirken möchte der Karlsruher Studienreiseleiter und Völkerkundler Reinhard Hohler, der nun schon seit 20 Jahren in Thailand wohnt und sich mit den Reisen Dr. Adolf Bastians intensiv beschäftigt.
Adolf Bastian wurde am 26. Juni 1826 in der Hansestadt Bremen geboren, wo ihm die Liebe zur frühen Schiffahrt anscheinend in die Wiege gelegt worden ist. Nach dem Studium der Medizin und Naturwissenschaften in Heidelberg, Prag und Würzburg war er als Schiffsarzt acht Jahre lang auf Weltreise in Australien, Neuseeland, in der Südsee, Süd- und Nordamerika, Ostasien, Indien, Vorderasien und Afrika. 1859 landete er mit einem reichen wissenschaftlichen Material in Europa.
Seine zweite Reise von 1861 bis 1865 führte ihn gezielt nach Hinterindien, wo er die „Geschichte der Indochinesen“ im Dunkeln liegend vorfand, die es aufzuhellen galt. So besuchte Bastian der Reihe nach die Länder Birma, Siam, Kambodscha und Vietnam. Nach dem Besuch der indonesischen Inselwelt, Japan und China erfolgte die Rückreise nach Europa über die Mongolei und Sibirien zum Kaukasus. Bastian arbeitete dann an der Universität Berlin, wo er im Fach Völkerkunde 1868 habilitierte und gleichzeitig das Berliner Museum für Völkerkunde gründete. Interessant ist, daß laut Bastian die Völkerkunde oder Ethnologie „die Lehre vom Menschen in seinen geselligen Verhältnissen“ ist.
Viele weitere Reisen führten Bastian in alle Weltteile, bis er schließlich in Bangkok im Jahre 1904 Ehrenmitglied in der neugegründeten „Siam Society“ wurde. Auf seiner letzten Reise in die Karibik ist er dann am 3. Februar 1905 in Port of Spain, Trinidad, im hohen Alter von 79 Jahren verstorben.
Wir nehmen die Spur von Dr. Adolf Bastian, dem Vater der deutschen Völkerkunde Südostasiens, in Birma auf. Von der indischen Stadt Madras über die Bucht von Bengalen kommend, erreichte er mit Hilfe der Monsunwinde nach Sichten der Pagode von Syriam und der Schwedagon den sicheren Hafen von Rangun. Nach einem mehrwöchigen Aufenthalt in der von Großbritannien besetzten Handelsstadt folgte Bastian am 1. November 1861 in einem birmanischen Ruderboot dem Irawadi flußaufwärts und passierte die Siedlungen von Yandun, Henzada und Prome. Weiter über Thayetmyo ging es an der Pagodenstadt Pagan vorbei bis nach Mandalay, wo Bastian eine Audienz bei König Mindon bekam und längere Zeit im Palast wohnte. Am Fuß der Schanberge entlang erreichte er später die Stadt Toungu am Sittang-Fluß und landete schließlich in Martaban. Von Moulmein war es nicht mehr weit zur siamesischen Grenze bei Myawadi, wo Bastian am 7. November 1862 eintraf und jenseits der Grenze das Dorf des heute thailändischen Mae Sot lag.
Wir folgen nun den Spuren Bastians in Siam in das Jahr 1863. Mit Hilfe von einigen gemieteten Arbeitselefanten des Karen-Volkes reiste Bastian bis nach Tak, von wo aus er dem Ping und Menam flußabwärts folgte über Kamphaeng Phet, Nakhon Sawan, Chainat, Angthong, Ayutthaya, Nonthaburi bis nach Bangkok. Dort bekam er eine Audienz bei König Mongkut und bewunderte den Jadebuddha im Wat Phra Keo. Weiterhin nutzte er seinen längeren Aufenthalt in der siamesischen Königsstadt, um sich über das Klosterleben, die Rechtsverhältnisse, über Sitten und Gebräuche, die Phantasiewelt des Übernatürlichen, sowie letztlich über die Feste und Spiele der Siamesen sehr ausführlich zu erkundigen. Beeindruckt war er sicherlich von den herrschenden religiösen Vorstellungen, vor allem vom Buddhismus, dem Bastian später sogar ein eigenes Werk widmete.
An den längeren Aufenthalt in Bangkok schloß sich endlich die interessante Reise am 30. November 1863 durch Kambodscha nach Cochinchina an, die im alten Saigon in Vietnam endete. Diese Reise ist auch heute noch ein Abenteuer und kann erst seit der Beendigung des mörderischen Bürgerkrieges in Kambodscha (1975-1979) von Bangkok aus wieder durchgeführt werden. Zuerst reiste Bastian über Prachinburi und Kabinburi an die kambodschanische Grenze nach Aranyaprathet, wo wir auf solide Steintempel als erste Zeugnisse des ehemaligen Khmerreiches stoßen.
Sobald wir die Grenzstation in Poipet hinter uns gelassen haben, erwartet uns eine Piste mit zahlreichen Schlaglöchern, um über Sisophon und Siem Reap die alte Hauptstadt Angkor zu erreichen, heute der größte Königsfriedhof der Welt, der zur Zeit Bastians noch völlig vom Dschungel überwuchert war. Der Sonnenlauf über Angkor Wat überwältigte schon den französischen Naturforscher Henri Mouhot ein paar Jahre vor Adolf Bastian. Heutzutage hat sich ein deutsches Restaurationsteam den 1850 himmlischen Tänzerinnen (apsaras) angenommen, die zur Unterhaltung der Gottkönige bis ins Jenseits ihre Grazie ausstrahlen. Riesige Wasserstaubecken dienten zum Auffangen der Fluten in der Regenzeit und für die überlebenswichtige Trinkwasserversorgung der Bevölkerung in der Trockenzeit. Im 13. Jh. ließ König Jayavarman VII. sich schon zu Lebzeiten ein Mausoleum errichten, wo exakt 54 Türme aus Sandstein aufgeschichtet wurden und 216 mächtige Gesichter das Grabmal markierten. Selbst der nüchterne Bastian kam ins Philosophieren, wie solch eine großartige Kultur entstehen und wieder untergehen konnte. Faszinierend dabei ist, daß Bastian entgegen der damaligen linearen (westlichen) als auch dann der zyklischen (östlichen) Evolutionsvorstellung die Entwicklung als „Spirale“ sah, was den modernen Auffassungen sehr nahe kommt.
Mit einem Boot fahren wir auf den Tonle Sap, den fischreichsten Inlandsee der Welt, der sich in der Regenzeit in ein Meer verwandelt und sich danach wieder in den Mekong ergießt, den längsten Fluß Südostasiens. An den flachen Ufern dehnen sich unzählige Dörfer der Khmer, Cham und Vietnamesen aus. Bastian erreichte über den Tonle Sap Battambang, eine Provinzhauptstadt im Westen Kambodschas. Von hier aus quälte er sich durch üppigen Tropenwald und morastigen Untergrund über Pursat und Kampong Chhnang nach Udong, wo er bei der Krönung von Prinz Norodom zugegen war. Nach Bastians Besuch wurde in Phnom Penh ein neuer Königspalast gebaut, der heute sehr auffällig kolonialfranzösisch geprägt ist und als wichtigstes Nationalheiligtum einen grünen Kristallbuddha besitzt. Tatsächlich ist die vornehme Silberpagode immer noch die private Schatzkammer des Königs von Kambodscha, deren rechteckiger Boden mit über 5000 kilogrammschweren Silberplatten ausgelegt ist. In Phnom Penh gabelt sich der Mekong in den Gold- und Silberarm genau an der Stelle, wo der Tonle Sap-Fluß in den Mekong mündet.
Der Mekong erreicht in Vietnam ehemaliges Khmer-Siedlungsland und fließt dort als „neunköpfiger Drache“ ins Südchinesische Meer. An der Grenze zu beiden Ländern liegt Angkor Borei, Hauptstadt des legendären Funan-Reiches. Funan lag schon vor 2000 Jahren im Schnittpunkt bedeutender Handelswege, die über das Meer nach China und Indien führten. Archäologische Funde beweisen auch einen Fernhandel mit dem Römischen Reich. Eine wichtige Hafenstadt war Oc Eo, damals und heute ein verschwiegener Ort im Mekongdelta, den Bastian aber nicht angefahren hatte. Von der Hafenstadt Mytho aus erreichte Bastian entlang eines Kanals schließlich am 17. Februar 1864 Saigon, die südliche Hauptstadt der Vietnamesen. In Saigon endete nun die Landreise von Bastian, den weitere Schiffspassagen nach Singapur, Batavia und Manila brachten, weiter nach Japan und China, wo er von Peking aus die bereits erwähnte Rückreise nach Europa antrat.
Während England und Frankreich im eifrigen Wettbewerb um Kolonialbesitz standen, machte sich in Deutschland in diesem Zusammenhang erst am Ende des 19. Jh. ein auffallender Aufschwung des völkerkundlichen Interesses bemerkbar. Doch ist dieses Interesse nach Ende des ersten Weltkrieges leider wieder in einen bis heute anhaltenden Dornröschenschlaf gefallen. Möge doch das unerschöpfliche Material über die Völker des östlichen Asien in den in Leipzig und Jena erschienen Büchern von Dr. Adolf Bastian, sein charismatischer Einfluß und die vorbildliche Schaffenskraft noch vielen nachfolgenden Forschergenerationen nützen.
Es wäre wünschenswert, wenn sich eventuell aus der damals sicherlich einmaligen Reiseroute des deutschen Forschers eine mehrteilige Fernsehdokumentation anbahnen würde, die der Autor dieses Berichts sich ausdrücklich urheberrechtlich vorbehält.
Chiang Mai, im September 2001
Reinhard Hohler
3/1 Maneenoparat Soi 2,
Chiang Mai 50200, Thailand
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