Der Schulbesuch in Phnom Penh ist frei und kostenlos. Theoretisch. In der Praxis aber kassieren Kambodschas Lehrer von Schülern Bargeld - besonders gierige Pädagogen verhökern sogar Snacks und Zahnbürsten im Klassenzimmer.
Forsch radelt der junge Kambodschaner Sok Sopheap am Morgen durchs Verkehrsgewühl der Hauptstadt Phnom Penh, vorbei am Kuppelbau des Zentralmarkts Phsar Thmey, ein Art-Deko-Kleinod der französischen Kolonialära in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts.
Sopheap hat es eilig, denn um 7.30 Uhr fängt die Schule an - kein Problem in Phnom Penh, wenn man pünktlich erscheint und ein paar Banknoten der Landeswährung Riel in der Tasche hat. Denn an den Stromkreis des Unterrichts können sich praktisch nur solche Schüler anschließen, die ihren Lehrern Bargeld überreichen - zunächst einmal 700 Riel (13 Euro-Cent) für die Unterrichtsstunden am Vormittag.
Das Scherflein dient dazu, das Einkommen der Lehrer anzuheben. Sie verdienen in Phnom Penh mit umgerechnet 40 Euro monatlich weniger als Arbeiter etwa in der Textilindustrie. Damit aber kommt man nicht weit in der Millionenstadt, die bis zum Ausbruch der globalen Finanzkrise einen wilden Boom erlebte. Profitiert haben davon korrupte Beamte und Politiker sowie ausländische Investoren, die im Stadtbild mit schweren Geländewagen auftrumpfen.
Täglich Nudelsuppe
Bei den Lehrern dagegen diktiert Schmalhans mit der täglichen Nudelsuppe das Leben. "Allein das Haushaltsgas frisst den größten Teil meiner Entlöhnung auf", klagt etwa der Hauptschullehrer Kat Soprach. Und dann muss er noch das Benzin für sein Moped kaufen.
Den Eltern der Schüler ergeht es kaum besser. Doch für die Bildung ihrer Sprösslinge sind sie zum Lehrer-Notopfer bereit - auch am Nachmittag, wenn die Lehrer Privatunterricht erteilen. Den lassen sich die Pädagogen je Schüler mit 500 Riel (zehn Cent) vergüten. Entgehen kann diesen Zusatzstunden kaum ein Schüler, weil die Lehrer nicht etwa repetieren, sondern weiterhin wichtige Teile des Unterrichtsstoffs vermitteln - als beharrlichen Zwang, der praktischerweise noch mehr Riel einbringt.
Übers Jahr müssen die Eltern der Schüler in Phnom Penh pro Kind ein Zehntel ihres Einkommens an die Lehrer weitergeben, obwohl eine Reform aus dem Jahr 2000 den freien und kostenlosen Hauptschulbesuch vorsieht. Die Reform aber ist in der Praxis nur eine Papiergröße geblieben. Viele Eltern haben von ihr noch nie gehört, ergab eine Studie des kambodschanischen Hilfswerks Education Partnership.
Und nur weil manche Lehrer ihrerseits gelernt haben, den Schülern noch mehr abzupressen, regt sich Kritik an den Sonderzahlungen, die euphemistisch "informelle Schulgebühr" genannt werden. "Was für eine Gesellschaft soll das sein, wenn ihre Grundlage schon in der Schule Korruption ist?", fragt eine Mutter in der Untersuchung von Education Partnership.
Abgebrüht und gierig
Ebenso abgebrüht wie gierig haben manche Lehrer begonnen, in den Klassenzimmern auch noch Artikel des täglichen Bedarfs zu verkaufen - Snacks zum Beispiel und Zahnbürsten und Zahnpasta, Seife, Bastkörbe und sogar Wickelröcke, die berühmten kambodschanischen Sarongs.
Zu den elterlichen Kostenpflichten zählen in Kambodscha aber auch die Schuluniform, Anmeldegebühren, Lernmittel, der Schulausweis samt Foto und - als ultimativer Tort gleichsam - die Auslagen für die Zeugnishefte. All das rundet ein Jahresgeschenk für die Klassenlehrer ab, dem sich kaum jemand entziehen kann.
Wenn man die Sonderzahlungen an die Lehrkräfte und den großen Rest der Ausgaben addiere, müsse jeder Schüler umgerechnet knapp zwei Euro täglich für den Unterricht und die Schule bezahlen, hat Leng Theavy errechnet, die Sprecherin des Hilfswerks Education Partnership. Viele Schüler sind deshalb gezwungen, die Schule ohne Abschluss zu verlassen. Oder sie müssen früh aufstehen, um sich durch das Schleppen von Gemüsekisten auf den Märkten Geld für die Schule zu beschaffen.
Vielleicht ändert sich das aber bald: Im Erziehungsministerium wird an einem Verhaltenskodex für Lehrer gearbeitet, der keine Extrazahlungen mehr vorsieht. Sicher ist aber auch das nicht - wie das meiste in Kambodscha. "Die Lage im Erziehungsministerium ist außer Rand und Band", sagt etwa Leng Theavy. Am Ende bleibe es wohl doch wieder den Lehrern überlassen, ob sie von ihren Schülern Geld verlangen oder nicht.