Der Fall Lucie war ein musterhaftes Beispiel für kantonales Kompetenzgerangel und galoppierenden Amtsschimmel. Nun werden neue Vorwürfe laut. Der Schwyzer Nationalrat Andy Tschümperlin vermutet, dass die Suche nach dem Mädchen, das später von Dani. H. getötet wurde, wegen Kostenüberlegungen des Kantons Schwyz verzögert wurde.
Das kostet die Handyüberwachung durch Informatik-Service-Center (ISC) beim Bund: |
Echtzeitüberwachung: 2'410 Franken Rückwirkende Überwachung: 700 Franken 250 Franken pauschal ausserhalb der Bürozeiten 550 Franken für die Ortung eines Handys Quelle: www.admin.ch |
Solange ein Handy noch in Betrieb ist, ist es den nächsten Natel-Antennen zuweisbar. Diese sind in den meisten Fällen nur wenige hundert Meter entfernt. Daraus ergibt sich für die Polizei die Möglichkeit, ein entführtes Opfer, oder wenigstens dessen Natel schnell zu lokalisieren.
Warum, so fragt sich jetzt Andy Tschümperlin, Nationalrat aus dem Kanton Schwyz, wurde im Fall des von Daniel H. entführten und später umgebrachten Au-pair-Mädchens Lucie Trezzini diese Ortung nicht sofort vorgenommen?
Die Gründe, befürchtet Tschümperlin, könnten profan sein: «Da wurde womöglich am falschen Ort gespart.» Die Herausgabe der Handydaten durch das EJPD kostet gegen 4000 Franken (siehe Infobox). Richtig teuer wird es, wenn die kantonalen Untersuchungsbehörden eine zusätzliche Ortung des Handys anfordern oder den Dienst ausserhalb der Bürozeiten in Anspruch nehmen. Im Notfall kann in der ganzen Schweiz eine Handyortung nachträglich bewilligt werden, ausser im Kanton Schwyz, der für die Fahndung nach Lucie zuständig war. Dort muss ausdrücklich eine Genehmigung durch den Kantonsgerichtspräsidenten Martin Ziegler erfolgen. «Offenbar sind die Schwyzer Behörden die einzigen, die es anders machen», meint Andy Tschümperlin lakonisch.
Tschümperlin und andere Bundesparlamentarier befürchten jetzt, dass genau dieser Kostendruck den Schwyzer Kantonsgerichtspräsidenten Martin Ziegler dazu bewogen hat, für die Herausgabe von Handydaten eine zusätzliche Genehmigung durch ihn selbst zu verlangen. Denn gesetzlich steht auch im Kanton Schwyz nichts im Wege, die Genehmigung nachträglich zu erlangen, da im Notfall jede Minute zählt. Dies ist im Bundesgesetz für die Überwachung von Post- und Fernmeldeverkehr (BÜPF) national geregelt.
Die Schwyzer Affäre kocht über
Wie man heute weiss, kam die Handyüberwachung im Fall Lucie Trezzini sowieso zu spät. Nicht weil die zuständige Untersuchungsrichterin Christina Müller vergeblich auf eine schnelle Überwachung von Lucies Handy hoffte, sondern weil die 16-Jährige zu diesem Zeitpunkt schon tot war. Ihr Handy war in den Stunden ihres Verschwindens ausgeschaltet. Trotzdem hat der Schock über die Tötung des Au-pairs dazu beigetragen, dass der Skandal über die vorenthaltenen Handydaten überkochte. Untersuchungsrichterin Müller kritisierte den Schwyzer Kantonsgerichtspräsidenten Martin Ziegler in aller Öffentlichkeit. Man habe ihr in Bern die Herausgabe der Handydaten mit Berufung auf den Kantonsgerichtspräsidenten zunächst verweigert.
Justitia ächzt unter dem Spardruck
«Unsinn», sagt Peppino Beffa, Kantonsratsmitglied und Präsident der kantonalen PUK, «ich wüsste nicht, wo in der Schwyzer Justiz gespart werden müsste.» Er will nichts von den Vorwürfen des SP-Nationalrates wissen. Für Tschümperlin ist der Fall klar. Nach über zehn Jahren im Schwyzer Kantonsparlament sagt er: «Das ist wieder mal typisch Schwyz. Gegen aussen tut man so, als kenne man keinen Kostendruck. Das habe ich aber ganz anders erlebt.»
Mit diesem Vorwurf steht Tschümperlin nicht alleine da. Auch in anderen Kantonen kann man ein Lied vom grassierenden Kostendruck, der auf die Untersuchungbehörden drückt, singen. Carlo Sommaruga, Rechtsanwalt und Genfer Nationalrat, fordert deshalb, der Bund solle die Kosten für die Handyüberwachung übernehmen, um so den Kostendruck von den kantonalen Untersuchungsbehörden zu nehmen. Der Verdacht bleibt: Sah sich der Kantonsgerichtspräsident dazu gezwungen, der Beschaffung von Handydaten durch das Untersuchungsrichteramt einen Riegel zu schieben? Ordnete er deshalb an, dass keine Handydaten ausgeliefert werden dürfen, ohne seine Erlaubnis? Inzwischen hat das Schwyzer Parlament mit dem Einsatz der ersten parlamentarischen Untersuchungskommission in der Geschichte des Kantons auf die Vorfälle reagiert.