Der investigative Journalist und Pulitzer Preiträger Seymour Hersh hat einen Artikel veröffentlicht, der zeigt, dass die US-Regierung und Präsident Barack Obama bewusst gelogen haben, als sie behaupteten, die syrische Regierung habe im August in einem von "Rebellen" besetzten Gebiet das Kampfgas Sarin eingesetzt.

Hershs detaillierte Schilderung basiert auf Informationen von aktuellen und ehemaligen amerikanischen Geheimdienstlern und Militärs und wurde am Sonntag im London Review of Books veröffentlicht. Der Artikel mit dem Titel "Wessen Sarin?" entlarvt die Propaganda, die die Regierung mehrere Wochen lang tagtäglich verbreitet hat und die von den Medien kritiklos wiederholt wurde, als kalkulierten Betrug Er sollte den Vorwand für einen Angriff auf das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad liefern.

Der Artikel enthüllt auch scharfe Differenzen innerhalb des Staatsapparates über den Beginn eines Luftkrieges, der, wie es ein hochrangiger Berater für Sondereinsätze formulierte, darauf hinausgelaufen wäre, "der [mit Al Qaida verbündeten] al Nusra-Front Luftunterstützung zu geben."

Letzten Endes musste die Regierung angesichts von internen Streitigkeiten über den Beginn einer offenen Militäraktion, die durch den massiven Widerstand der Bevölkerung gegen einen weiteren unprovozierten Krieg im Nahen Osten verstärkt wurden, von ihrem Vorhaben abrücken und einem russischen Plan zur Zerstörung der syrischen Chemiewaffen zustimmen. Später nahm sie Gespräche mit dem wichtigsten Verbündeten Syriens in der Region, dem Iran, auf.

Hershs Schilderung, wie Geheimdienstinformationen systematisch manipuliert wurden, um die amerikanische Bevölkerung in einen weiteren mit Lügen gerechtfertigten Krieg zu ziehen, zeigt, dass Obamas Rückzug in Syrien keineswegs eine Abkehr vom Militarismus bedeutet. Vielmehr verkörpert er eine provisorische Änderung der Taktik zur Erreichung der hegemonialen Ziele der USA im ölreich Nahen Osten. Sie wird von der Entscheidung begleitet, weitere diplomatische und militärische Ressourcen verstärkt auf Washingtons Versuche zu konzentrieren, seine wichtigeren Gegenspieler zu isolieren und einzudämmen: Russland und vor allem China.

Hersh schreibt: "Barack Obama hat im Herbst nicht die ganze Wahrheit gesagt, als er weiszumachen versuchte, Baschar al-Assad sei verantwortlich für den Chemiewaffenangriff am 21. August nahe Damaskus. In einigen Fällen ließ er wichtige Passagen weg, in anderen stellte er Annahmen als Tatsachen dar. Vor allem gab er nicht zu, was in amerikanischen Geheimdienstkreisen bekannt ist: dass das syrische Militär nicht die einzige Seite in dem Bürgerkrieg ist, die Zugang zu dem Nervengas Sarin hat, das laut einer Untersuchung der UN bei dem Raketenangriff eingesetzt wurde. Die UN wiesen allerdings keiner Seite die Verantwortung zu.

"In dem Monaten vor dem Angriff erstellten die amerikanischen Geheimdienste eine Reihe von streng vertraulichen Berichten, darunter einen offizielle Operationsbefehl - ein Planungsdokument, das einer Bodeninvasion vorausgeht - und beriefen sich dabei auf Hinweise, dass die Al Nusra-Front, eine Dschihadistengruppe, die mit Al Qaida verbündet ist, zur Produktion von Sarin in der Lage ist und es in nennenswerten Mengen herstellen konnte."

"Als der Angriff stattfand, hätte die Al Nusra-Front in Verdacht geraten müssen, aber die Regierung suchte sich die Beweise raus, die sie brauchte, um einen Angriff auf Assad zu rechtfertigen."

Hersh beruft sich auf Obamas Rede am 10. September, die landesweit im Fernsehen übertragen wurde, in der er ausdrücklich erklärte: "Wir wissen, dass das Assad-Regime für einen Angriff mit Sarin im Osten von Ghuta verantwortlich ist, bei dem angeblich hunderte von Menschen getötet wurden. In dieser Rede behauptete Obama, amerikanische Geheimdienste hätten die Vorbereitungen der syrischen Regierung auf den Angriff einige Tage lang beobachtet.

Hersh schreibt unter Bezugnahme auf seine Quellen aus Geheimdienst und Militär (die aus verständlichen Gründen anonym bleiben), dass die US-Regierung nicht im Voraus vor dem Sarin-Angriff gewarnt wurde. Stattdessen hatte sie Geheimdienstdaten von einem früheren Testeinsatz des syrischen Militärs mit Sarin benutzt, um ein Szenario zu entwerfen und dies als echte Geheimdienstinformationen über den Angriff am 21. August benutzt.

Hersh zitiert eine seiner Quellen, die diese Verfälschung mit dem Zwischenfall im Golf von Tonkin 1964 vergleicht. In diesem Fall hatte die Johnson-Regierung die Reihenfolge von abgefangenen Nachrichten der National Security Agency umgekehrt, um Bombenangriffe auf Nordvietnam zu rechtfertigen.

Noch verheerender als das selektive Zitieren und verfälschen von Geheimdienstberichten war die Entscheidung, eine Reihe von Geheimdienstberichten vom letzten Frühjahr und Sommer zu ignorieren und zu verheimlichen, die zu dem Schluss kamen, dass die vom Westen unterstützten und von Dschihadisten dominierten "Rebellen" die Fähigkeit hatten, Sarin zu erwerben und einzusetzen. Diese Berichte beruhten auf CIA-Analysen, über die das Weiße Haus informiert wurde, und eine Operationsanweisung von den Joint Chiefs of Staff, die zu dem Schluss kam, dass amerikanische Bodentruppen, die Chemiewaffenlager sichern sollten, möglicherweise gegen "Rebellen" kämpfen müssten, die "in der Lage sind, amerikanische Truppen mit Sarin anzugreifen, da sie in der Lage sind, das tödliche Gas zu produzieren."

Hersh liefert mit seinen Enthüllungen Insiderbeweise für etwas, was jedem unparteiischen und einigermaßen informierten Beobachter bereits klar war: dass die Kriegspropaganda über einen Gasangriff durch die syrische Regierung ein Haufen Lügen war, die den Vorwand für einen Krieg und Regimewechsel schaffen sollten.

Das syrische Regime hatte zu dem Zeitpunkt keinen Grund für einen derartigen Angriff. Es war dabei, die sunnitischen "Rebellen" zu besiegen, die von einem Großteil der Bevölkerung gehasst und verachtet wurden und auf Plünderungen und die hemmungslose Ermordung von Christen und Schiiten zurückgriffen. Der Angriff ereignete sich nur wenige Kilometer vom Hauptquartier der UN-Waffeninspektoren entfernt, die von Assad ins Land eingeladen worden waren und gerade frühere Gasangriffe untersuchen wollten. Im Mai hatte Carla del Ponte, ein Mitglied der Unabhängigen UN-Untersuchungskommission zu Syrien, von "schlagkräftigen, konkreten Beweisen" gesprochen, dass die früheren Angriffe von mit dem Westen verbündeten Kräften ausgeführt worden waren.

Die mit Al Qaida verbündeten "Rebellen" und ihre amerikanischen, französischen, britischen und saudischen Geldgeber hatten jedoch allen Grund dafür, ein solches Verbrechen zu begehen - und waren durchaus dazu in der Lage -, um eine direkte Intervention des Westens zu rechtfertigen.

Die Obama-Regierung konnte nie einen einzigen konkreten Beweis für die Behauptung erbringen, das Assad-Regime sei verantwortlich für den Gasangriff.

Hershs Artikel stellt auch den amerikanischen Medien ein weiteres Armutszeugnis aus; sie haben wieder einmal die Chance ergriffen, die Kriegspropaganda der Regierung zu verbreiten. Nur wenige Stunden nach dem Sarinangriff im August veröffentlichten die Washington Post und die New York Times Leitartikel, die die Schuld der syrischen Regierung als Tatsache darstellten und eine militärische Reaktion forderten. Geschmierte Fernseh-"Journalisten" propagierten die Linie der Regierung und wollten die öffentliche Meinung auf einen neuen Krieg einstimmen.

Hersh schreibt, das Weiße Haus habe neun Tage nach dem Sarin-Angriff eine ausgewählte Gruppe von Washingtoner Reportern eingeladen und ihnen eine "Einschätzung der Regierung" gegeben, die Hersh als "politische Argumentation zur Stärkung der Position der Regierung gegen die Assad-Regierung" bezeichnet. Ausgeschlossen war "mindestens ein oft kritisch berichtender Reporter namens Jonathan Landay, der Korrespondent für Fragen der Nationalen Sicherheit der McClatchy-Zeitungen."

Vor allem die New York Times hat eine kriminelle Rolle gespielt. Die "maßgebliche Zeitung" knüpfte an ihre Rolle von vor dem Irakkrieg an, als sie Lügen der Regierung propagierte und legitimierte und ohne irgendwelche unabhängigen Untersuchungen die Behauptungen der Regierung wiederholte.

Hersh bezieht sich auf einen Artikel, der auf Grundlage einer Analyse der Flugbahn von zwei ausgebrannten Raketen, die angeblich Sarin enthalten hatten, beweisen sollte, dass die Geschosse von einem Stützpunkt der syrischen Armee mehr als neun Kilometer vom Ziel entfernt abgefeuert wurden. Er zitiert Theodore Postol, einen Professor für Technology und nationale Sicherheit vom Massachusetts Institute of Technology, der den amerikanischen Chef für Marineoperationen beraten hatte und den Times Artikel als "völligen Blödsinn" bezeichnete, da die Reichweite der Raketen kaum mehr als zwei Kilometer betrug.

Beispielhaft für den zutiefst undemokratischen Charakter des ganzen Vorgangs war eine Kolumne von Roger Cohen in der Times, die am gleichen Tag erschien, an dem das Weiße Haus die Presse empfing: "Kriegsmüdigkeit in den USA und Großbritannien ist keine Entschuldigung dafür, ein Gut von dauerhafter strategischer Bedeutung - die nationale Glaubwürdigkeit - für ein kurzlebigeres einzutauschen - die öffentliche Meinung."

Die pseudolinken Organisationen wie die International Socialist Organization, die die Behauptungen der Regierung für bare Münze nahmen und für ihre Kriegspropaganda einsetzten, rundeten den Chor der Kriegsbefürworter ab.

Hershs Artikel bestätigt in vollem Umfang die Position der World Socialist Web Site und des Internationalen Komitees der Vierten Internationale.

Die WSWS schrieb am 22. August: "Die haltlosen Vorwürfe, das syrische Regime von Präsident Baschar al-Assad habe einen Chemiewaffenangriff vor Damaskus verübt und dabei zahlreiche Zivilisten getötet, trägt alle Kennzeichen einer inszenierten Provokation, die eine westliche Intervention herbeiführen soll."

Vier Tage später schrieben wir: "Zehn Jahre nachdem die US-Regierung auf Grundlage von Lügen über nicht existente Massenvernichtungswaffen einen Krieg gegen den Irak entfesselte, schicken sich Paris, London und Washington an, mit einer nicht weniger grotesken Provokation einen neuen Aggressionskrieg gegen Syrien zu rechtfertigen."

„Den Behauptungen, dass das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad vergangenen Mittwoch in Ghouta (nahe Damaskus) Chemiewaffen eingesetzt habe, fehlt jegliche Glaubwürdigkeit.“

Die WSWS hatte in den folgenden fünf Wochen Dutzende von Artikeln und Erklärungen veröffentlicht, in denen sie die Kriegstreiberei analysierte und die imperialistischen Ziele hinter der Demagogie und den Lügen enthüllte. Diese Bilanz zeigt, dass die WSWS und die sozialistische Weltbewegung, für die sie spricht, die einzige Stimme der internationalen Arbeiterklasse im Kampf gegen den Krieg ist.


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