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Der Freitags-Kommentar vom 12. Februar 2016,
von Olivier Kessler, Chefredaktor «Schweizerzeit»

 

Unwahrheiten zur Durchsetzungsinitiative


Foto: Rapper Stress (Wikipedia)

Im Abstimmungskampf zur Durchsetzungsinitiative drängeln sich vermehrt Kunstschaffende in den Vordergrund. An vorderster Front: Rapper Stress.

Eine ganze Seite hat die Pendlerzeitung «20 Minuten» in der Ausgabe vom 10. Februar 2016 der Durchsetzungsinitiative gewidmet. Nicht etwa, um objektiv zu informieren, sondern um Statements von Künstlern zur Vorlage abzudrucken. Schon während des gesamten Abstimmungskampfes äusserte sich Rapper Stress fast täglich zur Vorlage – so auch wieder in besagter Ausgabe von «20 Minuten». Dort liess er sich folgendermassen zitieren:

«Ich bin gegen die Initiative, weil sie nicht richtig durchdacht ist. Sie vereinfacht etwas, das sehr komplex ist. Es stört mich, dass Menschen in einen Topf geworfen werden. Selbst wenn du hier geboren bist: Wenn du keinen Schweizer Pass hast, besteht die Gefahr, dass du rausgeworfen wirst. Es macht alle Ausländer zu schwarzen Schafen. Das ist rassistisch.»

Jeder einzelne Satz von Rapper Stress ist nachweislich falsch oder suggeriert Tatsachen, die keine sind. Aber alles der Reihe nach.

«Ich schreie herum, zerschlage Gegenstände»

Der «Schweizer Illustrierten» gegenüber verriet Stress kürzlich, dass er sich des Öfteren nicht mehr unter Kontrolle habe: «Ich bin extrem impulsiv, gehe sehr schnell von null auf hundert.» Wie sich das äussert? «Ich schreie herum, zerschlage Gegenstände, auch mein Handy». Es sei ein «riesiger Effort» für ihn, nicht zu explodieren und ruhig zu bleiben. Dass er explodiere, sei aber schon lange nicht mehr vorgekommen. Er habe jetzt alles unter Kontrolle.

Mag sein, dass Stress seine physischen Gewaltausbrüche mittlerweile Im Griff hat. Seine Wutausbrüche allerdings kriegte er bis heute nicht unter Kontrolle. An den verbalen Entgleisungen («Fuck Blocher») und der Brandmarkung der Durchsetzungsinitiative als «rassistisch» erkennt man schnell, dass Stress noch an sich und seinen emotionalen Ausbrüchen arbeiten muss. Denn ob man nun Gegenstände zerschlägt oder mit der Rassismuskeule auf alles niederdrescht, was nicht der eigenen Meinung entspricht, macht grundsätzlich keinen grossen Unterschied.

Hätte Stress sich die Zeit genommen, um sich vorurteilsfrei mit der Vorlage intensiv auseinanderzusetzen, hätte vielleicht die Chance bestanden, dass die Argumentation von Stress im Abstimmungskampf stichhaltig und inhaltlich korrekt daher gekommen wäre. Herausgekommen ist leider das Gegenteil.

Betrachten wir doch kurz nochmals Schritt für Schritt seine Aussagen:

«Ich bin gegen die Initiative, weil sie nicht richtig durchdacht ist. Sie vereinfacht etwas, das sehr komplex ist.»

Das ist eine unbelegte Behauptung, die ohne Begründung nichts aussagt. Stress führt nicht an, was seiner Meinung nach zu Unrecht vereinfacht wurde. Die Durchsetzungsinitiative stellt klare Regeln für unsere Gesellschaft auf: Wer sein Gastrecht in der Schweiz missbraucht, indem er schwere Straftaten begeht, soll in Zukunft ohne Wenn und Aber ausgeschafft werden, wenn er rechtskräftig verurteilt wird. Bei weniger schweren Straftaten gibt es noch eine zweite Chance. Die Durchsetzungsinitiative vereinfacht also nicht, da sie Abstufungen zwischen unterschiedlicher Schwere der Delikte vorsieht und damit verhältnismässig ist. Inwiefern die Vorlage etwas vereinfachen soll, kommt nicht aus der Argumentation von Rapper Stress hervor.

Werden Menschen in einen Topf geworfen?

«Es stört mich, dass Menschen in einen Topf geworfen werden.»

Stress führt auch hier nicht aus, welche Menschen er meint und weshalb diese in einen Topf geworfen werden. Meint er die schwerkriminellen Ausländer? Wenn ja, weshalb soll man diese in Bezug auf die Ausschaffungspraxis nicht in denselben Topf werfen dürfen? Oder würde Stress mit der gleichen Logik etwa auch gegen Menschenrechte argumentieren, da auch bei diesen alle Menschen in einen Topf geworfen und ihnen gleiche Rechte zugestanden werden?

Oder meint er vielleicht «die Ausländer», die allesamt in einen Topf geworfen werden? Dann wäre es eine klare Falschaussage, da nicht alle Ausländer in einen Topf geworfen werden, sondern lediglich kriminelle Ausländer. Und selbst dies ist nicht ganz korrekt. Kriminelle Ausländer werden gemäss der Durchsetzungsinitiative in zwei Töpfe geworfen: In einen Topf der Schwerkriminellen, die nach erfolgter Verurteilung automatisch ausgeschafft werden. Und in einen Topf der Wiederholungstäter bei weniger schweren Delikten, die erst im Wiederholungsfall ausgeschafft würden. So oder so: Die Aussage von Stress ergibt keinen Sinn und verdeutlicht einzig, dass er den Initiativtext nicht gelesen hat.

«Selbst wenn du hier geboren bist: Wenn du keinen Schweizer Pass hast, besteht die Gefahr, dass du rausgeworfen wirst.»

Stress möchte damit wohl suggerieren, dass sich die Initiative gegen Ausländer per se richtet und jeder unmittelbar von einer Ausschaffung bedroht wäre. Doch das stimmt so nicht. Sie richtet sich ausschliesslich gegen kriminelle Ausländer. Ausgeschafft wird nur, wer sich straffällig macht. Nicht-Kriminelle sind von der Durchsetzungsinitiative nicht betroffen. Prinzipiell hat auch jeder anständige Ausländer nach einer gewissen Probezeit das Recht, Schweizer zu werden, wenn er das möchte. Dann könnte ihm auch die Durchsetzungsinitiative nichts mehr anhaben. Man könnte erwarten, dass Stress – selbst eingebürgerter Schweizer – davon Kenntnis haben sollte.

Entstehung zweier neuer Rassen

Der intellektuelle Tiefpunkt erreicht Stress spätestens mit seinen letzten beiden Sätzen:

«Es macht alle Ausländer zu schwarzen Schafen. Das ist rassistisch.»

Dass die Durchsetzungsinitiative rechtschaffene Ausländer in keiner Weise tangiert, wurde hier schon zur Genüge ausgeführt. Es werden eben damit nicht – wie das Stress in demagogischer Weise einzuhämmern versucht – alle Ausländer zu schwarzen Schafen gemacht. Jeder Ausländer kann sich frei dafür entscheiden, sich an die Gesetze in diesem Land zu halten oder eben ein schwarzes Schaf zu werden. Ein Automatismus für Ausländer, ein schwarzes Schaf zu werden, existiert wohl einzig in der Wahnvorstellung des Rappers.

Zu guter Letzt konstruiert Stress – kreativ wie er ist – sogar noch zwei neue Rassen: die Rasse der Ausländer und die Rasse der Schweizer. Somit würden neuerdings ein Schwarzafrikaner, ein Chinese und ein weisser Amerikaner plötzlich derselben Rasse angehören. Und ein Schweizer afrikanischen, chinesischen oder amerikanischen Ursprungs wäre nach dieser Logik plötzlich einer anderen Rasse zuzuordnen.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt fragt sich der Leser, weshalb solch unglaublich wirren Aussagen in der meistgelesenen Schweizer Zeitung eine Plattform geboten wird. Offenbar wurde seitens der «20 Minuten»-Redaktion niemand aktiv, um Stress auf die Inkonsistenz, ja die Lächerlichkeit seiner Aussagen hinzuweisen, bevor die Zeitung in Druck ging. Zum Leid von Stress: Er hat sich vor den Augen der ganzen Nation bis auf die Knochen blamiert.


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