by Prof. Dr. Albert A. Stahel

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Wo beginnt und hört der Halbkontinent Europa auf? Charles De Gaulle hat noch in den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts Europa geographisch als Raum definiert, der vom Atlantik bis zum Ural reiche. Für den geopolitischen Vordenker Zbigniew Brzezinski ist Europa lediglich der westliche Flügel Eurasiens und reicht vom Atlantik bis knapp an die russisch-ukrainische Grenze.[1] Dieses Europa ist für Brzezinski der amerikanische Brückenkopf, mit dem die USA Russland, das von ihm als das Schwarze Loch[2] bezeichnet wird, mindestens in Schach halten, wenn nicht sogar definitiv bezwingen können. Für Brzezinski ist ganz Eurasien ein Schachbrett der Grossmächte, deren Schachspiel das zukünftige Schicksal der Menschheit bestimmen könnte.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wird die Lage auf diesem Schachbrett durch die Konfrontation zwischen Russland und den USA um die Herrschaft über den östlichen Rand des westlichen Flügels von Eurasien (Europa) bestimmt. Dieser Osten ist der historische Limes Europas gegenüber Russland und reicht vom Baltikum über Polen und die Ukraine bis zum Kaukasus. Die Konfrontation zwischen den USA und Russland auf dem Schachbrett wird wie ein neuer kalter Krieg geführt, zu dem Einschüchterungen und Drohgebärden einschliesslich militärischer Übungen gehören.

Welche Ziele könnten die beiden Kontrahenten auf diesem westlichen Flügel des grossen eurasischen Schachbretts anstreben? Russland unter Wladimir Putin dürfte mindestens die territoriale Macht der Russischen Föderation erhalten, wenn nicht sogar Teile der früheren Sowjetunion wieder zurückerobern wollen. Die USA unter Barack Obama könnten mindestens mit Hilfe der NATO ihre Dominanz über den westlichen Flügel von Eurasien (Europa) erhalten, wenn nicht sogar die Macht und die Grenzen Russlands auf das Niveau einer reinen Regionalmacht hinunterdrängen wollen.

Für das Erreichen dieser Ziele setzen beide Mächte entsprechende Geostrategien ein. Russland hat die hybride Kriegführung wieder revitalisiert und versucht damit, seine Dominanz über die Ukraine und den Kaukasus durchzusetzen. Die USA wiederum nützen diese kleinen Kriege durch ihre Einmischung zur Abnützung der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Macht Russlands. Zu diesem amerikanischen Abnützungskrieg gehören auch die über Russland verhängten Sanktionen, mit deren Hilfe der Riesenstaat definitiv geschwächt werden soll.

Dieses geostrategische Spiel beinhaltet auch die Schachzüge der beiden Mächte gegenüber Deutschland. Während Russland mit wirtschaftlichen und energiepolitischen Mitteln und Erpressungen versucht, Deutschland von der NATO und der EU abzukoppeln, ist für die USA der neue kalte Krieg ein Mittel, um Deutschland politisch und wirtschaftlich in die Knie zu zwingen und wieder an sich zu binden. Ein typisches Beispiel eines solchen geostrategischen Schachzuges ist die Unterstützung Obamas für das Vorpreschen der Bundeskanzlerin Merkel beim Abschluss des Waffenstillstandes Minsk II. Dieser Waffenstillstand hat sich sehr bald als reine Chimäre erwiesen. Nach wie vor geht der Krieg in der Ostukraine weiter. Frau Merkel hat mit ihrer Fata Morgana international das Gesicht verloren, was auch erwünscht war. Deutschland hat 1945 den Krieg verloren und ist auch nach der Wiedervereinigung ein Vasallenstaat der USA und soll es auch in der Zukunft bleiben.

Das Schachspiel zwischen Russland und den USA dürfte weitergehen. Der Ausgang dieses Spiels ist zwar noch nicht entschieden, aber trotz der Pseudo-Allianz von Putin mit China könnten die USA das Spiel aufgrund ihrer heute immer noch bestehenden geopolitischen Überlegenheit für sich entscheiden.

[1] Brzezinski, Z., The Grand Chessboard, American Primacy and its Geostrategic Imperatives, Basic Books, New York, 1997, p. 34.

[2] Brzezinski, Z., p. 87-122.