Seit Beginn des Ukraine-Konflikts zeigen die deutschen Medien mit dem Finger auf Moskau. Innerukrainische Erklärungen für den Konflikt spielen hingegen kaum eine Rolle. Als nützlichste Medien-Erfindung erweisen sich dabei die "Pro-Russen"

Die Konfliktparteien in der Ukraine als "pro-russisch" und "pro-westlich" zu bezeichnen, hatte sich seit Beginn der Auseinandersetzung medial eingebürgert. Jedoch beschreiben solche Begriffe die beiden Lager mit all ihren Ausprägungen und inneren Widersprüche nur ungenügend und zum Teil auch falsch. So war Janukowitschs Politik lange positiv auf die EU ausgerichtet und Brüssel galt er als legitimer Verhandlungspartner. Wohingegen die Partei Swoboda und andere rechtsradikale Gruppen lieber eine national-souveräne als eine europäisch-integrierte Ukraine wollen. Schon im Dezember 2013 konnten diese Dinge jedem Journalisten mit ein wenig Recherche klar sein.

Statt "pro-russisch" und "pro-westlich" haben sich in der Ukraine denn auch ganz andere Bezeichnungen für die Konfliktparteien etabliert: Euro-Maidan und Anti-Maidan. Diese Begriffe nutzen hiesigen Medien jedoch kaum, hätten sie doch zur Folge, sich genauer mit den Gruppen beschäftigen zu müssen.

Als Viktor Janukowitsch aus der Ukraine flüchtete, begann ein neues Kapitel in dem Konflikt. Für jeden ersichtlich, hatten die Euro-Maidan- und die Anti-Maidan-Bewegung nun die Rollen getauscht.[1] Die einen sitzen seitdem an den Schalthebeln der Macht, die anderen haben sich in ihren Regionen bewaffnet, öffentliche Gebäude besetzt und Barrikaden gebaut – geradezu ein Spiegelbild der Situation von Dezember bis Februar. [2] Auch die internationalen Unterstützer beider Seiten drehten ihre Argumentation jeweils um 180 Grad.


Bildsprache: Foto-Montagen in TV-Sendungen konstruieren gern Duelle zwischen Russen und Ukrainern. Der als seriös geltende Dokumentationskanal Phoenix stellt dabei in tendenziöser Weise vermummte bewaffnete Russen und lächelnde junge Ukrainer gegenüber. Bilder: Screenshots der Sendungen Maybrit Illner (8. Mai) und "Phoenix vor Ort" (14. Mai)

 

Ukrainer werden zu Pro-Russen

Doch seit diesem Moment gilt das Ganze nicht mehr als Auseinandersetzung zweier inländischer Konfliktparteien, die jeweils mächtige ausländische Regierungen hinter sich wissen. Medien konstruieren stattdessen, dass Russland gegen die Ukraine kämpft.[3] Egal ob bewaffnet oder friedlich - aus ukrainischen Regierungsgegnern werden so pauschal "Pro-Russen".

Doch die Identität dieser "pro-russischen Kräfte" bleibt auch medial im Ungefähren. Vielleicht sind sie aus dem großen Nachbarland eingesickert, um für ein imperiales Großreich zu kämpfen? Vielleicht sind sie ethnische Russen, die in der Ukraine leben und der russischen TV-Propaganda alles glauben? Nur eins dürfen sie nicht sein: Bewohner der Ukraine mit dem berechtigten Anspruch, Akteure innerukrainischer Debatten zu sein.

Für Spiegel-Autorin Christiane Hoffmann sind die Bewaffneten dort "Gesindel"[4], für Welt-Kommentator Florian Eder "als einheimische Demonstranten verkleidete Unruhestifter"[5] und für ZDF-Korrespondentin Katrin Eigendorf einfach "Terroristen"[6]. Die Bewaffneten in der Westukraine bezeichnete kein Journalist so. Ganz klar: Professionelle Neutralität geht anders.

Hiesige Medien berichten aber auch über friedliche Regierungsgegner im Osten und Süden der Ukraine so, als wenn diese dort Fremdkörper oder Ausländer wären. Aus zahllosen Berichten trieft es: verblendete Sowjetnostalgiker, leichtgläubige Propaganda-Opfer, Putin hörig, grundlos hysterisch. Die Ängste, Anliegen und politischen Vorstellungen dieser Ukrainer sind damit nicht mehr legitim. "Moskau-nah", "pro-russisch", "kreml-treu" – wer gegen die neue Regierung ist, muss in vielen deutschen Journalistenaugen für Putin und den Zerfall der Ukraine sein.[7]

Tendenziöses Argumentieren leicht gemacht

In deutschen Medien heißt es nicht Euro-Maidan gegen Anti-Maidan, sondern Ukraine gegen Russland. Das geht zwar an der Realität vorbei, denn der Konflikt ist zuallererst ein innerukrainischer, doch hat ein Duell Kiew gegen Moskau für parteiische deutsche Journalisten viele Vorteile:

  • Mit den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Spannungen innerhalb der Ukraine brauchen sie sich nun erst recht nicht auseinanderzusetzen. Handlungen der neuen Regierung wie etwa die Entlassung tausender Staatsangestellter, die Wiedereinführung der gerade abgeschafften Wehrpflicht oder die Erhöhung der Energiepreise für Privathaushalte müssen nicht näher besprochen werden.
  • Die Ukraine können sie als eigentlich geeintes Land darstellen, das letztlich nur von außen destabilisiert wird. Das wertet gleichzeitig die Maidan-Bewegung als "vom ganzen Volk getragen" auf und nimmt die privaten bewaffneten Regierungsunterstützer aus dem Blick.
  • Den "Westen" (EU, USA) können deutsche Journalisten als Partei mit Ambitionen und als in der Ukraine tätigen Akteur völlig heraushalten. Noch besser: Die verbündeten Regierungen des transatlantischen Raums werden als "die internationale Gemeinschaft"[8] – mithin als überparteiischer, besorgter Beobachter mit legitimen Eingriffsrechten präsentiert.
  • Medial kann nun Wladimir Putin für alle Aktionen der Pro-Russen direkt verantwortlich gemacht und alle Widersprüche zwischen beiden als Verlogenheit Putins charakterisiert werden.
  • Und schließlich können Journalisten ihren moralischen Kompass durch die Erfindung der Pro-Russen ganz neu einstellen. Die Übergangsregierung hat nun selbstverständlich das Recht, sich mit militärischer Gewalt zu verteidigen, sie wird ja – anders als Janukowitsch – von außen attackiert. Sie setzt ihre Armee und die sogenannte Nationalgarde eben nicht gegen Ukrainer ein, sondern gegen (Pro-)Russen, die das Land spalten wollen. Diese zu töten gilt dann als akzeptabel.

Behauptungen statt Beweise

Selbst die Vorsilbe "pro" erscheint so manchem Medienschaffenden überflüssig.[9] Deutlich macht dies vor allem die wie ein Faktum behandelte Annahme, dass russisches Militär vor Ort agiert. Anders als auf der Krim, wo etwa Lastwagen der russischen Armee gefilmt wurden, gab es in den restlichen Teilen der Ukraine keinen stichhaltigen Beweis für Streitkräfte aus dem Nachbarland. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Belege hierfür schon lange den Weg in die Öffentlichkeit gefunden hätten, wenn es sie gäbe.

Was es gibt, sind Indizien bei der Bewaffnung einiger Kämpfer[10], fragwürdige Hinweise auf einen bärtigen Mann[11] und auf einen uniformierten Schauspieler.[12] Selbst der in mehreren transatlantischen Clubs tätige FAZ-Kommentator Klaus-Dieter Frankenberger spricht in diesem Zusammenhang lediglich von "Gerüchten" und "Vermutungen" gegen Russland.[13] Tatsächlich wissen die deutschen Medien nichts darüber, ob russische Militärangehörige getarnt als "Separatisten" in der Ukraine aktiv sind.

Argumentations-Basis: Unterstellungen

Trotzdem ist diese Behauptung unverrückbare Grundlage so ziemlich jeder journalistischen Argumentation gegen Russland. So werden etwa mediale Forderungen nach mehr Sanktionen einzig und allein mit der "Destabilisierung"[14] der Region durch Russland begründet.[15] Ohne Beweise ist die mediale Rechtfertigung für immer neue Sanktionen zutiefst unaufrichtig und unprofessionell. Es entsteht der Eindruck, deutsche Medien besorgen aus nationalen Reflexen heraus das Geschäft von Regierungen und Lobbygruppen, die sie doch eigentlich als selbst ernannte "Vierte Gewalt" kontrollieren wollen.

Auf die naheliegende Idee, dass sich die Bewaffneten aus desertierten ukrainischen Soldaten, einheimischen Tituschki-Banden und früheren Berkut-Polizisten[16] rekrutieren, will kein deutscher Journalist kommen.[17] Viele dieser Kämpfer haben sowohl die nötige Ausbildung als auch Zugang zu Waffen. Schließlich wurden zahlreiche Depots in Polizeistationen und Kasernen sowie Waffengeschäfte geplündert.[18] Was aber noch wichtiger ist, diese Leute haben auch die notwendige Wut und Motivation gegen anrückende westukrainische Truppen Schusswaffen einzusetzen. Immerhin löste die neue Regierung die Sonderpolizei Berkut noch Ende Februar auf.[19]

Dass es sich bei den ostukrainischen Regierungsgegnern (offizielle Sprachregelung "pro-russische Separatisten") aber auch um unbewaffnete Zivilisten handelt, zeigen mehrere Videos.[20] Dort ist zu sehen, wie Einwohner mit Zivilcourage versuchen, anrückende Panzer zu stoppen, indem sie sich ihnen in den Weg stellen. In deutschen Medien herrscht ein seltsames Schweigen hierzu. Und wenn, dann wird eher abfällig über die Zivilisten berichtet.[21] Wie würden solche Szenen kommentiert, kämen sie aus dem Iran, aus China oder Venezuela?

Prinzipien je nach Gusto

Zur Erinnerung: Wenn zu Zeiten des Euro-Maidan auch nur ein gepanzertes Polizeifahrzeug in Kiew zu sehen war, sprach so mancher deutsche Journalist von rollenden Panzern Janukowitschs gegen die eigene Bevölkerung. Ein zweites Tian’anmen oder die Wiederholung der Prager Ereignisse von 1968 deuteten sich an.[22] Nun schickt die neue Regierung tatsächlich ihre Armee gegen Einwohner des Landes. Und die Medien? Sie übernehmen fast eins zu eins Wortwahl und Standpunkt der Kiewer Staatsführung.[23] Grundsätzliche Kritik gibt es nicht.[24]

Ganz im Gegenteil: Die gerade erst mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis ausgezeichnete ARD-Korrespondentin Golineh Atai meinte etwa in einer Live-Schalte aus Donezk: "Diese Militäroffensive kommt leider viel zu spät."[25] Wie lassen sich derartige Meinungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen eigentlich rechtfertigen? Die Aussage der Vorzeige-Reporterin macht die höchst wechselhafte Haltung deutscher Top-Journalisten zu militärischer Gewalt erneut deutlich.[26] Wer sich an die einhellige Verurteilung der Polizeigewalt gegen die Maidan-Bewegung erinnert, wird den Eindruck der extremen moralischen Biegsamkeit so mancher Journalisten nicht los.

Ähnliches gilt für den Tod zahlreicher Regierungsgegner in Odessa. Grundsätzlich ist es absolut zu begrüßen, dass sich Medien vorsichtig über Täter und Tathergänge äußern, solange noch wenig bekannt ist. Jedoch macht die gefühlte Nachrichtensperre über den Brand mehr als nachdenklich. Vergleichsweise wenige Artikel setzen sich mit den Geschehnissen auseinander. Wenn, dann wird verklausuliert und rumgeeiert.[27] Kaum ein Journalist verurteilt die auf zahlreichen Videos[28] vom Tatort zu sehenden Hooligans und Nationalisten.[29]


Odessa und Mariupol: In beiden südukrainischen Städten töteten nationalistische Hooligans bzw. Soldaten zahlreiche Regierungsgegner. Für deutsche Medien waren die Opfer konsequent pro-russische Kräfte. Bilder: Aus YouTube-Videos vom 4. Mai (links) und 9. Mai (rechts).

 

Schwere handwerkliche Fehler

Moralische Doppelstandards sind das eine – berufsethische Verfehlungen das andere. Quasi wöchentlich treten neue grobe handwerkliche Fehlleistungen deutscher Medien im Ukraine-Konflikt zu Tage. Aktuellste Beispiele für das kollektive Recherche-Versagen sind die Waffen der "Separatisten", das Wiener Dokument, völkerrechtliche Streitpunkte und auch das Ignorieren des westlichen Wirtschaftskrieges gegen Russland.

Wo sind die Waffenexperten, die aufklären könnten, ob die Ausrüstung der Aufständischen tatsächlich nur aus russischen Militärbeständen stammen kann? Wo sind die Völkerrechtler, die das Für und Wider der gegenteiligen Positionen zum Krim-Anschluss darstellen? [30] Wo ist die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Wiener Dokument und der Abgleich dessen mit dem Vorgehen der Bundeswehr-Soldaten in der Ost-Ukraine? Warum lassen Redaktionen den westlichen Wirtschaftskrieg[31] gegen Russland quasi außen vor? Welche rechtlichen Grundlagen gibt es eigentlich für Sanktionen und Boykotte? Zahlreiche Themengebiete für kritischen Journalismus.

Statt all dieser Fragen besprechen die "Qualitätsmedien" hierzulande Umarmungsfotos von Geburtstagsfeiern, erstellen Putin-Psychogramme und liefern bunte Grafiken zu den Waffenarsenalen der Nato und Russlands. An den Haaren herbeigezogene Szenarien wie ein russischer Angriff auf das nordatlantische Bündnis finden genauso Raum wie Rüstungsaufrufe von Rüstungslobbyisten.

Festzuhalten bleibt: Viele hiesige Journalisten meiden innerukrainische Erklärungen für einen innerukrainischen Konflikt so gut es geht. Gleichzeitig präsentieren sie mit Russland/Putin einen Schuldigen, auf den sie alles abwälzen. Positionen und Sprachregelung westlicher Akteure werden vorschnell übernommen und deren Argumente nur selten auf Stimmigkeit geprüft. Kritisches Nachhaken fällt aus.

Die Permanenz und das breite Auftreten all dieser Missstände seit November 2013 sprechen klar für Vorsatz bei Chefredakteuren, Ressortleitern und Herausgebern deutscher Medien. Genauso klar ist die Konsequenz daraus: Desinformation darf nicht zur Zukunft medialer Konflikt-Berichterstattung werden.

 

Fußnoten

[1] Nicht vergessen werden darf, dass sich die progressiven Kräfte, die den Maidan ins Leben riefen, letztlich nicht durchsetzen konnte. Die neuen Herren Kiews sind mit Arsenij Jazenjuk, Alexander Turtschinow oder Petro Poroschenko Angehörige der traditionellen Polit-Elite des Landes. Jazenjuk war zuvor bereits Parlamentspräsident und Außenminister, Turtschinow war Chef des Inlandsgeheimdienstes SBU. Beide gelten als Zuarbeiter Julia Timoschenkos. Oligarch Poroschenko war Direktor der Nationalbank sowie Außen- und Wirtschaftsminister – letzteres unter Janukowitsch und Asarow. Diese Männer stehen eher für einen Elitentausch als für eine Revolution. Das wissen auch viel Maidan-Anhänger und stehen der Übergangsregierung skeptisch gegenüber.

[2] Genau wie Asarow und Janukowitsch zuvor bezeichnen auch Jazenjuk und Turtschinow die Aufständischen der Gegenseite als "Terroristen" und werfen ihnen vor, vom Ausland bezahlt und gelenkt zu werden. Beide Staatsführungen starteten "Anti-Terror-Operationen" und beriefen sich dabei auf dieselben Strafrechts-Paragraphen.

[3] Ausgenommen davon ist die Krim. Hier hieß es tatsächlich Ukraine gegen Russland, welches aber auch Unterstützung durch viele Krimbewohner hatte. Die Halbinsel war jedoch in vielerlei Hinsicht (ethnisch, historisch und geopolitisch) ein Sonderfall. Deswegen ist die Krimkrise als Folie für die restliche Ukraine eher ungeeignet.

[4] Presseclub vom 4. Mai (ab 10:07). Hoffmann spricht später von einem "Bürgerkrieg ohne Bürger".

[5] Kommentar bei Welt.de (18. April)

[6] Phoenix "Vor Ort" vom 28. April (ab 0:47)

[7] Dass auch in der Ostukraine eine große Mehrheit der Menschen (70 Prozent) für die Einheit des Landes ist, zeigt eine Umfrage des US-amerikanischen Pew-Instituts in der Ukraine. Für regionale Sezessionen sind im Osten nur 18 Prozent.

[8] So schreibt etwa Dana Schülbe auf rp-online (8. Mai): "So richtig traut die internationale Gemeinschaft den Worten Putins nicht". Auch in vielen anderen Berichten ist die Rede davon, dass die internationale Gemeinschaft über Putin "entsetzt" sei oder dass er international isoliert sei. Viele lateinamerikanische, afrikanische und asiatische Staaten werden hier aber in eine Art ideologische Geiselhaft des Westens genommen.

[9] Konsequenterweise lassen sie einige Autoren deshalb auch gleich weg: So etwa in diesem Zeit-Online-Artikel, hier bei Spiegel-Online oder direkt als Überschrift einer Bilderserie der Braunschweiger Zeitung. In einem Bericht bei Spiegel-TV (11. Mai, ab 21:12) fragt der Reporter einen Donezker Polizisten (auf Englisch), was er davon hält, dass "Russen" im Gebäude sind.

[10] Hierbei geht es vor allem um die Ausrüstung einiger Kämpfer mit teuren Gewehren, die es ausschließlich in der russischen Armee geben soll. Dazu gibt es aber nur inhaltlich dünne Artikel wie diesen bei Zeit-Online (15. April) oder diesen bei taz.de (14. April).

[11]Spiegel-Online zu den US-Fotos vom bärtigen Mann.

[12] Ein Hochstapler hatte sich in einer ostukrainischen Stadt als Offizier der russischen Armee ausgegeben. Viele deutsche Medien haben die Geschichte gern geglaubt. So etwa Ulrich Krökel von Zeit-Online (15. April) oder Armin Körper vom ZDF (Heute-Journal, 14. April), der sagte: "Wenn es noch Zweifel gab, ob russische Militärs hier aktiv sind, dann sind die jetzt wohl ausgeräumt." Claus Kleber entschuldigte sich ehrlicherweise dafür. Die Zeit-Autoren Kai Biermann und Meike Dülffer haben sich journalistisch-vorbildlich um eine Klärung bemüht.

[13] Klaus-Dieter Frankenberger: "Reaktion unterschätzt, Interessen gewahrt" (faz.net, 8. Mai): "Die Bilder von Leuten, die plötzlich das Kommando haben, Gerüchte, russische Spezialkräfte operierten in diesem Gebiet, und Vermutungen, der Kreml ziehe die Fäden, sind schon jetzt kein PR-Brüller [für Putin]."

[14] Stabilität und staatliches Gewaltmonopol in der Ukraine stellen erst seit dem Sieg der Maidan-Bewegung wieder wichtige Werte für deutsche Journalisten dar. So spricht etwa ein Text auf Tagesschau.de (5.Mai) davon, dass die ukrainische Armee lediglich versuche, "die staatliche Ordnung in Slawjansk wieder herzustellen." Was das konkret bedeutet, zeigt dieses Video aus Krasnoarmeijsk. Sogenannte Nationalgardisten erschießen dabei mindestens einen unbewaffneten, friedlich dastehenden Mann (bei 0:17 zu sehen).

[15] Einige von zahlreichen Beispielen: "Solange der Westen nicht das Heft des Handelns in die Hand nimmt - nicht mit Waffen, sondern mit echten, spürbaren Sanktionen -, so lange macht Wladimir Putin, was er will." (Cathrin Kahlweit, süddeutsche.de, 11. Mai), auch Majid Sattar (faz.net, 4. Mai), Carsten Luther (Zeit-Online, 12. Mai) oder Michal Kokot (Zeit-Online, 13. Mai) kommentieren so.

[16] Bilder von Kämpfern in Berkut-Uniformen gibt es etwa bei Zeit-Online (Bild 1 der Serie zur Erstürmung einer Slowjansker Polizeiwache), in einem Artikel auf fr-online (27. April) oder in der Printausgabe der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (8. Mai, S. 3).

[17] Reporter der New York Times sind da weiter. In einem Artikel vom 3. Mai erfahren sie, dass es Ukrainer sind, die im Osten der Ukraine gegen ukrainisches Militär kämpfen. Dass sich unter den Bewaffneten in der Region auch russische Freischärler und Privatsöldner befinden könnten, ist durchaus plausibel. Die Beschäftigung ausländischer Söldner aufseiten der neuen Kiewer Regierung ist jedoch genauso gut annehmbar.

[18] Auch dies ist eine beachtliche Parallele zu den Vorkommnissen in der Westukraine von Dezember bis Februar. Damals kamen die Medien ebenfalls trotz der beachtlichen Organisation und Kampfkraft der Maidan-Bewegung nicht auf die Idee, dass es sich dabei um vormals offizielle Sicherheitskräfte handeln könnte.

[19] Rund 3000 Berkut-Angehörige sollten zu ihrem Verhalten bei den Protesten befragt werden. (NZZ, 27. Februar)

[20] Beispiele: russischsprachiges BBC-Video bei YouTube, YouTube-Video aus Mariupol vom 9. Mai.

[21] Spiegel-Online, 16. April schreibt bspw. über zwei Frauen, die Panzer stoppen wollen: "Sie glauben, was die Kreml-treuen Kanäle ihnen ständig predigen."

[22] Siehe etwa Berlinertageszeitung.de, 22. Januar oder taz.de, 2. Februar.

[23] Ein Beispiel hierfür sind die Berichte über Geschehnisse in der südukrainischen Stadt Mariupol am 9. Mai. So gut wie alle deutschen Medien, wie hier exemplarisch angeführt das Handelsblatt, übernahmen unkritisch die Sprachregelung der Übergangsregierung: "20 Separatisten wurden getötet." Videos wie dieses und dieses bei YouTube zeigen hingegen, dass Regierungssoldaten unbewaffnete Zivilisten erschossen haben. Die Zusammenarbeit etwa des ZDF mit dem Ukraine Crisis Media Center, einer PR-Agentur der Kiewer Interims-Regierung, ist ein weiterer Beleg für gerngläubige Zusammenarbeit (Der Freitag, vom 7. April).

[24] Wenn aber mal kritisiert wird, dann wird auch gleichzeitig konsequent verharmlost. So etwa von Welt-Korrespondentin Julia Smirnova: Die ukrainische Armee gehe "ungeschickt" vor (Welt.de, 11.Mai) oder von SPON-Reporterin Raniah Salloum, die von einem "heiklen Feldzug" spricht (Spiegel-Online, 16. April).

[25] Golineh Atai in einer Live-Schalte im ARD-Presseclub am 4.Mai (die entsprechende Stelle findet sich ab 5:00). Ein anderes Beispiel ist Stefan Kornelius von der Süddeutschen Zeitung. Er bezeichnet die derzeitige Kiewer Regierung trotz Militäreinsatz in einem Kommentar (8. Mai) als "durchaus respektabel".

[26] Im Presseclub wurde Atais Aussage von keinem der fünf anwesenden Journalisten kritisiert.

[27] Beispiele: Welt.de, 11. Mai; Zeit-Online, 5. Mai, Deutsche Welle, 6. Mai (man beachte die rechtsradikalen Symbole an der Mauer vor dem Gewerkschaftshaus auf dem Foto zum Artikel)

[28] Zu den Vorkommnissen in Odessa siehe etwa dieses Video bei YouTube.

[29] Verurteilt werden hingegen die Trauernden: Korrespondentin Katrin Eigendorf bezeichnet am 3. Mai in einem Bericht für das Heute-Journal (ab 9:00) aus Odessa eine alte Frau, die "Faschisten" für den Tod von mehr als 40 Menschen verantwortlich macht und ihnen den Tod wünscht, als "hasserfüllt und verblendet". Würde die Korrespondentin sich bei solch einem Fall in Deutschland ähnlich äußern? Eine Ausnahme ist Golineh Atai, die im Presseclub vom 4. Mai von "roher Gewalt pro-ukrainischer Demonstranten" spricht; dann jedoch wieder die haltlose Bemerkung macht, dass es solche Gewalt von Maidan-Anhängern bisher noch nicht gegeben habe.

[30] Es geht hierbei um den grundsätzlichen Widerspruch zwischen territorialer Integrität und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker. Eine löbliche Ausnahme gibt es: Reinhard Merkel (faz.net, 7. April).

[31] US-amerikanische Rating-Agenturen stufen Russland trotz geringer Schulden in seiner Kreditwürdigkeit auf Ramsch-Niveau herab, US-amerikanische Kreditkartenfirmen stellen ihre Zusammenarbeit mit russischen Banken ein, westliche Investoren ziehen ihr Kapital in Milliardenhöhe aus Russland ab, vertraglich geregelte Geschäfte werden gestoppt. Diese Sanktionen stehen auf keiner offiziellen Liste. Die russische Wirtschaft soll auf eine Rezession zusteuern. Darunter werden in erster Linie die einfachen Menschen leiden und eben nicht die russischen Eliten.


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