Kapitalismus
Michael Moore in der WIRTSCHAFTSWOCHE, 31.10.2009
«Ahmen Sie nur nicht Amerika nach – sonst bekommen Sie immer mehr Gewalt und Idioten»
Vor dem Start seines neuen Filmes «Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte», die am 12. November in die deutschen Kinos kommt, rechnet der amerikanische Filmemacher Michael Moore mit dem amerikanischen Modell des Kapitalismus ab und warnt im Gespräch mit der WirtschaftsWoche davor, die USA nachzuahmen.
«Die amerikanischen Verhältnisse sind ein Menetekel für den Rest der Welt. Ahmen Sie nur nicht Amerika nach. Sonst werden Sie immer mehr Gewalt und mehr Idioten bekommen.» Beispiel Bildung: «Die republikanischen Regierungen haben den Bildungsetat zusammengestrichen, um eine Nation von Idioten zu schaffen, die sich leicht manipulieren lassen. Es gibt 40 Millionen funktionale Analphabeten in unserem Land. Und da wundern sich die Medienunternehmen, wenn sie eine Zeitung nach der anderen einstellen müssen.»
Der amerikanische Kapitalismus sei längst das Gegenteil von Demokratie und habe moderne Lohnsklaven geschaffen. «Demokratie ist ein System, das allen nutzen soll. Vom Kapitalismus dagegen profitiert eine winzige Minderheit zulasten des Großteils der Bevölkerung, der keinerlei Kontrolle über die Strukturen der Wirtschaft hat.» Amerika ködere die Menschen mit dem Traum, dass jeder reich werden könne. «Aber wenn dieser Weg allen offensteht, wie kommt es dann, dass ein Prozent der Gesellschaft mehr Vermögen besitzt als die restlichen 99? Wissen Sie, wie man uns bald nennen wird?» fragt Moore.
«Lohnsklaven! Man wird sagen: "Die Menschen damals glaubten, sie würden in Freiheit leben, weil sie Lohnzahlungen erhielten." In den Südstaaten gab es auch Sklaven, die Kost und Logis umsonst bekamen, die fühlten sich durchaus wohl. Wir fühlen uns gut, weil wir einen Gehaltsscheck bekommen. Und deshalb lassen wir diese Minderheit der Gesellschaft schalten und walten, wie sie wollen.»
Amerikanische Unternehmen wünschten sich nicht mehr Kapitalismus, sondern sowjetische Verhältnisse in der Wirtschaft. «Die Spieler des Kapitalismus beuten andere aus, um den Markt allein zu kontrollieren. Das gilt in allen Wirtschaftssektoren. Schauen Sie doch, was Goldman Sachs getan hat. Sie sind der König der Wall Street, haben im Zuge der Finanzkrise ihre gesamte Konkurrenz vernichtet. Das sagen sie bei Goldman natürlich auch – dass sie an die Macht des Marktes glauben. Von wegen. Die wünschen sich sowjetische Verhältnisse: eine Investmentfirma, eine Zeitung, einen Automobilhersteller. Sie wollen nicht nach den Regeln des Marktes spielen. Sobald es ihnen schlecht geht, verlangen sie, dass Vater Staat ein Sicherheitsnetz aufspannt.»
Die Idee des Kapitalismus sei tot: «Genauer gesagt, die Vorstellung eines freien Markts existiert nicht mehr. Aber ich glaube nicht, dass wir das Rad noch zurückdrehen können.»