Von Martin Kilian, Washington.

Die USA wollen in Afghanistan mit einer «unkonventionellen Kriegsführung» den Erfolg herbeiführen. Die Speerspitze bilden dabei die Sonderkräfte.

Generalleutnant Stanley McChrystal

Übernimmt das Kommando: Generalleutnant Stanley McChrystal.
Bild: Keystone

Der Krieg wechselte den obersten Offizier über einem Dinner. Washington habe beschlossen, ihn von seinem Posten als Kommandanten der Nato-Truppen in Afghanistan abzulösen, eröffnete der dazu eigens angereiste Verteidigungsminister Robert Gates vergangene Woche im US-Hauptquartier Camp Eggers nahe Kabul dem Viersternegeneral David McKiernan.

Nach nicht einmal einem Jahr als Oberbefehlshaber wurde der glücklose General mitten in einem Krieg abberufen wie einst Douglas McArthur auf der Höhe des Koreakrieges. Hatte der aufsässige McArthur Präsident Trumans Geduld erschöpft, so missfiel der vorsichtige McKiernan Bob Gates und Präsident Obama als zu fantasielos beim Krieg gegen die Taliban. «Es ist Zeit für eine neue Führung und frische Augen», begründete Gates die Entlassung McKiernans.

Neue Strategie

Wohin sich der Krieg in Afghanistan bewegen wird, zeigte die Ernennung von McKiernans Nachfolger an: Künftig wird Generalleutnant Stanley McChrystal, ein Ex-Green-Beret, die Truppen kommandieren – und eine neue Strategie implementieren. War McKiernan ein Soldat der alten Schule, der bei der Invasion des Irak 2003 gepanzerte Verbände geführt hatte, so steht McChrystal für eine unkonventionelle oder «asymmetrische» Kriegsführung unter Einsatz von Sonderkräften.

Fünf Jahre hatte McChrystal, ein für seine Unerschütterlichkeit bekannter Iro-Amerikaner, den geheimsten Zweig der amerikanischen Streitkräfte geleitet: Das Joint Special Operations Command (JSOC) in Fort Bragg (North Carolina), dem sämtliche Sonderkräfte der verschiedenen Waffengattungen unterstehen. Nun soll er im Zuge einer umfassenden Counterinsurgency-Strategie Herzen und Köpfe der Afghanen und damit einen Guerilla-Krieg gewinnen, dessen Feinde aus ihrem Rückzugsgebiet in Pakistan zusehends aggressiv operieren.

Zu viele zivile Opfer

Dass besonders US-Sonderkräfte viele zivile Opfer in Afghanistan zu verantworten haben, wird McChrystal ebenso beheben müssen wie den bisherigen Mangel an einem überzeugenden zivilen Wiederaufbauprogramm. Die Militärgeschichte dürfte dem neuen Oberbefehlshaber dabei kaum Trost bieten: Nur selten war eine Counterinsurgency-Strategie über Aufständische erfolgreich, die in Mao Zedongs Worten «wie Fische im Wasser» in der Zivilbevölkerung schwammen.

Die besten Resultate bei unkonventionellen Kriegen erzielten die Briten, zuerst Anfang der 50er-Jahre gegen einen kommunistischen Aufstand in ihrer damaligen Kolonie Malaya und später beim Einsatz gegen die nordirische IRA. In beiden Fällen gelang es, die Aufständischen militärisch und politisch zu isolieren und schlussendlich mit unkonventionellen Mitteln zu besiegen. Frankreich trug Ende der 50er-Jahre beim Algerienkrieg gegen die FLN-Aufständischen zwar einen militärischen Sieg davon, die Brutalität französischer Truppen und Sondereinheiten beim Kampf um Algiers aber kostete Paris jede Legitimität.

Ursprünge im Kampf gegen Revolutinäre

Die US-Armee entwickelte erstmals unter Präsident Kennedy die Mittel zu einer unkonventionellen Kriegsführung, gedacht vor allem für den Einsatz gegen linke Revolutionsbewegungen in Lateinamerika. Sowohl in Vietnam als auch später gegen die Sandinisten Nicaraguas und Aufständische in El Salvador setzte Washington auf Counterinsurgency – mit gemischten Ergebnissen. Im Irak hingegen stellten sich im Rahmen einer neuen Strategie durch die Bewaffnung von Sunni-Milizen zum Kampf gegen al-Qaida sowie den forcierten Einsatz von JSOC-Sonderkräften Erfolge ein.

So wurde etwa der Führer von al-Qaida im Irak, Abu Musab al-Zarqawi, durch Sondereinheiten unter dem Befehl von General McChrystal gestellt und getötet. Nun soll McChrystal unter dem wachsamen Auge von General David Petraeus, dem Oberkommandierenden des für den Irak wie für Afghanistan zuständigen Zentralkommandos, in Kabul die Wende herbeiführen – und damit einer «neuen Kriegsführung», wie sie Petraeus vertritt, endgültig zum Durchbruch verhelfen.

Von der Öffentlichkeit abgeschirmt

Die Schlüsselrolle könnte dabei dem 1980 nach dem Debakel der gescheiterten Geiselbefreiung im Iran geschaffenen JSOC zufallen, dessen Sondereinheiten, sogenannte «Special Mission Units», die Elite der amerikanischen Streitkräfte bilden und ihre Einsätze mit den paramilitärischen Einheiten der «Abteilung für besondere Aktivitäten» bei der CIA koordinieren. Weitgehend von der Öffentlichkeit abgeschirmt erledigen diese Verbände ebenso Mordanschläge wie die Ausbildung lokaler Milizen oder die Verhöre von Gefangenen – und nehmen dabei bisweilen zu zweifelhaften Methoden Zuflucht. Ob der verstärkte Einsatz von «Special Mission Units», gekoppelt an Wirtschafts- und Sozialprogramme, den Krieg in Afghanistan zugunsten der Nato entscheiden kann, müssen die kommenden zwei Jahre zeigen. Denn mehr Zeit hat McChrystal nicht: Stellt sich bis Mitte 2011 kein klarer Fortschritt ein, dürfte der Widerstand gegen Barack Obamas Krieg in Afghanistan politisch bedrohlich werden.


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