Ostermärsche

Ostern war mal die Zeit der Friedensmärsche. Das ist vorbei. Die Leute wollen gar keinen Frieden. Ohne Krieg fehlt ihnen was. Darum bereiten sie ihn vor.

In der Woche vor Ostern wurde gemeldet, es würden jetzt Vorbereitungen dafür getroffen, dass Panzer künftig schneller durch Europa rollen können. Straßen sind zu schmal, Brücken zu schwach und Unterführungen zu niedrig. Die EU-Kommission will sich darum kümmern. Wenn auch sonst in Europa die Grenzen wieder dicht gemacht werden - wenigstens für Kriegsgerät soll es freie Fahrt geben. Es war kein Geheimnis, dass sich die EU-Kommission vor allem für die Routen nach Osten interessiert. Die westliche Aufrüstung hat Russland im Visier. Wen sonst? Also Panzer nach Osten. Bald dreißig Jahre nach dem Fall der Mauer. Was für eine Meldung! Aber es gab keine Reaktion. Nichts.

Ostern war mal die Zeit der Friedensmärsche. Hunderttausende auf der Straße. Das ist lange her. Es finden immer noch Demonstrationen, Kundgebungen, Mahnwachen und Vortragsveranstaltungen statt. Da kommen ein paar hundert Leute, kein Vergleich zu damals, als sich die Massen in Bewegung gesetzt haben.

Wer demonstriert heute schon für den Frieden?

Gut, damals dachten die Leute, es gehe um ihren Kopf: Atomkrieg, eine Rakete für jeden, mehr als genug, jeden einzelnen auszuradieren. Das hat ihnen wirklich Angst gemacht Aber friedlicher sind die Zeiten seitdem nicht geworden. Die Friedenswächter von SIPRI, dem Stockholmer Forschungsinstitut, schrieben in ihrem Jahresbericht für 2017, die Zahl der gewaltsamen Konflikte liege in den letzten Jahren wieder auf dem Niveau von 1990 - 1992. Die Organisation Save the Children hat mitgeteilt, dass eins von sechs Kindern auf der Welt mittlerweile in einem Konfliktgebiet lebt. Das sind 357 Millionen Jungen und Mädchen. Dies bedeute einen Anstieg um mehr als 75 Prozent seit Beginn der Neunzigerjahre. In den vergangenen zehn Jahren sei die Anzahl der getöteten und versehrten Kinder um 300 Prozent gestiegen.

Frieden, eine Illusion

Nach dem Ende des Kalten Krieges konnte man sich kurz der Hoffnung hingeben, es habe ein Zeitalter des Friedens begonnen. Aber das war eine Illusion. Es gibt keinen Frieden. Nur Krieg, Krieg, Krieg. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg war richtig froh, als er verkünden konnte, dass immerhin acht der 29 Mitgliedstaaten das Ziel, mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für das Militär auszugeben, in diesem Jahr bereits erfüllt hätten: "Wir bewegen uns in die richtige Richtung", sagte der Generalsekretär.

Kein Wunder, dass die Atombombe so in Verruf geraten ist. Sie ist überhaupt keine gute Waffe. Atomwaffen machen Kriege eigentlich unführbar: das eigene Risiko ist zu groß. Aber der Krieg muss vor allem eines sein: führbar. Er muss als politisches und wirtschaftliches Instrument zur Verfügung stehen.

Die Leute sagen, dass sie den Krieg hassen. Das stimmt gar nicht. Sie reden vom Krieg, aber sie meinen nur den totalen Krieg. Das ist der entscheidende Unterschied. Unter den Bedingungen der angedrohten wechselseitigen Vernichtung - also unter totalen Bedingungen - hört Krieg auf, ein gültiges Instrument der Politik zu sein. Das ist misslich. Denn die Regierungen wollen auf den Krieg nicht verzichten. Und die Konzerne ebensowenig.

Die Waffenexporte nach Nordafrika und in den Nahen Osten haben in den letzten zehn Jahren um beinahe 90 Prozent zugenommen. Im Koalitionsvertrag der neuen deutschen Bundesregierung wird Rüstungskontrolle als Ziel uneingeschränkt gefordert und gepriesen. Und gleichzeitig verkauft Deutschland sogar dann noch Waffen in die Türkei, während dieser Staat einen offenkundig rechtswidrigen Angriffskrieg gegen die syrischen Kurden führt.

Seit Vietnam nichts dazugelernt

Aber die Öffentlichkeit stört sich daran nicht. Was den Krieg angeht, haben sich die meisten von uns einen berufsmäßigen Zynismus angeeignet. Es ist im Gegenteil so, dass sich wieder verdächtig macht, wer für den Frieden ist. Weil er scheinbar Partei für "unsere" Gegner bezieht: für Russland, für die Palästinenser, für den Iran, für China, für Nordkorea.

Dabei muss man immer für ein Ende des Krieges sein. Manchmal auch auf Kosten der besseren Moral. Aber es gibt einen verlogenen Moralismus, der fordert nicht weniger Tote als der schlimmste Imperialismus. Wir zerstören immer noch Städte und Länder, um sie zu befreien. Seit Vietnam nichts dazugelernt. Wer wollte leugnen, dass Hussein und Gaddhafi besser waren als der IS? Und dasselbe gilt immer noch für Assad.

Natürlich. Bislang hat noch jeder, der aufrüstet, gesagt: "Wenn Du den Frieden willst, bereite den Krieg vor." Ehrlicher wäre die Wahrheit: die Leute wollen gar keinen Frieden. Ohne Krieg fehlt ihnen was. Darum bereiten sie ihn vor.

Louis Ferdinand Celine hat geschrieben: "Vor den Menschen, vor ihnen allein muss man Angst haben, immer."


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