Die Mainstreammedien haben in ihrer wochenlangen Rundumberichterstattung über Nelson Mandelas Tod eine Meldung fast vollständig totgeschwiegen, die auftauchte, als der ehemalige Präsident Südafrikas im Sterben lag.

Sowohl der regierende African National Congress (ANC), an dessen Spitze er früher stand, als auch die Kommunistische Partei Südafrikas (CPSA) gaben kurze Stellungnahmen heraus, in denen sie zugaben, dass Mandela, wie es der ANC formulierte "auch Mitglied der Kommunistischen Partei Südafrikas und ihres Zentralkomitees war".

Die CPSA äußerte sich in ihrer Stellungnahme am 5. Dezember etwas ausführlicher: "Nelson Mandela war bei seiner Verhaftung im August 1962 nicht nur Mitglied der Kommunistischen Partei Südafrikas, die damals im Untergrund tätig war, er war auch Mitglied des Zentralkomitees unserer Partei. Für uns als südafrikanische Kommunisten wird Genosse Mandela für immer den gewaltigen Beitrag der CPSA zu unserem Befreiungskampf verkörpern. Der Beitrag der Kommunisten zum Freiheitskampf in Südafrika hat in der Geschichte unseres Landes wenig Parallelen. Nach seiner Freilassung aus dem Gefängnis im Jahr 1990 war Genosse Madiba bis zu seinem letzten Tage ein großartiger und enger Freund der Kommunisten."

Mandela hatte seine Mitgliedschaft in der CPSA immer geleugnet, zuerst – aus verständlichen Gründen – in seinem Prozess 1964, und auch später noch, nach dem Ende des Apartheidregimes, als die CPSA eine legale Vereinigung geworden war.

In den USA, wo die großen Sender und Printmedien auf Hochtouren daran arbeiten, Mandela zu vergöttern und als eine Art südafrikanische Mutter Teresa darzustellen, der für Friede, Liebe und Versöhnung stand, ist das Schweigen über diese Enthüllung verständlich. Jede ernsthafte Untersuchung von Mandelas tatsächlicher Politik würde nur die Propagandakampagne stören, ganz zu schweigen von Präsident Barack Obamas Versuchen, sich selbst mit Mandela zu vergleichen.

Die einzige Ausnahme stellen rechte Kommentatoren und Webseiten dar, die versuchen, Mandelas Beziehung zur CPSA für ihre eigenen reaktionären Zwecke auszunutzen. Im Sonntags-Wochenrückblick der New York Times brachte der ehemalige Herausgeber Bill Keller eine zynische Kolumne, von der in diesem Artikel noch die Rede sein wird.

In Wirklichkeit ist eine Untersuchung der Beziehung zwischen Mandelas ANC und der stalinistischen CPSA nicht nur für das Verständnis der Geschichte Südafrikas unverzichtbar, sondern auch für das Verständnis des Kampfes gegen die Apartheid und die grundlegenden politischen Herausforderungen, vor denen die südafrikanische Arbeiterklasse heute steht.

Weder Mandelas politisches Vermächtnis, noch das politische, soziale und wirtschaftliche Panorama des heutigen Südafrika kann verstanden werden, wenn man nicht den enormen Schaden berücksichtigt, den der Stalinismus an den revolutionären Kämpfen der südafrikanischen Arbeiterklasse angerichtet hat.

Die Antwort auf die Frage, wie Mandela gleichzeitig den ANC anführen und im Zentralkomitee der KP aktiv sein konnte, findet sich in der konterrevolutionären Ideologie des Stalinismus. Unter dem Druck der bürokratischen Degeneration der ersten erfolgreichen Arbeiterrevolution in der Sowjetunion und letzten Endes der physischen Liquidierung fast ihres gesamten Führungskaders hatte die Kommunistische Internationale den Kommunistischen Parteien in den unterdrückten und kolonialen Ländern die "Zweistufentheorie" der Revolution aufgezwungen.

Diese Theorie stellte eine ausdrückliche Absage an die Perspektive dar, auf der die russische Oktoberrevolution von 1917 basierte. Sie behauptete, in unterdrückten und kolonialen Länder könnten die Arbeiter nicht wie in Russland in der Oktoberrevolution die Macht ergreifen, sondern seien stattdessen gezwungen, eine bürgerlich-demokratische Revolution zu unterstützen, während die sozialistische Revolution auf eine unbestimmte Zeit, nach einer Periode kapitalistischer Entwicklung, aufgeschoben wurde.

Der Stalinismus lehnte die Theorie der Permanenten Revolution, die Trotzki nach der Revolution von 1905 entwickelt hatte, und die von Lenin bei der Vorbereitung der Oktoberrevolution übernommen worden war, entschieden ab. Das marxistische Programm der Permanenten Revolution betonte die Unabhängigkeit der Arbeiterklasse von der Bourgeoisie im Kampf um die Führung der Bauernmassen auf der Grundlage eines sozialistischen und internationalistischen Programms. Sie stellte fest, dass in der Epoche des Imperialismus' die demokratischen und nationalen Aufgaben, vor denen die Massen in unterdrückten Ländern wie Südafrika stehen, nur durch eine sozialistische Revolution, die Errichtung eines Arbeiterstaates und die Ausweitung der Revolution im internationalen Maßstab realisiert werden können.

Im Jahr 1935 schrieb Trotzki in einem Brief an Anhänger in Südafrika über die Bedeutung dieser Perspektive für dieses Land. Er betonte, die Revolution müsse zwar eine "schwarze Republik" hervorbringen, aber "die proletarische Partei kann und muss die nationalen Probleme mit ihren eigenen Methoden lösen".

Er vertrat die Perspektive, dass die "Bolschewiki-Leninisten vor den Augen der eingeborenen Massen die Unfähigkeit [des African National Congress]" offenlegen müssten, "mit ihrer oberflächlichen, versöhnlerischen Politik auch nur ihre eigenen Forderungen umzusetzen. Im Gegensatz zum ANC müssen die Bolschewiki-Leninisten ein Programm für einen revolutionären Klassenkampf entwickeln."

Die Kommunistische Partei Südafrikas verfolgte den entgegengesetzten Kurs. Sie propagierte den ANC als revolutionäre Partei und entwarf 1955 sogar dessen Programm, die Freiheitscharta, ein reformistisches Dokument, das im Namen des "Zusammenlebens der Rassen" vorsah, dass bürgerliche Eigentumsverhältnisse und die grundlegenden Institutionen des kapitalistischen Staates aufrechterhalten wurden.

Mandela und der ANC gingen auf die CPSA zu, weil deren Programm sich nicht vom bürgerlichen Nationalismus unterschied. Sie war ein nützliches Instrument, um die Arbeiterklasse dem Programm des ANC unterzuordnen. Es war auch nützlich, sich mit der stalinistischen Bürokratie in Moskau gut zu stellen, die der Bewegung eine gewisse Unterstützung anbot.

Bei den Verhandlungen zwischen der herrschenden Klasse Südafrikas und dem ANC, die zu Mandelas Freilassung und dem offiziellen Ende der Apartheid führten, nahm die CPSA eine besonders rechte und versöhnlerische Haltung ein. Ihr Parteichef Joe Slovo setzte durch, dass die "Sonnenuntergangsklauseln" übernommen wurden, die der National Party, die während der Apartheid regiert hatte, Repräsentation im Parlament garantierte (sie erhielt sogar die stellvertretende Präsidentschaft für die ersten fünf Jahre). Dieses Gesetz verhinderte auch die Verstaatlichung der Bergwerke, Banken und Konzerne.

Fast zwanzig Jahre später sind die Ergebnisse dieser Politik, die die Stalinisten als "nationale demokratische Revolution" hinstellen, klar. Südafrika ist heute das sozial ungleichste Land der Welt, sechzig Prozent des Nationaleinkommens gehen an die obersten zehn Prozent der Gesellschaft, die untere Hälfte der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze.

Durch Programme wie Black Economic Empowerment (wirtschaftliche Besserstellung Schwarzer) ist eine Reihe von ehemaligen ANC-Funktionären, Gewerkschaftsführern und Stalinisten sowie schwarzen Geschäftsleuten mit guten Beziehungen zu Millionären geworden. Der bekannteste Vertreter dieser Schicht ist der ehemalige Führer der Bergarbeitergewerkschaft Cyril Ramaphosa, der ein Vermögen von fast einer halben Milliarde Dollar angehäuft hat, unter anderem durch den Verkauf billiger Arbeitskraft an multinationale Bergbauunternehmen.

Die heutige südafrikanische Regierung besteht seit fast zwanzig Jahren aus einem "Dreierbündnis" zwischen dem ANC, dem Gewerkschaftsbund COSATU und der CPSA. Die letzteren beiden Organisationen agieren als Polizeitruppe innerhalb der Arbeiterklasse und als Aufstiegsmöglichkeit für Elemente, die für Positionen innerhalb der Regierung und der Konzernmanagements vorbereitet werden.

Diese Rolle drückte sich am deutlichsten in der Reaktion der CPSA auf das Massaker von Marikana im August 2012 aus, bei dem 34 streikende Bergarbeiter eines Platinbergwerkes des Konzerns Lonmin getötet wurden. Führende CPSA-Politiker verurteilten die streikenden Bergarbeiter als Konterrevolutionäre und stellten sich hinter das Vorgehen der Polizei.

Der CPSA-Funktionär Dominic Tweedie erklärte: "Das war kein Massaker, sondern ein Kampf. Die Polizei hat ihre Waffen genauso eingesetzt wie sie es sollte. Dazu hat sie die Waffen. Die Leute, die sie erschossen hat, haben für mich nicht wie Arbeiter ausgesehen. Wir sollten glücklich sein. Die Polizei hat bewundernswerte Arbeit geleistet."

Diese brutalen Angriffe zeigen, wie stark die Krise ist, in der sich der ANC und seine Verbündeten von der CPSA und dem COSATU befinden. Die Arbeiterklasse nimmt nicht nur den Kampf gegen Bergbauunternehmen und andere kapitalistische Arbeitgeber auf, sondern auch gegen den ANC und den Gewerkschaftsapparat, der diese Interessen verteidigt.

Der südafrikanische Präsident Jacob Zuma, der die finanzielle Selbstbereicherung des ANC verkörpert, und der selbst in zahlreiche Korruptionsskandale verwickelt ist, kam mit der begeisterten Unterstützung der CPSA an die Macht, die versuchte, ihn als "Mann des Volkes" darzustellen.

Dass die Partei weiterhin als wichtige Grundlage für die Unterstützung des korrupten Präsidenten dient, zeigte sich nach dem Gedenkgottesdienst am Dienstag für Mandela in Johannesburg, bei dem große Teile des Publikum Zuma mehrfach mit Buh-Rufen unterbrachen.

Am Tag nach dem Vorfall veröffentlichte die CPSA eine Stellungnahme, die an die Sprache der stalinistischen Regimes einer früheren Zeit erinnerte: Sie verurteilte die Buhrufe als konterrevolutionär und forderte ihre Mitglieder auf, der Partei "alle Informationen" darüber zu liefern, wer für dieses "verabscheuenswerte Verhalten verantwortlich sein könnte" und "sicherzustellen, dass "wir Informationen darüber bekommen, wer die Rädelsführer hinter dieser Aktion sind".

Die Rolle der CPSA ist klar. Sie steht da als Verteidigerin des bürgerlichen ANC-Regimes und des Kapitalismus gegen den Widerstand und die Kämpfe der Arbeiterklasse.

Die Mainstreammedien zeigen sich generell kaum geneigt, sich mit dieser üblen Beziehung zu befassen, aber Keller von der New York Times lieferte eine zynische und reaktionäre Analyse der Meldung über Mandelas Mitgliedschaft in der CPSA. Diese Bericht schaffte es allerdings nicht in die Nachrichtenseiten der "maßgeblichen Zeitung" geschafft hatte.

Keller verweist darauf, dass er „sowohl während der Gorbatschow Zeit aus Russland und während der Übergangszeit aus Südafrika“ für die Times berichtet hatte. Er ist ein überzeugter Antikommunist und Verteidiger der amerikanischen Wirtschaftsinteressen. Dennoch ist er voll des Lobes für die Rolle der CPSA.

Er schreibt Mandelas Bündnis mit der Partei dem "Pragmatismus" des ANC-Führers zu. Der CPSA rechnet er an, Mandelas "multi-ethnische Ansichten" gefördert und sich gegen die "Verstaatlicher und Rachsüchtigen" gestellt zu haben, indem sie 1992 mit dem Apartheidregime das Übergangsabkommen geschlossen hatte.

Keller fügt jedoch hinzu, dass das Bündnis zwischen CPSA und ANC " zu erklären hilft, warum Südafrika nicht mehr Fortschritte gemacht hat, das Leben der großen Unterschicht zu verbessern, Korruption auszurotten und eine zersplitterte Bevölkerung zu vereinigen". Seine Erklärung dafür lautet, dass der ANC den "Übergang von der Befreiungsbewegung zur politischen Partei, geschweige denn zur Regierung" nicht geschafft habe. Er fügt hinzu, im ANC herrsche immer noch die "Kultur" der „Befreiungsbewegungen vor, die zu Verschwörertum neigen, abweichende Meinungen behindern und nach dem Prinzip denken, der Zweck heiligt die Mittel".

Eine einfachere Erklärung wäre, dass die ANC-Regierung nicht in der Lage war, die Bedingungen der verarmten Massen nennenswert zu verbessern, weil sie die Verhältnisse der kapitalistischen Ausbeutung und der Monopolisierung des Reichtums intakt gelassen hatte, die unter der Apartheid existierten. Sie konnte die Korruption nicht "ausrotten", weil ihre ganze Beziehung zu den kapitalistischen Herrschern des Landes korrupt war und auf der Bereicherung einer kleinen Schicht von politisch vernetzten Schwarzen basierte.

Man könnte Kellers Beschreibung von Befreiungsbewegungen genauso auch auf die kapitalistischen Regierungen in den USA übertragen, deren Verschwörungen zu Kriegen auf der Grundlage von Lügen der ehemalige Times-Redakteur immer wieder verteidigt hat, und deren Haltung zu abweichenden Meinungen sich an der Verfolgung von Edward Snowden, Julian Assange und Bradley Manning deutlich zeigt.

Zuletzt wirft Keller die Beobachtung in den Raum, dass der Stalinismus Mandela und dem ANC den größten Dienst erwiesen habe, indem er "zusammenbrach". Keller erklärt, das Ende der Sowjetunion habe bedeutet, dass die "Apartheidregierung in Südafrika nicht mehr als notwendiger Verbündeter auf der richtigen Seite im Kalten Krieg auftreten konnte. Das Spiel war vorbei."

Das ist eine vorsätzliche Geschichtsfälschung. Die Verhandlungen mit dem ANC über eine Verfassungsvereinbarung, die die kapitalistischen Interessen schützen und die Apartheid formell beenden konnten, begannen ernsthaft mehr als fünf Jahre vor der Auflösung der UdSSR. Im Jahr 1985 führte der angloamerikanische Bergbaumagnat Gavin Relly weiße südafrikanische Geschäftsleute nach Lusaka in Sambia, wo sie sich mit Oliver Tambo und anderen Führern des ANC trafen.

Diese Vertreter des Kapitalismus unter der Apartheid wussten, dass "das Spiel vorbei" war, weil sie mit beispiellosen revolutionären Unruhen in den schwarzen Townships konfrontiert waren, die unabhängig vom ANC entstanden. Das Regime musste einen landesweiten Notstand verhängen. Die kapitalistische Elite suchte verzweifelt nach einer Einigung, um diesen Aufstand zu unterdrücken und ihren Reichtum und ihr Eigentum zu verteidigen.

Wie bei allem, was Keller schreibt, ist seine Analyse auf die Interessen der US-Regierung zurechtgeschnitten. Sie rechtfertigt Washingtons jahrzehntelange Unterstützung der Apartheid aus dem Grund, dass die südafrikanische Regierung "einnotwendiger Verbündeter auf der richtigen Seite im Kalten Krieg" war.

Konzerne wie ExxonMobil, General Motors, IBM, Hewlett-Packard, die Bank of America, General Electric, BP, Citigroup, Goodyear, United Technologies und Ford hatten allesamt große Niederlassungen in Südafrika und machten unter der Apartheid massive Profite mit der Ausbeutung schwarzer Arbeiter. Im Jahr 1985 waren die USA Südafrikas größter Handelspartner und zweitgrößter ausländischer Investor und kontrollierten fast die Hälfte der südafrikanischen Ölindustrie, 75 Prozent seiner Computerindustrie und 23 Prozent der Autoindustrie. Diesen Geschäften lag nicht die Politik des Kalten Krieges zugrunde, sondern kapitalistische Profitinteressen.

Mandelas Tod und die Medienkampagne zur politischen Mythenbildung und historischen Verfälschung haben nur gezeigt, wie wichtig es für südafrikanische Arbeiter ist, die bitteren Lehren aus der Rolle zu ziehen, die der Stalinismus und der ANC gespielt haben. Sie haben die revolutionären Kämpfe sabotiert, die unter der Apartheid ausgebrochen waren. Eine neue revolutionäre Führung muss auf der Grundlage dieser Lehren aufgebaut werden. Sie muss sich auf eine internationalistische und sozialistische Perspektive gründen und den Kampf für echte Demokratie, Gleichheit und Sozialismus führen. Das bedeutet dass eine südafrikanische Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale aufgebaut werden muss.


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