Am 12. Juli 1962, am Donnerstag vor 50 Jahren, trat im Marquee Club in London zum ersten Mal eine Musikgruppe unter dem Namen «Rollin' Stones» auf. Zwar waren von den Gründungsmitgliedern erst Mick Jagger, Brian Jones und Keith Richards dabei, weshalb verschiedene Experten die Geburtsstunde der Rolling Stones im Frühling 1963 ansiedeln, da zu diesem Zeitpunkt auch Bill Wyman und Charlie Watts an Bord waren. Doch wann genau die Stones losrollten, ist unerheblich, denn ihr Auftauchen Anfang der 60er-Jahre war unvermeidlich, ebenso wie dasjenige der Beatles und all der anderen Beatgruppen, wie man sie damals nannte.
Foto: http://www.rollingstones.com
Die Teenager wollten anders sein als ihre Eltern
Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand zuerst in den USA, später auch in den anderen westlichen Nationen eine neue Alterskategorie: der Teenager. Ging vorher für die grosse Mehrheit der Menschen die Kindheit praktisch nahtlos ins Erwachsenenleben über, so änderte sich das jetzt. In den 50er-Jahren wurde in den meisten westlichen Staaten der obligatorische Militärdienst abgeschafft, und die wirtschaftliche Lage besserte sich langsam, sodass der möglichst frühe Eintritt ins Erwerbsleben nicht mehr zwingend war. Die Jugendlichen zwischen 16 und 22 erhielten einen gewissen Spielraum. Und sie wurden immer mehr, denn die Babyboomer, also diejenigen, die im oder kurz nach dem Krieg geboren worden waren, liessen die Zahl der Teenager anwachsen. Und diese wollten anders sein als ihre immer noch vom Krieg und von seinen Entbehrungen geprägten Eltern. Sie begehrten auf.
Was folgte, war eine eigentliche Kulturrevolution: Die Teenager wollten mit der Art, wie sie sich kleideten, und mit der Musik, die sie hörten, sich von der älteren Generation absetzen. Diese Entwicklung setzte sich fort und griff auf andere Bereiche über, bis sie zum Schluss die Politik und überhaupt die gesamte Gesellschaft erfasste. Doch bleiben wir bei den Anfängen und bei der Musik. Was eignete sich besser, um einen Gegenpol zu den musikalischen Vorlieben der Eltern zu setzen, als der Blues der schwarzen Amerikaner? Die wilde, scheinbar ungehobelte Musik einer unterdrückten Volksgruppe, im Amerika der Rassentrennung als «Racemusic» verunglimpft, war ideal für die weissen Teenager, um sie für sich in Beschlag zu nehmen, zum Schrecken aller Erzieher und Respektspersonen. Das funktionierte bei Elvis Presley, und das funktionierte noch viel besser bei den englischen Beatgruppen der frühen 60er-Jahre, die zu Beginn durchwegs Stücke schwarzer Künstler nachspielten.
Die grosse kulturelle Leistung der Beatles und der Stones sowie von allen Gruppen aus jener Zeit, die heute noch gespielt werden, war, dass sie diese Musik weiterentwickelten und etwas Eigenständiges schufen. Darum gelten heute Lennon/McCartney als die grössten Komponisten des 20. Jahrhunderts, und die Rolling Stones haben bis heute überdauert. Sie und alle anderen schrieben den Soundtrack ihrer Zeit, kommentierten und begleiteten in ihrer Musik, was sie sahen und hörten. Ihr Einfluss auf die Jugend war riesig, sodass vor allem bei den sich rebellisch gebärdenden Stones das Establishment befürchtete, die Energien, die bei ihren Konzerten freigesetzt wurden, könnten sich in politischen Aktionen entladen. Kein Wunder, setzte die englische Polizei zu wahren Hetzjagden auf die Stones an. Hätte sie genauer zugehört, wäre ihr klar geworden, dass sich Mick Jagger nur als Beobachter, aber nicht als Akteur sah. Er stellte zwar in «Street Fighting Man» richtig fest: «It's time for fighting in the streets, boy», sah sich selber aber nur als «poor boy», der in einer Rock-'n'Roll-Band singt.
Mit Clinton und Blair kamen Babyboomer an die Macht
Heute beherrschen die Babyboomer die Gesellschaft. Die USA hatten mit Bill Clinton einen Präsidenten, der einen Joint geraucht und entgegen seiner Aussage den Rauch wahrscheinlich auch inhaliert hat. Mit Tony Blair wurde England von einem Premierminister regiert, der in seiner Jugend in einer Rockband spielte. Die Rolling Stones sind zu einer Institution geworden, die an eine Zeit erinnert, in der alles möglich schien, und bei ihren Auftritten werden die Erinnerungen an damals wieder wach. Heute pilgern selbst SVPBundesräte an Stones-Konzerte, was früher undenkbar gewesen wäre. Die Rockmusik ist nicht mehr der klingende Ausdruck von Rebellentum, sondern musikalischer Mainstream, und es gilt, was Mick Jagger einst gesungen hat: «It's only Rock 'n' Roll, but I like it,»