Alle reden über den Film "Der Baader-Meinhof-Komplex" und die angeblich neue Darstellung der RAF-Terroristen. Doch vor allem Andreas Baader platzt ohne Vorgeschichte in den Film. Wer war denn dieser Mann, der bereits zu Lebzeiten an der eigenen Legende baute?
Da ist er wieder, dieser Mann mit dem dunklen Blick, den wilden Koteletten und den geradezu prä-raffaelitisch geschwungenen Lippen.
Man kann viel reininterpretieren in die Augen, die ins Nirgendwo gucken, die zerfurchte Stirn. Ja, eigentlich ist jedes dieser Schwarz-Weiß-Bilder eine Einladung dazu. Vor allem wenn man weiß, dass es Fahndungsfotos sind. Schließlich heißt der Abgebildete Andreas Baader: Gründer der Roten Armee Fraktion, Terrorist, Mörder. Aber auch eine Ikone und mittlerweile fast eine Art Popstar.
Das ist auch im neuesten Werk zu seiner Person so. Oder ist es Zufall, dass er in dem bereits vorab heftig diskutierten Film "Der Baader Meinhof Komplex" die einzige Hauptfigur ohne Vorgeschichte ist? Während Meinhof und Ensslin im Kreis ihrer Familie eine Vergangenheit bekommen, platzt Baader einfach so in den Film als wilder Kerl in Lederjacke, mit einer Vorliebe für schnelle Autos, dicke Knarren und Gudrun. Er bleibt der "Fahndungsposter-Boy", zu dem er bereits Anfang des Jahrtausends als T-Shirt-Held des "Radical Chic" gemacht wurde. Auch im Film ist Baader der harte Kerl mit dem gewissen weichen Etwas, wie die Popkultur ihn kennt und liebt. Das entsprechende Gesicht leiht ihm diesmal Publikumsliebling Moritz Bleibtreu. Deshalb sind die Lippen auch noch ein bisschen plüschiger als sonst.
Wüsste Baader, wie sehr er auch 21 Jahre nach seinem Tod im Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses von Stuttgart-Stammheim Thema ist, er wäre sicherlich begeistert. Schließlich war die Legendenbildung von Anfang an Teil der Baader-Show - bis hin zum perfekt inszenierten Selbstmord. Beeindruckend ist, dass sie immer noch wirkt. Aber wo kommt er denn nun her, dieser Mann, dessen Kampf gegen das "Schweinesystem" dazu führte, dass bis zur Auflösung der RAF 1998 67 Menschen getötet und 230 zum Teil schwer verletzt wurden?
Muttersöhnchen
Vielleicht gibt ja die Biografie etwas her: 1943 in München geboren, wuchs Andreas Baader mit Mutter, Großmutter und Tante auf, der Vater blieb im Krieg verschollen. Baader war Schulabbrecher, rutschte ins Kleinkriminellen-Milieu ab und fiel immer wieder als Schläger auf. Er klaute Autos, um ohne Führerschein durch die Gegend zu rasen. Seine Kindheit und Jugend seien instabil gewesen, heißt es in den Biografien. Manchmal fällt auch das Wort Muttersöhnchen.
Erst in München, dann in Berlin zog der junge Mann durch die linke Szene, arbeitete als Bauarbeiter, Model und Journalist oder ließ sich aushalten. Baader sei "sehr charmant, ein bisschen eingebildet, aber ausgesprochen nett" gewesen, erinnert sich der Ex-Kommunarde Dieter Kunzelmann in der BBC-Dokumentation "Baader Meinhof: In Love with Terror". Er kannte Baader aus der K1. Das sieht Baaders Ex-Freundin und Mutter seiner Tochter in der TV-Biografie "Der Staatsfeind" anders: "Er war ein Arschloch", sagt Ello Michel, beschreibt ihn als eitel, cholerisch und brutal. Als sie ihn einmal verlassen wollte, habe er ihr in die Nase gebissen, damit sie sich nicht auf die Straße traute. Die "Arschloch"-Beschimpfung wählte übrigens angeblich auch der französische Philosoph Jean-Paul Sartre, nachdem er Baader 1974 in Stammheim besucht hatte. Der BBC lieferte Michel außerdem noch eine Erklärung für die Eskalation der Gewalt im Namen der politischen Idee: "Er hat mal vier LSD auf einmal genommen, das hat ihn verändert, glaube ich." Der deutsche Herbst: das Drogenproblem eines unangenehmen Muttersöhnchens? So einfach ist es dann doch nicht.
Mit Samthose im Wüstensand
Das Äußere von Baader ist in allen Biografien immer wieder ein großes Thema: Er war ein stilbewusster Revoluzzer, legte Wert auf edle Klamotten. "Er kleidete sich sehr modebewusst, das passte schlecht zum Bild eines Revolutionärs", erinnert sich der ehemalige RAF-Anwalt Horst Mahler, der mittlerweile auf die rechtsextreme Seite gewechselt ist. Später wollte Baader selbst im Ausbildungslager der Fatah in der jordanischen Wüste nicht auf seine enge, burgunderrote Samthose verzichten. In Haft verlangte er nach Sonnenbrille und Gesichtspuder und nähte die Gefängniskleidung enger. Zwei Pelzmäntel hatte er in seiner Zelle. Das fügt dem hübschen, auf einem Trip hängen gebliebenen Muttersöhnchen die Eitelkeit hinzu, die sich bei Baader offensichtlich zum Narzissmus ausgewachsen hatte. "Ruhm macht eitel", beobachtete der Schriftsteller und ehemalige RAF-Anwalt Peter O. Chotjewitz bei seinen Besuchen in Stammheim, von denen er stern.de berichtete. "Er war voll drauf. Immer eine halbe Nummer zu groß, leichte Neigung, sich zu überschätzen."
Aus der Zeit vor dem Leben im Untergrund stammt eine Aufnahme des Fotografen Herbert Tobias, die Baader mit freiem Oberkörper und Schlafzimmerblick zeigt. Sie wird immer wieder hervorgekramt, wenn es darum geht, das Phänomen Baader zu beschreiben. Dieser hübsche Schein ist das krasse Gegenbild zu Baaders harscher Art und Brutalität. Cholerisch sei er gewesen und rasend eifersüchtig, schreibt Stefan Aust in seinem Standardwerk zur RAF "Der Baader Meinhof Komplex".
Frauen nannte er "Fotzen", und wer nicht bereit war, den ganzen Weg zu gehen, war ein lebensunwürdiger Verräter. Gnade kam in Baaders Wortschatz nicht vor.
Vor allem nicht nach 1968, als er gemeinsam mit Gudrun Ensslin, Thorwald Proll und Horst Söhnlein in Frankfurter Kaufhäusern Bomben legte. Es entstand nur Sachschaden. Die Täter wurden zu je drei Jahren Gefängnis verurteilt. Während der Revisionsantrag lief, kamen sie auf freien Fuß. Als er abgelehnt wurde, ging ein Teil der Gruppe 1969 in den Untergrund. Baader wurde 1970 verhaftet, wurde jedoch spektakulär befreit. Es folgten der bewaffnete Kampf, Anschläge und Mord. Ein mörderisches, zugedröhntes Muttersöhnchen mit Model- und "Arschloch"-Qualitäten also, das sich gerne selbst überschätzt.
War Baader denn sexy, wie auch der britische Regisseur Ben Lewis in "Baader Meinhof: In Love with Terror" meint, und die Zuschreibung sogar so weit zuspitzt, dass er die RAF als deutsche Antwort auf die Rolling Stones bezeichnet? Gefallen hat der Dunkelhaarige wohl vielen, obwohl nach Umfragen bei Frauen, die damals jung genug waren, um Baaders Wirkung aufs Volk beurteilen zu können, meist heraus kommt, dass die Sexiness zu prollig war. Auch wenn das Anpacken, das Handeln anstatt immer nur zu reden, sehr wohl anziehend war, sei es mit der Attraktivität aber sofort vorbei gewesen, als es den ersten Toten gab.
Unsympath mit Drogenproblem
Puzzeln wir die biografischen Einzelteile zusammen: ein ebenso hübsches wie eitles Muttersöhnchen, ein Unsympath mit Drogenproblem und Hang zur Selbstüberschätzung. Das macht aber noch keinen Staatsfeind. Eitle und auch größenwahnsinnige Muttersöhnchen gibt es viele. Wo kommt also der gewissenlose Mörder her? Die Antwort steht weiterhin aus - trotz diverser Filme und Bücher.
Bleibt die Frage, ob man die Ikonisierung Baaders als cooler Macho, befeuert durch Darstellungen wie von Bleibtreu oder auch Frank Giering in dem Film "Baader" (2002), mit Sorge betrachten sollte - machen sie doch einen Mörder zum Popstar. An dieser Stelle passt das Zitat eines anderen großen Narzissten, Napoleon: Der sagte einst, "Die Geschichte wird von Siegern geschrieben". Die RAF hat verloren. Da sagt es doch alles über die Attraktivität ihrer Ideen, dass ihr Anführer zum pöbelnden Krawall-Rocker gemacht wird. Ernstnehmen muss man diesen Film-und-Pop-Baader jedenfalls nicht.
Wie denn auch. Die Zeit der linken politischen Diskurse ist vorbei. In einer Zeit, da es keine Alternativen zum Kapitalismus gibt, ist die RAF-Ideologie nicht nachvollziehbar, es gibt keine Anknüpfungspunkte. Die Popsphäre hat die Politsphäre abgelöst. Der Bürgerschreck von heute ist der unpolitische Gangstarapper. Und Baader nur noch ein Abziehbild - eben genauso wie in Uli Edels Film.
Filme über Andreas Baader
- Uli Edel: "Der Baader-Meinhof-Komplex" (2008)
- CS Leigh: "See You at Regis Debray" (2005)
- Ben Lewis: "Baader Meinhof: In Love with Terror" (2002)
- Christopher Roth: "Baader" (2002)
- Klaus Stern: "Andreas Baader - Der Staatsfeind" (2002)
- Heinrich Breloer: "Todesspiel" (1997)
- Reinhard Hauff: "Stammheim - Die Baader-Meinhof-Gruppe vor Gericht" (1986)
Bücher über Andreas Baader
- "Der Baader-Meinhof-Komplex" von Stefan Aust (überarbeitete Fassung 2008)
- "Andreas Baader: Das Leben eines Staatsfeindes" von Joachim Herrmann und Klaus Stern (2007)
- "Rudi Dutschke, Andreas Baader und die RAF" von Wolfgang Kraushaar, Jan Philipp Reemtsma und Karin Wieland (2005)
- "Wir kamen vom anderen Stern: Über 68, Andreas Baader und ein Kaufhaus" von Daniel Dubbe und Thorwald Proll (2003)
- "Rosenfest" von Leander Scholz (2001)
- "Baader und Herold: Beschreibung eines Kampfes" von Dorothea Hauser (1998)