Roger Willemsen und der Fotograf Ralf Tooten erkunden die Nachtseite der thailändischen Hauptstadt.

Bangkok ist auch die Metropole für käuflichen Sex. Das Buch nähert sich dem Thema mit unverwechselbaren Bildern.

Das Buch


Roger Willemsen, Ralf Tooten:
Bangkok Noir. S. Fischer. 366 S., 250 Abb.

Drei Monate hat Roger Willemsen in Bangkok verbracht. Jeden Abend um 18 Uhr, wenn die Nacht hereinfällt, ist er mit dem dort ansässigen Fotografen Ralf Tooten losgezogen – ziel- und planlos, scheinbar wie ein klassischer Flaneur. Aber Bangkok ist keine Stadt zum Flanieren, sondern eine Megapolis eines asiatischen Schwellenlandes im jungen 21. Jahrhundert, sie tickt in einem ganz anderen Tempo als damals das gute alte Paris.

Willemsen, den Zuschauern des «Literaturclubs» im Schweizer Fernsehen als Schnelldenker und -sprecher in guter Erinnerung, stellt sich auf den Rhythmus des nächtlichen Bangkok ein. Sein Text ist kleinteilig, schnellfüssig, lässt sich treiben von Eindruck zu Eindruck. Er assoziiert und reflektiert, aber meist registriert er, mit einem feinen Sensorium und feinem sprachlichen Instrumentarium (manchmal geht der Stilwille bis zum Preziösen: «In die Nacht gepinselte Eyeliner geben sich nofretetisch.»).

Bangkok in all seinen Facetten

Nachts wacht Bangkok auf, könnte man paradox sagen: Es isst und feiert, es arbeitet und amüsiert sich. Willemsen, Tooten besuchen Nachtklubs und Nachtmärkte, den Hauptbahnhof und das grösste Krankenhaus, Karaoke-Bars und Massagesalons. Das Reporterpaar begegnet Wanderarbeitern auf ihren Lastwagen (ein Mann verdient zwei Euro am Tag, eine Frau die Hälfte), Thaiboxern beim Training, Elefanten an der Stadtautobahn, Katoys (Ladyboys), Verkäufern aller denkbaren Objekte und Illusionen, und natürlich Mädchen, die aus den ländlichen Provinzen in die Hauptstadt gekommen sind, um für Geld benutzt zu werden.

Ja, Bangkok ist auch die Metropole des käuflichen Sex, und Willemsen weicht dem Thema nicht aus, und es gelingt ihm, sich weder sprachlich noch gedanklich zu vergreifen. Selbst wenn er es den Freiern gibt, tut er es nicht grobmoralisch, sondern indem er deren Verlogenheit und Selbstbetrug analysiert: «Die Männer können sich auch mit den eigenen Skrupeln am besten arrangieren, wenn sie nicht Kunden sind, sondern Erlöser.»

Es ist also ein kluges Buch, und es ist ein schönes Buch, auch weil die Bilder nicht auf «schön» gemacht sind. Bangkoks Nächte, von Ralf Tootens Kamera aufgenommen, sind überaus farbig. Und sie sind, auch das machen die Aufnahmen fühlbar, schnell. Schnell vorbei, und schnell die nächste da.


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