Rezensionen zum Thema Krieg

Wenn die Leugnung der Nakba unter Strafe gestellt wäre

Gedanken zum Buch 'Die ethnische Säuberung Palästinas' von Ilan Pappe

Ilan Pappe Cover
Ilan Pappe:
Die ethnische Säuberung Palästinas.
Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2007.
413 Seiten, 22 €

Nakba ist ein arabisches Wort. Das Wort steht für die ethnische Säuberung Palästinas. Es steht für Katastrophe, Tod und Vertreibung. Es steht für Massaker an der Zivilbevölkerung und die systematische Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus ihrer Heimat, die 1948 einen Höhepunkt an Brutalität und Ausmaß erreichte. Es steht für ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, ein Verbrechen Israels gegen die palästinenische Bevölkerung, das bis heute geleugnet wird. Dabei wissen wir doch:

Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung eine Handlung billigt, leugnet oder verharmlost, die in der Absicht unternommen wurde, eine nationale, rassische, religiöse oder ethnische Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören, indem ein Mitglied der Gruppe getötet, einem Mitglied der Gruppe schwere körperliche oder seelische Schäden zugefügt oder die Gruppe unter Lebensbedingungen gestellt wird, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen.

So oder ähnlich hieße es in Deutschland im Paragraphen 130 des Strafgesetzbuches über den Tatbestand der Volksverhetzung, wenn dieser Paragraph nicht auf einen bestimmten historischen Zusammenhang beschränkt wäre. Gäbe es diese Einschränkung nicht, bestünde kein Zweifel: das Leugnen oder Verharmslosen der Nakba stünde unter Strafe. Es wäre genau der beschriebene, mit lebenslanger Haft zu ahndende Tatbestand des Völkermords, wie er aus Paragraph 6 der Völkerstrafgesetzbuches übernommen ist, der in Zusammenhang mit der Nakba erfüllt wäre.

Wer in einem Druckwerk, im Rundfunk oder in einem anderen Medium oder wer sonst öffentlich auf eine Weise, daß es vielen Menschen zugänglich wird, Völkermord oder andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost, gutheißt oder zu rechtfertigen sucht, wird mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren, bei besonderer Gefährlichkeit bis zu 20 Jahren bestraft.

So oder ähnlich hieße es in Österreich in einem Verbotsgesetz in den Paragraphen 3g und 3h, wenn diese nicht auf einen bestimmten historischen Zusammenhang beschränkt wären. Auch hier ist es keine Frage: das Leugnen der Nakba wäre unter Strafe gestellt.

Eine Person, die schriftlich oder mündlich eine Aussage veröffentlicht, die das Ausmaß eines Verbrechens gegen ein Volk oder gegen die Menschlichkeit leugnet oder verharmlost, in der Absicht die Täter solcher Handlungen zu verteidigen oder Sympathie oder Übereinstimmung mit ihnen zum Ausdruck zu bringen, soll mit fünf Jahren Freiheitsentzug bestraft werden.

So oder ähnlich hieße es in Israel im Paragraphen 2 des Gesetzes 5746, wenn dieser Paragraph nicht auf einen bestimmten historischen Zusammenhang und nicht in erster Linie auf ein ganz bestimmtes Volk beschränkt wäre. Auch bei dieser Formulierung des Gesetzestextes stünde der Tatbestand der Nakba-Leugnung zweifelsohne unter Strafe.

Wäre das so, ein großer Teil der in Politik und Medien Tätigen säße hinter Gittern oder hätte dort gesessen - nicht nur in Israel, sondern auch in vielen anderen Ländern der 'westlichen' Welt. Nur: die Realität sieht anders aus. Es gibt solche und solche Verbrechen - solche, die geahndet, und solche, die nicht geahndet werden, solche, deren Leugnung verfolgt, und solche, deren Leugnung nicht verfolgt wird. Das kommt ganz drauf an. Das hängt von der Machtkonstellation ab. Die Verbrechen, die Israel im Zuge der Staatsgründung - und danach - begangen hat, werden jedenfalls weder geahndet, noch wird deren Leugnung verfolgt.

Memorizid: Ilan Pappe und der Verlust der Erinnerung

Der israelische Historiker Ilan Pappe, der die systematischen Grausamkeiten, die von Isarel im Zusammenhang mit der Staatsgründung 1948 an der palästinensischen Bevölkerung begangen wurden, nicht leugnet, sondern ganz im Gegenteil klar benennt und in seinem Buch 'Die ethnische Säuberung Palästinas' offen beim Namen nennt, und der für das systematische Auslöschen der Erinnerung den treffenden Begriff 'Memorizid' geprägt hat, wird unter Druck gesetzt und ins Exil getrieben.

Dieses Buch ist eine Pflichtlektüre für alle, die an der historischen Wahrheit interessiert sind. Ilan Pappe, israelischer Historiker und Politikwissenschaftler, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Haifa und Leiter des dortigen Instituts für Konfliktforschung, zeichnet anhand von Augenzeugenberichten, Tagebuchauszügen und Dokumenten aus Militärarchiven, die bis vor kurzem unter Verschluss gehalten wurden, ein erschütterndes Bild der Ereignisse der Jahre 1947/48.

Ilan Pappe zeigt auf, dass die Gründung seines Heimatlandes Israel mit einer geplanten ethnischen Säuberung verbunden ist. Seine Forschungsergebnisse stehen im eklatanten Widerspruch zur offiziellen Geschichtsschreibung, die den bis heute anhaltenden Exodus der palästinensischen Bevölkerung als Akt der systematischen Vertreibung durch das zionistische Israel leugnet. Ilan Pappe zerstört auf diese Weise den Gründungsmythos des Staates Israel und löst damit wütende Reaktionen aus.

Verleugnung der wissenschaftlichen Arbeit: "Ein Irrer kommt selten allein"

ARD-Sendung 'Titel, Thesen, Temperamente' vom 18.11.2007: "Pappe hat eine Mission: Ausgewogenheit und Differenzierung sind seine Sache nicht... Er nennt sich Historiker, seine Gegner nennen ihn einen Übertreiber und Provokateur."

Ralf Balke, Autor des Buches 'Israel', im 'Tagesspiegel' vom 26.11.2007: "Ilan Pappe will den Gründungsmythos Israels entlarven. Dabei entlarvt er sich selbst."

Prof. Dr. h.c. Manfred Lahnstein, ehemaliger Minister und langjähriger Präsident der 'Deutsch-Israelischen-Gesellschaft' bei 'Honestly Concerned': "Auf dem deutschen Büchermarkt macht ein Buch von sich reden, das der israelische Autor Ilan Pappé...der sich wohl als 'Historiker' bezeichnen würde... geschrieben hat... Das ist der brutalste Angriff auf die historische Wahrheit, der mir seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion untergekommen ist." (Siehe dazu: offener Brief von Claudia Karas an Manfred Lahnstein)

Henryk M. Broder: "Pappes exklusivste Beweise sind diejenigen, die er erfunden hat.... Beachten Sie bitte [in Pappes Website] die Abteilung Middle East Scholars mit Links zu Finkelstein, Chomsky und Shahak. Ein Irrer kommt selten allein." Diese Verunglimpfung formuliert der 'Spiegel'-Autor und Israel-Lobbyist in seiner 'Achse des Guten'.

Schlüsselwerk der Geschichte

 

Die Zahl der Besprechungen des Buches ist gemessen an seiner Bedeutung erschreckend gering. Die Zahl der Rezensionen in Publikationen, die einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich sind, ist noch geringer. Und fast verschwindend ist unter diesen Veröffentlichungen die Anzahl der Besprechungen, die dieses Buch als ein Schlüsselwerk der Geschichte würdigen. Allenfalls sind diesbezüglich 3sat, die in Zürich erscheinende WoZ und ein Beitrag des ehemaligen ARD-Nahost-Korrespondenten, Marcel Pott, im Deutschlandfunk zu nennen. (3sat.de, woz.ch, dradio.de)

Ein Irrer habe die Beweise erfunden, lesen wir bei Henryk M. Broder. Das ist ein ohnmächtiger Versuch, sich gegen die erdrückende Beweislage zu stemmen, um als unkritischer Verfechter der Politik Israels nicht zum Mittäter zu werden.

Es sind die 'Central Zionist Archives', in denen die Äußerung des späteren israelischen Ministerpräsidenten David Ben Gurion "Ich bin für Zwangsumsiedlung; darin sehe ich nichts Unmoralisches" dokumentiert ist - im Sitzungsprotokoll der 'Jewish Agency Executive' vom 12. Juni 1938, worüber Marcel Pott schreibt: "Schon das dem Vorwort des Autors vorangestellte Zitat des Staatsgründers David Ben Gurion bringt den Leser dazu, die erste Fußnote zu studieren. Er will wissen, wann genau der in Israel als 'Vater der Nation' verehrte Ben Gurion diesen Satz über die arabische Bevölkerung Palästinas gesagt und wem gegenüber er sich so geäußert hat... Am 12. Juni 1938... war bereits klar erkennbar, dass das von der britischen Kolonialmacht beherrschte Palästina zu einem dauerhaften Konfliktherd werden würde, denn die aus Europa gekommenen Juden waren Zionisten - also jüdische Nationalisten - die in dem von Arabern bewohnten Land einen jüdischen Nationalstaat gründen wollten. Das brachte sie als zugewanderte Minderheit zwangsläufig in Gegensatz zu der arabischen Nationalbewegung der einheimischen Bevölkerung in Palästina, die die überwältigende Mehrheit darstellte."

Es sind die Archive der Israel Defense Forces (IDF) und die Archive der Untergrundmiliz Hagana, in denen der Plan D, der am 10. März 1948 von späteren führenden israelischen Politkern verabschiedete Masterplan zur ethnischen Säuberung Palästinas, sowie die Einsatzbefehle an die militärischen Einheiten zur Umsetzung dieses Plans zu finden sind. Das alles ist nicht so einfach vom Tisch zu wischen, wie die Israel-Lobbyisten es versuchen.

"Die Befehle gaben detailliert", so heißt es im Vorwort des Buches, "die Einsatzmethoden zur Zwangsräumung vor: groß angelegte Einschüchterungen; Belagerung und Beschuss von Dörfern und Wohngebieten; Niederbrennen der Häuser mit allem Hab und Gut; Vertreibung; Abriss und schließlich Verminung der Trümmer, um eine Rückkehr der vertriebenen Bewohner zu verhindern. Jede Einheit erhielt eine Liste mit Dörfern und Stadtvierteln, den Zielen dieses Masterplans." Das alles ist belegt durch Quellen, die Ilan Pappe in seinem Buch explizit angibt und über die er Rechenschaft ablegen kann.

Anhang:

Deutschland, Strafgesetzbuch, § 130 Volksverhetzung [bundesrecht.juris.de]:
(3) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost.

Deutschland, Völkerstrafgesetzbuch (VStGB), § 6 Völkermord [bundesrecht.juris.de]:

(1) Wer in der Absicht, eine nationale, rassische, religiöse oder ethnische Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören, ein Mitglied der Gruppe tötet, einem Mitglied der Gruppe schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art, zufügt, die Gruppe unter Lebensbedingungen stellt, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen, Maßregeln verhängt, die Geburten innerhalb der Gruppe verhindern sollen, ein Kind der Gruppe gewaltsam in eine andere Gruppe überführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 bis 5 ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren.