Julian Assange (2010 in Norwegen)
Einem Bericht der Nachrichtenagentur AFP zufolge dementieren die US-Behörden, in irgendeiner Form an den Vorgängen rund um die geplante und kürzlich vom britischen Supreme Court für rechtmäßig erklärte Auslieferung von WikiLeaks-Gründer Julian Assange an Schweden beteiligt zu sein. Ad acta gelegt haben die USA den Fall Assange damit aber keineswegs.
Sollte Assange jemals in den USA vor Gericht gestellt werden, könnte es sich durchaus als Herausforderung erweisen, ihn zu verurteilen, so die Ansicht vieler Rechtsexperten. Assange dagegen befürchtet nach eigenen Angaben, dass Schweden - wo ihm sexuelle Belästigung und weitere Sexualdelikte vorgeworfen werden, aber bislang keine Anklage gegen ihn vorliegt - ihn im Falle einer Auslieferung umgehend an die USA ausliefern würde. Dies nennen der umstrittene Aktivist und seine Unterstützer als Hauptgrund dafür, dass Assange seit nunmehr rund 18 Monaten juristisch gegen seine Auslieferung vorgeht und sich vor gut einer Woche, nachdem seine Berufung gegen die Auslieferung endgültig gescheitert war, in die ecuadorianische Botschaft in London flüchtete. Assange hat von Ecuador politisches Asyl beantragt. Über seinen Antrag wird derzeit noch beraten.
Assanges Unterstützer und Anwälte sehen die Befürchtungen des australischen Aktivisten als gerechtfertigt an. Als Gründe nennen sie vor allem kämpferische Aussagen mehrerer ranghoher US-Politiker - die teilweise sogar forderten, Assange als Terroristen einzustufen -, Befragungen mehrerer WikiLeaks-Aktivisten sowie die in den USA laufende Grand-Jury-Untersuchung, bei der angeblich auch Bekannte des mutmaßlichen Whistleblowers Bradley Manning befragt wurden. Bekannt ist, dass sich die US-Behörden offenbar zumindest zeitweise bemühten, eine "Verschwörung" zwischen Assange und Manning - also eine aktive Mitwirkung Assanges beim Sammeln und Weitergeben der angeblich von Manning geleakten Geheimdokumente - nachzuweisen. Dies wurde auch in den gerichtlichen Anhörungen des mutmaßlichen Whistleblowers deutlich. Könnte Assange eine solche aktive Einflussnahme nachgewiesen werden, hätte er womöglich gegen den "Espionage Act" - ein umstrittenes US-Gesetzespaket von 1917, das Spionage sowie die Schwächung der US-Streitkräfte unter Strafe stellt und für einige Verstöße als Höchststrafe die Todesstrafe vorsieht - verstoßen.
Assange unter dem Espionage Act anzuklagen, dürfte sich aber, so berichtet es jedenfalls die AFP, nach Ansicht von nicht namentlich genannten Analysten durchaus schwierig gestalten. Dazu müsse die US-Regierung nämlich nachweisen, dass Assange die Absicht gehabt habe, der US-Regierung zu schaden oder einer fremden Macht zu helfen. Andererseits wurde dies im Fall Bradley Manning von der Anklage umgangen: Man erklärte kurzerhand, durch die Veröffentlichung der Dokumente im Internet seien diese "indirekt" feindlichen Mächten - namentlich der Terrorgruppe Al-Qaida - zugänglich gemacht wurden. Zwar ist noch unklar, ob die Anklage mit dieser Argumentation durchkommen wird. Sie reichte jedoch immerhin, um die Militärjustiz davon zu überzeugen, dass ein ausreichend starker Fall gegen Manning vorliegt, um ihn, unter anderem wegen mutmaßlicher Verstöße gegen den Espionage Act, vor Gericht zu stellen. Daher sollte die Möglichkeit einer derartigen Argumentation auch im Fall Assange nicht gänzlich außer acht gelassen werden.
Der ehemalige US-Staatsanwalt Charles Stimson erklärte, ohne zu wissen, welche Beweise den US-Behörden vorlägen, sei es schwierig, zu sagen, wie diese den Fall Assange angehen würden. Ob Assange wegen Spionage angeklagt werden könne, sei eine "sehr offene Frage", so der Jurist, der als Mitglied des Think-Tanks "The Heritage Foundation" im Pentagon als Aufsicht für den Umgang mit Gefangenen während der Bush-Regierung arbeitete. Stimson hält es für besser, zu überprüfen, ob Assange womöglich - wie oben beschrieben - der Verschwörung zur Weitergabe von Geheimdokumenten angeklagt werden könnte. Auch damit, so der Jurist, würde man allerdings juristisches Neuland betreten. Immerhin sei Assange im Gegensatz zu Manning kein US-Regierungsangehöriger, der zur Geheimhaltung sensibler Dokumente verpflichtet sei. Die USA hätten "niemals wirklich erfolgreich jemanden, der kein Regierungsangehöriger war, dafür verurteilt, geheime Dokumente weitergegeben zu haben", so Stimson. Auch dazu müsste wahrscheinlich nachgewiesen werden, dass Assange nicht allein als Journalist handelte, sondern aktiv beim Kopieren der Dokumente mitwirkte oder dieses zumindest anstiftete.
Als für Assange ermutigenden Präzedenzfall sehen Rechtsexperten auch den Fall zweier pro-israelischer Lobbyisten. Sie wurden als erste Zivilisten unter dem Espionage Act angeklagt, da man ihnen vorwarf, geheime Dokumente der USA an Israel weitergegeben zu haben. Der Fall wurde nach einem langwierigen juristischen Ringen schließlich im Jahr 2009 eingestellt. Auch die Geschehnisse rund um die im Jahr 1971 von Daniel Ellsberg veröffentlichten Pentagon-Papiere sehen viele Rechtsexperten als Indiz dafür, dass Assange realistische Chancen hätte, sich auf die Meinungs- und Pressefreiheit zu berufen. Der auf diese Thematik spezialisierte Anwalt Floyd Abrams sieht Assanges Fall allerdings als Grenzfall. WikiLeaks werfe Fragen auf über die Grenzen der Meinungsfreiheit, unter anderem, da bei den Leaks die Namen von US-Informanten in Afghanistan im Klartext veröffentlicht worden seien, sagte Abrams. Zudem, so der Jurist, habe Assange mehrfach öffentlich Aussagen getätigt, die einen Wunsch nahe legten, der US-Regierung zu schaden. Dies könne sich vor Gericht womöglich negativ für Assange auswirken. Dennoch habe WikiLeaks gute Argumente dafür, sich auf den ersten Verfassungszusatz - also die Meinungs- und Pressefreiheit - zu berufen, sagte Abrams bereits im Jahr 2010 gegenüber dem TV-Sender C-SPAN. Gleichzeitig habe die US-Regierung aber "echte und ernste Argumente in Bezug auf die nationale Sicherheit", die sich über das "Verhalten und häufige Fehlverhalten" von WikiLeaks machen ließen.
Assange und seine Unterstützer jedenfalls fürchten nach wie vor eine Anklage in den USA. Michael Ratner, ein Menschenrechtsanwalt, der Assange in juristischen Fragen berät, bezeichnete die Grand Jury gegenüber Journalisten als "ernste Angelegenheit" und erklärte, die USA seien zweifellos sehr an Assanges Fall interessiert.
Das US-Justizministerium weigerte sich, eine Stellungnahme zur laufenden Grand-Jury-Untersuchung abzugeben. Ministeriumssprecher Dean Boyd erklärte außerdem, dass die USA keine Rolle bei dem in England laufenden Auslieferungs-Verfahren spielen. Er sagte aber auch: "Es läuft nach wie vor eine Untersuchung der WikiLeaks-Angelegenheit."