Kapitel 4

Die Ketten werden geschmiedet

Die babylonische Episode hatte äusserst weitreichende Folgen, damals für den kleinen Staat Juda und heute für die gesamte westliche Welt.

Während dieser Periode taten die Leviten Dinge, welche das Leben der Völker nachhaltig beeinflussen sollten. Sie verfassten nach dem Deuteronomium vier weitere Bücher und begründeten damit ein auf rassischer und religiöser Intoleranz fussendes Gesetz, das, konsequent durchgesetzt, die Judäer für alle Zeiten vom Rest der Menschheit absondern musste. Mittels Experimenten entwickelten sie in Babylon Methoden zur Erzwingung dieses Gesetzes und sorgten somit dafür, dass sich die Judäer strikt von ihrem Gastvolk abgrenzten. Es gelang den Leviten, das Vertrauen der Babylonier zu gewinnen, worauf sie ihre privilegierte Position prompt nutzten, um Babylons Verderben herbeizuführen. Dies besagt zumindest ihre Version der Geschichte, die sie der Nachwelt überlieferten; die Nachwelt akzeptierte diese Version als wahr und begann in den Judäern eine unwiderstehliche, zerstörerische Kraft zu sehen.

Die erste „Gefangenschaft“, die ägyptische, scheint reine Legende zu sein; was wir aus anderen Quellen wissen, widerspricht dieser Geschichte, und da das Buch Exodus nach der babylonischen Gefangenschaft niedergeschrieben wurde, spricht vieles dafür, dass die levitischen Schreiber die Knechtschaft im Aegyptenlande sowie die Plagen, mit denen Jahwe die Aegypter züchtigte, erfunden haben, um ihrer Version der babylonischen Gefangenschaft, die damals im Entstehen begriffen war, mit einem ideologischen Unterbau zu versehen.

Wie dem auch sei, das wahre Schicksal der Judäer in Babylon dürfte recht wenig mit der in den levitischen Schriften festgelegten Version zu tun haben, laut der ein ganzes Volk in die Knechtschaft verschleppt wurde, jedoch später in grossen Scharen in seine Heimat zurückkehrte. Ein Massenauszug von Gefangenen aus Babylon nach Jerusalem kann sich nicht zugetragen haben, weil sich die Mehrheit der Judäer, aus denen später die Juden hervorgehen sollten, zum damaligen Zeitpunkt bereits freiwillig über zahlreiche Länder westlich und östlich von Juda zerstreut hatte, wo die Bedingungen für den Handel günstig waren.

In jener Hinsicht bot sich schon damals ein ganz ähnliches Bild dar wie heute. In Jerusalem hielt sich lediglich der harte Kern der Judäer auf, d.h. in erster Linie die fanatischsten Anhänger des Tempelkults sowie Menschen, die in Juda ihrem Broterwerb nachgingen. Die Historiker sind sich darüber einig, dass nicht mehr als einige zehntausend Judäer nach Babylon verschleppt worden sind und dass diese lediglich eine kleine Minderheit der Gesamtbevölkerung ausmachten.

Die Zerstreuung der Judäer war kein geschichtlich einzigartiges Phänomen, wie in den Klageliedern behauptet wird: Die indischen Parsen wurden während derselben Periode ebenfalls unter ganz ähnlichen Umständen unter die Völker zerstreut und überlebten den Verlust ihres Landes und Staates als Glaubensgemeinschaft in der Diaspora. Auch in späteren Jahrhunderten gab es viele rassische oder religiöse Gruppen, die weit entfernt von ihrer Urheimat lebten und überlebten. Nach einigen Generationen betrachten die Angehörigen einer solchen Gruppe die Heimat ihrer Ahnen einfach als „das alte Land“, und die religiösen unter ihnen blickten beim Beten in der Richtung, in der eine ihnen heilige Stadt (wie Rom oder Mekka) lag.

Der Unterschied zu den Judäern bestand darin, dass das alte Land und die heilige Stadt bei diesen zusammenfielen, die Jahwe-Religion eine triumphale Rückkehr sowie die Wiedererrichtung des Tempelkults auf den Leichen der erschlagenen Heiden verlangte und diese Religion gleichzeitig als Alltagsgesetz diente, was bedeutete, dass ein weltliches politisches Programm, eine nationalistische Stammesideologie, zugleich Glaubensbekenntnis war. Vergleichbare Religionen dieser Art sind schon in alter Zeit verkümmert; nur diese eine überlebte, um durch all die Jahrhunderte hindurch die Existenz anderer Völker negativ zu beeinflussen, bis hin in unsere Tage, wo ihre zerstörerischen Auswirkungen besonders krass zutage treten.

Dies alles war das direkte Ergebnis der Experimente, welche die Leviten in Babylon anstellten, sowie der Erfahrungen, die sie sammelten, als sie die von ihnen kodifizierte Religion erstmals in einer fremden Umgebung testen konnten.

Die Toleranz, mit der die babylonischen Eroberer ihren judäischen Gefangenen begegneten, unterschied sich radikal von der den Judäern eingetrichterten Ideologie, denn immerhin befahl das Zweite Gesetz letzteren, die Besiegten restlos auszurotten. Dr. Kastein meint, die Verschleppten hätten in Babylon „völlige Freiheit“ bei der Ausübung ihres Glaubens sowie bei der Wahl von Wohnort und Beruf genossen und ein Recht auf Selbstverwaltung besessen.

Diese Grosszügigkeit der Sieger bot den Leviten die Möglichkeit, weitgehend freie Menschen tatsächlich in Gefangene zu verwandeln; auf Geheiss ihrer Priester mussten sie sich in geschlossenen Wohnbezirken ansiedeln, womit die Geburtsstunde des Ghettos geschlagen hatte und die Leviten diktatorische Macht über das Fussvolk errangen. Die talmudischen Gesetze der nachchristlichen Zeit, welche die Exkommunizierung von Juden vorsahen, die jüdisches Eigentum ohne Erlaubnis der Leviten an „Fremdlinge“ verkauft hatten, gehen auf dieses erste Experiment der Selbstabsonderung in Babylon zurück.

Um ihre Gemeinde an die Kandare nehmen zu können, bedurften die Priester der Unterstützung durch die Herrscher des Gastvolkes. Diese Unterstützung erhielten sie in der Tat, und später hat sich dasselbe Trauerspiel unzählige Male wiederholt.

Nun, wo sie ihr Volk fest im Griff hatten, konnten sich die Leviten der Aufgabe zuwenden, das „Gesetz“ zu vervollständigen. Die vier Bücher, die auf das Deuteronomium folgten, bildeten zusammen mit letzterem die Torah; dieses hebräische Wort bedeutete ursprünglich „Lehre“, nahm nun aber die Bedeutung „Gesetz“ an.

Streng genommen ist unsere Formulierung, wonach die Leviten das Gesetz „vervollständigt“ hatten, unrichtig, denn vervollständigt wurde einzig und allein die Torah in Gestalt der fünf Bücher Mose. Das „Gesetz“ selbst wurde nicht vervollständigt, weder damals noch später. Dies wäre schon darum ein Ding der Unmöglichkeit gewesem, weil es laut dem Talmud eine „geheime Torah“ gibt; bei dieser soll es sich um die Fortsetzung der bekannten Torah handeln, und die Priester machen geltend, Gott habe ihnen das Recht verliehen, sie zu deuten. Das Gesetz wurde immer wieder geändert, meist um irgendwelche Schlupflöcher zu stopfen, die es einem „Fremdling“ hätten ermöglichen können, dieselben Rechte zu geniessen wie ein „Nachbar“, d.h. ein Angehöriger der judäischen Glaubensgemeinschaft. Einige diesbezügliche Beispiele haben wir bereits angeführt; anderen werden wir uns später zuwenden. Das Ergebnis solcher Abänderungen bestand meist darin, den Hass und die Verachtung gegenüber dem „Fremdling“ noch zu steigern, indem allerlei diskriminierende Bestimmungen und Praktiken in das Gesetz eingebaut wurden.

Mit der Fertigstellung der Torah war ein gewaltiger, einzigartiger Zaun zwischen den Anhängern des Gesetzes und dem Rest der Menschheit errichtet, der freilich noch nicht ganz undurchdringlich war. Die Torah sah keinen Unterschied zwischen dem Gesetz Jahwes und dem Gesetz der Menschen, zwischen religiösem und zivilem Gesetz vor.

Theologisch wie juristisch existierte das Gesetz des „Fremdlings“ für die Judäer nicht, und jeglicher Versuch, sie zu seiner Einhaltung zu zwingen, galt ihnen als „Verfolgung“, denn Jahwes Gesetz war ihr einziges Gesetz. Die Priesterschaft machte geltend, die Torah regele sämtliche Akte des Alltagslebens bis hin zu den trivialsten.

In seinem 1882 erschienenen Buch Religion of the Ancient Hebrews bemerkte C. G. Montefiore treffend, das Alte Testament sei „geoffenbarte Gesetzgebung, nicht geoffenbarte Wahrheit“ und meinte, die israelitischen Propheten könnten nichts von der Torah gewusst haben, da diese von den Leviten in Babylon abgeschlossen worden sei. Wenn der Prophet Jeremiah sagte, die Feder der Schreiber sei kraftlos, so spielte er offensichtlich auf die von den Leviten vorgenommene permanente Umschreibung des Gesetzes und auf die zahllosen „Gebote und Rechte“ an, die sie den Geboten Mose hinzufügten.

Der Begriff der „Sünde“ fehlt in der Torah völlig. Dies ist nur allzu logisch, denn ein Gesetz ahndet keine Sünden, sondern lediglich Verbrechen und Vergehen. Das einzige Verbrechen oder Vergehen, welches dieses Gesetz kannte, war Nichtbefolgung der Vorschriften. Das, was gemeinhin unter Sünde verstanden wird – ein Verstoss gegen die Moral –, wurde in manchen Fällen ausdrücklich gebilligt und liess sich in anderen durch ein Tieropfer sühnen.

Die Vorstellung von der „Rückkehr“ war, gemeinsam mit den damit verwandten Themen der Vernichtung und der Herrschaft, die Grundlage des Dogmas, das mit diesen Konzepten stand und fiel. Allerdings empfand das Volk keinerlei Bedürfnis, nach Jerusalem zurückzukehren (auch heute lehnt die grosse Mehrheit der Juden eine „Rückkehr“ instinktiv ab, so dass es für den Zionistenstaat wesentlich leichter ist, im Ausland Geld einzusammeln als Einwanderer zu rekrutieren).

Die wortwörtliche Befolgung des Gesetzes war oberster Grundsatz, was bedeutete, dass der Besitz Palästinas, des „Zentrums“ des künftigen Reiches, lebenswichtig war (und ist). Seine Bedeutung war politischer Art und hing nicht davon ab, ein wie grosser Teil des Judentums dort wohnte.

Rekapitulieren wir: In Babylon schrieben die Leviten die Bücher Exodus, Genesis, Leviticus und Numeri. Genesis und Exodus, die beiden ersten Bücher Mose also, legten eine bestimmte Version der Geschichte fest, um einen ideologischen Unterbau für das „Gesetz“ zu schaffen, das die Leviten bereits zuvor in Gestalt des Deuteronomium kodifiziert hatten. Sie beginnt ganz am Anfang, mit der Schöpfung, deren genaues Datum die Schreiber zu kennen vorgaben. Was immer von der alten israelitischen Tradition überlebt haben mag, findet sich in Genesis und Exodus sowie in den aufgeklärten Passagen der prophetischen Bücher. Doch werden diese menschenfreundlichen Stellen mit deprimierender Regelmässigkeit schon bald durch andere, von fanatischer Intoleranz zeugende, aufgehoben, die wohl nachträglich von den Leviten eingeschoben worden sind.

Weshalb die Leviten diese Überbleibsel des Glaubens an einen liebenden Gott aller Menschen in den Texten beliessen, lässt sich nicht ohne weiteres erkennen; schliesslich stehen sie in schroffstem Widerspruch zum alten Gesetz, und es wäre den Schreibern ein Leichtes gewesen, sie zu tilgen.

Ein möglicher Grund liegt darin, dass die frühere mündliche Tradition bei den Stammesangehörigen zu gut bekannt war, als das man sie einfach hätte verschwinden lassen können, so dass man sie beibehielt, ihre Gültigkeit jedoch durch die Erfindung allegorischer Geschehnisse und die Hinzufügung neuer Gebote aufhob.

Obgleich Genesis und Exodus nach dem Deuteronomium geschaffen wurden, sind sie keineswegs von jenem fanatischen Stammesdenken geprägt, das im Deuteronomium ebenso wie in Leviticus und Numeri eine absolut dominierende Stellung einnimmt: Diese drei Bücher tragen den unverkennbaren Stempel levitischer Schreiber im isolierten Juda sowie in Babylon. In der Genesis hingegen findet sich nur eine einzige Passage, die eine Vorahnung des künftigen extremen Stammesdenkens vermittelt: „Und ich will dich zu einem grossen Volk machen und will dich segnen und dir einen grossen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen, und in dir sollen gesegnet sein alle Geschlechter auf Erden.“ (1. Mose 12; 2,3) Auch in Exodus findet man lediglich harmlos anmutende Stellen wie die folgende: „Wirst du [...] alles tun, was ich dir sage, so will ich deiner Feinde Feind und deiner Widersacher Widersacher sein.“ (2. Mose 23; 22.) Selbst bei diesem unverfänglichen Satz handelt es sich möglicherweise um einen nachträglich von den Leviten vorgenommenen Einschub. Allerdings geschieht hier etwas Bedeutsames: Der Bund zwischen Jahwe und seinem Volk wird mit Blut besiegelt: „Da nahm Mose das Blut und besprengte das Volk damit und sprach: Sieht, das ist das Blut des Bundes, den der HERR mit euch geschlossen hat auf Grund aller dieser Worte.“ (2. Mose 24; 8.) Fortan fliesst das Blut in Strömen.

Mit diesem Blutritual wird das erbliche, permanente Priesteramt der Aaroniten begründet. Jahwe spricht zu Mose: „Du sollst Aaron, deinen Bruder, und seine Söhne zu dir herantreten lassen aus der Mitte der Kinder Israel, dass er mein Priester sei, er und seine Söhne...“ (2. Mose 28; 1.) Wie eine Priesterweihe zu verlaufen hat, wurde laut den levitischen Schreibern von Jahwe selbst in allen Einzelheiten festgelegt: „Dies ist's, was du mit ihnen tun sollst, dass sie mir zu Priestern geweiht werden: Nimm einen jungen Stier und zwei Widder ohne Fehler. [...] Und du sollst den Stier schlachten vor dem HERRN, vor der Tür der Stiftshütte, und sollst von seinem Blut nehmen und mit deinem Finger an die Hörner des Altars streichen und alles andere Blut an den Fuss des Altars schütten. [...] Und den einen Widder sollst du nehmen, und Aaron und seine Söhne sollen ihre Hände auf seinen Kopf legen. Dann sollst du ihn schlachten und sein Blut nehmen und ringsum an den Altar sprengen. [...] Den anderen Widder aber sollst du nehmen, und Aaron und seine Söhne sollen ihre Hände auf seinen Kopf legen, und du sollst ihn schlachten und von seinem Blut nehmen und es Aaron und seinen Söhnen an das rechte Ohrläppchen streichen und an den Daumen ihrer rechten Hand und an die grosse Zehe ihres rechten Fussses; und du sollst das Blut ringsum an den Altar sprengen. Und du sollst von dem Blut auf dem Altar nehmen und Salböl und sollst Aaron und seine Kleider, seine Söhne und ihre Kleider, damit besprengen. So werden er und seine Kleider, seine Söhne und ihre Kleider geweiht.“ (2. Mose 29; 1, 11-12, 15-16, 19-21.)

Dieses Bild blutbepritzter Priester ist des Nachdenkens wert. Ungeachtet der seit dem Erlass dieser Gebote verflossenen Zeit drängt sich die Frage auf: Warum wird in dem von den Leviten festgelegten Gesetz derartiger Nachdruck auf Blutopfer gelegt? Die Antwort dürfte in der genialen Begabung der Sekte liegen, den Menschen Furcht und Schrecken einzuflössen, denn allein schon das Wort „Blut“ liess den frommen und abergläubischen Judäer vor Angst um seinen eigenen Sohn erzittern. Die fanatischen Priester erhoben nämlich Anspruch auf die Erstgeborenen ihrer Anhängerschaft; das Buch Exodus lässt hieran keinen Zweifel aufkommen:

„Und der HERR redete mit Mose und sprach: Heilige mir alle Erstgeburt bei den Kindern Israels; alles, was zuerst den Mutterschoss durchbricht, bei Mensch und Vieh, das ist mein.“ (2. Mose 13; 1,2.)

Laut einer früher zitierten Stelle aus dem Buche Micha hatte die Praxis, erstgeborene Kinder zu opfern, lange Bestand, und allein schon der Anblick der blutbefleckten Levitenpriester muss die einfachen Stammesangehörigen mit Schrecken erfüllt haben, denn in den Jahwe zugeschriebenen Worten ist ausdrücklich von der „Erstgeburt bei Mensch und Vieh“ die Rede. Dieses Gebot wirkte auch noch nach, nachdem die Priesterschaft (in einem Geniestreich, auf den wir noch zu sprechen kommen werden) die Menschenopfer in der Praxis eingestellt, den Anspruch auf die Erstgeborenen jedoch aufrechterhalten hatte. Das Blut, mit dem der Priester bespritzt wurde, mochte tierischen Ursprungs sein, symbolisierte in den Augen der Gemeindemitglieder aber immer noch das ihrer eigenen Söhne!

In den talmudischen Hochburgen des Judentums hielt sich das Ritual der Bespritzung der Priester mit Blut übrigens bis in unsere Tage und ist somit keine blosse Reminiszenz an eine graue Vorzeit. Vierundzwanzig Jahrhunderte nach der Niederschrift des Buches Exodus erklärten die reformierten Rabbiner Amerikas 1885 in Pittsburgh: „Wir erwarten weder eine Rückkehr nach Palästina noch ein Opferritual unter der Obhut der Söhne Aarons noch die Wiederinkraftsetzung irgendwelcher Gesetze, die im jüdischen Staat galten.“ Die Bedeutung dieser Erklärung lag darin, dass diese Rabbiner es noch im Jahre 1885 für nötig erachteten, sie öffentlich abzugeben, was beweist, dass der orthodoxe Flügel des Judentums die Gesetze einschliesslich des „Opferrituals“ auch weiterhin befolgte. (Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts hatten die reformierten Rabbiner Amerikas an Boden eingebüsst, während sich die Vertreter des zionistischen Chauvinismus im Vormarsch befanden.)

Dass die Torah von den Leviten niedergeschrieben worden ist, lässt sich unter anderem auch daran erkennen, dass mehr als die Hälfte des Inhalts der fünf Bücher aus peinlich genauen Anweisungen besteht, die angeblich von Gott selbst erteilt worden sind: Anweisungen für den Bau und die Ausstattung von Altären und Tabernakeln; den Stoff und das Muster von Kleidungsstücken, Mitren und Gürteln; die Art von Goldketten und Edelsteinen, welche die blutbespritzen Priester zu tragen haben; die Anzahl der als Sühne für verschiedene Verstösse zu opfernden Tiere; die Art und Weise, wie das Blut zu verwenden ist; die Bezahlung von Abgaben und Schekeln sowie ganz allgemein die Privilegien und Vergünstigungen für die Priesterschaft. Zahlreiche Kapitel sind blutigen Opfern gewidmet.

Vermutlich schätzt Gott das Blut von Tieren oder die erlesenen Gewänder der Priester allerdings weniger hoch, als man bei der Lektüre dieser Schilderungen annehmen müsste. Dies und nichts anderes gab den Anstoss zum Protest der israelitischen „Propheten“: Sie geisselten die Mummifizierung einer primitiven Stammesreligion; nichtdestoweniger ist diese noch heute das Gesetz der herrschenden Sekte und stellt in unseren Tagen eine Macht ohnesgleichen dar.

Als die Leviten diese Gesetzesbücher zusammenstellten, bauten sie darin zahlreiche allegorische oder lehrhafte Beispiele für die lethalen Folgen der Nichtbeachtung des Gesetzes ein. Es sind dies die Gleichnisse des Alten Testaments, und ihre „Moral“ ist stets die gleiche: Wer das Gesetz verletzt, dem winkt der Tod! Im Buche Exodus finden wir das berühmteste dieser Gleichnisse, die Geschichte von goldenen Kalb. Während sich Mose in den Bergen aufhielt, goss Aaron ein goldenes Kalb; als Mose zurückkehrte und sah, dass sein Volk dieses anbetete,

„trat er in das Tor des Lagers und rief: Her zu mir, wer dem HERRN angehört! Da sammelten sich zu ihm alle Söhne Levi. Und er sprach zu ihnen: So spricht der HERR, der Gott Israels: Ein jeder gürte sein Schwert um die Lenden und gehe durch das Lager hin und her von einem Tor zum anderen und erschlage seinen Bruder, Freund und Nächsten. Die Söhne Levi taten, wie ihnen Mose geheissen hatte; und es fielen an dem Tage vom Volk dreitausend Mann.“ (2. Mose 22; 26-28.)

Das Christentum hat die Parabel vom goldenen Kalb mit dem gesamten Alten Testament übernommen und sieht in ihr eine Warnung vor jeglichem Götzendienst. Allerdings mögen die Leviten, welche diese Geschichte erfanden, damit ein Ziel verfolgt haben, das man heute nicht mehr ohne weiteres erkennt. Viele Judäer, darunter auch einige Priester, mögen sich gedacht haben, Gott werde grösseren Gefallen am symbolischen Opfer eines goldenen Kalbes finden als an der unaufhörlichen, blutigen Opferung wirklicher Tiere, dem Verspritzen ihres Bluts und dem „süssen Duft“ ihrer brennenden Kadaver. Die Leviten wehrten sich mit Zähnen und Klauen gegen jede Verwässerung ihrer Rituale, so dass sich die von ihnen ersonnenen Gleichnisse stets gegen jene richten, welche diese Rituale im einen oder anderen Punkt ändern wollen.

Einen vergleichbaren Fall stellt die Rebellion des Korah dar, die im 16. Kapitel des Buches Numeri geschildert wird. Zweihundertfünfzig Mann unter der Führung Korahs empören sich gegen Mose, worauf sich die Erde unter ihnen auftut und sie verschlingt, „mit ihren Sippen, mit allen Menschen, die zu Korah gehörte, und mit all ihrer Habe. Und sie fuhren lebendig zu den Toten hinunter mit allem, was sie hatten, und die Erde deckte sie zu, und sie kamen um, mitten aus der Gemeinde heraus.“ (4. Mose 16; 32, 33.) Das Volk murrte aber weiter, worauf der Herr es mit einer Seuche schlug, an der 14.700 Menschen zugrunde gingen, ehe Aaron Fürbitte für das Volk einlegte (4. Mose 17; 13, 14.)

Die Moral von der Geschichte war, dass man gut daran tat, der Priesterschaft die gebotene Ehrfurcht entgegenzubringen: „Und der HERR sagte zu Aaron: Siehe, dies überlasse ich dir bei dem Dienst an meinen Opfergaben: von allen heiligen Gaben der Kinder Israels gebe ich dir einen Anteil, dir und deinen Söhnen, als ewiges Anrecht. [...] Alles Beste von Öl und alles Beste vom Wein und Korn, die Erstlingsgabe, die sie dem HERRN bringen, habe ich dir gegeben.“ (4. Mose 18; 8, 12.) Vermutlich aufgrund der Beschränkungen, die sich die Leviten aus Rücksicht auf die alte Tradition beim Umschreiben der Geschichte auferlegen mussten, finden sich in den Büchern Genesis und Exodus kaum vergleichbare Stellen. Der Fanatismus, der im Deuteronomium erstmals unverbrämt zutage tritt, wird in den Bücher Leviticus und Numeri auf die Spitze getrieben.

Genau wie das Deuteronomium waren auch Leviticus und Numeri angeblich von Mose hinterlassen worden, der darin seine Gespräche mit Jahwe schilderte. Im Fall dieser beiden letztgenannten Bücher verzichteten die Leviten jedoch auf die Behauptung, man habe sie in Gestalt eines „vom Staub der Zeit bedeckten“ Manuskriptes entdeckt. Leviticus und Numeri belegen, dass sich der Fanatismus der Sekte mittlerweile zur Weissglut gesteigert hatte, denn sie wimmeln nur so von Aufrufen zu Glaubens- und Rassenhass. Im Deuteronomium hatte Jahwe sein Volk immerhin noch gemahnt, den Fremdling zu lieben, auch wenn dieses (wahrscheinlich der alten israelitischen Tradition entstammende) Gebot dann durch eine Flut von Vorschriften ausser Kraft gesetzt wurde, in denen der Fremdling unter anderem vom Verbot des Wuchers ausgenommen wurde.

Leviticus ging noch weiter. Wohl findet sich dort folgende Stelle:

„Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken. Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Aegyptenland.“ (3. Mose 19; 33, 34.) Doch in Kapitel 25 folgt die unvermeidliche Aufhebung dieses Gebots: „Willst du aber Sklaven und Sklavinnen haben, so sollst du sie kaufen von den Völkern, die um euch herum sind, und auch von den Beisassen, die als Fremdlinge unter euch wohnen, und von ihren Nachkommen, die sie bei euch in eurem Land zeugen. Die möget ihr zu eigen haben und sollt sie vererben euren Kindern zum Eigentum für immer; die sollt ihr Sklaven sein lassen. Aber von euren Brüdern, den Kindern Israel, soll keiner über den andern herrschen mit Härte.“ (3. Mose 25; 44-46.)

Somit war die Versklavung von „Fremdlingen“, deren Sklavenstatus von einer Generation auf die andere überging, zu einem Bestandteil des (heute noch gültigen) Gesetzes geworden. Wenn das Alte Testament „nicht minder göttlichen Ursprungs“ ist als das Neue, besassen die Weissen sehr wohl das Recht, schwarze Afrikaner als Sklaven nach Amerika zu verschiffen, und die Buren handeln nicht mehr als billig, wenn sie die Eingeborenen Südafrikas unterdrücken.

Folgende Episode in Leviticus schildert die grauenvollen Konsequenzen, die sich aus der Nichtbefolgung des Gesetzes ergeben, und zeugt von der Radikalität der Leviten: „Und Aarons Söhne Nadab und Abihu nahmen ein jeder seine Pfanne und taten Feuer hinein und legten Räucherwerk darauf und brachten so ein fremdes Feuer vor den HERRN, das er ihnen nicht geboten hatte.“ Dieser nicht den Vorschriften entsprechende Opferakt war ein todeswürdiges Verbrechen: „Da fuhr ein Feuer aus von dem HERRN, und verzehrte sie, dass sie starben vor dem HERRN.“ (3. Mose 10; 1, 2.)

Das extremste der fünf Bücher Mose ist Numeri, das als letztes niedergeschrieben wurde. In ihm fanden die Leviten einen Weg, ihren vornehmsten Anspruch, das Recht auf alle Erstgeborenen, de facto aufzugeben, das entsprechende Gebot aber in Kraft zu lassen. Dies war ein geradezu genialer politischer Schachzug. Der Anspruch auf „alle Erstgeburt“ hatte den Priestern offenbar grosse Unannehmlichkeiten bereitet, doch konnten sie den ersten Artikel eines Gesetzes, bei dessen Befolgung es nicht den geringsten Spielraum gab, unter gar keinen Umständen preisgeben; hätten sie dies getan, so wären sie selbst dem Tod verfallen. Durch eine abermalige Neudeutung des Gesetzes ernannten sie sich selbst zu Stellvertretern der Erstgeborenen und sicherten sich somit die ewige Dankbarkeit des Volkes, ohne auch nur das geringste zu riskieren:

„Und der HERR redete mit Mose und sprach: Nimm die Leviten statt aller Erstgeburt unter den Kindern Israels und das Vieh der Leviten statt ihres Viehs, dass die Leviten mir gehören sollen. Ich bin der HERR. Aber als Lösegeld für die 273 Erstgeburten der Kinder Israel, die die Zahl der Leviten übersteigen, sollst du fünf Lot Silber erheben für jeden Kopf. [...] Und du sollst das Silber für die, welche überzählig sind unter ihnen, Aaron und seinen Söhnen als Lösegeld geben.“ (4. Mose 3; 44-48.)

Nachdem sich die Leviten so als Wohltäter aufgespielt hatten, legten sie zahlreiche weitere „Gebote und Rechte“ fest. Sie herrschten durch nackten Terror und verstanden es meisterhaft, dem Volk mit allerlei neuen Mitteln Furcht einzuflössen; ein markantes Beispiel hierfür bietet ihr „Eifersuchtsgesetz“: Wenn der „Geist der Eifersucht“ über einen Mann kommt, soll er seine Gattin zum Priester bringen; dieser soll ihr „bitteres, fluchbringendes Wasser“ einflössen und dazu sagen: „Hat kein Mann bei dir gelegen und bist du deinem Mann nicht untreu geworden, so dass du dich unrein gemacht hast, so soll dir dies bittere, fluchbringende Wasser nicht schaden. Wenn du aber deinem Mann untreu geworden bist, dass du unrein wurdest, und hat jemand bei dir gelegen ausser deinem Mann, so soll der Priester mit einem Verwünschungsschwur die Frau beschwören und zu ihr sagen: Der HERR mache deinen Namen zum Fluch und zur Verwünschung unter deinem Volk, dadurch dass der HERR deine Hüfte schwinden und deinen Bauch schwellen lässt!“ (4. Mose 5; 19-21.) Schwoll der Bauch der Frau, nachdem sie das bittere Wasser getrunken hatte, so war sie des Ehebruchs überführt und damit des Todes schuldig. Es ist nur allzu klar, welche Macht solch ein Ritual der Priesterschaft vermittelte; ähnliche „Gottesurteile“ werden von den Medizinmännern Afrikas praktiziert.

Von schicksalsschwerer Bedeutung sind jene Passagen in Numeri, in denen es um Mose und die Midianiter geht. Wer das Buch Exodus aufmerksam gelesen hat und somit das Leben und die Taten Mose kennt, weiss, dass dieser nach dem Zweiten Gesetz sowie nach verschiedenen in Leviticus und Numeri festgelegten Vorschriften des Todes schuldig geworden war. Indem Mose Zuflucht bei den Midianitern suchte, wo er Zippora, die Tochter des midianitischen Hohepriesters Jethro ehelichte (2 Mose 2; 21), hatte er einen Frevel begangen. Doch da Mose der Angelpunkt der ganzen Geschichte und der Mann ist, der das ihm offenbarte Gesetz dem Volk verkündigt, mussten ihn die Leviten unter allen Umständen entsühnen, um zu verhindern, dass das Gesetz unglaubwürdig wurde.

Kapitel 31 des vierten Buch Mose vermittelt Aufschluss darüber, wie die Leviten dieses Problem lösten. Man erfährt dort, wie Mose die „Gebote und Rechte“ erfüllte und seine Verstösse gegen das Gesetz wieder gutmachte, indem er den gesamten Stamm der Midianiter ausser den Jungfrauen niedermetzeln liess. Somit hatte er dem rassisch-religiösen Dogma seinen Tribut gezollt und seinen Frevel gesühnt; aus dem wohlwollenden Patriarchen der älteren Überlieferung war also der Begründer eines Gesetzes geworden, das Hass und Mord predigte!

Zuvor, in Kapitel 25 wird folgendes berichtet: „Und Israel lagerte in Schittim. Da fing das Volk an zu huren mit den Töchtern der Moabiter; die luden das Volk zu den Opfern ihrer Götter. Und das Volk ass und betete ihre Götter an. Und Israel hängte sich an den Baal-Peor. Da entbrannte des HERRN Zorn über Israel, und er sprach zu Mose: Nimm alle Oberen des Volks und hänge sie vor dem HERRN auf im Angesicht der Sonne, damit sich der grimmige Zorn des HERRN von Israel wende. Und Mose sprach zu den Richtern Israels: Es töte jeder seine Leute, die sich an den Baal-Peor gehängt haben.“ (4. Mose 25; 1-5). Der Kult Baals war in ganz Kanaan weitverbreitet, und dass er dem Jahwe-Kult Konkurrenz machte, war für die Leviten eine ständige Quelle der Besorgnis.

Somit tritt hier das Thema des Glaubenshasses auf. Gleich anschliessend begegnen wir auch dem Rassenhass: „Und siehe, ein Mann von den Kindern Israels kam und brachte unter seine Brüder eine Midianiterin vor die Augen des Mose und der ganzen Gemeinde der Kinder Israel, die da weinten vor der Tür der Stiftshütte. Als das Pinhas sah, der Sohn Eleasars, des Sohnes des Priesters Aaron, stand er auf aus der Gemeinde und nahm einen Spiess in seine Hand und ging dem israelitischen Mann nach in die Kammer und durchstach sie beide, den israelitischen Mann und die Frau, durch ihen Leib.“ (4. Mose 25; 6-8.) Dank dieser Tat klang die Pest ab, die zuvor 24.000 Opfer gefordert hatte, und „der HERR redete mit Mose und sprach: Pinhas, der Sohn Eleasars, des Sohnes des Priesters Aaron, hat meinen Grimm von dem Kindern Israel gewendet durch seinen Eifer um mich, dass ich nicht in meinem Eifer die Kinder Israel vertilge. Darum sage: Siehe, ich gebe ihm meinen Bund des Friedens.“ (4. Mose 25; 10-12.)

Somit wurde der Bund zwischen Jahwe und der erblichen aaronitischen Priesterschaft von den levitischen Schreibern erneut mit Blut besiegelt, diesmal freilich nicht mit dem von Stieren oder Widdern, sondern mit dem zweier Menschen, die bei einem religiös und rassisch motivierten Mord umgebracht worden waren – einen Mord, dank dem Jahwe den Kindern Israel ihre Verirrungen verzieh.

Das im 31. Kapitel beschriebene Massaker an den Midianitern ist Moses letzte Tat, mit der er sich für die Ewigkeit rehabilitiert. Jahwe spricht zu ihm: “Übe Rache für die Kinder Israel an den Midianitern, und danach sollst du versammelt werden zu deinen Vätern.“ So zogen Moses Krieger „zum Kampf aus gegen die Midianiter, wie der HERR es Mose geboten hatte, und töteten alles, was männlich war. [...] Und die Kinder Israel nahmen gefangen die Frauen der Midianiter und ihre Kinder; all ihr Vieh, alle ihre Habe und alle ihre Güter raubten sie und verbrannten mit Feuer all ihre Städte, wo sie wohnten, und alle ihre Zeltdörfer.“ (4. Mose 31; 7-10.)

Doch dies reichte nicht aus. Mose, Ehemann einer Midianiterin und Vater ihrer beiden Söhne, „wurde zornig über die Hauptleute des Heeres, die Hauptleute über tausend und über hundert, die aus dem Feldzug kamen, und sprach zu ihnen: Warum habt ihr alle Frauen leben lassen? Siehe, haben nicht diese die Kinder Israel durch Bileams Rat abwendig gemacht, dass sie sich versündigten am HERRN durch den Baal-Peor, so dass der Gemeinde des HERRN eine Plage widerfuhr. So tötet nun alles, was männlich ist unter den Kindern, und alle Frauen, die nicht mehr Jungfrauen sind; aber alle Mädchen, die unberührt sind, die lasst für euch leben.“ (4. Mose 31; 14-17.)

Es folgt eine Aufzählung der Kriegsbeute: Nach den 675.000 Schafen, den 72.000 Rindern und den 61.000 Eseln werden 32.000 Mädchen, „die nicht von Männern berührt waren“, erwähnt. Diese wurden zwischen die Leviten, die Krieger und die Gemeinde geteilt, während das Gold vollumfänglich den Leviten „für den HERRN“ zufiel.

Nun darf sich Mose zur ewigen Ruhe legen, und das Buch Numeri geht zu Ende. Eine dämonischere Anstachelung zu Mord und Raub lässt sich kaum denken. Um das Ausmass der Ungeheuerlichkeiten zu erfassen, welche die Leviten Jahwe und Mose in den Mund legten, muss man das 25. sowie das 31. Kapitel von Numeri mit den Kapiteln 2, 3 und 18 von Exodus vergleichen. Es ist dies eine unverhüllte Warnung an das auserkorene Volk, das hier erfährt, was Jahwe von ihm verlangt, und es ist bis heute eine Warnung für andere.

Die Verfasser dieses Gesetzes gehörten einer kleinen Sekte in Babylon an, die lediglich auf ein paar tausend Anhänger zählen konnte, doch die Macht ihrer monströsen Ideologie erwies sich als ausserordentlich gross. Indem sie ihren Gefolgsleuten die verlockendsten irdischen Belohnungen in Aussicht stellen, die man sich vorstellen kann, verschrieben sie sich der niedrigeren jener beiden Kräfte, die immerfort um die Seele des Menschen kämpfen: Den leiblichen Instinkten, die den Menschen nach unten ziehen und in ewigem Krieg mit den nach oben strebenden Impulsen des Geistes stehen.

Die christlichen Theologen erkennen diesem Gesetz einen höheren Ursprung zu als die jüdischen Gelehrten. Vor mir liegt eine unlängst erschienene christliche Bibel, in der erläutert wird, dass die fünf Bücher der Torah ebenso wie die historischen, prophetischen und poetischen Bücher „als wahr anerkannt“ werden. Dies ergibt sich logischerweise aus dem bereits erwähnten Dogma, wonach das Alte Testament „ebenso göttlichen Ursprungs ist“ wie das Neue.

Die jüdischen Gelehrten urteilen anders. Dr. Kastein beispielsweise meint, die Torah sei „das Werk eines anonymen Erstellers“ gewesen, der „ein pragmatisches historisches Werk geschaffen“ habe. Dies entspricht durchaus den Fakten; der Schreiber oder die Schreiber liefert oder liefern eine Version der Geschichte, die aus subjektiven Erwägungen geschrieben wurde, um dem Kompendium von Gesetzen, die darauf beruht, einen ideologischen Unterbau zu verleihen; sowohl die Geschichte als auch die Gesetze dienten einem politischen Zweck. „Eine einigende Idee lag allem zugrunde“, kommentiert Dr. Kastein, und diese „einigende Idee“ war ein Stammesnationalismus, welcher dermassen fanatisch war, dass die Welt weder vorher noch später je seinesgleichen gekannt hat.

Während das Gesetz niedergeschrieben wurde (abgeschlossen wurde es erst nach der babylonischen „Gefangenschaft“), erhoben die beiden letzten Mahner ihre Stimme: Jesaja und Jeremia. Die Hand der Leviten lässt sich an jenen Einschüben erkennen, die offensichtlich in diese Bücher eingefügt wurden, um sie mit dem „Gesetz“ und der dieser unterstützenden Geschichtsversion vereinbar erscheinen zu lassen. Dieses Fälschungswerk lässt sich im Buch Jesaja mit aller Klarheit belegen; hier ist die Beweisführung sehr einfach. Fünfzehn Kapitel wurden von einem Schreiber verfasst, der über die Babylonische Gefangenschaft Bescheid wusste, obwohl der Prophet Jesaja ca. zweihundert Jahre vor dieser gelebt hat. Christliche Gelehrte versuchen diesen Widerspruch zu lösen, indem sie den Urheber dieser fünfzehn Kapitel als „Deutero-Jesaja“, d. h. zweiten Jesaja, bezeichnen.

Im Buch Jesaja findet sich folgender berühmte, aber oft aus dem Zusammenhang gerissene Ausspruch: „Ich, der HERR, habe dich gerufen in Gerechtigkeit und halte dich bei der Hand und behüte dich und mache dich zum Bund für das Volk, zum Licht der Heiden, dass du die Augen der Blinden öffnen sollst...“ (Jesaja 42; 6, 7.) Vom Standpunkt des damals im Entstehen begriffenen Gesetzes aus war dies pure Häresie, so dass die Leviten folgende Sätze hinzufügten (denn dass diese vom selben Autor stammen wie die vorher zitierten, ist allzu unwahrscheinlich): „Siehe, ich will deine Hand zu den Heiden hin erheben und für die Völker mein Banner aufrichten. [...] Sie werden vor dir niederfallen zur Erde aufs Angesicht und deiner Füsse Staub lecken. [...] Und ich will deine Schinder sättigen mit ihrem eigenen Fleisch, und sie sollen von ihrem eigenen Blut wie von süssen Wein trunken werden. Und alles Fleisch soll erfahren, dass ich der HERR, dein Heiland bin und dein Erlöser, der Mächtige Jakobs.“ (Jesaja 42; 22-23, 26.) (Diese Sätze klingen, als stammten sie von Hesekiel, der, wie wir noch sehen werden, der wahre Vater des rabbinischen Gesetzes war.)

Das Buch Jeremia scheint ebenfalls von den Leviten manipuliert worden zu sein, sonst liesse sich folgende, ganz am Anfang stehende Stelle nicht erklären: „Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, dass du ausreissen und einreissen, zerstören und verderben sollst...“ (Jeremia 1; 10.) Diese Worte stammen schwerlich vom Autor folgender, bereits im nächsten Kapitel stehenden Stellen: „Und des HERRN Wort geschah zu mir: Geh hin und predige öffentlich der Stadt Jerusalem und sprich: So spricht der HERR: Ich gedenke der Treue deiner Jugend und der Liebe deiner Brautzeit, wie du mir folgtest in der Wüste, im Land, da man nicht sät. [...] Was haben eure Väter Unrechtes an mir gefunden, dass sie von mir wichen und hingen den nichtigen Götzen an und wurden so zunichte. [...] Denn mein Volk tut eine zwiefache Sünde: mich, die lebendige Quelle, verlassen sie und machen sich Zisternen, die doch rissig sind und kein Wasser geben.“ (Jeremia 2; 1-2, 5, 13.)

Jeremia weist auf den Schuldigen, Juda (und es mag sehr wohl sein, dass er für diesen Frevel mit dem Tode büssen musste): „Das abtrünnige Israel steht gerechter da als das treulose Juda.“ (Jeremia 3; 11.) Israel war dem Herrn abtrünnig geworden, doch Juda hatte ihn verraten – eine unverkennbare Anspielung auf das neue Gesetz der Leviten. Es folgt (wie bei allen „Propheten“) eine leidenschaftliche Philippika gegen die priesterlichen Riten und Opfer:

„Verlasst euch nicht auf Lügenworte, wenn sie sagen: Hier ist des HERRN Tempel! Sondern bessert euer Leben und euer Tun, dass ihr recht handelt einer gegen den andern und keine Gewalt übt gegen Fremdlinge, Waisen und Witwen und nicht unschuldiges Blut vergiesst an diesem Ort und nicht andern Göttern nachlauft zu eurem Schaden. [...] Ihr seid Diebe, Mörder, Ehebrecher und Meineidige und opfert dem Baal und lauft fremden Göttern nach, die ihr nicht kennt. [...] Haltet ihr denn dies Haus, das nach meinem Namen genannt ist, für eine Räuberhöhle? [...] Ich habe euren Vätern an dem Tage, als ich sie aus Aegyptenlande führte, nichts gesagt noch geboten von Brandopfern und Schlachtopfern...“ (Jeremia 7; 4- 5, 9, 11, 21.)

Mit solchen Worten prangerte Jeremia, wie später Jesus, die Zerstörung des Gesetzes an, die im Namen seiner Erfüllung betrieben wurde. Offenbar verlangten die Leviten noch zu Jeremias Zeiten das Opfer der Erstgeborenen, denn sonst liesse sich folgende Stelle nicht erklären: „Sie haben [...] die Höhen des Topheth im Tal Ben-Hinnon gebaut, um ihre Söhne und Töchter zu verbrennen, was ich nie geboten habe und mir nie in den Sinn gekommen ist.“ (Jeremia 7; 30, 31.)

Wegen dieser „Greuel“, fährt Jeremia fort, werde der Herr „in den Städten Judas und auf den Gassen Jerusalems wegnehmen den Jubel, die Freude und Wonne und die Stimme des Bräutigams und der Braut; denn das Land soll wüst werden“. (7. Jeremia 54.)

Es ist dies eine berühmte politische Prophezeiung, die in der Tat in Erfüllung gehen sollte. Mit ihrem geradezu genialen Talent, die Dinge auf den Kopf zu stellen, beriefen sich die Leviten später auf diese Weissagung, um ihre Behauptung zu begründen, Judas Fall sei auf die Nichtbefolgung des Gesetzes zurückzuführen gewesen, während Jeremia ganz im Gegenteil gewarnt hatte, das Gesetz werde das „verräterische“ Juda in den Untergang führen. Würde Jeremia heute auferstehen, so könnte er genau dieselben Worte auf den Zionismus anwenden, denn die Ausgangslage ist verblüffend ähnlich, und die Konsequenzen sind voraussehbar.

Als Juda fiel, tat Jeremia seinen berühmtesten Ausspruch, jenen, den sich die jüdischen Massen oft instinktiv in Erinnerung rufen, den zu beherzigen die herrschende Sekte ihnen jedoch beharrlich verbietet: „Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum HERRN, denn wenn's ihr wohlgeht, so geht's auch euch wohl.“ (Jeremia 29; 7.) Die Leviten erteilten ihre zornige Antwort in Psalm 137:

„An den Wasser von Babylon sassen wir und weinten,
wenn wir an Zion gedachten. [...]

Denn die uns gefangen hielten
hiessen uns dort singen
und in unserem Heulen fröhlich sein:
Singt uns ein Lied von Zion!

Wie könnten wir des HERRN Lied singen
in fremden Landen?

Vergesse ich dich, Jerusalem,
so verdorre meine Rechte. [...]

Tochter Babel, du Verwüsterin,
wohl dem, der vergilt, was du uns angetan hast!

Wohl dem, der deine jungen Kinder nimmt
und sie am Felsen zerschmettert!“

 

In Jeremias Mahnung und der Antwort der Leviten liegt der ganze Streit um Zion mitsamt den Auswirkungen, die er bis in unsere Tage für andere Völker zeitigt.

Jeremia, der vermutlich hingerichtet wurde, würde heutzutage als „Verrückter“, „Paranoiker“, „Antisemit“ und dergleichen an den Pranger gestellt; damals nannte man solche Menschen „Propheten und Träumer von Träumen“.

Während Jeremia als Flüchtling in Aegypten weilte, sprach Jesaja in Babylon („der zweite Jesaja“) folgende freundlichen Worte, welche wie ein letztes Tageslicht vor dem einbrechenden Dunkel der Lehre wirken, die schon bald triumphieren sollte: „So spricht der HERR: Wahret das Recht und die Gerechtigkeit, denn mein Heil ist nahe, dass es komme, und meine Gerechtigkeit, dass sie offenbar werde. [...] Und der Fremdling, der sich dem HERRN zugewandt hat, soll nicht sagen: Der HERR wird mich getrennt halten von seinem Volk. [...] Und die Fremden, die sich dem HERRN zugewandt haben, ihm zu dienen und seinen Namen zu lieben [...] die will ich zu meinem heiligen Berge bringen und will sie erfreuen in meinem Bethaus [...] denn mein Haus wird ein Bethaus heissen für alle Völker.“ (Jesaja 56; 1, 3, 6-7.)

Mit diesem kurzen Blick auf einen liebenden Gott der gesamten Menschheit endeten die Proteste. Von nun an hatten die Leviten und ihr Gesetz die uneingeschränkte Macht inne, und damit begann die tatsächliche Gefangenschaft der Juden, denn ihre Unterjochung durch das Gesetz des Religions- und Rassenhasses ist die einzige Knechtschaft, in der sie je geschmachtet haben.

Ebenso wie die früheren „Propheten“ sprachen Jeremia und der „zweite Jesaja“ für die Menschheit, die sich allmählich zum Lichte vortastete, während die Leviten den Weg zurück in die Finsternis antraten. Noch bevor das Gesetz vollendet wurde, hatte Prinz Sidharta Gautama Buddha die erste Religion der Menschheit gestiftet, die auf seinem Ersten Gesetz der Liebe beruhte: „Von Gutem muss Gutes kommen und von Bösem Böses.“ Dies war die vorausgenommene Antwort auf das Zweite Gesetz der Leviten, auch wenn letztere schwerlich von Buddha und seinen Lehren wussten. Es war auch die logische Antwort der Zeit, und des menschlichen Geistes, auf den Brahminismus, den hinduistischen Rassismus und den Kult der Herrenkaste, der auffallende Aehnlichkeit mit dem Judaismus aufweist.

Fünfhundert Jahre später sollte eine zweite Menschheitsreligion geboren werden und weitere fünfhundert Jahre darauf eine dritte. Die kleine Nation Juda lag in den Ketten des Gesetzes, die sie daran hinderten, sich auf die Menschheit hin zu bewegen; sie war in einem fossilen Stadium geistiger Entwicklung festgefahren, doch ihr primitiver Stammesglaube blieb lebendig und mächtig. Das im zwanzigsten Jahrhundert immer noch ungeheuer einflussreiche Levitische Gesetz ist seinem Wesen nach ein Überbleibsel grauer Vorzeit.

Ein solches Gesetz musste bei den Völker, unter denen die Judäer lebten, zwangsläufig zuerst Neugier und dann Besorgnis hervorrufen. Dieser Prozess begann, als die Judäer um 538 v. Chr. aus Babylon nach Jerusalem zurückkehrten. Anfänglich bekamen lediglich kleine Sippen und Stämme – die unmittelbaren Nachbarn der Judäer in Jerusalem – die Segnungen des judäischen Glaubens zu spüren, doch dann breitete er sich kreisförmig aus, so dass eine stetig wachsende Zahl von Völkern seine Auswirkungen zu fühlen bekam, bis hin in unser Jahrhundert, wo er besonders unheilvolle Folgen zeitigte.


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