Klongprem
Klongprem
Wissen Sie wie ein Engel aussieht? Also das kann ich ihnen ganz genau sagen, weil wir ein solches Wesen zu unserm Freundeskreis zählen dürfen. Unser Engel ist weiblich, (hört, hört, dabei heisst es doch DER Engel) langbeinig, mit Traumfigur und hat eine Ausstrahlung, welche die Mitmenschen sofort in Bann zieht. Und so ganz nebenbei ist sie auch noch Trägerin des deutschen Bundesverdienstkreuzes.
Die Rede ist von Esther Kaufmann. Die gebürtige Wiesendangerin ist nicht nur in Thailand, sondern auch im gesamten deutschsprachigen Raum von Europa, als «Engel der Gefangenen» berühmt geworden.
Esther Herrmann vor dem berüchtigten Klong-Prem-Gefängnis.
Seit bereits 18 Jahren betreut die heute 50jährige Brünette die Gefangenen in den berüchtigtsten Gefängnissen von Bangkok. Zu Beginn war ihre Hilfe vor allem auf Schweizer Insassen begrenzt. Mit den Jahren weitete sie ihre Betreuung auf alle deutschsprachigen Insassen aus. Einige Jahre später wurde sie von Deutschland mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Schon Ende der 80er-Jahre wurde den deutschsprachigen Häftlingen durch die «Ausländerinnen der Evangelischen Gemeinde deutscher Sprache» aktive Hilfe von draussen angeboten. Dieser Frauengruppe schloss sich die Winterthurerin damals an.
Es fällt dem Betrachter sehr schwer sich vorzustellen, was diese Frauen um Esther Kaufmann für die Menschen hinter Gittern noch heute alles machen. Ihr einziges Ziel besteht darin, ihren Schützlingen das Leben im Alltag etwas zu erleichtern. Sie verbringen unzählige Stunden in Staus, reiben sich bei Behördengängen auf und verbringen viel Zeit für Abklärungen in den jeweiligen Botschaften. Sie machen mühsame, oftmals quer durch die Stadt führende Botengänge um Woche für Woche all die vielen Einkaufswünsche auszuführen. Und das unter der schwülen Smogglocke der Millionenmetropole. Jeden Mittwoch ist unsere Esther jenseits der Zuchthausmauern anzutreffen. Dabei betreibt sie hauptberuflich in Pattaya sehr erfolgreich ein Reisebüro. Auf den Begriff «Powerfrau» angesprochen reagiert sie allerdings recht allergisch, sieht sie doch in diesem abgedroschenen Modewort eher eine Entwürdigung ihrer Gefühle.
Für die Thais heisst die Hauptstadt nicht Bangkok sondern Krung Tep was soviel wie Stadt der Engel bedeutet. Dem Vernehmen nach soll sich die Anzahl der «Engel» infolge der Abgase aber schon wesentlich verringert haben.
Esther lud Cordi und mich ein, sie in das berüchtigte Klong-Prem-Gefängnis zu begleiten. Dieser Horrorknast ist auch unter dem Spitznamen «Bangkok Hilton», nicht nur wegen dem gleichnamigen Film, weit über die Landesgrenzen hinaus zum Begriff geworden.
Mit gemischten Gefühlen stimmten wir zu. Wie Sie ja, liebe Bocklesende, sicher längst festgestellt haben, bin ich kein Schreiberling der schönen, gesalbten und geschliffenen Worte. Was ich mit meiner monatlichen Kolumne ihnen herüber bringen möchte, sind unsere Gefühle die wir bei unsern Erlebnissen erfahren durften. Daher war meine Zusage ein Muss. Wo Bitteschön gehen denn die Emotionen höher als in einem thailändischen Knast?
Schon im Vorfeld zu unserem Besuch klärte uns Esther Kaufmann über einige wesentliche Dinge, was in Thailand das Leben hinter Gittern betrifft, mit folgenden Worten auf: Der Kulturschock ist die wohl schlimmste Erfahrung, die ein nichtasiatischer Gefangener als erstes machen muss. Nirgends prallen die unterschiedlichen Kulturen so hart aufeinander wie in einem asiatischen Gefängnis. Währendem sich der Thai stoisch seinem Schicksal ergibt - er hat eben die Mentalität seiner Landsleute im Blut – trifft es den Farang ganz anders. «Vom gesicherten Leben im Mittelstand im Blitztempo auf Unternull», so brachte es Benny, einer der drei Schweizer Insassen, auf den Punkt. Denn für die Gesellschaft in Thailand gibt es nichts Verachtenswerteres als ein straffällig gewordener, in ihren Augen krimineller, Landsmann oder Farang! Einen so genannten bedingten Strafvollzug, so wie er in der Schweiz praktiziert wird, kennt man hier nicht.
Bangkok Hilton
Bangkok Hilton
Die Lebensbedingungen im "Bangkok Hilton" sind für die Häftlinge sehr schwer.
Es ist Mittwochmorgen, zehn Uhr. Unbarmherzig brennt die Sonne vom Himmel. Das Thermometer klettert rasend schnell über die 30 Grad hinaus. Wir stehen vor dem berühmten Klong-Prem-Gefängnis, das unter dem irreführenden Spitznamen «Bangkok Hilton» traurige Berühmtheit erlangt hat. Mit seinen derzeit rund 9’000 Strafgefangenen wird das riesige Gefängnis bald an seine Kapazitätsgrenze stossen. Es ist eine selbständige Stadt mitten in der Stadt. Von den 1’200 Ausländern (meist asiatischer Herkunft) sind nur drei Schweizer und vier deutsche Staatsbürger inhaftiert. Zwei unserer Landsleute, Benny und Heinz, beides Zürcher, haben sich bereit erklärt, sich mit uns (meine Cordi war auch dabei) über das Knastleben in Thailand zu unterhalten. Kurz nach dem wir das Portal passierten, mussten wir alle persönlichen Sachen in einem Schliessfach verstauen. Dann ging es sofort zur Leibesvisitation. Ein beklemmendes Gefühl machte sich in mir breit, als wir den langen Gang mit den massiven Gitterstäben entlang schritten, um unsere Interviewpartner aufzusuchen. Nur gerade 20 Zentimeter trennen die von «da drinnen» von denen «da draussen». Und doch ist es eine so brutalere andere Welt. Benny hat knapp den Tsunami in Kao Lak überlebt. Kurz darauf wurde er straffällig, und zu sechs Jahren Haft verurteilt. (Über die Tat selbst wollten wir uns nicht unterhalten.) Die Hälfte davon hat er demnächst abgesessen. Von der Schweiz bezieht er eine minimale finanzielle Unterstützung. Ab und zu schickt er ein «Päckli» an eine vom Tsunami schwerst betroffene thailändische Familie, was ihm seitens der einheimischen Mitinsassen sehr hoch angerechnet wird. Gleich bei der Einweisung werden die Eisenketten an das Fussgelenk geschmiedet. Je nach Schwere der Straftat oder beim Gang zum Gericht müssen die vier bis zu acht Kilogramm schweren Ketten mitgeschleppt werden. Da Bargeld auf sich zu tragen strikte verboten ist werden als Zahlungsmittel Zigaretten verwendet. Da sind Glimmstängel im Umlauf, die keiner mehr rauchen könnte, weil sie nach all den Jahren am «Zerbrösmelen» sind. Ein Päckli hat einen Wert von 45 Baht, also etwa 1.40 Franken. Jeder Insasse hat ein Konto, das durch die Gefängnisleitung verwaltet wird, woraus er täglich einen bescheidenen Betrag für anderes Essen, Medikamente und so weiter einsetzen kann. Benny hat sich eigentlich ganz gut arrangiert. Weil er technisch begabt ist, betreut er jetzt die neue Trinkwasseranlage. Das gefilterte, saubere Wasser muss gekauft werden, ist also nicht gratis. Da die Gefangenen in ihren engen Zellen auf dem Betonboden schlafen müssen, sind dicke Decken, die man im Laden des Gefängnisses kaufen kann, sehr begehrt. Die werden dann zu Matratzen zusammengebastelt. Ein österreichischer Freund schickte Benny letzthin einen deftigen Bergkäse. Der Zufall wollte es, dass ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt, in allen Zellen eine Razzia anberaumt wurde. Alles wurde auf Drogen und Mobiltelefone durchsucht. Als der Drogenhund an seinem Bergkäse schnupperte, war es vorbei mit schnüffeln. Seine ansonsten feine Nase versagte daraufhin ihren Dienst total.
Ein riesiges Problem ist wohl in allen asiatischen Gefängnissen die Hygiene. Die Thais sind sich nun mal einen andern Lebensstil gewohnt als wir Europäer. Im ganzen Areal stehen zehn Blocks mit 900 bis 1200 untergebrachten Häftlingen. Es gibt aber für die Notdurft pro Gebäude gerade mal 25 in den Boden eingelassene Löcher. Da muss man sich schon organisieren können.
Auf meine etwas provokative Frage, ob er denn seine Haftstrafe nicht lieber in einem Schweizer Gefängnis absitzen würde, schlug mich seine Antwort beinahe vom Holzbank: Völlig bestürzt meinte der ehemalige Tauchlehrer von Kao Lak: «Mein Gott bloss das nicht. Da ich unter Platzangst leide, wäre für mich eine Einzelzelle in der Schweiz der blanke Horror. Sehen sie, hier verbringe ich täglich zwölf Stunden draussen und das Wachpersonal ist zu uns Ausländern meistens auch OK. Ich fühle mich hier sehr wohl und habe jetzt schon einen Bammel davor, wenn der Tag meiner ‘Abschiebung’ näherrücken wird.»
Abschiebung
Abschiebung in die Schweiz
Dank "Engel" Esther erhielt Kurt Schläpfer die Möglichkeit zur "Knast"-Reportage.
Unser Gespräch mit Benny wurde abrupt unterbrochen, als eine Thrillerpfeife ertönte. Sofort standen alle Besucher auf und verliessen zügig den Raum. Andere Gefangene erwarteten ebenfalls Familienmitglieder oder Freunde, so ist die Zeit jeweils auf 25 Minuten beschränkt. Dank Esther, die uns eine Sondergenehmigung für eine Stunde besorgte, konnten wir unser Gespräch ungestört fortführen. In dieser Zeit wickelte unsere Gastgeberin für «ihre Jungs» das Administrative, wie Rechnungen bezahlen, Kontostand ermitteln und so weiter ab.
Ein ganz anderer Typ ist wiederum der Heinz. Er wurde mit Drogen erwischt und handelte sich dafür 25 Jahre ein. Fünf Jahre und acht Monate hat er hier schon abgesessen. Er wirkte äusserlich gelassen, gab sich cool und war total aufgestellt. Kein Wunder eröffnete ihm «sein Engel», dass er in vier Tagen nach Hause fliegen wird. Er darf den Rest seiner durch Thailand bereits etwas reduzierten Haftstrafe, aber immerhin noch acht Jahre, in einem Schweizer Gefängnis absitzen. Also ein Wechsel vom «Bangkok Hilton» in ein renommiertes 5-Sterne-Hotel in der Schweiz.
Der 41-jährige Zürcher ist sehr glücklich darüber, eine aussergewöhnlich gute Verwandtschaft zu haben. Sein Bruder hat ihn auch schon besucht. Seine Familie hat ihn immer moralisch wie auch finanziell unterstützt. Sehr selbstbewusst und nicht ohne Stolz versicherte er uns, dass er beim Schweizer Staat noch nie soziale Unterstützung beantragen musste. Auch er konnte die Worte von Benny, was den friedlichen Tagesablauf hinter diesen Mauern betraf, nur bestätigen: «Sieh mal, wer sich anpassen kann und die Finger von illegalen Geldspielen lässt, ferner zu Mitinsassen und auch zum Wachpersonal, das schlussendlich auch nur seinen Job macht, anständig ist, kann hier doch ganz gut überleben!»
Die Innenhöfe, wo die Gäste des «Bangkok Hilton» einen grossen Teil ihrer Freizeit verbringen, sind je nach Block unterschiedlich gestaltet. Bei ihnen spenden ein paar Bäume etwas Schatten, ja sogar ein Fischteich bereichert die sonst doch triste Umgebung etwas.
In der Schreinerei, Zimmerei und Schlosserei arbeiten vorwiegend Thais. Westliche Gefangene werden selten in irgendeinen Arbeitsprozess eingebunden. Die gezimmerten Möbel werden durch das Gefängnis verkauft. Ein Thai, der zum «Schuhe nähen» verpflichtet wird, verdient im Tag elf Rappen, aber nur wenn er sein vorgegebenes Arbeitsziel von acht Paar Schuhen erreicht hat.
In Block zwei und fünf sind die schwersten Fälle untergebracht. Hier sitzen die zu «über 25 Jahre und mehr»-Verurteilten ein. Laut Benny werden denen die Ketten nie abgenommen. Wenn man sich nur vorstellt was für ein Gerassel entsteht wenn sich in der Zelle einer im Schlaf umdreht. Ein Alptraum pur.
Auch wenn ich mich rein vom Gewicht her (75 Kilogramm bei einer Grösse von 1.64 Meter) langsam auch zu den schweren Jungs zähle, war es doch etwas ganz Spezielles mit den direkt Betroffenen zu reden. Und zum Schluss noch etwas, das mir aufgefallen ist. Keiner der beiden, weder der Benny noch der Heinz haben sich beklagt oder mit ihrem Schicksal gehadert. Nach einigen «Angewöhnungsschwierigkeiten» tragen die beiden Schweizer die ihnen auferlegten Konsequenzen für ihr Handeln ohne Murren oder Gejammer. Sie nehmen jeden Tag wie er kommt und machen nach Möglichkeit das Beste daraus.
Szenenwechsel. In rasanter Fahrt sind wir auf der Autobahn unterwegs nach Pattaya. Da summt das Handy von Esther. «Hallo, wo bleibst Du denn, bei uns im Reisebüro ist wieder einmal die Hölle los», meldet sich eine verzweifelte Angestellte. «Keine Panik, bin ja gleich da», lautet die coole Antwort um gleichzeitig das Gaspedal etwas mehr Richtung Bodenblech durchzudrücken. Es sind ja nur noch schlappe 100 Kilometer Fahrweg, gleich um die Ecke sozusagen. Tja, noch nie hatte ich das Gefühl, himmlischen Gefilden näher zu sein. Wie ich feststellen musste, sind auch «Schweizer Engel» dem irdischen Alltagsstress ausgeliefert.
Grüsse in die freiheitliche Region Schaffhausen, Kurt Schläpfer
Siehe auch: Thailands modernstes Gefängnis: «Klongdan»