Der politische Analyst, Historiker und Zukunftsforscher, Prof. Dr. Luigi Ambrosi hat zahlreiche Bücher in Italien publiziert, schreibt für führende wissenschaftliche Periodika und lehrt(lehrte) an Universitäten in Rom, Mailand, Bolongna, Calabria.

Luigi Ambrosi è dottore di ricerca in Storia contemporanea presso La Sapienza-Università di Roma. Si è laureato a Bologna, ha svolto un master in Storia, didattica e comunicazione a Milano e collabora all’attività didattica presso l’Università della Calabria. Ha pubblicato una monografia, La rivolta di Reggio. Storia di territori, violenza e populismo (Rubbettino, 2009, con Prefazione di Salvatore Lupo), e saggi su varie riviste scientifiche: «Giornale di storia contemporanea», «Storia e Futuro» e «Zapruder», della cui redazione fa parte. Ha partecipato a workshop e seminari di studio in Italia e in Francia. Si interessa di storia della conflittualità e dell’ordine pubblico, del rapporto tra politica e territorio, di identità locali e populismi.

Der nachfolgende Artikel von Luigi Ambrosi erschien bereits am 24.10.2011 in diversen italienischen Publikationen wie z.B. resistenze.org, hat jedoch nichts an Aktualität verloren. Die deutsche Übersetzung besorgte Bernd Duschner.

Mit der Hinrichtung Gaddafis und der Besetzung Libyens unter zu Hilfenahme der Marionettenregierung des Übergangsrates, endet zunächst eine weitere imperialistische Operation der Hauptmächte des früheren Kolonialismus.

Das gesamte Bündnis der westlichen Sieger im 2.Weltkrieg (USA, GB, Frankreich) findet sich wieder vereint, um sich die Ressourcen eines souveränen Staates einzuverleiben.

Einige geopolitischen Anmerkungen sind dazu angebracht. Dabei verstehe ich unter Geopolitik die Analyse der internationalen Kräfteverhältnisse. Obwohl frühere historische Ereignisse (vom Wiener Kongress bis zur Konferenz von Yalta) es nahelegen sollten, geopolitischen Zusammenhängen besondere Aufmerksamkeit zu widmen, werden sie in den Analysen noch nicht angemessen berücksichtigt.

Erste Anmerkung: Die „Rückeroberung“ Libyens bedeutet einen Sieg der Nato und des westlichen Imperialismus auf internationaler Ebene.

Sie bekräftigt ihre politische und militärische Vormachtstellung auf dem Planeten. Sie ist eine Warnung an alle souveränen Staaten davor, sich den wirtschaftlichen und politischen Interessen der Länder der westlichen Allianz nicht entgegenzustellen. Trotz ihrer Wirtschaftskrise verfügen sie über ein militärisches Potential, das ihnen die Überlegenheit sichert. Iran, Venezuela, Bolivien und vor allem die BRICS Staaten sind gewarnt. Wir haben eine offen neokoloniale Operation der alten Kolonialmächte erlebt. Wir können sie als einen ersten Sieg der Nato im neuen Weltkrieg, dem Weltkrieg gegen die BRICS Staaten mit China an der Spitze, ansehen. Der Präsident der USA Barack Obama hat erklärt, der Tod Gaddafis bedeute, dass „wir jetzt in der ganzen Welt die Macht der amerikanischen Führung sehen“. Dazu hat er dieses Mal erreicht, dass zahlreiche europäische Staaten an dem Krieg teilgenommen haben.

Zweite Anmerkung: Die BRICS Staaten und ihr wachsender politischer (und wirtschaftlicher) Einfluss als Gegenpol zum westlichen Imperum und der Nato haben einen spürbaren Rückschlag erhalten.

Der Großteil der Länder der Welt dürfte von diese Machtprobe, der Vernichtung eines souveränen Staates, der Hinrichtung eines Staatsoberhauptes, der Zerstörung seiner Infrastruktur und der Beschlagnahme seiner Rohstoffe als Ergebnis eines acht Monate dauernden Krieges eingeschüchtert sein. Falls hinter der Entscheidung Russlands und Chinas nicht eine wohldurchdachte Strategie steckt, dürfte ihr Verzicht auf ihr Veto in der UNO ein schwerer Fehler gewesen sein. Die USA setzen ihrerseits seit Jahrzehnten bei Resolutionen über den Staat Palästina ihr Veto ein. Wir wollen nicht glauben, dass sich China allein mit den Erklärungen des US Vizepräsidenten über die Anerkennung der Souveränität Chinas über Taiwan und Tibet zufriedenstellen ließ. Mit Sicherheit braucht China Zeit und vermeidet Fallstricke, die zu einer offenen Konfrontation führen können. In Russland hat jetzt der Wahlkampf begonnen. Er dürfte zur Ablösung von Medwedew durch Putin führen. Medwedew hatte sich stärker mit dem Westen eingelassen. Tatsache bleibt, dass beide Mächte einen Rückschlag und spürbaren wirtschaftlichen Schaden erlitten haben (30.000 chinesische Arbeiter wurden aus Libyen evakuiert, große Verträge Russlands über militärische Lieferungen und die Ausbeutung von Öl- und Erdgaslagerstätten wurden annuliert usw).

Ebenso schwer wiegt für die BRICS Staaten, dass Libyen unter die Kontrolle des westlichen Imperialismus geraten ist, der die Kontrolle über Afrika und das Mittelmeers im Auge hat. Die mögliche Verlagerung des Sitzes von Africom (der Nato in Afrika) von Deutschland nach Libyen, ermöglicht es, mit größerer Wirksamkeit in Afrika mit seinen Rohstoffen tätig zu werden. Das Land grenzt an den Sudan an, der mit China zusammenarbeitet. Man rückt näher an den Congo und Angola. Dort finanzieren Multinationale Konzerne seit über einem Jahrzehnt Separatismus und schreckliche Kriege mit dem Ziel, diese Länder wieder voll in ihren Besitz zu nehmen. Afrika ist ein Gebiet, wo alle BRICS Staaten, von Indien über Rußland bis Südafrika und Brasilien investieren. Zum Mittelmeer ist zu bemerken: Wenn es der westlichen Allianz gelingt, in Syrien das zu wiederholen, was sie in Libyen erreicht hat und sie die russische Flotte als letzten Störfaktor vertreiben kann, wird dieses Meer vollständig unter ihrer Kontrolle sein.

Wir leben im Westen. Hier war die Propaganda für den Krieg erdrückend stark. Der übrigen Welt konnte nicht verborgen bleiben, dass dieser Krieg für die BRICS Staaten und alle souveränen Staaten in der Welt einen Rückschlag bedeutet. Folglich haben China, Indien, Rußland, die gesamte Afrikanische Union, große Teile der arabischen Liga und Lateinamerikas haben von Anfang an gegen die Intervention der Nato und das Überschreitung der Grenzen der UN-Resolution Stellung bezogen. In dieser Hinsicht dürfte die Nato trotz ihres militärischen Sieges in den Augen der Welt politisch noch stärker isoliert sein.

Dritte Anmerkung: Beim Libyenkrieg kommt es zu einer politischen Spaltung der EU

Den USA ist es gelungen, Europa politisch zu spalten und Deutschland, das am Krieg nicht teilgenommen hat, zu isolieren. In diesem Hinsicht ist es ihnen zum ersten Mal gelungen, die Front der westlichen „Sieger“ im 2. Weltkrieg wieder herzustellen.

Das ist ein weiterer Erfolg der USA in ihrem Kampf gegen die Europäische Union und den Euro. Wie stark sich diese Spaltung und die Isolierung Deutschlands auf den Zusammenhalt der EU auswirken werden, werden wir bald sehen.

Das Konzept bei diesem Krieg scheint so gewesen zu sein: die USA forcieren gemeinsam mit Quatar und mit Unterstützung von Saudi Arabien den Angriff auf Libyen. Anschließend überlassen sie den Krieg Frankreich. Dem Land werden wichtige ökonomische Interessen zugebilligt. Diese hat Frankreich mit britischen und amerikanischen Unternehmen zu teilen. Die USA begnügen sich in wirtschaftlicher Hinsicht mit der Erneuerung der Ölkonzessionen für Chevron und Exxon. Ihr Interesse ist mehr politischer Natur: Die Vorherrschaft der USA in der Welt zu behaupten, eine Militärbasis für Africom zu erhalten, Europa zu spalten. Deutschland (und auch Italien) bezahlen dafür, dass sie mit Russland direkt Verträge über Energielieferungen abgeschlossen haben. Sie müssen zusehen, wie ihre eigenen Investitionen in Libyen beschnitten werden.

Vierte Anmerkung: Italien erleidet durch den Krieg erheblichen Schaden.

Gemeinsam mit Rußland und China ist Italien das Land, das durch diesen Krieg am meisten verliert.

Das betrifft sein Ansehen in der Welt: Es ist der Staat, der einen erst kürzlich abgeschlossenen Bündnisvertrag mit Libyen bricht. Die ehemalige Kolonialmacht hatte als einzige unter den früheren Kolonialmächten vor kurzem die eigenen Verbrechen während der faschistischen Besetzung eingeräumt hatte und geplant, in bedeutenden Umfang wirtschaftliche Wiedergutmachung zu leisten (auch wenn mit öffentlichen Geldern und verbunden mit Aufträgen an Unternehmen aus dem Umfeld Berlusconis). Es wird Einbussen bei seinen Interessensphären und beim Handelsaustausch hinnehmen müssen. Frankreich hat Italien bereits gewarnt: Ihr seid nicht mehr der erste Wirtschaftspartner. Kaum war Gaddafi tot, da verkündigte der französische Verteidigungsminister: „Frankreich ist der Hauptpartner für Libyen. Wir haben uns nicht erst spät, halbherzig und unsicher engagiert ( soll heißen: im Gegensatz zu Italien). Libyen muß wieder ausgerüstet werden und wir können das gut.“ Der Minister ließ den Übergangsrat den gleichen Vertrag gegen Immigration unterschreiben, den bereits zu seiner Zeit Berlusconi hatte unterschreiben lassen. Air France wird die zerstörte libysche Luftflotte ersetzen. Total hat bereits neue Förderverträge unterschrieben und der französische Unternehmensverband eröffnet im Januar eigene Büros, um im Sektor Energie, Gesundheitswesen, Sicherheit und bei den Infrastrukturinvestitionen mitzuwirken. Unterschrieben sind bereits Verträge für ein Kraftwerk in Sirte, das Kommunikationsnetz (Alcatel und France Telecom), die Hochspannungsleitungen und die Ausbeutung der gewaltigen Trinkwasser-Lagerstätten. Areva verlangt das exklusive Ausbeutungsrecht der Uranlagerstätten.

Die russischen Aufträge für Waffenkäufe wurden bereits zugunsten der Franzosen storniert. Die Vorzeigeunternehmen des italienischen Kapitalismus werden zugunsten der französischen und angloamerikanischen Firmen beschnitten. Total, Chevron werden ENI verdrängen, die französische Rüstungsindustrie wird Finmeccanica ersetzen, und bei Infrastrukturinvestitionen werden statt Impregilo und Partner französische Unternehmen Zuge kommen. Es sollte beachtet werden, dass gerade die großen italienischen Firmen betroffen sind, für die es Interessenten gibt und die bereits unter dem Druck amerikanischer Multis (kürzliche Herabstufung) und der EU stehen (sie sollen mit Zustimmung von Prodi und Draghi gemeinsam mit den Goldreserven als Pfand Sicherheit für die Eurobonds dienen). Das erneuerte siegreiche atlantische Bündnis kann zum Sturz Berlusconis führen (oder besser formuliert, zum Ende des halbherzigen dritten Weges Italiens. Er bestand darin, die Außenpolitik von ENI, Andreotti und Craxi weiterzuführen und zu Rußland und den arabischen Ländern ebenso gute Beziehungen zu unterhalten), zur Marginalisierung Italiens und zur Isolierung Deutschlands. Damit verknüpft wäre der Zerfall der EURO Zone.

Fünfte Anmerkung: Auch Europa übernimmt den Kriegskeynesianismus.

In diesem neuen Jahrtausend war der Krieg als Mittel zur Ankurbelung der Wirtschaft bisher ein Vorrecht der USA. Der Krieg zur Zerstörung des Irak hat nicht nur der Rüstungsindustrie (die öffentliche Hand übernahm die Kosten) und der Ölindustrie ( Förderkosten von 1-4 Dollar pro Barrel) Impulse gegeben, sondern auch den Unternehmen im Bausektor und den Sicherheitsunternehmen. Die Devise heißt: einen Konkurrenten oder Feind zerstören, um wieder aufbauen (Keynes) zu können. Mit dem Libyen-Krieg hat auch Europa diese Strategie übernommen: Libyen musste erleben, wie seine Infrastruktur bei 20.000 Bombenangriffen zerstört wurde. Wie der Irak wurde es hinsichtlich seiner Infrastruktur um 20-30 Jahre zurückgeworfen. Jetzt werden westliche Unternehmen mit den beschlagnahmten staatlichen libyschen Geldern und Mitteln aus der Plünderung seiner Rohstoffe den Wiederaufbau übernehmen. Falls Libyen vollständig befriedet wird (aber das steht keinesfalls fest), können wir einen kleinen Aufschwung für die französische und englische Wirtschaft erwarten. Aber ebenso wenig wie die Plünderung des Irak 2008 die Wirtschaftskrise in den USA verhindert hat, ist dies für den europäischen Kapitalismus zu erwarten, der an diesem Krieg teilgenommen hat. Angesichts der acht Monate ununterbrochener Bombardierungen versteht man endlich, warum sich die Nato-Staaten seit einem Jahrzehnt Hunderte von Jagdbombern anschaffen: Sie hatten ein solches Kriegszenario gegen die Völker der Welt bereits geplant: Bombardierungen von oben, wenige eigene Verluste, Geschäfte beim Wiederaufbau, Einschüchterung der nicht-westlichen Bevölkerungen. Die Bombardierung von Belgrad hat Schule gemacht.

Sechste Anmerkung: Die neuen Formen des Krieges des westlichen Imperiums

Der Architekt der amerikanischen Außenpolitik Vizepräsident Joe Biden hat erklärt:„In diesem Fall hat Amerika 2 Milliarden Dollar ausgegeben und keinen einzigen Toten gehabt. Das ist die Messlatte, wie im Unterschied zur Vergangenheit in Zukunft in der Welt vorgegangen werden muss.“ Kriege ja, aber zu reduzierten Kosten für das Imperium. Wir sind in einer Zeit, in der an der Spitze des Imperiums der Friedensnobelpreisträger Obama steht. Er wurde mit der Losung „Wir können es anders machen“ gewählt. Die imperialistischen Kriege können deshalb nicht mehr die plumpen ideologischen Rechtfertigungen eines Bush vom „Neuen amerikanischen Jahrhundert“, einer „göttlichen Mission“ oder, noch simpler, vom „Export der Demokratie“ haben. Sie waren von rechten Intellektuellen ausgearbeitet worden. Anspruchsvollere Begründungen sind gefordert. Dafür haben sich sogleich „linke“ Intellektuelle, zur Verfügung gestellt, allen voran der Franzose Bernard Levy: Die Verteidigung der Menschenrechte der örtlichen Bevölkerung gegen Despoten und Diktatoren. Dieses Argument, das bereits im Afghanistankrieg langsam auftauchte (von der Rache an Bin Laden ging man zum Argument von der Verteidigung der Frauen gegen die Burka und ihrem Recht auf Ausbildung über. Mit dem tatsächlichen großen Spiel in Asien haben diese Rechtfertigungen nichts zu tun), wurde für den Krieg gegen Libyen herangezogen. Man wird es auch bei zukünftigen Kriegen des westlichen Imperialismus verwenden können. Es war ein großer Erfolg für die USA, dass die UNO dieses Argument unter Verletzung des Prinzips der Souveränität der Nationalstaaten übernommen hat. Natürlich hat man vergessen, dieses Argument bei den zahllosen Fällen (die Tragödie der Desaparicidos in ganz Lateinamerika oder die Palästinenser als Beispiel) vorzubringen, bei denen es um proimperialistische Staaten ging. Diese Strategie der „Verteidigung der Menschenrechte“ wird von den Medien mit Kampagnen unterstützt, die vor allem aus Lügen bestehen. Im Fall Libyens waren es spektakuläre Lügen. Entscheidend war die Unterstützung durch Al Jazeera. Der Fernsehsender stand wegen der Rolle, die sein Eigentümer, der Scheich von Katar, bei der bewaffneten Auseinandersetzung spielte, in einem offenkundigen Interessenskonflikt. Skrupelloser Einsatz der Medien und des Internets verbunden mit massiven Einsatz von Drohnen sind die neuen Elemente dieser neuen Art der Kriegsführung. Dazu kommt die beachtliche aktive Mitwirkung von Intellektuellen der imperialistischen „Linken“ und von Pseudopazifisten. Sie erinnerten an die Graffiti der Indignados in Barcellona (im übrigen glänzten diese, abgesehen von New York, beim Thema Krieg durch Abwesenheit): „Wo ist die Linke? Rechts, im Hintergrund“. Wir kennen es aus der Geschichte: Wenn es um nationale koloniale und imperiale Interessen geht, hat sich die Linke in den kapitalistischen Ländern gespalten.

Menschenrechte + Lügen = Beschlagnahme der Auslandsguthaben + Krieg. Besonders gefährlich an dieser Strategie ist, dass ein Präzedenzfall geschaffen wurde. Vorbereitet wird dieses Vorgehen, indem in souveränen Staaten Spaltungen auf ethnischer, religiöser Grundlage und Autonomiebestrebungen gefördert werden. Im Irak war es die religiöse Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten, und die ethnische Abtrennung gegenüber den Kurden. In Libyen ist es die Aufspaltung mittels der Autonomiebestrebungen in der Cirencaica. Es überrascht, dass sie mit dieser Strategie auch heute noch Erfolg haben, obwohl das Konzept des „Divide et impera“ berüchtigt und bekannt ist. Diese Vorgehensweise, zu der auch der skrupellose Einsatz von Nicht-Regierungs-Organisationen gehört, kann zu jeder Zeit und gegen jeden angewandt werden: In Darfur, um den Sudan anzugreifen, in Cabinda, um Druck auf Angola auszuüben, in Kiwu für den Kongo, die grüne Revolution und die Kurden für den Iran (und die Türkei), die Unterdrückung der vermutmasslichen Opposition in Syrien, der ökologische Protest der Indios in Bolivien und Ekuador bis zum reizvollsten Leckerbissen, Tibet für China. Wenn das nicht genügt, bleibt immer noch die Option Staatsstreich, wie beim versuchten Putsch in Venezuela. Selbstverständlich ist in den westlichen Staaten Separatismus verboten.

Die Operation Libyen war ein Verwirrspiel mit drei Karten: Proteste in Tunesien, in Ägypten und der Cyrenaica. Wo würde das Imperium intervenieren? Gab es Zweifel? Jetzt ist Libyen besetzt. Ägypten und Tunesien werden wahrscheinlich unter islamischer Kontrolle geraten. Saudi Arabien, das mit den USA verbündet ist, hält die Fäden in der Hand. Arabischer Frühling : Ändern, damit sich nichts ändert, außer dort, wo dies in unserem eigenen Interesse ist (Libyen).

Siebte Anmerkung: Wer ist jetzt an der Reihe?

Das „Große Spiel“ lehrt: Wer das Zentrum Asiens kontrolliert, kontrolliert Asien, wer Asien kontrolliert, kontrolliert die Welt. Der westliche Imperialismus bahnt sich seinen Weg. Er führt ihn immer weiter, bis sein tödlicher Atemhauch China, den wichtigsten Konkurrenten in dieser Zeit, erfasst. Afghanistan war dafür der erste Hinweis, die Invasion im Irak der zweite, der ständige Druck und die Drohungen gegen den Iran der dritte, die Ausdehnung der Kriegsoperationen gegen Pakistan der vierte. Die Besetzung Libyens und im erneuerten Bündnis mit Saudi-Arabien, die Androhung einer „Flugzone“ westlicher Prägung gegen Syrien zur Kontrolle des Mittleren Orients, der Fünfte Hinweis. Dazu kommen alle mehr oder minder verdeckten Operationen in verschiedenen zentralasiatischen Ländern.

Weil das westliche Imperium aber weltweit herrschen möchte, wird es auch die Menschenrechte in Afrika nicht aus den Augen verlieren: die großen Vorkommen an Rohstoffen und landwirtschaftlichen Flächen mit Algerien, Sudan, Somalia, Congo und Angola stehen ganz oben auf der Liste. Und warum sollte man die Menschenrechte in den Staaten der ALBA in Lateinamerika vergessen, allen voran in Venezuela, Cuba, Nikaragua, Bolivien und Ekuador? Unter dem Vorschein internationaler Zusammenarbeit machen sich Nicht- Regierungsorganisationen schon daran, dafür den Boden vorzubereiten. Endziel des westlichen Imperialismus: die wachsende Bedeutung der BRICS Staaten zu beenden und jeden Staat zu beseitigen, der seine Souveränität in Anspruch nimmt.

Achte Anmerkung: Das heimliche Bündnis mit dem islamischen Integralismus

Libyen hat uns das scheinbar nicht bekannte Bündnis zwischen westlichen Imperialismus und islamischen Integralismus gezeigt. Es stammt aus der Zeit des gemeinsamen Kampfes gegen die russische Präsenz in Afghanistan und wurde erneuert. Al Kaida ist nicht zufällig der Name der Datenbank der CIA, mit der in Afghanistan islamische Kämpfer gegen die Sowjets rekrutiert und ihre Namen festgehalten wurden. Während das Imperium behauptet, in Afghanistan gegen den „islamischen Integralismus“ zu kämpfen, verbündet es sich gleichzeitig mit ihm im Mittelmeerraum, um den Umsturz in verhassten Staaten zu erreichen. (Es ist eine Tatsache, dass sich die Milizen des Übergangsrates zum großen Teil aus radikalen Islamisten zusammensetzen). Das gilt für Libyen und Syrien. Man sollte beachten, dass dieses Bündnis es radikalen Islamisten ermöglicht, die Zerstörung der letzten noch verbliebenen laizistischen Staaten in dieser Region in Angriff zu nehmen. Der erste dieser Staaten war Irak, jetzt ist die Reihe an Libyen und Syrien. Mit dem voraussichtlichen Sieg der Moslembrüder in Ägypten (dank Saudi Arabien) und ähnlicher Kräfte in Tunesien entsteht ein gemeinsamer Block des islamischen Integralismus, der das ganze Nordafrika umfasst. Der Westen hat dazu entscheidend beigetragen. Die Frauen sind die ersten, die die Folgen tragen werden: Der Übergangsrat hat bereits verkündet, dass er das islamische Gesetz in Kraft setzen und die Heirats- und Scheidungsgesetze revidieren will.

Neunte Anmerkung: Die Prüfung der ökonomischen Motive des Krieges

Der Marxismus lehrt, bei historischen Ereignissen die dahinterstehenden wirtschaftlichen Beweggründe und Herrschaftsinteressen zu erforschen. Der Krieg in Libyen wurde zur Verteidigung der Menschenrechte der Demonstranten in Bengasi verkündet. Die wirklichen Interessen werden sofort klar, wenn man sich die Erklärungen der französische Regierung und den Jubel der Clinton und von Obama ansieht: Interesse am Erdöl, Interesse an Infrastrukturaufträgen, Interesse am Wasser, Interesse, die Einführung einer Goldwährung in Afrika als Gegenstück zum Dollar einzuführen, zu verhindern, politisches Interesse an der Vorherrschaft. Alles scheint mit dem Vertrag zwischen ENI und der italienischen und libyschen Regierung begonnen zu haben: ENI akzeptierte, dass sein Anteil an den Erlösen des gewonnen Erdöls und Erdgases von bisher 30-40% auf 12,5% gesenkt wurde. Als Gegenleistung hätte Italien angemessene Aufträge bei der Infrastruktur erhalten. Diese Vereinbarung führte zu heftigen Reaktionen der französischen (Total), englischen (BP) und amerikanischen(Chevron, Exxon) Ölgesellschaften. Sie befürchteten, dass es auch bei ihnen zu einer entsprechenden Reduzierung auf 12,5% bei den Erträgen aus dem gewonnenen Erdöl kommen würde. Wir werden die neuen Verträge mit der Marionettenregierung sehen. Die Aufträge für den Bau von Infrastrukturen und der Ausbeutung neuer Lagerstätten hatte die libysche Regierung unter Gaddafi Italienern, Russen und Chinesen anvertraut (zum kleinen Teil auch Deutschen). Die atlantischen Mächte waren ausgeschlossen geblieben. Schon jetzt ist der Übergangsrat dabei, die Aufträge an Frankreich zu geben, das ihm seine Rechnung präsentiert hat und für sich den Wiederaufbau der Infrastruktur und die Waffenlieferungen (bisher aus Rußland und Italien) einfordert. Auch an den gewaltigen Wasservorkommen unter der Sahara zeigt Frankreich Interesse. Diese Wasservorkommen hatte die libysche Regierung zur Schaffung der größten Bewässerungsinfrastruktur, die jemals von Menschen errichtet wurde, genutzt. Über die Goldwährung, die im Zahlungsverkehr für die afrikanischen Völker den Papierdollar ersetzen sollte, wird man selbstverständlich nicht mehr sprechen. Eine Sache verbindet Gaddafi und Saddam: beide hatten ihre Absicht zu erkennen gegeben, nicht mehr den Dollar als das einzige Geld für den Verkauf ihrer Rohstoffe zu akzeptieren. Das läßt vermuten, dass die USA Angst haben, die souveränen Staaten könnten den mittlerweile nicht mehr gedeckten Dollar aufgeben. Am Ende werden wir sehen können, ob die USA vorhaben, den Sitz von Africom nach Libyen zu verlagern und ob es in den nahegelegenen Ländern Sudan und Algerien eine Zunahme kriegerische Auseinandersetzungen geben wird. Mit Sicherheit werden wir in kürze die Streitigkeiten der atlantischen Geier um die Verteilung der libyschen Beute beobachten können.

Zehnte Anmerkung. Die Notwendigkeit für souveräne Staaten, Abschreckungswaffen zu haben.

Auch wenn man es nicht will, muß man feststellen, dass Libyen, das auf nukleare und ähnliche Waffen verzichtet hatte, angegriffen und zerstört wurde. Bei Nordkorea, hat das Imperium seine Befürchtungen und zögert. Hätte Gaddafi Atomwaffen gehabt, würde er noch leben und Libyen wäre ein souveräner Staat. Die Staaten außerhalb der westlichen Front können deshalb nur sagen: „Vorwärts Iran“.

Die Verteidigung der Menschenrechte in Libyen und anderswo überlasse ich den Naiven und der neuen Gattung solcher Art gebildeter proimperialistischer Intellektueller.

Ich schließe mit einer Verneigung vor Gaddafi. Er versprach, mit der Waffe in der Hand bei der Verteidigung seines Landes zu sterben. Das hat er getan. Kann mir jemand den Namen eines italienischen oder westlichen Politikers nennen, der dazu, wie er, bereit wäre?