«Vor unseren Augen»
Während alles stattfindet, um ein unabhängiges Kurdistan zu schaffen, sieht Thierry Meyssan da eine Manipulation des Traums des kurdischen Volkes zugunsten Israels, der Vereinigten Staaten sowie der Türkei. Auch prangert er das Projekt der ethnischen Säuberung der Barzani an und konstatiert die Opposition der PKK zur Schaffung eines solchen "Kurdistans".
In den 1960er Jahren näherte sich Mullah Mustafa Barzani (der Vater von Massoud Barzani) Washington und dem Schah von Persien. Er wurde Offizier des israelischen Geheimdienstes Mossad. Man sieht ihn hier in Israel mit Abba Eban (Minister für auswärtige Angelegenheiten) und mit General Meir Amit (Leiter des israelischen Geheimdienstes Mossad).
Französischer Intellektueller, Präsident und Gründer des Réseau Voltaire und der Konferenz Axis for Peace. Er veröffentlicht Analysen über ausländische Politik in der arabischen, latein-amerikanischen und russischen Presse. Letztes, auf Französisch veröffentlichte Werk : L’Effroyable imposture : Tome 2, Manipulations et désinformations (hg. JP Bertand, 2007).
Als David Ben Gurion einseitig den Staat Israel ausrief, setzte seine Verteidigung voraus, dass man eine Sicherheitszone um ihn herum schuf. Es war die Umsetzung der Europäischen Strategie der "Mark“ [Grenze]: die israelischen Kriege versuchten, sein Territorium zu erweitern, und ersatzweise dessen Grenzregionen zu demilitarisieren. Jedoch mit der Entstehung und Ausbreitung von Raketen taugt die ’Mark’-Doktrin nicht mehr viel. Also zögerte Israel 1999, um die Golanhöhen zurückzugeben [1] und im Jahr 2000 beschloss es, sich aus dem Südlibanon zurückzuziehen, anstatt weiterhin durch die Hisbollah bedrängt zu werden.
Nach und nach entstand eine andere Militärdoktrin: die Sicherheit eines Territoriums würde von der Möglichkeit abhängen, die bedrohenden Raketen von weiter weg zerstören zu können. Man muss dann nicht nur seine „Mark“ demilitarisieren, um sich gegen eine Land-Invasion zu schützen, sondern auch einen Schutzkreis jenseits der Feind-Staaten bilden, um die Bedrohung durch Raketen zu neutralisieren. Das ist der Grund der Erstellung des Südsudans (2011) und bald des Kurdistans (2015?). Somit kann Israel zugleich Ägypten, Syrien und den Libanon bedrohen.
Die Erfahrungen vom Süd Sudan zeigen die Künstlichkeit solcher Schöpfungen. Es ist im Moment ein Staat ohne Staat, eine gesetzlose Zone, die von der israelischen Armee besetzt wird.
Aus US-amerikanischer Sicht ist die Schaffung von Kurdistan eine Stufe der Umgestaltung des "Nahen und mittleren Osten" (Greater Middle East), d.h. der Aufteilung der Region in ethnisch homogene Zwergstaaten, die leicht beherrschbar sind. Deshalb war das Pentagon vollkommen abwesend. Bei dem Treffen hinter verschlossenen Türen, in dem Verteidigungsminister Chuck Hagel und Stabschef General Martin Dempsey den Kongress-Mitgliedern die Situation im Irak erklärten, haben sie nicht nur behauptet, die Akte von Abu Bakr al-Baghdadi verloren zu haben (und übersahen daher, warum sie ihn im Jahr 2004 festgenommen hatten und warum sie ihn ein paar Monate später freiließen) [2], sondern haben auch zugegeben, sie hätten absolut keinen Interventionsplan und dass sie das Feld dem islamischen Emirat und Kurdistan überließen [3].
Aus türkischer Sicht ist dieses "Kurdistan" auch ein Segen, um das Kurdenproblem zu lösen. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan hat den gesamten Vorgang den Ohren der Familie Barzani eingeflüstert. Außerdem ließ er gerade sein Parlament ein Gesetz durchbringen, das ermöglicht, mit den türkischen Kurden verhandeln zu können: die Parlamentarier, die dazu beitragen werden, die Rebellen zu entwaffnen und zu integrieren, werden keine gerichtliche Verfolgung erfahren [4]. Der Premierminister hofft mit den Stimmen der türkischen Kurden zum Präsident gewählt zu werden, die ihm also danken würden, das "Kurdistan" im Ausland zu fördern. Natürlich ist es unwahrscheinlich, dass er seine Öffnung nach der Wahl fortsetzen wird.
Das kurdische Volk würde sich irren im Glauben, dass das "Kurdistan", das die Israelis und die Türken ihnen anbieten, jenes sei, das sie erhoffen. Im Gegensatz zu ihrem Ahnen, dem großen Saladin, der die Levante befreit und vereint hat, wird der Barzani-Clan sie von den anderen Völkern der Region, den Arabern, Armeniern, usw. trennen und sie zu Hilfstruppen der Apartheid machen.
Während im Internet die KDP-Mitglieder über ihre künftige Währung, den Kuro [5] diskutieren, tun die Barzani so, als ob sie mit israelischer Hilfe bereits gewonnen hätten. Sie haben die Peschmergas geschickt, um die Bai Hassan- und Kirkuk-Ölfelder zu erobern - angeblich um sie vor den Manövern von Bagdad zu schützen - und um die arabischen Arbeiter zu vertreiben [6].
Es besteht kein Zweifel: das israelische Projekt der Barzani setzt eine ethnische Säuberung voraus, die gerade erst begonnen hat.
Der PKK Chef Abdullah Öcalan hat bereits aufgerufen, nicht in die Falle zu tappen. Er veröffentlichte einen Auszug aus dem geheimen Treffen, das am 1. Juni in Amman stattfand, während dessen die bewaffneten islamistischen Gruppen und der KDP von Masud Barzani ihre Allianz beschlossen und den koordinierten Angriff auf den Irak geplant hatten [7]. Die PKK appelliert an eine allgemeine Mobilisierung des kurdischen Volkes gegen das israelische Projekt der Barzani.
Der irakische Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki hat unterdessen offenbart, dass seine Armee das Oberkommando des islamischen Emirats... nicht angreifen könne, weil dieses in Erbil beherbergt sei und durch die lokale Regierung von Kurdistan geschützt werde.
Zwei Linien stehen also einander gegenüber, aber nur das kurdische Volk kann das israelische Vorhaben zum Scheitern bringen.
Übersetzung Horst Frohlich
Quelle Al-Watan (Syrien)
[1] Damascus Diary, An Inside Account of Hafez al-Assad’s Peace Diplomacy, 1990-2000, von Bouthaïna Shaaban, Lynne Rienner Publishers, 2012.
[2] “US missed Baghdadi’s likely al-Qaida link during 2004 detention”, by Nancy A. Youssef, Merced Sun Star, July 9, 2014.
[3] “Inside the Ring”, by Bill Gertz, The Washington Times, July 9, 2014.
[4] « Le parlement turc fixe un cadre pour négocier avec les Kurdes », [Das türkische Parlament setzt einen Rahmen um mit den Kurden zu verhandeln] Reuters, 17 juillet 2014.
[5] “As Kurdistan Ponders Independence, Kurds Wonder about Own Currency”, Alexander Whitcomb, Rudaw, July 9, 2014.
[6] “Baghdad Lashes Out After Kurdish Forces Move into Two Oilfields”, Rudaw, July 11, 2014.
[7] „Enthüllungen der PKK über den Angriff des EIIL und die Schaffung von "Kurdistan"“, Voltaire Netzwerk, 8. Juli 2014.