Thomas Drake bei einer Protestkundgebung gegen die NSA in Washington Foto: dpa

Thomas Drake war hochrangiger Agent des US-Geheimdienstes NSA – und deckte bereits vor Snowden die Massenüberwachung der USA auf. Ein Gespräch über dreiste Amerikaner und devote Deutsche.

Mr. Drake, vor einem Jahr outete sich Edward Snowden, um die Massenüberwachung der NSA öffentlich zu machen. Die Welt fragte sich damals auch: Wieso hat das vorher kaum ein Insider getan? Sie gehörten zu den wenigen, die es vor Snowden gewagt hatten. Haben Sie eine Antwort?

Thomas Drake: Nur wenige Agenten wussten vom Ausmaß der Überwachung. Aber viele der Eingeweihten hatten Bauchschmerzen wegen der illegalen Praktiken und der Geldverschwendung, die ich kritisierte. Nur wollte keiner sein bisheriges Leben aufs Spiel setzen, indem er mir beispringt. Keiner wollte den Kopf hinhalten – sie sahen ja, was mit mir geschah. Und genau diese Warnung sollte die Anklage gegen mich auch senden: Wenn du auspackst, werden wir dich brechen.

Sie waren fast 20 Jahre lang ein loyaler Mitarbeiter bei CIA, Pentagon und NSA. Was war passiert?

Drake: Der 11. September 2001. Präsident Bush hatte ein Maßnahmenpaket autorisiert, das zig Millionen Amerikaner ausspähte, und die NSA setzte das im Programm „Stellarwind“ um: Überwachungssoftware sollte individualisierte Informationen über völlig unbescholtene Amerikaner erfassen – ohne Anlass, ohne Gerichtsbeschluss. Das verstößt klar gegen die Verfassung und war auch für Agenten bis dahin eine Straftat, auf die fünf Jahre Gefängnis standen – pro Verstoß. Nun fand die NSA, man kann Bedrohungen nur finden, wenn man möglichst viel Material auswertet. Das ist falsch, und das weiß die NSA. Tatsächlich hat sie einfach das obsessive Verlangen, alles einzusammeln, was sie kriegen kann. Dabei hatten unsere Programmierer eine Software entwickelt, die die Datenflut auswerten konnte, ohne Bürgerrechte und Privatsphäre zu verletzen. Doch die NSA-Führung zahlte stattdessen lieber vier Milliarden Dollar an private Rüstungsfirmen für ein anderes Programm, das standardmäßig die Privatsphäre unschuldiger Bürger verletzte. Dabei kenne ich keinen einzigen Terrorplan, den es aufgedeckt hätte. Als ich mich beim Pentagon und dem Kongress darüber beklagte, wies mich der NSA-Chefjurist an zu schweigen: „Das Programm ist vom Weißen Haus genehmigt!“

US-Präsident Obama sagt, Snowden hätte seine Bedenken auf formalem Weg melden müssen, statt Dokumente illegal weiter zugeben.

Drake: Pure Heuchelei! Ich habe meine Bedenken innerhalb der Kommandokette gemeldet. Das führte nur dazu, dass sie mich fortan auf dem Kieker hatten. Als ich 2006 dann tatsächlich Kontakt zu einer Reporterin aufnahm, stürmte wenig später das FBI mein Haus. Das Justizministerium klagte mich an, ich sollte 35 Jahre ins Gefängnis. Ich verstehe also, warum Snowden so handelte. Als ich ihn im Oktober in Moskau besuchte, erzählte er mir, mein Fall sei ihm eine Warnung gewesen: Er wusste, er braucht schriftliche Beweise und er muss die USA verlassen.

In Deutschland prüfen Politik und Justiz, wie sie Snowden befragen können. Die Regierung hat ein US-Gutachten eingeholt, das deutschen Abgeordneten indirekt droht, sie könnten in den USA angeklagt werden, wenn sie Snowden befragen.

Drake: Das ist ziemlich unverschämt, aber ein Bluff. Es wäre sehr ungewöhnlich für die USA, einen westlichen Parlamentarier wegen Spionage anzuklagen, nur weil der mit jemandem spricht, den die US-Regierung als flüchtigen Straftäter sieht. Ich finde ohnehin, es ist an der Zeit, dass Deutschland sich vom großen Bruder abnabelt.

Snowdens Enthüllungen basieren aber auf den Dokumenten, die er entwendet, aber nicht mehr bei sich hat. Was kann es noch bringen, ihn als Zeugen im Bundestag zu hören?

Drake: Bisher ist nur die Spitze des Eisbergs bekannt. Sie müssen wissen, dass die NSA Deutschland nach Anschlägen 2001 als europäisches Ausspäh-Ziel Nr. 1 eingestuft hat. Auch zur Strafe, weil einige der Terroristen des 11. September unbemerkt in Deutschland gelebt hatten.

Eine weitere unausgesprochene Wahrheit ist die enge Kooperation der NSA mit dem Bundesnachrichtendienst. Deutschland bräuchte einen eigenen Snowden – einen BND-Insider, der mal auspackt. Die BND-Spitze ist in mehr Dinge eingeweiht, als sie zugibt.

Die deutschen Dienste haben bereits zugegeben, das NSA-Ausspähprogramm „XKeyscore“ genutzt zu haben - aber nur als Testversion.

Drake: Sie dürfen nicht vergessen, dass Geheimdienste angehalten sind, die Wahrheit nicht zu sagen. Die Partnerschaft zwischen BND und NSA ist sehr eng. Und offensichtlich gibt es hohen Druck auf den BND, nichts zu sagen und zu hoffen, dass nichts weiter herauskommt.

Raten Sie Snowden, in Deutschland auszusagen?

Drake: So wäre die beste Aussage möglich. Aber die deutsche Regierung scheint nicht gewillt, ihm Schutz vor einer Auslieferung in die USA zu garantieren. Unter diesen Bedingungen kann Snowden sein Asyl in Russland kaum riskieren. Das erlischt, sobald er das Land verlässt.

Die deutsche Regierung fürchtet schwere Schäden für die Beziehung zu den USA, wenn sie Snowden einlädt.

Drake: Das halte ich für übertrieben. Kanzler Schröder hatte seinerzeit auch gewagt, mit Präsident Bush einen Konflikt um den Irakkrieg einzugehen. Das führte zu einer kleinen Eiszeit, aber der Schaden war nicht sehr nachhaltig.

Allerdings fing die NSA damals offenbar an, die deutschen Kanzler auszuspähen.

Drake: Das stimmt. Was daran ungeheuerlich ist: Die einzige Person in Deutschland, der Obama garantiert, nicht mehr ausgespäht zu werden, ist Angela Merkel. Was ist mit den Millionen unbescholtenen Deutschen, die weiter ausspioniert werden?

Der NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages will Sie möglichst bald als Zeugen hören. Werden Sie zusagen?

Drake: Ja, ich bin dazu bereit.

Obama fordert, Snowden solle sich einem Prozess in den USA stellen.

Drake: Ich rate ihm davon ab zurückzukommen. Er würde keinen fairen Prozess kriegen, sondern vor einem Scheingericht landen. Als die US-Regierung von Russland die Auslieferung forderten, sagten sie: Snowden erwarten weder Todesstrafe noch Folter. Eine ziemlich niedrige Hürde! Einer meiner Ex-Kollegen sagte mir, ich sei immerhin geblieben – Snowden sei feige weggelaufen. Nein! Er kannte meinen Fall und die verschärften Gesetze. Er musste sicherstellen, dass die Dokumente die Öffentlichkeit erreichen. Er setzte sich ab, um Zeit zu gewinnen.

Das Gespräch führte Steven Geyer


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