Die Gentechnische Veränderung (GV) basiert auf dramatisch unvollständiger Kenntnis

Freitag, 8.02.2013 – Ken Rosboro für das anti-GVO Projekt

John Vandermeer ist ein mit „Asa Gray“ ausgezeichneter Universitäts-Professor für Ökologie und Evolutions-Biologie an der Universität von Michigan, USA.
Schwerpunkte seiner Forschungsarbeit sind tropische Öko-Systeme und Theorie der Ökologie.

Professor Vandermeer hat 13 Bücher zur Agrar-Ökologie und zu Agrar-Öko-Systemen herausgegeben.

Er hat kürzlich unter dem Titel „Die Wissenschaft entdecken“ einen Blog geschrieben über den Wandel des ehemaligen anti-GVO-Aktivisten Mark Lynas hin zum Unterstützer von Gen-Pflanzen und Gen-Nahrungsmitteln.

In dem Blog schlägt Professor Vandermeer vor, daß Mark Lynas sich weiter über Wissenschaft unterrichtet und daß er sich die Wissenschaft der GV-Technik tiefergehender ansieht, um die negativen Effekte auf die Gesundheit von Menschen und Tieren durch das Herbizid Roundup zu erkennen, sowie die vereinfachende und falsche Sichtweise über das Einbringen von Genen und die damit verbundenen unbeabsichtigten Auswirkungen auf ein komplexes Genom, sowie die Probleme durch Resistenzen bei Unkräutern und Insekten, die aus den GV-Pflanzen resultieren, und schließlich den Mythos, daß die Welt sich mit GVO ernähren ließe.

Ken Roseboro, Herausgeber des „Organic und non-GMO-Report“ hat Professor Vandermeer vor kurzem interviewt.

Roseboro: In Ihrem Blog haben Sie jüngst den Enthusiasmus von Herrn Mark Lynas als eine Ideologie bezeichnet. Können sie das näher ausführen?

Vandermeer: Das ist eine ideologische Sichtweise, daß jede neue Technologie, die auf Wissenschaft beruht, gut sei, egal worum es dabei geht.
Die Wahrheit ist, daß es nicht immer gut ist. Zum Beispiel war Thalidomid (Contergan) [1] nicht gut. Thalidomid war ein Ende der 1950er Jahre zugelassenes Medikament, das schwangeren Frauen, die unter Schlaflosigkeit litten, helfen sollte.
Später stellte sich heraus, daß dieses Mittel Geburts-Fehler verursachte.

R.: Die Wissenschaft der GV-Technik hängt von der Theorie ab, daß das Einsetzen von einem Gen eine erwünschte Eigenschaft herstellen wird. Halten Sie dies für zu vereinfachend?

V.: Ja, die meisten Mikro-Biologen verstehen das. Die GV-Technik wurde auf einer dramatisch unvollständigen Kenntnis des Genoms errichtet.

Grundsätzlich beruht sie auf einem frühen und naiven Verständnis, daß das Genom DNA herstellt, daß die DNA dann RNA-Stücke produziert und diese daraufhin Eiweiße daraus machen, und damit endet die Story.
Aber wir wissen jetzt, daß es eine riesige Menge an Komplikationen gibt, die in diese grundlegende Story verwickelt sind.

Mikro-Biologen sind jetzt soweit vorangekommen, um zu verstehen, daß das Genom wie ein kompliziertes Öko-System ist.
Zu erwarten, daß, wenn man gerade einmal ein Ding tut, wie z.B. ein Stück DNA in ein großes Genom hineinzufügen, dabei nur das eine Protein, das man eingeplant hatte, und nichts anderes hervorgeht, das ist wahrscheinlich nicht möglich.

R.: Was ist denn die letzte Forschung, die diese Komplexität des Genoms beschreibt?

V.: Greifen Sie irgendein Thema aus dem Journal Cell (dt. „Die Zelle“) oder aus einem der anderen Fach-Zeitschriften der Mikro-Biologie heraus.
Es gibt viele Artikel und eine Menge Forschung, die das auf den Punkt bringen.

Man kann die (Prozesse in der) Natur sehr dramatisch aufdrehen (oder: steigern). Eingewanderte Spezies sind ein Beispiel hierfür.
In den 1930er Jahren war der (Zucker-)Rohr-Käfer (orig: cane beetle) ein großes Problem in den Zuckerrohr-Feldern Australiens. Man führte die Rohr-Kröte (orig: cane toad), damit dieser die Käfer auffressen sollte.

Man dachte dies sei eine einfache Lösung, indem man einen Räuber einführte, um die Beute zu fressen. Aber die Kröte breitete sich über Australien aus und wurde zu einem Problem für den ganzen Kontinent. Die Menschen waren naiv in Bezug darauf, wie ein Öko-System funktioniert.

Dasselbe trifft auf die GV-Technik und ihre unbeabsichtigten Folgen für das Genom zu. Was wie ein Nutzen aussieht, kann am Ende dramatische Konsequenzen haben.

R.: Was sind die weiteren Probleme, die Sie bei der GV-Technik sehen?

V.: Wir wissen bereits von Problemen, die existieren, und zweifelsfrei werden Probleme in Zukunft ausbrechen.
Es hat bereits unbeabsichtigte Konsequenzen gegeben.
Diese Probleme müssen nicht notwendigerweise mit der GV-Technik selber zu tun haben. Wenn man ein Insektizid wie das Bt in Pflanzen einbringt, und diese dann mit ihrer permanenten Herstellung dieses Toxins freisetzt, dann fordert man den Ärger heraus, weil man damit die Insekten fragt, ob sie dazu eine Resistenz entwickeln.
Wenn man Roundup draußen anwendet und extensiv versprüht, übt man einen immensen evolutiven Druck auf die Bei-Kräuter aus, Resistenzen zu entwickeln.

Außerdem beschert die GV-Technik der Industrie die Kontrolle über die Versorgung mit Saatgut. Sie zerstört genau zu diesem Zeitpunkt das Leben vieler Bauern rund um die Welt [2].

R.: Sie haben ausführlich über Agrar-Ökologie geschrieben. Halten Sie diese für eine lebensfähige Alternative zur industriellen Landwirtschaft?

V.: Aus meiner Perspektive ist dies die einzige Alternative zur industriellen Landwirtschaft.
Im Gegensatz zu einem industriellen System, das auf Chemikalien basiert, beinhaltet dies die Errichtung eines Agrar-Öko-Systems, das auf ökologischen Prinzipien gründet.
Wir wissen jetzt, daß es grundlegende ökologische Prinzipien gibt, wie etwa Nährstoff-Kreisläufe und selbständige Schädlings-Kontrolle, die man nutzen sollte.
Diese Prinzipien erzeugen positive Auswirkungen für die Gesundheit und die Umwelt.
Das Fach-Magazin Journal of Agroecology and Food Systems (dt.: Journal für Agrar-Ökologie und Nahrungsmittel-Systeme) veröffentlicht Artikel zu den jüngsten Fortschritten der Agrar-Ökologie.

R.: Sie diskutieren über den Anbau von Zwischen-Früchten als eine effektive Technik. Können Sie ein spezifisches Beispiel hierfür nennen?

V.: Die drei Geschwister: Mais, Bohnen und Kürbis.
Die Ureinwohner Amerikas wussten diese Pflanzen zusammen anzubauen.
Bohnen binden den Stickstoff aus der Luft, und der Kürbis bedeckt den Boden, um die Unkräuter fernzuhalten.
Das ist ein komplexes System von Wechselseitigkeit, das bessere Wege für den Pflanzenanbau bereitet und höhere nachhaltige Erträge produziert als die Monokulturen.

R.: Sie haben sich gegen Konzern-gesponserte Forschung an öffentlichen Universitäten ausgesprochen. Welche Art von Problemen sehen Sie bei dieser Art von Forschung?

V.: Diese Forschung neigt zur Geheimhaltung. Sie ist von den Notwendigkeiten der Unternehmen und nicht von den Bedürfnissen der Menschen gesteuert.
Ich habe keine Probleme mit der Finanzierung durch Firmen, wenn sie der Öffentlichkeit nützt und kein Haken an der Sache ist.
Doch diese Art von Finanzierung hat Haken.


[1] Auch die GV-Technik hatte bereits ein ähnlich schlimmes Unglück ausgelöst. - Siehe bei:
a) „Todkrank durch Pfusch im Labor“, DIE ZEIT, 26.10.1990, Nr. 44 – 26. Oktober 1990
b) „Krank auf Rezept“, DIE ZEIT, 18.10.1991 Nr. 43 - 18. Oktober 1991 http://www.zeit.de/1991/43/krank-auf-rezept
c) und besonders: „Das Contergan der Gentechnik“ http://www.attac-bielefeld.de/fileadmin/user_upload/Gruppen/Bielefeld/das_contergan_der_gentechnik.pdf

[2] Siehe bitte die Dokumentation „Raising Resistence“, bei Alive! Vertrieb. Für 16 Euro erhält man nicht nur die DVD, sondern auch die Berechtigung zur unumschränkten nicht-kommerziellen Nutzung

Übersetzung durch GenAG/attac-Bielefeld - Einschübe in Klammern und Fußnoten durch Übersetzer
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